
Augen für Mutter
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Wo sind
sie?!“, brüllte der Kapitän.
Jegliche
Arbeiten wurden auf dem Schiff sofort niedergelegt und alle blickten auf ihren
Kapitän, dem die Zornesröte ins Gesicht geschossen war.
„Wer von
euch widerlichen Ratten hat sie gestohlen?!“, fragte er erneut, mit bebender
Stimme.
„So, keiner
war’s? Hab ich es mir wohl nur eingebildet? Wollt ihr das mit euren Schweigen
sagen oder habt ihr nur Angst zu antworten, da ihr wisst, dass ich eine lügende
Zunge erkenne und herausschneiden werde?“
Der Kapitän
setzte eine kurze Pause ein und blickte jedem Crewmitglied in die Augen und
erhoffte bei einem Mann ein Aufflackern von Furcht zu erkennen, die den Dieb
verraten würde. Leider wurde er nicht fündig und sprach widerwillig weiter.
„Aber
vielleicht habt ihr ja recht. Mein Auge hat mir vielleicht ein Streich
gespielt. Lasst uns doch nochmal nachsehen, wollen wir?“
Niemand
wagte es Einwand einzulegen und jeder Freibeuter folgte dem Kapitän unter Deck.
Henry kam als letzter unten an, konnte aber auf seinem Weg in das Schiffsinnere
bereits die verblüfften Ausrufe einiger Männer hören, die seine Theorie
bestätigten. Die Goldskulptur, die den Dämon Aeshma darstellte, wurden die
Augen entnommen, bei denen es sich um zwei rote Diamanten handelte. Das goldene
Wesen befand sich in einer riesigen Truhe, die von einem Schloss geschützt war,
welches aber weit geöffnet vor ihnen lag.
Auch ohne
die Augen war die Skulptur ein Vermögen wert, aber die makellosen Diamanten
waren der eigentliche Schatz. Nur mit Mühe konnte Henry seine Wut unterdrücken.
Jemand war ihm zuvor kommen.
„So,
scheinbar hat mich mein Auge doch nicht betrogen“, begann der Kapitän. „Hätte
nun jemand von euch die Güte, mir zu erzählen, was mit den verfluchten
Diamanten passiert ist, die sich in der Fratze dieser Missgeburt befanden?!“
Drei Monate
hielt sich nun Henry schon unter diesem Gesindel auf, um ebenjene Augen der
Skulptur zu klauen, die der Kapitän seit Jahrzehnten suchte. Mit dem Geld, das
er durch die Diamanten hätte machen können, wäre ihm und seiner kranken Mutter
endlich ein Leben in Ruhe und Wohlstand vergönnt. So kurz vor dem Ziel wollte
er sich seine Zukunft nicht wegschnappen lassen.
Während der
Kapitän immer weiter Beschimpfungen an seine Crew verteilte, blickte Henry jeden
einzelnen Mann in die Augen und versuchte irgendein Zeichen zu entdecken,
welches ihm den Dieb offenbarte.
„Verdammt“,
zischte Henry leise, nachdem er in jedes von Neid und Gier zerfressene Gesicht
geblickt hatte. „Sie alle wollten sie stehlen“
„Hörst du
mich, Junge?“
Verdutzt
hob Henry seinen Kopf und bemerkte, dass der Kapitän direkt vor ihm stand und
mit ihm sprach.
„Bist du
bei uns? Ja? Gut, ich habe dich nämlich gefragt, was du heute Morgen gemacht
hast“
„W…
Warum?“, fragte Henry mit einem nervösen Stottern in der Stimme.
„Nun ja, du
siehst sehr angespannt aus. Als hättest du etwas zu verbergen. Und zufälliger
Weise weiß ich, dass du den Boden vor meiner Kajüte geschrubbt hast, was dir
die Möglichkeit gab, in mein Zimmer zu schleichen und den Schlüssel vom
Schlüsselbund zu stehlen, während ich pissen war“
„Nein, ich
…“
„Versuch
nicht zu Lügen Bursche. Ich sehe doch, dass du es auf den Schlüssel an meinem
Schlüsselbund abgesehen hattest“
„Nein, d …
das ist doch gar nicht möglich!“
„Oh, und
warum?“
„Weil du
den Schlüsselbund nie zurück gelassen hättest und der Schlüssel um deinen Hals
hängt und nicht am Schlüsselbund“
„Ja“,
sprach der Kapitän in einem triumphierenden Ton, „dass stimmt. Es ist
interessant, dass du das weißt“
Henry
fluchte leise in sich auf. Er war ihm in die Falle gegangen. Nun würde sich der
Verdacht gegen ihn verhärten. Langsam zwang er sich ruhig zu bleiben und nicht
in Panik zu geraten.
