ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Prolog
Die Flammen loderten dem schwarzen Himmel empor und
vertrieben so die Finsternis die Chemnitz nun umgeben müsste. Haus für Haus
fiel dem Feuer zum Opfer, als sich der Brand ausbreitete oder weitere Bomben in
die Stadt einschlugen. Erfüllt wurde das Inferno mit den Schreien der
Einwohner, die verzweifelt um Hilfe brüllten oder in den Flammen zu Grunde
gingen.
Innerhalb des Schreckens rannte ein Mann panisch dem sicheren
Tod entgegen. Er schenkte seiner Umgebung keinen zweiten Blick und stürmte immer
weiter der Innenstadt entgegen, in welcher der Feuersturm wütete. Mit jedem
Schritt raubte ihm die unerträgliche Hitze mehr Kraft und brachte ihm der
Erschöpfung näher. Trotz alledem durfte er dem Leid seines Körpers kein Gehör
schenken, da ihm dafür die Zeit fehlte.
Seinen Weg kreuzten arme Personen, die aus den Todesfallen
flüchten konnten, die sie einmal ihr Heim schimpften und mit allen Mitteln
versuchten, diese vor der völligen Zerstörung zu bewahren. Von Rettungsdiensten
fehlte fast jegliche Spur, wodurch ein jeder seinem Schicksal überlassen wurde,
wenn er nicht um sein Überleben kämpfte. Doch nicht jeder versuchte gegen die
Flammen vorzugehen, sondern nutzte die Chance, die sich ihnen ergab, um aus der
Stadt zu flüchten.
Der Rauch, der den Feuersturm umgab, ähnelte dem Anblick
eines Orkans und würde das Inferno solange weiter anfachen, bis es die ganze
Stadt niedergebrannt hätte. Am Fuße dieser Naturgewalt kam der Mann zum Stehen
und ging vor Trauer in die Knie, als er sein Haus in den Flammen entdecken
konnte.
Verzweifelt schrie er nach seiner Frau und seinem Kind, da er
hoffte, sie hätten sich noch aus dem Heim retten können. Seine Rufe gingen aber
in der Stimmgewalt der Kulisse unter und blieben unbeantwortet. Bereits nach
wenigen Versuchen versagte dem Mann die Stimme und er verfiel in einen starken
Husten, welcher durch den Rauch verursacht wurde, der langsam anfing, ihn unter
sich zu begraben.
Das Atmen fiel dem Mann immer schwerer und auch seine Sicht
wurde ihm schnell genommen, weswegen er sich halb blind aus dem Rauch zu retten
versuchte. Ein völliges entkommen gab es vor dem Rauch aber nicht, da er nun
durch jede Straße zog wie die herrlichen Sonnenstrahlen, keine sechs Stunden
zuvor.
Zu dem Glück des Mannes aber konnte er eine Stelle finden, in
welche er, trotz der Katastrophe um ihn herum, einmal tief durchatmen konnte.
Jedoch war die Luft so von der Hitze durchsetzt, dass sie ihm keine Erfrischung
brachte, sondern seine Kehle austrocknete und ihm die letzten Kräfte raubte.
Nun bemerkte der Mann, dass seine Kleidung klitschnass
geschwitzt war und sich ein Schwindelgefühl bei ihm breit machte, welchem er
entgegen wirkte, indem er sich hinkniete. Den Gedanken, dass er seine Familie an
die Flammen verloren haben könnte, schenkte er keine Aufmerksamkeit, da sein
betäubter Geist, welcher durch die Katastrophe um ihn herum zerrüttet wurde, sich
diesem Verlust nicht stellen wollte. Der drohende Tod hatte jeglichen Schrecken
in seinen Augen verloren und mit stumpfen Blick fing er an, das Schauspiel,
welches ihn umgab, zu betrachten.
Fast jedes Haus brannte lichterloh und die Flammen schossen
aus den Fensterrahmen, deren Gläser bei den Einschlägen der Bomben zersprangen
und nun scherbenhaft die Wege säumten. In den Flammen konnte der Mann
vereinzelt Leute sehen, die einen Weg aus dem Gebäude suchten, bei ihren
Versuch aber scheiterten und qualvoll da nieder gingen. Aber auch die Menschen,
die sich im freien befanden, erging es nicht besser. Bei vielen hatte die Kleidung
Feuer gefangen, weswegen sie sich diese panisch vom Leibe rissen. Andere
ertrugen die Hitze nicht mehr, wodurch sie einfach ohnmächtig wurden und hart
auf den Boden knallten. Wenige machten aber den Fehler auf die Straße zu
rennen, auf welcher der Asphalt anfing zu kochen und die Menschen dort, wie ein
Tier in einer Bärenfalle, elendig verreckten.
Das schrecklichste war aber nicht das Geschrei der Sterbenden
oder der Gestank von den verbrannten Leichen, sondern die Dunkelheit, die die
Flammen umgab und einem die Sicht auf alles verwehrte, was sich außerhalb des
Lichtkegels des Feuers befand, wodurch der Blick sich immer wieder auf das
Inferno versetzte und es einem deutlich wurde, dass es kein Entrinnen gab.
Inmitten dieser Tragödie konnte der Mann aber eine Gestalt
wahrnehmen, die durch die Straßen lief, als sei es ein schöner Sommertag. Die
Gestalt entpuppte sich als ein junger Mann, der die Kleidung eines deutschen
Soldaten trug und die Ruhe in Person zu sein schien. Seiner Arme hatte er
hinter seinen Rücken verschränkt und betrachtete das Leiden mit einen zufrieden
Lächeln. Mehr konnte der Mann von dem Gesicht des Soldaten aber nicht sehen, da
dieser eine Einheitsfeldmütze trug und diese den Rest sein Gesicht in Schatten
tunkte. Blonde Haare kamen aber unter der Mütze hervor und ein Hakenkreuz
prangte an seinem linken Arm, welches der Soldat stolz zur Schau stellte.
Keine weitere Person schien den Soldaten zu bemerken, als er
langsam an ihnen vorbeischritt und die Geschehnisse zufrieden betrachtete. Es
erschien dem Mann aber nicht vollkommen verwunderlich, dass die Einwohner
gerade kein Auge für diese Gestalt hatten, da sie damit beschäftigt waren, zu
überleben.
Plötzlich blieb der Soldat stehen und fing langsam an etwas
vor sich hin zu murmeln, wovon der Mann aber nichts hören konnte. Dabei blickte
er nacheinander jede Person an, die in seiner Nähe stand. Wann immer die Augen
des Soldaten an dem nächsten Menschen heften blieben und er von sich hin
sprach, schienen die Betroffenen zunehmend in sich zu versinken und von den
Gefahren um sie herum Taub zu werden.
Als nun der Mann an der Reihe war und die Gestalt ihn
anblickte, konnte er spüren, wie eine ihm fremde Stimme, in den tiefen seines
Verstandes zum ihm sprach. Die Worte blieben ihm fast komplett unverständlich,
doch er spürte, wie sie seinen Zorn und Hass wecken wollten. Ihm kamen
plötzlich Bilder von Juden in den Kopf und die fremde Stimme versuchte dem Mann
derart zu manipulieren, dass er ihnen die Schuld für sein Schicksal und aller
Einwohner von Chemnitz geben sollte.
Von dem Eindringling verstört, fing der Mann an sich wehren
und widersprach jedem Gedanken, den die Stimme ihm einreden wollte. Je mehr er
sich aber widersetzte, desto aggressiver und lauter wurde die Stimme, bis er
langsam anfangen konnte, sie zu hören. „Es ist ihre Schuld!“, schrie sie ihm ständig
zu.
Nach langem Ringen gelang es dem Mann endlich, den
Eindringling aus seinen Verstand zu schmeißen. Erleichtert atmete er die
hitzige Luft ein und blickte dem Himmel empor, um einen kurzen Augenblick nicht
den Soldaten vor sich sehen zu müssen. Dort konnte er zwischen den Rauchfahnen,
die fast den ganzen Himmel verdeckten, zwei Gestalten sehen, die auf Pferde saßen,
welche in der Luft schwebten.
Diese hielten Gewehre in den Händen und zielten auf den
Soldaten, bereit abzudrücken. Weitere Details konnte der Mann nicht erkennen,
da sie gut 50 Meter über dem Boden befanden und der Rauch ihre Gestalt in undeutliche
Schemen verwandelte.
Erneut versuchte nun die Stimme in den Verstand des Mannes
einzudringen, womit sie Erfolg zu haben drohte. Der Soldat hatte sich nun
völlig auf den Mann fixiert und sein Gesicht spiegelte die Anstrengungen und
Konzentration wieder, die der geistige Angriff zu haben schien.
„Hilft uns!“, schrie der Mann den zwei Gestalten am Himmel
zu, als er den Eindringling erneut in seinen Verstand spürte, „So helft uns
doch!“
Die Gestalten konnten die Rufe des Mannes entweder nicht
hören oder ignorierten diese. Anstatt aber den Soldaten zu töten, nahmen sie
ihre Gewehre herunter und ritten mit ihren Pferden von dem Geschehen, in den
Himmel, davon.
„Du weißt wer Schuld hat!“, donnerte ihm die Stimme ihm in
seinem Verstand so laut entgegen, dass es den Geist des Mannes betäubte. Ohne
weitere Gedanken fassen zu können, da diese in dem Geschrei des Eindringlings
untergingen, packte der Mann panisch seine Pistole, die er unter seiner Jacke
versteckte hatte und zielte auf den Soldaten, der mit seinen geistigen Attacken
aufhörte, als er die Waffe auf sich gerichtet sah.
Nun konnte der Mann die Augen des Soldaten sehen. Diese waren
von einem tiefen Blau und in ihnen zeigte sich der pure Hass, welcher in den
tiefen dieses „Mannes“ hausen musste. An dem Hals des Soldaten konnte er einige
Schemen entdecken, die aber von der Uniform verdeckt wurden und deswegen eine
genauere Einschätzung unmöglich machten.
Von der Stimme befreit, kehrte eine Ruhe in den Verstand des
Mannes ein, die er zu schätzen wusste. Wieder befähigt, Gedanken zu fassen,
überlegte er kurz, was er nun tun sollte.
Schnell kam der Mann zu einem Ergebnis. Ohne weiteres Zögern drückte er ab.
Kapitel 1
Keine fünf Sekunden flog das Projektil, als es aus dem
Granatwerfer geschossen wurde. Mit einem lauten Knall explodierte es und riss
große Stücke der Erde um sich herum in die Luft. Die Deutschen, welche in ihren
Gräben hockten und die Ziele dieses Angriffes waren, blieben von den Granaten
unverletzt. Es bedürfte schon einen Volltreffer, damit es so Verluste auf der
Deutschen Seite gab.
Trotzdem zerrte bereits die Möglichkeit, dass ein Schuss
zufällig treffen könnte, stark an den Nerven der Soldaten. Durch jede neue
Druckwelle, die näher zu kommen schien und Erdhaufen in ihre Gräber
schleuderten, wurde der Verdacht auf das baldige Ableben stetig gestärkt.
Nach weiteren fruchtlosen Versuchen wurde das Feuer
eingestellt. Freude macht sich aber unter den Deutschen nicht breit, da sie
alle wussten, dass die Russen sie damit nur auf mürben wollten. Unter dem metallischen
Rasseln der Panzer hörte man wie, die Fußsoldaten zum Angriff ansetzten. Iwan
kam.
Vorteil der Deutschen war, dass sie ihre Gräben an dem Fuß
eines Hügels gegraben hatten und so die Russen eine Strecke von 50 Meter
überwinden mussten, um sie zu erreichen. Kaum wurden die ersten Feinde
sichtbar, die sofort den Hügel herunterstürmten und dabei von wilden Geschrei
begleitet wurden, schon setzten sich die MG’s in betrieb. Russe für Russe fand
in dem Feuerhagel sein frühes Ende und mit jeder Sekunde purzelten mehr Leichen
den Hügel herunter. Begleitet wurden die MG’s von den restlichen Deutschen, die
nun aus den Gräben heraus mit ihren Gewehren auf den anstürmenden Feind schossen.