„Natürlich
weiß ich das“, sagte Henry. „Jeder weiß das. Du fasst dich jede zweite Sekunden
an den Hals, um zu schauen, dass der Schlüssel noch da ist. Man muss kein Genie
sein, um das zu erraten“
Der Kapitän
erwiderte darauf nichts, jedoch genügte sein Schweigen als Eingeständnis, dass
er Henry Recht gab. Doch was nun? Henry hatte keine Ahnung wie er den Dieb
aufspüren sollte.
Gerade als
seine Hoffnung zu schwinden drohte, fing der Kapitän an, sich wieder in den
Reihen seiner Mannschaft umzuschauen, wobei sein Blick bei einigen Freibeutern
verdächtig lange hängen blieb. Jeder dieser Gestalten glich von ihrer Statur
und Aussehen Henry auf eine überraschende Weise. Dies konnte nur eines
bedeuten. Er hatte einen Verdacht.
„Wie hätte
ich eigentlich den Schlüssel stehlen sollen?“, fragte Henry den Kapitän, um
irgendwie weitere Informationen über den Verdächtigen zu bekommen.
„Ich war sturzbesoffen“,
antwortete der Kapitän mit einem Lächeln auf den Lippen. „Es wäre nicht schwer
gewesen, mir den Schlüssel im Schlaf abzunehmen“
„Und wie
hätte ich in die Kajüte kommen sollten? Sie war abgeschlossen“
Erneut
wusste der Kapitän keine Antwort, um das Argument von Henry zu entkräften.
„Du kannst
schlossknacken“, ertönte es plötzlich aus der Mannschaft. „Ich habe gesehen,
wie er es heimlich geübt und Dietriche versteckt hat“
„Verfluchter
Bastard!“, zischte Henry leise.
„Wirklich?“
Das verbliebene Auge des Kapitäns fühlte sich wieder mit Hoffnung und glich dem
eines Raubtieres, welches sich auf seine wehrlose Beute stürzen wollte.
„Du kannst
also Schlossknacken. So wäre es doch ein leichtes gewesen, dich abends zu
meiner Kajüte zu schleichen, diese aufzuschließen und mir den Schlüssel zu
klauen“
Die Crew
schenkte den Worten ihres Kapitäns glauben und fing an, Henry mit wütender
Miene einzukreisen.
„Ein
wildfremder Junge“, begann der Kapitän siegessicher, „der Schlösser knacken
kann, kommt also auf unser Schiff, kurz nachdem wir einen Hinweis auf die
Statue bekommen haben und kaum haben wir sie, fehlt plötzlich der wertvollste
Teil dieser Missgeburt. Also ich glaube, wir haben unseren Schuldigen gefunden.
Was meint ihr Männer?“
Die
Mannschaft antwortete prompt mit einem zustimmenden Grunzen. Das Herz schlug
wild in Henrys Brust. Verzweifelt versuchte er irgendein Argument zu finden,
welches seine Unschuld beweisen würde. Ihm kam aber nur ein Ausweg in den Sinn.
Er musste den wahren Dieb finden.
In
Windeseile ging Henry alle Hinweise durch, die er durch das Verhalten des
Kapitäns erlangen konnte. Der Dieb musste wie Henry aussehen, irgendwie in die
Kajüte gekommen und erst seit kurzem ein Mitglied dieser Crew sein. Dem Kapitän
fehlte aber die Geduld, Henry die Zeit zu geben, den wahren Schuldigen
ausfindig zu machen und kam nun mit gezückten Säbel auf ihn zu.
„Warte“,
flehte Henry verunsichert und hielt die Arme reflexartig vor sich, „warum hätte
ich die Augen denn jetzt stehlen sollen, wenn es alle bemerken würden. Jemand
versucht …“
Bevor er
aussprechen konnte, ließ der Kapitän seinen Säbel flink durch die Luft sausen.
Für einen kurzen Augenblick dachte Henry, der Hieb hätte ihn nicht getroffen,
bis er seinen linken Ringfinger und kleinen Finger am Boden liegen sah.
Geschockt blickte er auf seine linke Hand, wo nur kleine Stummel von den beiden
Fingern übrig waren, aus denen unaufhörlich Blut floss.
„Haltet ihn
fest Männer“ Der Kapitän säuberte seinen Säbel und steckte ihn wieder weg. „Wir
durchsuchen ihn. Vielleicht hat er ja noch weitere Geheimnisse, die er
verbergen möchte“
Henry
leistete keinen Widerstand, als er von zwei Freibeutern festgehalten wurde,
während der Kapitän eilig seine Brust abtastete. Jedoch hielt er plötzlich inne
und blickte ungläubig auf den Gefangenen.