Mitten unter den Deutschen umklammerte ein Soldat seine Waffe
zitternd und anstatt sich an dem Gefecht zu beteiligen, blieb er in derselben zusammengekauerten
Haltung, in welcher sie sich alle vorhin verkrochen hatten, um den Granaten zu
entgehen. Kalter Schweiß bedeckte seinen gesamten Körper und das Zittern drohte
nun den restlichen Leib zu erfassen. Langsam fing er an sich beruhigen, indem
er sich zu aller erst zwang, ruhig und kontrolliert zu atmen.
Nachdem ihm das gelungen war, blendete er den Lärm des
Kampfes um ihn herum bestmöglich aus, wobei ihm die Ohropax in seinen Ohren
halfen. Als ihm das auch gelang, konnte er anfangen, das leise Klavierspielen
seiner Mutter zu hören. Jeden Sonntag setzte sie sich an den Flügel und spielte
dasselbe Lied, welches sie schrieb, als er zur Welt kam. Der Bann, den die
Musik auf ihn ausübte, blieb ungebrochen und es erfüllte ihn mit Stolz, das
dieses Meisterwerk seinen Namen trug: Arnold.
Von jeglichen Schrecken befreit und erfüllt mit dem
Selbstbewusstsein, was er verspürte, wenn er an das rhythmische Spielen seiner
Mutter dachte, brachte sich Arnold ruckartig in Schuss Position und fing an, auf
den näherkommenden Feind zu schießen. Auch wenn ihm die Musik half, seine
Pflichten als Soldat zu erfüllen, hinterließ der Gebrauch eben jener als seine
seelische Stütze im Kampf einen pfaden Beigeschmack, da er die glücklichen
Erinnerung, welche er mit dem Lied verband, durch die Schrecken des Krieges
versauerten.
Nie mehr würde er an das gedämpfte Sonnenlicht des
Nachmittags denken, welches gedämpft durch die Vorhänge in ihr Wohnzimmer drang
oder an den Geruch des alten Klaviers, sondern an die toten Feinde, die in
Scharen den Hügel herunter fielen und an den Geruch von verbrannten Fleisch,
wenn ein Soldat durch eine Granate starb und sein Körper durch die Explosion
zerfetzt wurde. Ebenso würde er nie mehr das Summen seiner kleinen Schwester
hören, welche damit die Musik gerne begleitete, sondern die Freudenrufe der
Russen, wenn einer von ihnen den Gräben erschreckend nahe kam, nur um dann doch
durch ein Schuss zu fallen und sich mit einer hassverzerrten Fratze, zu seinen
gefallenen Kameraden zu gesellen.
Arnold konnte aber keinen Gedanken auf seinen Verlust
verschwenden. Das Abwehren des Feindes und das Aufrechterhalten des Klavierspiels
erforderte all seine Konzentration. Wie schnell sich aber das Gefühl bei ihm
breit machte, dass die Kämpfe bloß nur noch eine Routine seinen, erschreckte
ihn und zeigte ihm, wie leicht man sich an solche Situationen gewöhnen konnte,
auch wenn dadurch der Schrecken eben jener nicht verloren ging.
Wie viele Arnold in dieser Schacht tötete, konnte er nicht
sagen, nicht einmal, ob er überhaupt jemanden traf. Es fielen einige der
Soldaten, auf die er schoss, so konnten diese aber auch durch seine Kameraden
gefallen sein. In den Wirren des Gefechtes waren solche Feststellungen schier
unmöglich.
Ihm selbst fiel aber nie auf, mit welcher Leichtigkeit er auf
die Russen schoss. Natürlich handelte es sich um den Feind, der ihn töten
würde, wenn Arnold nicht zuerst schoss, trotzdem sah er sie nicht als Menschen
an, deren Leben er nun beendete, sondern wie die Zielübungen, bei welchen er
das Schießen erlernte. Der einzige Unterschied war, dass sie sich bewegten und
zurückschossen.
Mit einem Donnern überwanden die russischen Panzer nun den
Hügel und setzten ebenfalls zum Angriff. Gegen diese kamen die PAK (Panzer
Abwehr Kanone) zum Einsatz. Mit einem lauten Knall und Zischen sausten die
Geschosse des PAK über die Köpfe von Arnold und den Soldaten und schlugen auf
die Panzer ein. Hätte nur einer der Deutschen dabei seinen Kopf gehoben, wäre
dieser ihnen wahrscheinlich abgeschossen wurden. Die Druckwelle, die das
Geschütz verursachte, war aber so groß, dass Arnold und einigen seiner
Kameraden die Stahlhelme von den Köpfen fielen und sie diese wieder aufsetzen
mussten.
Innerhalb der Schlacht verlor Arnold jegliches Zeitgefühl,
fünf Minuten oder fünf Stunden waren für ihn einerlei. Aber bei jeder Auseinandersetzung
konnte er die zwei selben Raben über dem Schlachtfeld beobachten. Wann immer es
zum Kampfe kam, waren sie über ihr über dem Ort des Geschehens und umkreisten
diesen.
Immer wenn Arnold nachladen musste und sich mehr in den
Schutz des Grabens zurückzog, beobachtete er die zwei. Ihr Gekrächzter, welches
sie pausenlos von sich gaben, kam Arnold schon fast verpönend vor, als ob sie sich
über ihr Leid lustig machten. Verwundert fragte er sich, wie er die beiden hören
konnte, obwohl er Ohropax trug. Diese dämpften zwar nur den Lärm des Gefechts,
und ebenso das Gekrächzter der Raben, aber eigentlich dürfte er sie nicht hören
können. Außerdem schien kein anderer seiner Truppe oder der Russen die beiden
Vögel zu bemerken, weswegen sich Arnold öfters fragte, ob es sie sich wirklich
gab oder er einfach nur seinen Verstand verlor.
Was das verblüffendste an den Störenfrieden war, dass wann
immer sie sich entfernten, der Kampf endete. Und so kam es auch dieses Mal, dass
die Russen sich zurückzogen, nachdem die Raben davon geflogen waren.
Seit fast zwei Wochen konnten die Deutschen nun diese
Stellung halten. Von Arnolds Kompanie waren aber nur noch knapp 20 Mann übrig,
die mit jeder Schlacht weniger wurden. Es würde nicht mehr lange dauern und sie
müssten erneut den Rückzug antreten, da die Russen sie sonst alle überrollen
würden.
Nach der Schlacht wurden die Verletzten versorgt und die
gefallenen Kameraden bestattet. Die toten Russen sammelten sie zusammen und
schmissen sie in Massengräber. Dabei wurden die Leichen von vielen ihrer
Habseligkeiten erleichtert.
Der Tag verging ohne weitere Zwischenfälle und so machte sich
Arnold, nachdem die Arbeit getan war und die Sonne unterging, auf zu seinem Schützenloch.
Dort befand sich der neue Kamerad, der erst heute dazu gekommen war. Dieser
schmierte mit einem dumpfen Blick eine Scheibe Brot und biss ab.
„Schmeckt scheußlich, was?“, fragte Arnold den Soldaten, als
er bei dem Graben angekommen war und sich nun auch dort hinein setzte. „Naja,
ist in Ordnung, hab aber schon besser gegessen.“, antwortete der Soldat mit
vollen Mund.
Der Neuankömmling war ungefähr eine Stunde vor Kampfbeginn
angekommen und wurde zu Arnolds Graben geschickt, wo sie sich schnell auf den
Angriff vorbereiten mussten, weswegen die beiden sich noch nicht richtig
unterhalten konnten. In dem Schützenloch war für beide Platz, sie mussten aber
die Beine anwinkeln.
„Also ich finde den Fraß abscheulich.“, sagte Arnold. „Schmeckt,
als ob die Typen, die das hier gemacht haben, noch nie eine Küche von innen
gesehen haben. Jeder, der nur ein bisschen kochen kann, sieht doch, dass der
Scheiß höchstens vom Fließband kommt. Will gar nicht wissen, was raus kommen
würde, wenn die Typen ein richtiges Gericht zubereiten müssten.“
„Musst ja was vom Kochen verstehen, wenn du so über die Leute
herziehst.“
„Ja, tue ich … will ich meinen. Zumindest so viel, dass ich
etwas Leckeres machen könnte, wenn ich richtige Zutaten dar hätte.
Einen schönen Sauerbraten mit Klößen und Rotkohl, die mit
einer leckeren Soße serviert werden und dazu ein ordentliches Bier, dass wäre
etwas richtiges zu essen und nicht das hier.“
„Ich hätte auch Lust auf ein Schnitzel.“, gab der
Neuankömmling zu, als er ein Stück Brot kaute und runter schluckte.
Daraufhin herrschte ein kurzes Schweigen. Die anderen
Soldaten hatten sich auch in ihre Gräben zurückgezogen. Von ihnen konnte die
beiden aber nicht viel hören, wenn diese sich unterhielten, da die Schützenlöcher
an die 30 bis 40 Meter auseinander standen und sie nicht übermäßig laut
miteinander redeten.
Auch wenn die einsetzende Dunkelheit Arnolds Blick trübte,
konnte er die Angst und Angespanntheit in den Augen des Neuankömmlings sehen,
als dieser zu den anderen Schützenlöcher und dem Hügel blickte, von welchen aus
die Russen wieder und wieder angreifen würden.
„Nicht ganz, was du erwartet hast, oder?“, fragte Arnold den
Neuankömmling.
„Nein … nicht ganz“, antwortete er ohne seinen Blick von dem
Schlachtfeld zu lösen.
„Kann ich verstehen, glaub mir.“
„Wie lange bist du schon im Dienst?“, fragte der
Neuankömmling nun Arnold nach einer Weile, wobei er seinen Blick nun auf ihn
richtete.
„Weiß nicht genau. Ein paar Monate, vielleicht etwas länger.
Hab aufgehört mitzuzählen.“
„Wieso?“
„Naja, … irgendwann habe ich den Überblick verloren. Fast
jeder Tag läuft gleich ab: entweder man kämpft oder man muss auf den Kampf
warten. Da beschäftigen einem andere Dinge, als wie darüber nachzudenken, wie
lange man schon in dieser Hölle fest steckt. Zum Beispiel, wann Iwan wieder
angreift, ob man es dieses Mal überlebt oder wann der Krieg endlich vorbei
ist.“
„Na, der Krieg ist vorbei, wenn wir den Gesamtsieg errungen
haben. Und dafür müssen wir das alles ja durchstehen.“
Arnold blickte den Neuankömmling verwundert an und sah, dass
dieser fest von diesem Irrglauben überzeugt war, wie er, als er seinen Dienst
angetreten war. Dabei schien die Vorstellung von dem Sieg, die Angst in ihm
vertrieben zu haben und mit einer Zuversicht zu erfüllen, die man hier nur
selten finden konnte.
„Ja, stimmt, du hast recht.“, log Arnold. „Es ist vorbei,
wenn wir gewonnen haben. Tut mir leid, ich … ich bin nur müde.“
„Oh, ist es schlimm? Sollen wir den Wachdienst tauschen,
damit du dich zuerst etwas ausruhen kannst?“
„Nein, nicht nötig. Ich halt ihn schon aus. Schlaf du dann
erst mal etwas, war ja deine erste Schlacht heute.“
„Danke, ähm …“
„Arnold.“
„Danke, Arnold. Ah, wir haben uns ja noch gar nicht richtig
vorgestellt, wie unhöflich von mir. Hallo Arnold, meine Name ist …“
Als der Neuankömmling seinen Namen aussprach, überhörte
Arnold diesen. In seiner kurzen Zeit, die er an der Front verbracht hatte und
die ihm inzwischen wie Jahre vorkamen, hatte Arnold schon mehrere Kameraden und
auch Freunde verloren, die er hier kennengelernt hatte. Wenn die Angst vor dem
Tod ihn nicht verrückt machen würde, so würde es Trauer um die Gefallenen. Natürlich
hätte Arnold sich von jeden einfach zurückziehen können, jedoch war einer der
wenigen Zeitvertreibe, die ihm die Schrecken des Krieges vergessen ließen, sich
mit seinen Kameraden zu unterhalten.