Wie vom
Blitz getroffenen trat der Kapitän von Henry zurück und schaute sich eilig in
der versammelten Mannschaft um.
„Lasst ihn
los“, sagte er mit dumpfer Stimme.
Zögernd
folgten die beiden Freibeuter dem Befehl und ließen Henry los, der ebenfalls
von dem plötzlichen Sinneswandel des Kapitäns überrascht war.
Was soll das?, fragte sich Henry selbst. “Warum hat er von mir abgelassen. Woran hat
er erkannt, dass ich nicht schuldig bin? Er hat doch nur meine Brust…“
Endlich
überkam Henry die Erkenntnis, nach der er sich gesehnt hatte.
“Eine Frau. Es versteckt sich eine Frau unter uns. Sie
muss mit dem Kapitän das Bett geteilt haben, als er besoffen war und hat ihm
dann den Schlüssel kurz entwendet, um die Augen zu klauen. Und er weiß nicht
mehr, wie sie aussieht.“
Auch wenn
dieses Wissen ihm half, konnte er damit die Identität des Diebes noch nicht
bestimmen. Erneut ließ er seinen Blick durch die Freibeuter schweifen und
begann, sie zu zählen. Nach mehrfachen Wiederholungen kam er immer wieder auf
39. Ein Crewmitglied fehlte. Sie musste geflohen sein, als sich alle Augen auf
Henry gerichtet hatten. Aber sonst war die gesamte Crew unter Deck versammelt.
Die gesamte Crew…
„Wer ist am
Ausguck?“, fragte Henry mit trockener Stimme.
Das
Gemurmel, welches zuvor das Innenleben des Schiffes erfühlt hatte, erstarb
binnen Sekunden. Durch die bedrückende Stille, die nun herrschte, konnte jeder
Anwesende einen leisen Knall hören, der vom Meer auskam und dann von einem
immer lauter werdenden Zischen beerbet wurde, welches direkt auf sie zukam.
Henry
sprang vom Boden auf und versuchte die Treppe hoch zu rennen, entging der
Kanonenkugel aber nicht gänzlich, die in ihr Schiff einschlug. Ein Großteil der
Crew wurde beim Aufschlag direkt getötet. Die Fetzen ihrer Leichen flogen quer
durch das Schiffsinnere und landeten auf dem zersplitternden Holzboden oder ins
Meer, in welchem sich sofort unzählige Blutspuren ausbreiteten.
Der
Aufprall hat Henry von den Beinen gerissen und er kämpfte sich schwerfällig
wieder auf diese. Hinter ihm hörte er die Schreie der Verletzten, zu denen auch
der Kapitän gehörte, jedoch schenkte Henry diesen keinen einzigen Blick und
stürmte mit wackeligen Bein aufs Deck.
Als er dort
ankam, machte er sofort das Schiff aus, welches auf sie geschossen hatte. Wem
es angehörte, konnte Henry nicht sagen. Seine Aufmerksamkeit wurde von einer
Gestalt erregt, die zum einzigen Ruderboot rannte, während eine weitere Kugel
in das Schiff einschlug.
Die Erschütterung
raubte beiden das Gleichgewicht und schickte sie fast zu Boden. Henry nutzte
die Chance und zog seine Pistole. Dank der Sonne konnte er ein rotes Funkeln in
der linken Hand der Frau erkennen, in der sie die Augen hielt. Trotz des
wackelnden Bodes zielte Henry auf die Hand und feuerte.
Das Glück
schien ihm holt zu sein und die Kugel fand ihr Ziel. Mit einem schockierten und
schmerzvollen Schrei fielen die Diamanten und einige ihrer Finger auf den Boden
und rollten über das Deck weg. Bevor die Frau losstürmen konnte, um zu
versuchen, die Augen wieder in ihren Besitz zu bekommen, fegte eine dritte
Kanonenkugel ein weiteres Loch in das Schiff, welches langsam zu sinken begann.
Völlig von
Sinnen rannte Henry auf die Diamanten zu, wobei er immer wieder zu Boden ging.
Doch seine Mühen wurden belohnt, als er endlich die Augen in Händen halten
durfte. Von der Frau, die sich in das Ruderboot rettete und zu dem angreifenden
Schiff ruderte, bekam Henry nichts mehr mit. Auch nicht von dem kalten
Meerwasser, welches das sinkende Schiff und ihn beständig in ihr nasses Grab
zog.
Er
betrachtete nur die Diamanten und kostete jeden Moment aus. Sie waren seine
Zusicherung auf ein besseres Leben für ihn und seine arme Mutter, losgelöst von
den Leiden der Armut. Zufrieden stieß er die restliche Luft aus seinen Lungen
und füllte sie so unwissend mit Meerwasser. Aber auch das hatte keine Bedeutung
mehr.
Endlich war
er frei.