Bevor er aber wieder um einen weiteren Freund trauern musste,
der dem Feind zum Opfer fiel, merkte er sich einfach nicht ihren Namen, um die
Bindung zu ihnen auf ein Minimum zu halten, wodurch der Verlust erträglicher
wurde. Dies war erstaunlich effektiv, auch wenn er dadurch keine richtige
Freundschaft mehr zu jemanden aufbauen konnte, da er immer davon ausging, dass dieser
ohnehin bald sterben würde.
„Nett dich kennenzulernen.“, antwortete Arnold mit einem
matten Lächeln und ergriff die Hand, die ihm der Neuankömmling entgegen
streckte, und schüttelte sie.
Erneut erfüllte Stille den geringen Platz in dem
Schützengraben, der zwischen den 2 Soldaten noch bestand. Es dauerte eine
Weile, bis der Neuankömmling wieder das Wort ergriff.
„Was willst du machen, wenn der Krieg vorbei ist?“
Arnold musste bei der Frage ein kleines Schmunzeln
unterdrücken. Bei jeder Unterhaltung, die er hier mit einer fremden Person
hatte, kam diese Frage irgendwann auf und Arnold zählte insgeheim mit, wie
lange es dauerte, bis sein Gesprächspartner ihm diese stellte.
„Ich will eine Kneipe aufmachen.“ Arnold musste dabei lächeln,
da der einfache Gedanke an sein gestecktes Ziel, was er wirklich vor hatte
umzusetzen, falls er den Krieg überleben sollte, ihn jedes Mal mit Freude
erfüllte.
„Wirklich? Na, kein Wunder, dass du dich dann mit Kochen
auskennst. Wo willst du Kneipe aufmachen? Was willst du dann alles anbieten?“
„Ganz ruhig. Dass alles habe ich mir noch nicht überlegt.
Vorher muss ich das hier ja überleben.“, sagte Arnold, amüsiert über die
Neugier des Neuankömmlings.
„Ach so. Und warum willst du eine Kneipe aufmachen?“
„Ganz ehrlich, einfach weil ich es will. Ich habe keinen
besonderen Grund, warum ich eine aufmachen möchte. Es macht mir Spaß zu kochen,
ich bin gut im Haushalten und ich liebe Bier. Klingt vielleicht etwas dumm, nur
deswegen eine Kneipe schmeißen zu wollen, aber es würde mich glücklich machen,
davon bin ich überzeugt. Und das ist es was zählt. Ich hab genug davon, nach
der Pfeife von allen zu tanzen. Ich will endlich mein eigener Mann sein und
tun, was ich möchte.“
Bei dem letzten schien der Neuankömmling etwas schockiert,
versuchte dies aber zu vertuschen.
„Dann hast du allen Grund gegen die Sowjets zu kämpfen, wenn
du dein eigener Mann sein willst.“
„Oh ja.“, sagte Arnold voller Inbrunst und spuckte einmal auf
den Boden, um seine Abscheu zu verdeutlichen. „Lieber sterbe ich mit einem
Bauchschuss, als nur einen Tag unter Iwan leben zu müssen. Da kannst du dir ja
nur den Strick geben.“
Daraufhin fing der Neuankömmling an, von seinen Zielen zu
erzählen, die er umsetzen wollte, wenn er den Kugeln des Feinde solange
entgehen könnte, bis die Waffen endgültig ruhen würden. Arnold hörte hierbei
nur mit halben Ohr zu und stellte ab und zu ein paar simple Fragen, um das
Trugbild aufrecht zu erhalten, dass er mit voller Aufmerksamkeit bei ihm wäre.
Dies tat er aber nicht, weil ihm das Gesagte des Neuankömmlings nicht
interessierte, sondern weil er so wenig über ihn wissen wollte, wie möglich.
Der arme
Junge wird sterben, dachte Arnold, während er mit dem Kopf zu den
Ausführungen des Neuankömmlings nickte. Er
wird sterben, wie sie alle zuvor.
Seine Wacht verbrachte Arnold damit, darüber nachzudenken,
was er alles in seiner Kneipe einmal machen möchte, da die Fragen des
Neuankömmlings seine Neugier dafür geweckt hatte. So verging die Zeit angenehm
schnell, bis Arnold seinen Kamerad weckte, um mit ihm den Wachdienst zu
tauschen. Ausgelaugt durch den Tag, machte Arnold es sich dem Schützenloch so
bequem wie es nur ging und versuchte zu schlafen. Bevor er aber einschlief,
dachte Arnold meist über die Geschehnisse der letzten Tage nach. Ein Gedanke,
der ihm immer wieder kam, war, wie sich wohl die Russen fühlten, wenn sie den
Hügel hinunter in ihr Speerfeuer rennen mussten. Selten stellte sich Arnold
auch vor, wie es wohl wäre, wenn er einer von ihnen wäre und ihrer Situation
stecken würde. Doch nach ungefähr zehn Minuten verwehte er diese Gedanken, da
sie ihm als sinnlos erschienen und schlief ein.
Zeit verlor für Arnold jegliche Bedeutung und er fühlte sich
wie in einer endlosen Schleife gefangen, in welche sich jeder neuer Tag nur
geringfügig vom gestrigen unterschied. An dem einen landete einer der Geschosse,
welche von einem Granatwerfer abgefeuert wurde, fast in seinem Graben und
verpasste ihm damit einen riesigen Schrecken. Ein andermal vergas er seine
Ohropax rechtzeitig in seine Ohren zu tun, wodurch ihm das Donnern der MG’s und
der Gewehre um ihn herum ein Ringen in seinen Ohren gab, was tagelang anhielt,
auch wenn es mit der Zeit besser wurde.
Wie lange der Neuankömmling durchhielt, bevor ein
Querschläger sich in seinen Hals bohrte und ihm so ein elendiges Dahinscheiden
bescherte, konnte Arnold nicht sagen. Es könnte nach einer Woche oder schon
nach einen Tag gewesen sein. Auf ihn folgten weitere Soldaten, mit denen Arnold
den Schützengraben teilte. Mit ihnen unterhielt er sich immer wieder um
dieselben Thematiken. Es wurde fast schon zu seinem fest geschriebenen Ablauf,
den er genausten befolgen musste, wenn sich ein neues Gesicht zu ihm gesellte.
Natürlich entwickelte sich jedes Gespräch mit einer neuen Person anders, aber
wurden jedes Mal dieselben Themen irgendwann angesprochen.
Da Arnold sich nie einen Namen oder Charakteristik der
verschiedenen Neuankömmlinge merkte, blieb die Trauer um einen Verlust
erträglich, jedoch bemerkte er selber, wie es ihm mit jeden weiteren Gefallenen
weniger und weniger interessierte. Um überhaupt einen Verlust zu verarbeiten,
fehlte ihm aber auch die Zeit, wodurch eine Abschattung von derartigen Gefühlen
notwendig war, um in der Schlacht fokussiert zu bleiben.
Mit jedem neuen Gefecht aber schien Arnolds seelische Stütze,
Stück für Stück in sich zusammen zufallen. Noch nie konnte er mit Druck gut
umgehen. Es veranlasste ihn hektisch zu werden und machte eine logische
Herangehensweise an die Problematik, die ihm solchen Kummer bescherte,
unmöglich und veranlasste ihn so zu impulsiven Entscheidungen. Das Klavierspiel
seiner Mutter war darauf aber die perfekte Lösung, da es ihn beruhigte und ihm
ermöglichte, einen klaren Kopf zu bekommen. Durch jede neue Schlacht aber
verlor das Klavierspiel mehr und mehr von ihrer Wirkung und verhalf Arnold nur
noch schwach, sich an die vermisste Heimat so deutlich zu erinnern, wie sie es
früher konnte.
Was dem Leid Arnolds aber die Krone aufsetzte, waren die
Raben, die jede Auseinandersetzung mit ihren verächtlichen Gekrächzter
begleiteten. Wie gerne wäre er dem Ursprung der beiden Vögel auf den Grund
gegangen, da er ihr Verhalten faszinierend fand und herausfinden wollte, ob sie
wirklich irgendeinen Einfluss auf den Kampf hatten. Aber wenn Arnold die
schrillen Stimmen vernahm, die von Belustigung nur trieften, war ein tiefer
Hass das einzige, was er den Störenfrieden entgegen bringen konnte.
An einem Tag aber war der Sieg der Russen nicht mehr zu
verhindern. Bereits zwei Gräben waren gefallen und ein MG Schütze wurde
erledigt, weswegen ein deutscher Soldat verzweifelt versuchte, das MG selbst
wieder zu bestücken. Arnolds derzeitiger Partner wurde durch einen Kopfschuss
getötet und ohne die Hilfe war es offensichtlich, dass auch ihn Iwan erreichen würde. Unter diesem Druck,
der größer als bei jedem Gefechtstag davor war, verlor das Klavierspiel seine
Wirkung und Arnold war nicht mehr fähig, es aufrechtzuerhalten. Wie eine kalte
Flut kam die unterdrückte Angst wieder zu ihm zurück und eroberte seinen ganzen
Leib ihn beunruhigender Geschwindigkeit. Ein Russe konnte Arnolds Situation für
sich ausnutzen und schaffte es, direkt vor ihm zu stürmen.
Zu Arnolds Glück aber, war das Gewehr des Russen leer, was
ihm vor einem schnellen Tod bewahrte. Jedoch war auch seines eigenes
leergeschossen, weswegen er sich dem Feind nicht entledigen konnte. Der Russe
erkannte seine Chance und sprang in das Schützenloch, um Arnold mit dem
Bajonett zu erstechen, welches vorne an seinem Gewehr angebracht war. In
letzter Sekunde packte Arnold aber die Spitze des Gewehres, um so zu
verhindern, dass es der Sowjet ihm in sein Brustkorb rammen konnte. Nun
entschied die blanke Stärke der beiden Kontrahenten, wer die Auseinandersetzung
überleben würde.
Selbst als der Russe sich mit aller Kraft gegen das Gewehr
stemmte, konnte Arnold langsam die Oberhand gewinnen und die Klinge, welche
sich noch immer direkt vor ihm befand, mühselig von sich weg drücken. Mit
blanker Wut schlug der Sowjet auf den Schaft seines Gewehres ein, um damit das
Messer, trotz des Kräfteunterschieds, so Arnold ruckartig in sein Leib zu
rammen.
Sein Plan ging auf und das Bajonett durchbrach die
Verteidigung von Arnold. Aber anstatt den Brustkorb zu durchdringen, stieß die
Klinge auf eine Rippe und konnte dadurch keine tödliche Verletzung verursachen.
Doch der Russe dachte, dass seine Strategie fehlerlos aufgegangen sei und war
von seinem fälischem Sieg so beflügelt, dass er seinen Körper kurzzeitig entspannte,
da er keine Gefahr mehr von ihm erwartete.
Arnold machte sich das unvorsichtige Verhalten des Sowjets
zunutze und verpasste seinem Gegner einem Tritt, welcher ihn an das andere Ende
des Schützenloches beförderte, wobei dieser den Halt an seinem Gewehr verlor,
welches nun in den Händen von Arnold lag. Weder Schmerz noch Angst lähmte
Arnolds Körper und er rappelte sich vom Boden auf und stürzte sich schreiend
auf den Russen. Noch bevor dieser seinen törichten Fehler verfluchen konnte,
drang die Klinge in seinen Hals ein und beendete sein Leben.
Erschöpft setzte sich Arnold der Leichen seines Gegners
entgegen und lud sein Gewehr nach. Dabei beobachtete er das Schlachtfeld. Der
Kampf zwischen Arnold und dem Russen dauerte keine halbe Minute und trotzdem
hatte sich in der Zwischenzeit die Lage der Deutschen dramatisch
verschlechtert.
Erneut konnte Arnold das Gekrächzte der Raben hören, die von
dem Schauspiel recht amüsiert zu sein schienen. Die Auseinandersetzung mit dem
Sowjet hatte ihm aber die letzte Geduld genommen und durch die verzweifelte
Lage, in welcher man nach jedem Strohhalm griff, setzte er das Gewehr an und
schoss auf die beiden Raben.
Tiefe Genugtuung erfüllte Arnold, als er sah, dass er
tatsächlich einen der beiden Teufel traf, leider aber nicht tötete, da beide
unter den Schmerzensschreien des Verletzten davon flogen.
Hoffnungsvoll blickte Arnold auf das Schlachtfeld, da er
hoffte, dass mit dem Verschwinden der Vögel auch die Russen den Rückzug
antreten würden, doch dem war nicht so. Völlig unberührt setzen diese ihr
Treiben fort und metzelten seine Kameraden weiter nieder.
Er spielte mit dem Gedanken sich einfach in den Kugelhagel zu
stürzen, damit der Schrecken endlich aufhören würde. Jedoch hing Arnold zu sehr
am Leben, was ihn selbst verwunderte, wenn man bedenke, in welcher Lage er sich
befand.
Ohne weitere Optionen parat zu haben, tat Arnold das einzige,
was ihm noch sinnvoll erschien.
Er rannte weg.
Kapitel 2
Trotz der Wunde, die Arnold im Kampf mit dem Russen erhielt,
rannte er wie ein junger Hengst. Die Panik und die Angst um sein Leben ließen
ihn an jeglicher Szenerie vorbei sausen und unterdrückten jegliches Gefühl der
Scharm oder seiner nun verkümmernden Ehre.
Zurzeit stürmte er durch den Wald, an dessen Rand der Hügel
und das Schlachtfeld sich befanden. Auch wenn Arnold keinen bewussten Gedanken
mehr fassen konnte, versuchte er den zahllosen Hindernissen auszuweichen, die
sich in dem Wald befanden.
Ein steter Wegbegleiter schien aber eine riesige graue Wolke
zu sein, die ihm auf Schritt und Tritt folgte. Neben ihrer merkwürdigen
Verfolgung von Arnold, war sie erstaunlich tief und gab ein Donnern von sich,
als ob in ihr ein Sturm wütete. Wann immer Arnold seinen Blick nicht auf seinen
Weg richten musste, um Hindernissen auszuweichen, betrachtete er die Wolke und
konnte an ihrer Spitze die Schemen eines Pferdes sehen, welches durch die Luft
ritt und die Verfolgung von Arnold anzuführen schien. Auf dem Gaul war ein
Reiter zu sehen, welcher von mehreren Hunden begleitet wurde.
Wäre Arnold nicht zermürbt gewesen, er hätte angefangen, sich
von seinem Leben zu verabschieden oder sich endgültig als wahnsinnig
diagnostiziert. Wie in der Schlacht zuvor, ergriff seinen ganzen Geist nur noch
der Gedanke der Flucht, weswegen er plötzlich die Richtung änderte, um nun
dieser Erscheinung entkommen zu können.
Leider erwies sich der Verfolger als hartnäckig und holte
schnell wieder zu Arnold auf. Er wechselte daraufhin mehrfach die Richtung, was
jedes Mal nicht ausreichte, um entfliehen zu können, aber Arnold nicht müde
machte, es immer wieder zu versuchen. Dabei schien der Verfolger, ihn jedes Mal
in eine Richtung zu drängen, indem die Wolke am Himmel aufbrach und die Stellen
über Arnold einkreiste, aber immer einen klaren Weg freiließ, in dessen
Richtung Arnold flüchtete.
Dieses Schauspiel wiederholte sich einige Male, bis Arnold
nach einer weiteren Kursänderung plötzlich durch den Wald brach und sich auf
einem offenen Feld befand. Von der Sturmwolke fehlte aber jegliche Spur. Gerade
wollte sich Arnold in Sicherheit wiegen, nachdem seine Flucht endlich eine
vorläufiges Ende genommen hat, da sah er sich seinem Vorgesetzen und einigen
Männer gegenüber, die sich gerade auf dem Rückzug und auch auf der Suche nach ihm
befanden.
Nach einer Schrecksekunde, in welche alle Anwesenden die
Überraschung dieser Zusammenkunft verarbeitet hatten, befahl der Vorgesetze den
Männern, Arnold zu packen. Bevor er überhaupt den Versuch machen konnte, zu
fliehen, sah sich Arnold schon in der Gewalt seiner ehemaligen Kameraden.
Diese drückten ihn auf seine Knie und behielten ihn dort, bis
der Vorgesetze seine Pistole zog und sich langsam Arnolds Rücken näherte.
„Du bist eine Schande, du Feigling!“, brüllte ihn sein
Vorgesetzter an. „Du hast dich deinem Land verschrieben und trotzdem denkst, du
kannst in der Stunde, in welcher dein Land dich braucht, einfach so
verschwinden. Dich sollte man zusammen mit dem anderen Abschaum einfach
vernichten!“
Gefangen in seiner Hasstirade, bemerkte der Vorgesetzte
nicht, wie die ganzen Soldaten, welche ihn bis hier begleitet hatten und sich
in hinter ihm befanden, seine Ablenkung ausnutzten und sich schleichend von ihm
entfernten. Auch die zwei, welche Arnold zuvor gepackt hatten, ließen ihn
langsam los und gesellten sich mit behutsamen und vorsichten Schritten zu ihren
Kameraden, die hinter dem Vorgesetzen, ihnen bereits eilig zu winkten.
„So viele gute
Deutsche sind gestorben, damit das Deutsche Reich zu der Machtstellung kommen
kann, die es verdient!“ Arnold wurde von solch einer Angst und Panik ergriffen,
dass es unmöglich war, an etwas anderes zu denken, als den bevorstehenden Tod,
wenn man es Denken nennen kann. Erneut schrie der Fluchtinstinkt ihn an
wegzurennen, aber dieses Mal konnte sich Arnold klar machen, dass es sinnlos
wäre, da ein Schuss in den Rücken die Antwort darauf wäre. Wenigsten einem
schnellen Tod durch einen Kopfschuss, anstatt in qualvollen Schmerzen dahin zu
scheiden, war das einzige worauf er hoffen konnte.
„Dein mickriges Leben ist dir wohl mehr wert als das
Wohlergehen des Deutschen Reiches oder des Führers? Und so was schimpft sich
Deutscher? Du bist viel mehr ein dreckiger Jude in der Haut eines Deutschen.“
Leicht außer Atmen durch die Wutattacke, legte der Vorgesetzte eine Pause ein,
ein Trick, welchen er sich vom Führer abgesehen hatte, mit welchem man
eigentlich Spannung bei einer Zuhörerschaft erzeugt, aber in diesem Kontext
wollte er seine Macht veranschaulichen und sein Opfer quälen.
Fast eine geschlagene Minute ließ er Arnold in dieser
Vorhölle des Wartens, bevor er seine Pistole auf dessen Nacken drückte.
„Letzte Worte?“, fragte ihn der Vorgesetzte höhnisch.
Weder Arnold, der die Frage seines Quälers unbeantwortet
ließ, noch die Pistole, die nicht abgefeuert wurde und ihr Echo so nicht über
die Lande verbreiten konnte, durchbrachen die Stille. Es waren die leiser
werdenden Schritte der Soldaten, die die Vernarrtheit des Vorgesetzten
ausgenutzt hatten, um sich für ihre Flucht einen Vorsprung zu vergewissern,
damit sie keine Gefahr mehr von ihm zu erwarten hätten und nun das Weite in den
Wäldern suchten.
Vor Wut kreischend, befahl der Vorgesetzte ihnen stehen zu
bleiben und schoss mehrfach auf die Flüchtigen, als diese nicht auf ihn
reagierten, aber auch da, verfehlten die Kugeln sie, wie die zornigen Worte
eben zuvor.
Ein bitterer Geschmack machte sich in Arnolds Mund breit, den
er mit einem tragischen Lächeln herunter schluckte. Seine fehlgeschlagene
Flucht machte die seiner Kameraden möglich, die wie er den Krieg nicht mehr
erdulden konnten. Es war ein passendes Ende für ihn, fand Arnold, als der
Vorgesetzte, von neuer Wut um seine Arroganz und Erhabenheit beraubt, sich
wieder zu ihm wandte.
„Das ist deine schuld!“, zischte ihn der Vorgesetzte mit rot
angelaufenen Gesicht an. „Du hast sie mit deiner Feigheit vergiftet! Aber keine
Sorge, wie werden die Verräter fangen und sie ebenso hinrichten, wie dich.“
Dieses Mal wollte der Vorgesetzte keine Pause einlegen und drückte
Arnold den Revolver direkt auf die Stirn. Beide hielten aber inne, als die
graue Wolke, welche keine fünf Minuten zuvor Arnold durch den Wald gejagt
hatte, bei ihnen erschien.
Tiefer, als eine Wolke über dem Boden schweben dürfte, formte
sie einen Kreis um die beiden. Als sie dies geschafft hatte, begann sich ihr
Leib dem Boden entgegenzustrecken, wobei ihr Anblick einem Orkan glich, mit
Arnold und dem Vorgesetzten in ihrer Mitte. Dort endeten aber die
Gemeinsamkeiten, da die Wolke keine Windböen von sich gab, die das Umfeld
zerstörten, sondern ein Donnern, als ob ein Sturm in ihr wütete.
Innerhalb der Wolken konnte Arnold nun erkennen, dass der
Ursprung des Donnern hunderte Reiter waren, die im Schutze dieses
widernatürlichen Spektakels durch die Luft ritten, dabei aber Geräusche erzeugten,
als ob sie über festen Boden stürmten. Neben den Reiter konnte Arnold noch
riesige Jagdhunde sehen, welche mit den Wesen rannten. Begleitet wurde der
Anritt von einem einzelnen Reiter, der auf seiner Harfe spielte, diese aber von
solcher einer Lautstärke und Imposanz war, dass es jedes Orchester in den
Schatten stellte und ihrem Auftritt einen gar glorreichen Glanz gab.
Nicht einmal ein paar Sekunden dauerte es an, bis der
Aufmarsch zum Erliegen kam und damit auch das Donnern endlich sein Ende
gefunden hat. Einen klaren Blick konnte man auf die Reiter nicht werfen, da die
Wolken ihr Aussehen in Schemen verwandelte, durch welche man aber erkennen
konnte, dass ihre Form eindeutig menschlich war und sie die beiden allesamt
beobachteten.
Keiner der beiden sprach ein Wort und die Rivalität war
vergessen, als sie sich dieser Macht gegenüber sahen. Ein Schuss löste sich aus
den Reihen der Reiter und zerfetzte den Schädel des Vorgesetzten, dessen
kopflose Leiche zu Boden fiel, noch bevor Arnold sich zu dieser umdrehen
konnte.
An diesem Punkt war Arnold so von den Geschehnissen
überwältigt, dass er sich wie betäubt fühlte und es ihm egal war, ob diese
Kreaturen ihn auch töten wollen würden. Furcht machte sich aber auch bei ihm
breit, nicht aber vor dem Tod, sondern, dass sie ihn lange darauf warten lassen
würden, da keiner der Reiter die Anstalten machte, auch nur einen Finger zu
rühren, nachdem schon einige Minuten in die Lande gezogen waren.
Das langsame voranschreiten eines Gaules hinter Arnold
erregte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn sofort umfahren, da er dem Ursprung
dessen sehen wollte. Der Reiter, welche er an der Spitze der Wolke sehen
konnte, als sie ihn verfolgte, ritt langsam auf ihn zu. Dabei schwebte er nicht
in der Luft, sondern blieb am Boden wie ein normaler Mensch.
An seiner Seite war eine kleine Hundestaffel, welche von
einem einäugigen Hund angeführt wurde. Wie sein Pferd waren auch die Hunde
komplett weiß.
„Sei gegrüßt, junger Frevler. Mein Name ist …, Vorbote der
wilden Jagd“, stellte sich der Reiter vor, wobei Arnold unterbewusst den Namen
überhörte, was er sich in diesem Fall nicht gewünscht hat.
Sein Aussehen glich dem eines altertümlichen Jägers. Um sein
Leib, wie auch um seinem Gaul und seinen Hunden, war ein blasser blauer
Schimmer, was ihnen einen geisterhaften Anblick verschaffte, welchen auch die
anderen Reiter hatten, wenn man die Einblicke genau betrachtete, die sich einem
zeigten.
„Ich hoffe, wir haben durch unser Erscheinen, deinen Verstand
nicht gänzlich in die tiefen deiner Trübnis geworfen und dass du befähigt bist,
dich vernünftig mit uns zu unterhalten.“
Arnold war wie gebannt von dem Vorboten, dessen ruhige und
weiche Stimme einen beruhigenden Effekt auf ihn hatte, die ihm Teile seiner
Beklommenheit nahm.
„Wir unser Name suggeriert, jagen wir etwas“, fuhr der
Vorbote mit einem charmanten Lächeln fort. „Unsere Beute hat sich, wie der
Zufall es will, in deiner Heimatstadt Chemnitz niedergelassen. Es handelt sich
aber nicht um irgendwelches Wild, sondern um das pure Böse. Dessen Absichten
sind von rein niederträchtiger Natur. Es will nicht nur die Welt in einen
Abgrund stoßen, sondern bedroht auch die Herrschaft unseres Anführers.“
Nachdem der Vorbote mit seiner Ausführung vorerst zum Ende
gekommen war, deutete er mit seinem Finger in Richtung Himmel und zeigte Arnold
damit, dass er dorthin sehen soll. Nun fiel Arnold erstmals auf, dass das
Wolkenkonstrukt ähnlich wie ein Zelt, in dessen Inneren ein Feuer brennen soll,
eine Öffnung an ihrer Spitze hatte, aus der die Sonnenstrahlen, der am Zenit
stehenden Sonne kamen. Zwischen der Sonne und ihm drängte sich aber eine
Gestalt dazwischen, welche Arnold nur schemenhaft erkennen konnte.
Die Gestalt war um einiges größer als alle anderen Reiter und
befand sich auf einem gigantischen Gaul, welches über acht Beine verfügte. Zur
Seite des Untiers hatten sich zwei Wölfe gesellt, welche gewaltig genug waren,
um alleine einen ausgewachsenen Stier zu überwältigen. In den Händen des
Reiters war ein Speer, den er in einer defensiven Position hielt. Es stand für
Arnold außer Frage, dass das der Anführer der wilden Jagd sein musste, dessen
Anblick und Präsenz in schier in den Boden zu drücken schien, was von seinem
monströsen Schatten, der auf ihn fiel, nur noch untermauert wurde.
„Auch wenn wir über die benötigten Mittel verfügen, dem Bösen
ein verheerende Niederlage zu bescheren und es so in untiefen wieder zu
verbannen, aus denen es gekrochen sein muss, würde dies katastrophale Folgen
für die Stadt und vor allem für die Einwohner haben. Und da kommst du ins
Spiel.“
Arnold blickte den Vorboten verdutzt an, immer noch nicht
fähig, die Situation völlig zu erfassen oder zu verarbeiten.
„Wir haben dein Leben gerettet.“
Der Vorbote kam nun langsam auf Arnold zu, wobei er die Ruhe
beibehielt, aber seine Hundestaffel Arnold aggressiv anknurrte, um ihm die
Gefahr zu veranschaulichen, in der er steckte.
„Nun schuldest du uns dein Leben. Du bist ein jeden hier
verpflichtet, aber du kannst deine Schuld leicht begleichen, indem du uns
Hilfst, das Böse zu zerschlagen. Damit rettest du nicht nur dich, sondern auch
deine Stadt und deren Einwohner, an denen du doch hoffentlich hängst. Außerdem
wurdest du mehrfach als ideal für diese Aufgabe beschrieben, von … und …, deren
Bekanntschaft dich wohl nicht mit Freude erfüllt hat.“
Kaum hatte der Vorbote sein Satz ausgesprochen, schon kam die
beiden Raben angeflogen, auf die Arnold geschossen hatte und umkreisten ihn mit
lautem Gekrächzter, bevor sie sich in die Höhe schwangen und zum Anführer der
wilden Jagd flogen. Erneut verfluchte Arnold seine Angewohnheit, Namen zu
überhören, da er gerne gewusst hätte, wie die beiden hießen. Den Vorboten nach
ihren Namen aber zu fragen, fürchtete sich Arnold vor, da er nicht unaufmerksam
wirken wollte.
„Sie sind die Augen und Ohren für unseren Anführer und erzählen
ihm alles, was auf der Erde geschieht. Ebenso können sie einiges über eine
bestimmte Person herausfinden“, sagte der Vorbote mit dem charmanten Lächeln,
was er die ganze Zeit auf hatte, aber nun durch eine grimmige Miene ersetzte,
als er direkt vor Arnold zum Stehen kam.
„Dein Name ist Arnold Uhlig. Du bist 22 Jahre alt und der
Sohn von Bernd Uhlig. Dein Vater wollte immer, dass du seine Fabrik, in welcher
er Gussformen für den Maschinenbau herstellt, übernimmst. Du aber hattest dein
eigenen Wünsche und Träume und wolltest nicht diese Existenz verleben, die dein
Vater dir aufdrängen wollte. Neben deinen Ambitionen für eine eigene Spelunke
warst du auch ein überzeugter Vertreter des Nationalsozialismus, da du damit
deinen Vater eins auswischen konntest, der ein geheimer Gegner dessen war und weil
du auf die Lügen und die Propaganda hereingefallen bist. Mit der Zeit bist du
aber der unschönen Wahrheit näher gekommen, was die Nazis wirklich für Menschen
sind. Aber erst als du an die Front kamst, wurde dir bewusst, wer sie wirklich
sind und wie dumm du warst. Doch du warst zu jung, um es zu erkennen, dass
redest du dir jedenfalls ein, damit die Schuld nicht so schwer auf dir lastet.
Heimlich aber weißt du, dass du einfach auf deinen Vater hättest hören müssen,
der dich mehrfach gewarnt hatte.“
Mit jedem weiteren Wort wuchs die Entsetzung von Arnold, die
sich in seinem Gesicht wiederspiegelte. Niemanden hatte er von all diesen
Dingen je erzählt und trotzdem zählte es der Vorbote auf, als wäre es allgemein
bekannt. Aber anstatt eines drohenden Tonfalls behielt er seine sanfte Stimme
bei. Diese verlor aber ihre beruhigende Wirkung und gab einen Einblick auf die
Kälte und Erbarmungslosigkeit, die in dem Inneren des Vorboten hausten und die
er wie ein geborener Schauspieler mit Charme zu verstecken wusste. Auch wenn der
Reiter nun nicht mehr die Drohung hätte aussprechen müssen, tat er es mit
demselben ruhigen Tonfall.
„Wenn du ablehnst oder
versuchen solltest zu fliehen, werden wir dafür sorgen, dass egal wo du dich
befindest, die Leute dich verabscheuen werden und du zu einer isolierten
Randfigur wirst. Und glaube nicht, dass du die Erlösung im Tot finden könntest.
Dich werden wir am Leben halten, solange es nur geht.
Also, was sagst du?“, beendete der Vorbote seine Ausführung,
mit dem charmanten Lächeln, was sich wieder auf sein Gesicht gezaubert hat.
„Ja, … ich werde euch helfen.“, antwortete Arnold, dessen
eingefallenes Gesicht sein verstörtes seelisches Innenleben nur andeuten
konnte.
„Gut, das freut mich zu hören.“
Die wilde Jagd zog sofort von dannen, als Erwin sein
Einverständnis gegeben hatte und die Gewitterwolken verflog mit ihnen, wodurch
Arnold wieder im Freien stand. Nur der Vorbote blieb bei ihnen, da es noch
Kleinigkeiten zu klären gab.
„Also, leider können wir dich nicht auf unseren Pferden
mitnehmen, da sie dich nicht dulden und einfach töten würden, weswegen du die
Strecke zu Fuß bewältigen musst. Aber sorge dich nicht, wir werden immer deiner
Nähe bleiben und dir den Weg weißen. Vor Ort erfährst du dann auch genaueres zu
deiner Aufgabe. Und merk dir: wer die Jagd liebt, den liebt die Jagd.“
Der Vorbote klopfte Arnold freundschaftlich auf die Schulter,
als hätte er seine ausgesprochene Drohung bereits vergessen und gesellte sich
zu der wilden Jagd, indem sein Gaul sich einfach in die Lüfte schwang,
begleitet von der Hundestaffel.
Arnold blieb einiger Zeit an Ort und Stelle und konnte sich
einfach nicht rühren. Das Geschehene hatte alles in ihm zerrüttet und ein Chaos
hinterlassen, welches er erst einmal wieder ordnen musste. Doch die
Konsequenzen, die ihm drohten, falls er bei dieser unmöglichen Aufgabe versagen
sollte, hatte ihn fest im Griff und gab ihm schließlich die Kraft, langsam
einen Schritt nach den anderen zu tun, bis er sich endlich wieder normal
fortbewegen konnte, immer der grauen Sturmwolke hinterher.
Zurückblickend fand es Arnold amüsant, dass er seine Zeit an
der Front als eine eintönige Dauerschleife empfunden hatte, denn seine
Heimreise gestalte sich als eine langwierige Odyssee, in welche das Betrachten
eines Eichhörnchens das Aufregendste war, dass er vermelden konnte. Jeden Tag
musste er solange laufen, bis ihm die Füße so sehr schmerzten, dass er keinen
Schritt mehr machen konnte, ohne leise aufzustöhnen. Seine Versorgung übernahm
die wilde Jagd, die wann immer er eine Pause einlegen musste, ihn zu Wasser und
Nahrung lenkte. Abends durfte er kein Feuer entzünden, damit er ungesehen blieb
und musste die vermisste Wärme in Tierfellen suchen, die ihm die Reiter in der
Nähe seines Lagers abstellten.
Zu Gesicht bekam aber in all dieser Zeit niemanden, nicht
einmal die wilde Jagd, da diese die benötigten Ressourcen immer abstellten,
bevor er ankam. Es machte Arnold schier verrückt, niemanden zum Reden zu haben,
aber er konnte die Zeit nutzen, um das Geschehene endlich richtig zu
verarbeiten und wieder zu seinem alten Selbst zu finden. Anfangs spielte er mit
den Gedanken, wie er sich aus dem Packt befreien könnte, ohne zu sterben oder
schlimmeres, ließ diesen aber schnell fallen, da er fürchtete, die Raben könnten
seine Gedanken lesen, da er sich sonst nicht erklären konnte, wie sie sonst an
all die Information über ihn gekommen waren.
Was Arnold aber schlaflose Nächte bereitete, war nicht die
Ungewissheit über seine Familie oder die Kriegslage, sondern dem Gegner, den er
sich stellen musste. Neben einer gesunden Furcht verspürte Arnold aber auch
etwas Hoffnung, dass seine Feigheit durch diese Heldentat wieder vergessen sein
würde, für die er sich nun schämte. Doch fragte er sich, ob die wilde Jagd, als
sie ihm bei einer seiner Fahnenflucht verfolgt hatte, absichtlich in die Arme
seines Vorgesetzten gelenkt hatte, um ihn als Marionette zu gewinnen. Diese
Theorie bestätigte aber seinen Eindruck, den er von den Reitern und ihrem
Anführer gemacht hatte.
Wie aber zuvor, wenn die Welt ihm zu viel wurde, besann er
sich auf das Klavierspiel seiner Mutter und an bessere Zeiten. Wie aber
befürchtet, waren die Kriegsgeschehnisse, welche er an der Front durchleben
musste, die Erinnerungen, die er mit dem harmonischen Spiel aus dem Grabe rief.
Es erforderte einiges an Zeit, wovon Arnold zu genüge hatte, aber er konnte die
ursprüngliche Wirkung des Klavierspiels wiederherstellen, auch wenn die
Intensität nicht mit der vor dem Krieg vergleichbar war. Trotzdem freute sich
Arnold, dass das Lied ihm wieder in Stresssituation eine Stütze sein würde.
Nach Wochen, wenn nicht sogar Monaten, Arnold konnte nur den
Überblick über die Dauer seiner Reise verlieren, kam er an seinem Ziel an,
Chemnitz. Er befand sich in einem Wald, sein Körper durch die Strapazen
gestählt, erklomm er gerade einen Hügel, an welchen er ständig nach Ästen oder
Wurzeln greifen musste, um weiter voran zu kommen. Seine Kleidung, bereits
verdreckt und zerrissen, wurde durch den Aufstieg nur noch mehr in
Mitleidenschaft gezogen. Erschöpft zerrte er sich das letzte Stück des Hügels
hoch und konnte erleichtert feststellen, dass er am Ende des Waldes angekommen
war. Von der erhöhten Position hätte er einen guten Überblick über Chemnitz
erhalten müsste, so hatte es ihn in Kindertagen öfters hierher verschlagen zum
Spielen, weswegen er mit Freude auf das baldige sehen der Heimat und einer
gewissen Nostalgie erfüllt war, jedoch versperrte der Vorbote den Blick auf die
Stadt, der hier auf ihn bereits gewartet hat.
Sofort war die Vorfreude verdrängt und von einer beklemmenden
Angst ersetzt wurden, die Arnold alleine beim Anblick des Reiters verspürte.
„Wir sind endlich am Ziel unserer Reise angekommen, Arnold“,
sagte der Vorbote. „Da du nach all der Zeit scheinbar wieder klar denken kannst
und dein Schicksal erfassen konntest,
ist nun an der Zeit, dich über den Feind aufzuklären.“
Arnold blickte den Vorbote mit brennender Neugier an, so galt
ein Großteil seiner Odyssee, sich den Feind vorzustellen, dem er sich stellen würde.
„Der Feind hat keinen richtigen Namen, wir nennen es schlicht
das Kollektiv. Dieses hat sich, wie bereits bei unserer ersten Begegnung
erwähnt hatte, in Chemnitz eingenistet. Leider handelt es sich bei dem
Kollektiv nicht nur um ein Wesen, sondern ein Zusammenschluss mehrere.
Glücklicherweise besitzt es einen Kern, von dem der ganze Spuk ausgeht. Deine
Aufgabe ist es, dich in das Kollektiv einzuschleusen und den Kern zu finden und
bestenfalls zu zerstören.“
Tausende Fragen lagen Arnold auf der Zunge, da ihm die
Schilderung über das Kollektiv und seiner Aufgabe viel zu ungenau war. Bevor er
aber eine stellen konnte, fing der Vorbote an, einige zu beantworten, die er
wohl von Arnolds Gesicht ablesen konnte.
„Falls du dich fragst, wie du den Kern finden sollst, Sorge
dich nicht, es wird dich von alleine rufen, zwar nicht gleich zu sich selbst,
aber es wird versuchen, dich zu einem Teil des Kollektives zu machen. Ein
Grund, warum nur du es unterwandern kannst, da keiner der wilden Jagd die
Stimme des Kollektivs hören kann, nur ein Mensch ist dazu befähigt. Aber Hugin
und Munin haben uns versichert, dass du einer der wenigen bist, bei denen einen
Funken Hoffnung besteht, dass sie nicht völlig korrumpiert werden. Du musst ja
jetzt wissen, wie es sich verlebt, sich einer Gruppierung blind zu
unterwerfen“, beendete der Vorbote seine Erklärung.
Auch wenn Arnold etwas froh war, dass er die Namen nicht
überhört hatte, die den beiden Raben gehören mussten, wurde ihm mulmig daran,
dass er sich vom Kollektiv vereinnahmen müsste, um es überhaupt zu finden.
„Bekomme ich wenigsten etwas Unterstützung?“, fragte Arnold,
der von sich selbst überrascht war, dass er ohne größeres Zögern dem Reiter so
etwas fragen konnte.
„Natürlich“, sagte der Vorbote mit seinem charmanten Lächeln,
wobei Arnold wieder schlechte Vorahnung bekam.
„In der Stadt wirst du jemanden finden, der dich unterstützen
wird, der von uns aber nichts weiß. Außerdem stellen wir dir noch jemanden zur
Seite, der dich auf Schritt und Tritt aus den Schatten heraus begleiten wird.“
Aus der Kronendecke der Bäume kam ein weiterer Reiter
angeritten und landete bei dem Vorboten.
„Ich habe das Vergnügen euch vorzustellen, dass ist Hanns von
Hackelberg. Er wird dich während deiner Zeit in Chemnitz im Auge haben.“
Hanns sah ähnlich wie der Vorbote aus, nur dass dieser eine
grimmige Miene trug. Seine Kleidung war auch die, eines altertümlichen Jägers.
In seiner linken hielt er die Zügel seines Pferdes und in seiner rechten hatte
er eine gewaltige Armbrust, die einen starken Keiler mit einen Schuss töten
könnte. An seinem Ross sah Arnold noch einige Spieße und einige Langdolche, die
wohl auch für die Jagd benutzt wurden. Um Hanns waren noch 2 Jagdhunde, die von
beachtlicher Größe waren und in deren Augen man die Blutgier sehen konnte.
Als Hanns näher an Arnold heran trat, konnte er einen
fauligen Geruch bemerken, der vom Reiter auskam und dem einer entzündeten Wunde
ähnelte. Ursprung des Gestankes war der rechte Fuß des Reiters, in welcher eine
offene und unbehandelte Wunde sich scheinbar entzündet hatte. Wie weit die
Mitglieder der wilden Jagd überhaupt Wunden erleiden oder ob sie daran sterben
könnten, wusste Arnold nicht, wollte es aber auch nicht fragen, da er es für
zweitrangig hielt und sich fürchtete, danach zu fragen.
„Trotz dieser Hilfe,
wirst du zu weiten Teilen auf dich selbst angewiesen sein, da deine
Unterstützung dir nur bedingt unter die Arme greifen kann“, fuhr der Vorbote
fort und lenkte die Aufmerksamkeit Arnolds wieder auf sich. „Aber glaube ja
nicht, dass Hanns nur da ist, um dir zu helfen, falls du kläglich scheitern
solltest oder dich in eine Sackgasse manövriert hast. Erzähl nur einer Person
von uns oder der Aufgabe, die wir dir aufgelegt haben und Hanns wird dich töten
oder dafür sorgen, dass du kein weiteres Wort von dir geben kannst und da lasse
ich ihm völlige kreative Freiheit. Verstanden?“
Arnold antwortete nur mit einem kurzen Nicken, was dem
Vorboten reichte.
„Das freut mich“, sagte der Vorbote dessen Lächeln nun nur
noch breiter wurde, „das freut mich wirklich sehr. Was gibt dann noch zu sagen
als: liebe die Jagd und sie liebt dich.“
Ohne weitere Umschweife ritten die beiden Reiter in die Lüfte
und ließen Arnold alleine auf dem Waldstück. Freudig darüber, dass er die
Reiter endlich losgeworden ist, rannte Arnold zum Ende des Waldes, um endlich
seine Heimat wieder zusehen, oder was davon übrig geblieben war.
Kapitel 3
Nach all dem, was Arnold in den letzten Monaten erdulden
musste, hatte er gehofft, dass sein Verstand, neben seinem Körper, durch all
die Belastungen, die sein Verständnis von seiner Welt immens erweitert hatten,
gestählt sein würde, um nicht mehr ins Wanken zu geraten. Der Anblick des
zerstörten Chemnitz führte ihm aber wieder vor Augen, wie falsch er in dieser
Annahme lag.
In einem tranceähnlichen Zustand durchstreifte er die Straßen
seiner ehemaligen Heimat. Menschen begegnete er keinen, da er sich noch relativ
am Anfang der Stadt befand. Seinem geistigen Zustand hatte er wohl einem Schock
zu verdanken, der ihn aber nicht vollkommen handlungsunfähig machte, aber wie
bei seiner ersten Begegnung mit der wilden Jagd, jeglichen Gedankengang im
Keime erstickte.
Ein Ziel für seinen trostlosen Marsch hatte Arnold nicht, er
schaute einfach nur die Trümmer der Gebäude an, an welchen er vorbei ging und
erinnerte sich an ihren einstigen Zustand. Die unbekümmerten Tage seiner
Kindheit kamen unaufgefordert dabei mit hoch und Arnold sah sein früheres
Selbst, wie er mit seinen Freunden durch die noch unberührten Straßen lief. Als
dieses Abbild der Vergangenheit sich verflog und sich die Ruinen wieder
zeigten, machte es seinen Verlust nur noch bitterer.
Erst der Anblick einiger sowjetischen Soldaten konnte seinen
Geist wieder wach rufen, der aufschreckte, wie ein Schlafender, dem man einen
Eimer mit eisigen Wasser ins Gesicht geschüttet hat. Es handelte sich um nur
zwei Soldaten, die durch die Straßen schlenderten und Arnold noch nicht gesehen
hatten, womit er sich ungesehen in ein Versteck zurückziehen konnte.
Als die beiden an ihm vorbei gezogen waren, ohne auch nur
eine Spur von ihm gewittert zu haben, versuchte Arnold Schlüsse daraus zu
ziehen, was die Anwesenheit der Russen zu bedeuten hatte, wobei das leise
Klavierspiel seiner Mutter ihm half, dies mit einem ruhigen Gemüt zu tun.
Der Krieg musste verloren sein, was Arnold nicht besonders
wunderte, wenn man die Lage an der Front bedachte. Chemnitz in der Gewalt der
Russen zu wissen, ließ ihm aber einen angewiderten Schauder den Rücken runter
laufen, aber er schöpfte Hoffnung, dass das Kollektiv möglicher Weise die
Sowjets waren und er helfen könnte sie aus der Stadt zu jagen. Auch wenn dieser
Gedanke seinen Gefallen erregte, wusste Arnold, dass es sehr unwahrscheinlich
Iwan war, den die wilde Jagd tot sehen wollte.
Wo Arnold nun anfangen sollte, seinen unbekannten Helfer zu
suchen oder wann das Kollektiv zu ihm sprechen würde, wusste er nicht, es war
ihm auch erstmals egal. Seinen ersten Abstecher würde er seiner Familie widmen.
Sein Haus befand sich in der Innenstadt, die wohl das
bevorzugte Ziel der Bomben war und dementsprechend aussehen musste. Arnold
wollte aber nicht zuerst dorthin gehen, sondern zu der Fabrik seines Vaters, da
sie in seiner Nähe war und seine Familie sich vielleicht dort aufhielt.
Dass Fabriken, neben der Innenstadt, ein übliches Ziel von
den Bombenflugzeugen waren, vergas Arnold erstmals, er wollte sich einfach an
die Hoffnung festhalten, dass sie alle wohlauf waren. Bei der Fabrik
angekommen, sah Arnold, dass das Fabrikgebäude tatsächlich noch stand, von den
Sowjets aber völlig geplündert wurde.
Es waren noch vereinzelte Soldaten dar, die die letzten
Reste, welche sich noch in den Produktionshallen befanden, mitnahmen, aber
ansonsten hatten sich die Besetzer schon alles genommen, was sie in ihre Hände
bekamen. Nie hätte Arnold geglaubt, dass er die Sowjets noch mehr hassen
könnte, als er es nicht schon ohnehin getan hatte, doch erneut wurde er des
Lügens gestraft.
Hätte er hier versucht, seine Familie zu suchen, würden ihn
die Russen sofort verhaften, auch wenn Arnold nicht glaubte, dass sie sich hier
aufhielten. Mit schnellen Schrittes machte er sich in die Innenstadt, zu seinem
Haus, auf.
Auf seinem Weg kamen ihm nun immer öfters Soldaten entgegen,
denen er ausweichen musste, indem er sich in die Ruinen zurückzog, was sein
Vorankommen stetig verzögerte. Aber auch die Einwohner der Stadt tauchten nun
auf. Dabei handelte es sich um Frauen verschiedensten Alters, die meist mit
ihren Kindern die Trümmer wegräumen mussten, unter den behutsamen Augen der
sowjetischen Soldaten, welche die Aufräumaktion betreuten und bewachten. In den
müden und traurigen Gesichter der Frauen konnte man die Entbehrungen und
Verluste sehen, welche sie durchlitten hatten, was bei einigen einen tiefen
Groll geweckt hatte, der deutlich sichtbar, in ihren Inneren vor sich hin
brodelte.
Was Arnold aber besonders auffiel, war, dass er nicht einen
Mann unter den Einwohner sah. Natürlich müssten es überwiegend Frauen seien,
die die Stadt nun bevölkerten, da ein Großteil der Männer in den Krieg gezogen
waren, aber schien das männliche Geschlecht wie ausgestorben, wenn man die
Russen nicht mitrechnete. Außerdem waren nicht alle deutsche Soldaten, die aus
Chemnitz kamen, im Krieg gefallen und dürften ihre Heimreise schon längst
angetreten sein.
Weiter konnte sich Arnold mit dieser Feststellung nicht
befassen, da er seinen Fokus darauf setzen musste, ungesehen zu bleiben und
weiter voranzukommen, was sich als fast unmöglich erwies, je weiter er in die
Innenstadt kam und so an mehr Leuten vorbei kommen musste. Aber das Glück war
ihm hold und er konnte zu es zu seinem Haus schaffen, welches, wie ein fast
jedes Gebäude in der Nähe, komplett niedergebrannt war.
Auch wenn die Trümmer seines Heimes nicht für den Tod seiner
Familie sprachen, wurde Arnold von einem tiefen Entsetzen gepackt, was ihm
jegliche Hoffnung nahm und zu dem überstürzten Schluss kommen ließ, dass seine
Lieben in dem Inferno gestorben sein mussten. Die Vorsicht, die Arnold an den
Tag gelegt hatte, war vergessen und er stand wie gelähmt vor den schwarz
gefärbten Resten des Hauses.
Nicht nur der geglaubte Verlust seiner Familie erregte seine
Trauer, sondern auch der Zustand seiner Heimat, die er sich jedes Mal lebendig
ins Gedächtnis rief, wenn er sich das Klavierspiel seiner Mutter vorstellte.
Erst beim dritten Mal bemerkte Arnold, dass er von jemanden angesprochen wurde.
Eigentlich hätte er sich sehr gefreut, endlich wieder ein menschliches Wesen zu
treffen, mit dem er sich unterhalten konnte, aber jetzt war es das Letzte,
wonach er begehrte.
Arnold wendete sich der Person zu, die seine Frage nun zum
vierten Male wiederholte. Es handelte sich um einen Jungen, der ihn mit
neugierigen Augen betrachte und auf eine Antwort wartete. Ohne diese zu geben,
da Arnold sie sowieso nicht gehört hatte, packte er sich den Knaben und zog ihn
an sich heran.
„Wo wurden die Toten begraben?!“, fragte Arnold den Jungen
mit einer aufgebrachten Stimme, die sofort eine Antwort forderte.
Sichtlich verängstigt beschrieb der Bursche Arnold, wo die
Leichen begraben wurden und versuchte dabei, sich aus seinem schmerzenden Griff
zu befreien. Eilig ließ er den Knaben los und machte sich zu der beschriebenen
Stelle auf, wobei er sich der vernünftigen Vorsicht nicht mehr bediente und
stattdessen eine plumpe Strategie wählte, die von keiner Logik durchdacht,
sondern von seinen Emotionen abgesegnet wurde.
Dies hatte zur Folge, dass jeder, der sich gerade im Freien
befand, ihn sehen konnte, ebenso die Soldaten, welche ihn mehrfach
aufforderten, stehen zu bleiben. Nichts von alle dem konnte Arnold erreichen,
da er von Wunsch nach Gewissheit besessen war. Er musste wissen, ob seine
Familie tatsächlich Tod ist. Der Gedanke, dass seine Familie noch am Leben sein
könnte, erreichte Arnold nicht, da er von fremder Hand isoliert wurde, ohne die
Chance, dass Arnold es in diesem Augenblick bemerken könnte.
Einholen konnten ihn die Russen nicht, da Arnold, dank seiner
Odyssee, die sein Körper trainiert hatte, wie ein starker Wind durch die
Straßen zog, ohne dass ihn jemand greifen konnte. So baute Arnold den Abstand
zu seinen Verfolger immer weiter aus, bis er sie fast hätte abhängen können,
jedoch kam er an seinem Ziel an.
Schnaufend blickte er sich auf dem Friedhof um und suchte
nach der Stelle, wo man die Opfer der Bomben begraben hatte. Es dauerte einige
Sekunden, bis Arnold verstand, wo sie lagen, in Massengräber.
Jegliche Hoffnung wurde aus Arnold verjagt und die
Verzweiflung, welche nun durch sein Inneres wütete, hinterließ eine völlige
Leere. Mit einer erstarten Miene ging in Arnold in die Knie und ließ seinen
Blick auf die Massengräber verharren.
Die Ungewissheit würde ihn immer an nagen, dachte sich
Arnold, wobei ihm die Gedanke fremd vorkam, als ob es nicht sein eigener wäre.
Als ihn die Sowjets umstellen und ihre Gewehre auf ihn richteten, verstand er
und konnte ergründen, was ihn ihm vorging.
Er war nicht mehr alleine in seinem Geiste. Er konnte die
Stimme des Kollektivs hören.
Kapitel 4
Nur bruchstückweise bekam Arnold mit, wie ihn die Soldaten
weg schliffen, er war zu sehr in sich gekehrt, um seine Außenwelt in ihrer Gänze
mitzubekommen. Sein komplettes Augenmerk widmete er der Stimme, die sich in den
Untiefen seines Unterbewusstseins aufhielt. Sie sprach aber keine Worte zu ihm,
wie es Arnold anfangs vermutete, sondern konnte seine Gedanken manipulieren
oder neue in seinen Verstand einflößen. Dabei waren die Veränderungen so
minimal, dass es eine unwissende Person nicht bemerken würde, da die Stimme
auch sehr darauf bemüht war, es aussehen zu lassen, als seien es die eigenen
Einfälle der Betroffenen. Erst wenn man wusste, wonach man suchen muss, hatte
man eine Chance, die Stimme zu erhaschen und die fremden oder veränderten
Gedanken zu enttarnen.
Aber die Stimme war gewieft. Wann immer sie bemerkte wurde und
man den Eindringling ergründen wollte, entfloh sie dem geistigen Griff und
hielt sich solange in dem Verstand versteckt, bis der Betroffene die Suche
abbrach und sich mit einer anderen Sache beschäftigte. Arnold schloss die
Augen, um sich besser auf die Stimme zu konzentrieren, damit sie ihm nicht so
leicht entfliehen konnte. Er glich einem Kind, welches an seinem ersten
Wundschorf herumspielte.
Die Stimme fühlte sich wie ein Fremdkörper an, der sich in
seinem Verstand eingenistet hatte und völlig unabhängig von seinem Schaffen
agierte, was seine Furcht erregte, da er sich in seinem eigenen Körper nicht
mehr sicher fühlte. Wenn Arnold, die Stimme mit seinem geistigen Auge versuchte
zu betrachten, erschien sie ihm wie ein goldener Rauch, die, wenn man ihre Farbe
nicht bedenke, einigen Beschreibung eines Geistes ähnelte. Sie war transparent
und besaß keine feste Form, sondern waberte in die unterschiedlichsten
Gestalten, die Arnold fremdartig und zufällig angeordnet vorkam.
Anfangs versuchte er plump die Stimme zu fassen, wodurch
diese sich geschickt Arnold entzog und solange versteckte, bis er die Suche
einstellte. Da dies keine weiteren Erkenntnisse brachte, wartete Arnold darauf,
dass die Stimme sich wieder zeigte, um seinen Gedankengang wieder zu manipulieren.
Anstatt aber erneut versuchen zu wollen, sie zu packen, beobachtete er sie aus
der Ferne, um sie zu studieren. Leider war sie sich der Blicke bewusst, die auf
ihr ruhten und verharrte in völliger Ruhe, um Arnold keine Informationen preis
zu geben.
Die Soldaten hielten Arnold schlicht für Übergeschnappt, da
er sich nach seiner Flucht, ohne Gegenwähr mitnehmen ließ und dann
gedankenversunken vor sich hin starrte, bis er die Augen schloss und seitdem
nicht mehr öffnen wollte, dabei aber nicht die entspannte Miene eines
Schlafenden hatte, sondern hoch konzentriert wirkte.
All das Entsetzen und die Trauer waren wie verschwunden, was
Arnold selbst verwunderte, da sie zuvor mit solcher Intensität über ihn
hinweggefegt sind und sein Handeln maßgeblich mitbestimmt hatten.
Hat dass
die Stimme gemacht?, fragte sich Arnold in seinen Gedanken, wobei ihm die
Anwesenheit der Stimme, als ein Lauscher, entsetzt auffiel. Nun wurde ihm
bewusst, dass die Stimme ihm jegliche Privatsphäre genommen hat, da sie jeden
Gedanken mithören konnte. Sofort riss sich Arnold aus seiner Gedankenwelt raus,
da er genug hatte, sich mit der Stimme zu beschäftigen und wissen wollte, was
in der realen Welt derweil vorgefallen war.
Er befand sich noch immer im Griff der Russen, die ihn hinter
sich her schleiften. Arnolds geistige Anwesenheit fiel ihnen sofort auf, jedoch
würdigten sie ihn nicht eines Wortes. Ohne eine Möglichkeit, sich aus der
Gefangennahme Iwans zu befreien, ließ Arnold den Soldaten gewähren, ihn dort
hinzubringen, wohin sie ihn hinbringen mussten.
Nicht einmal ein paar Minuten später erreichten sie ihr Ziel,
ein größeres Haus am Bahnhof, welches von den Russen als Basis genutzt wurde.
Zu sehen, wie die Sowjets dieses Gebäude mit ihrer Anwesenheit verschmutzten,
loderte Arnolds Hass an, der von der Stimme weiter angefacht wurde, ohne dass
es Arnold bemerkte, da er von seiner Wut ergriffen wurde, die ihm die Stimme
fast gänzlich vergessen ließ.
Die Soldaten schafften ihn in das Haus und setzen ihn in ein
Zimmer im zweiten Stockwerk ab, was als ein Büro zu dienen schien. Hier wurde
Arnold von zwei weiteren Soldaten bewacht, die sich bereits bei sei einer
Ankunft dort aufhielten und ihre Gewehre bereit machten, nachdem sie sich mit
den beiden unterhielten, die Arnold her geschliffen hatten und die danach auch
das Haus unverzüglich verließen.
Niemand klärte Arnold auf, was als nächstes passieren würde
oder worauf sie warteten und so verbrachte er einige Zeit Stumm in seinem Stuhl
damit, das Zimmer genauer zu untersuchen. Das Büro war sehr schlicht gehalten
und jede Spur von Luxus wurde aus diesem verbannt. Auf dem Schreibtisch, der in
der Mitte des Zimmers stand und vor welchen Arnold saß, lagen mehrere Dokumente
auf Russisch unordentlich und eine Ausgabe des kommunistischen Manifests in
deutscher Sprache, was sofort Arnolds Abscheu hervor rief, da er mit dem
Kommunismus Stalin und dessen Herrschaft verband, die er über alles verachtete.
Neben dem Schreibtisch befand sich noch ein Mülleimer in dem Arnold ein
christliches Kreuz sehen konnte, welches dorthin hinein geworfen wurde.
Alles, was Arnold hier zu Gesicht bekam, ließ seinen Hass auf
die Sowjets nur noch steigen, was, wenn er seine Gefühlslage hinterfragen
hätte, eigentlich keinen triftigen Grund hatte. Er wollte sie einfach nur noch
hassen, des Hasses willen.
Nach einer Weile, welche Arnold nun damit verbrachte, sich in
seiner Abscheu gegen die Sowjets zu wälzen, kam ein Mann in den Raum. Dieser
lief schnellen Schrittes, mit kerzengeraden Rücken und seinen Armen hinter
seinen Rücken verschränkt, an Arnold vorbei und setzte sich ihm gegenüber, an
den Schreibtisch. Dabei würdigte er Arnold keinen Blick und strahlte förmlich
Autorität aus, womit Arnold erahnen konnte, dass das sein Büro und er ein
Anführer der Russen hier sein musste. Allein schon wegen der Autorität, die
diesen Mann umgab, weckte er Arnolds Hass, der nur noch davon bestärkt wurde,
dass er ein Sowjet und Bückling Stalins war.
Mit flinken Händen räumte der Mann seinen Schreibtisch auf,
wobei er mit dem kommunistischen Manifest umging, als sei es ein alter,
gebrechlicher Freund. Seine Hände, die Arnold mit grimmiger Miene beobachtete,
als sie über den Tisch sausten, waren verdreckt und zeigten die Spuren harter
Arbeit, die sie ihr Leben lang, und wohl gerade eben, verrichtet hatten.
Als die Unordnung auf dem Schreibtisch beseitigt wurde und
alles geordnet war, blickte der Mann Arnold zum ersten Mal an und musterte ihn.
Sein Gesicht zeigte keine Emotionen und schien neutral, war aber von den Spuren
seines Alters und seines Lebens gezeichnet. Arnold schätzte den Mann auf Mitte
40.
„Guten Tag, mein Name ist …“, sagte der Mann in einem guten
Deutsch, aber mit einem starken russischen Akzent. Dabei streckte er zur
Begrüßung Arnold die Hand entgegen.
Wäre sein Groll gegen Iwan nicht derart gereift, welche die
Stimme unbemerkt immer weiter anfachte, hätte Arnold seine Hand geschüttelt und
es vielleicht geschafft, seine Angewohnheit, Namen zu überhören,
unterdrückt und erfahren, wie der Mann hieß.
So schenkte Arnold dem Kommandeur, ihn interessierte es auch
nicht, welchen Dienstgrad er genau bei den Russen innehatte, nur ein giftigen
Blick und behielt seine Hände bei sich. Gerade wollte einer der Soldaten etwas
sagen, dem Arnolds unfreundliches Verhalten böse aufgestoßen war, da hob der
Kommandeur seine Hand, nachdem er seine andere zur Begrüßung gehobene wieder
runter nahm und dem Soldat so signalisierte, dass er sich zurückhalten soll,
was er auch tat.
„Nicht sehr gesprächig, was?“, fragte der Kommandeur Arnold
und versuchte spürbar, die angespannte Situation etwas aufzulockern. Zur
Antwort behielt Arnold seine finstere Miene bei, mit welcher er den Kommandeur
anschaute und zeigte mit seiner laschen Körperhaltung, dass er an keinem
Gespräch interessiert ist.
Jedoch ließ sich der Kommandeur davon nicht beeindrucken und
versuchte einen neuen Kommunikationsversuch.
„Ich nehme an, du hast gedient und wohnst hier. Dann verstehe
ich, dass du von all dem schockiert bist und …“
Während der Kommandeur sprach, ließ Arnold ein Sturm an
Beschimpfungen in seinen Gedanken auf ihn los und bekam so nur das wenigste
mit, was er zu ihm sagte.
„… aber ich verspreche dir, wir sind hier, um Chemnitz
wieder aufzubauen und wollen jedem hier ein besseres Leben geben.“
Nun schoss der Hass von Arnold auf neue Höhen. Den letzten
Satz hatte er mitbekommen und war entsetzt, dass sich der Kommandeur anmaßte,
von einem besseren Leben zu reden, welches unter ihrer Aufsicht stattfinden
sollte. Ja, dachte sich Arnold, sie müssen die Stadt doch sicherlich
zerstört haben und nun wollen sie sich als die Retter darstellen, die uns
helfen wollen. Sie sind das Letzte.
Bevor der Kommandeur weiter reden konnte, spuckte ihm Arnold
ins Gesicht. Alle im Raum, außer Arnold, der mit seiner Aktion zufrieden war,
waren für ein paar Sekunden wie erstarrt und mussten sich einmal fragen, ob das
wirklich gerade geschehen sei. Kaum hatten sie ihre Frage sich selbst
beantwortet, schon richteten die beiden Soldaten ihre Gewehre auf ihn. Dieser
verspürte aber keine Reue oder Sorgen, was die Konsequenzen aus seinem Tun sein
könnte, sondern die Bestätigung, dass richtige getan zu haben. Für ihn war sein
Gegenüber das wahre Feindbild, was es zu besiegen galt.
Langsam wischte sich der Kommandeur die Spucke aus seinem
Gesicht und veränderte seine Körperhaltung, sodass Arnold und er nicht mehr
ebenwürdig erschienen, sondern er dieses bockige Kind, was vor ihm saß, bei
weitem überreichte und ihm zeigte, dass der Spaß nun ein Ende hat. Ähnlich wie
beim Anblick des Anführers der wilden Jagd, fühlte sich Arnold von der Präsenz des
Kommandeurs eingeschüchtert und konnte sich so kurz etwas aus dem Bann der
Stimme befreien, um sein Handeln zu reflektieren. Doch die Stimme wusste durch
kleinere Anstöße, welche es in den Gedankengang von Arnold mit einwebte, das
logische Denken durch ein Emotion getriebenes zu unterdrücken.
Nur unter größten Mühen konnte der Kommandeur sich
beherrschen, Arnold kein Leid anzutun, aber er würde ihm das nicht durchgehen
lassen. Er erhob sich mit solcher Wucht von seinem Stuhl, dass dieser umfiel
und begab sich zu Arnold.
„Du willst also nicht reden?“, fragte der Kommandeur, wobei
er einen neutralen Ton beibehielt, der im genauen Kontrast zu seinem erzürnten
Innenleben stand. „Wenn du nur hören möchtest, dann kannst du aber Haltung
annehmen.“
Der Kommandeur trat mit voller Kraft gegen den Stuhl, auf
welchen Arnold saß. Dies traf ihn völlig unvorbereitet, brachte ihn aber nicht
ins Wanken oder dergleichen. Das war aber auch nicht das Ziel des Kommandeurs,
er wollte schlicht Arnold überraschen und dafür sorgen, dass er in seiner
Schrecksekunde sich nicht gegen ihn wehren konnte. Nun packte der Kommandeur
Arnold am Kopf und brachte seinen Körper mit einen Ruck von der Haltung eines
eingeschnappten Bengels in die eines aufmerksamen Schülers.
„Was fällt dir ein?!“, brüllte ihn Arnold an, der seine Hand
wegschlug und von dem Stuhl aufsprang. Unverzüglich waren die beiden Soldaten
vor Ort und machten sich bereit, Arnold zu erschießen, da sie in ihm nun eine
Gefahr für ihren Vorgesetzen sahen.
„Da hat wohl jemand zu viel Energie. Willst du draußen ein
paar Runden rennen, damit du dich normal benehmen kannst?“, entgegnete ihm der
Kommandeur, welcher völlig unbeeindruckt von der Wutattacke blieb.
„Was?!“
„Oder hast du nicht genug geschlafen und bist deswegen so
reizbar?“
„Tue nicht so, als sei ich ein kleines Kind!“, sagte Arnold,
dessen Zorn mit jeder weiteren abwertenden Bemerkung des Kommandeurs stieg.
„Das würde ich sehr gerne, wenn ich einen Mann vor mir hätte
und kein kleinen wütenden Jungen. Du hättest längst eine Bestrafung verdient,
um dir ein bisschen Anstand beizubringen, da deine Eltern es wohl in ihrer
„Erziehung“ vergessen hatten“, sagte der Kommandeur, mit demselben sachlichen
Ton, in welcher aber ein bisschen Zorn mitschwang.
„Meine Eltern sind im Bombenhagel gestorben“, sagte Arnold
mit einer vor Wut zitternden Stimme.
Die wenige Wut, die man dem Kommandeur ansehen konnte,
verschwand aus seinen Zügen und wurde von Verständnis ersetzt. Er zog sich von
Arnold zurück, hob seinen Stuhl auf und setzte sich wieder hin.
„Hör zu, ich kann verstehen …“, fing der Kommandeur an, wurde
aber von Arnold unterbrochen.
„Was verstehst du?“, fuhr Arnold den Kommandeur an. „Hast du
dir einmal die Stadt angesehen. Ihr habt sie zerstört und meine Eltern, und
weiß Gott wie viele weitere, getötet. Und ich weiß, dass Deutschland
schreckliche Dinge getan hat und dafür eine Bestrafung bekommen muss, aber ich
kann es nicht ertragen, wie ihr euch als den Retter aufspielt, der uns arme
Leute nun retten möchte, nachdem ihr uns das alles angetan habt. Nicht jeder
Deutscher hat Blut an den Händen. Ihr habt Unschuldige getötet.
Oh, und wie wollte ihr uns den bitteschön helfen?“, fuhr
Arnold fort, nachdem er eine kurze Pause einlag, um seine Gedanken zu ordnen. „Indem
ihr Rache nehmt, für dass, was in euren Land passiert ist, wofür die Einwohner hier
viel konnten. Oder wollt ihr uns in ein Arbeitslager in Sibirien steckt, wenn
wir uns gegen euren heiligen Stalin stellen oder gegen eine weitere Diktatur,
die ihr hier aufbauen möchtet.
Und wenn ihr euch das Land nicht nehmen könnt, dann werdet
ihr doch nur alles klauen, was in eure gierigen Hände passt und jeden Einwohner
mittellos zurücklassen und wage es nicht, dass zu leugnen. Ich habe die Fabrik
meines Vaters gesehen, oder besser gesagt, was ihr davon übrig gelassen habt.
Ich will nicht wissen wie es hier aussehen würde, wenn jeder von euch wüsste,
dass das hier kein zweites Russland wird, oder Sowjetunion, oder wie euch
gerade nennt.
Euch sind die Leute doch scheiß egal. Hauptsache ihr bekommt
das, was ihr wollt, das ist wichtig. Und die Einwohnern, … denen müsst ihr
euren Lebensstil dann gewaltsam aufzwängen, da niemanden euren Kaspar Verein
freiwillig beitreten wird.
Kein Deutscher, wird euch das je verzeihen oder gar sich euch
freiwillig anschließen.“
„Red für dich selbst!“, entgegnet einer der Soldaten mit
aufgebrachter Stimme, deren akzentfreie Aussprache Arnold verriet, dass der
Soldat ein Deutscher war.
Überrascht drehte sich Arnold zu den Soldaten um und musterte
die beiden, die ihn aus seinen Monolog herausgerissen hatten und auch den
zweiten Soldaten konnte Arnold als einen Deutschen identifizieren.
„Das ist … und …“, stellte der Kommandeur die beiden Soldaten
vor. „Sie sind vor fünf Monaten desertiert und haben sich uns angeschlossen,
neben vielen weiteren.“
Arnold, der seinen Blick von den beiden löste, als der
Kommandeur zu reden anfing, betrachtete ihn und konnte zu seiner Verwunderung
kein Zorn in ihm erkennen, welchen das Gesagte hätte auslösen müssen.
„Hättest du mich vor einem halben Jahr gefragt, ob man
Deutschland zerstören und plündern sollte, hätte ich mich Überzeugung ja
gesagt“, fuhr der Kommandeur fort. „Doch ich habe meine Meinung geändert, als
die ersten übergelaufen sind und als ich die Deutschen hier sah, die auch unter
dem Krieg gelitten hatten. Ich erkannte, dass viele auch nur Opfer sind, die
durch die Jahre schlecht beeinflusst wurden.
Nun möchte ich diesem Land und den Leuten helfen. Das kann
ein Neustart für das deutsche Volk werden, auch wenn es jetzt schrecklich
aussieht. Darum habe ich auch Deutsch gelernt. Ich möchte helfen. Dafür werden
die Menschen hier hart arbeiten müssen, um alles wieder aufzubauen. Wir werden
auch viele Dinge nehmen müssen, für den Schaden in unserem Land, aber nie so
viel, dass die Leute hier nicht mehr richtig leben können. Sie sind mir nicht
egal. Wir wollen ihnen nicht aus Spaß das Leben schwer machen. Wir haben auch
nicht diese Stadt zerstört, das waren die Britantsy und die Amerikantsy . Wir
wollen nur dafür sorgen, dass nie wieder eine Krieg von Deutschland ausgeht und
die Menschen wieder ein gutes Leben haben.“
Mit jedem Wort, verlor die Stimme mehr Kontrolle über Arnold,
der in den Worten von dem Kommandeur Verständnis für seine Situation fand.
Ergebnis der schwindenden Macht der Stimme war, dass sich Arnolds finstere
Miene aufhellte und er Empathie für den Kommandeur anfing, zu entwickeln. Dieser Gesinnungswandel entging auch dem
Kommandeur nicht, der ein schmales Lächeln aufsetzte, da er erkannte, dass
seine Worte zu Arnold durchdrangen. Nach einer kurzen Pause, in welcher er
seine Gedanken ordnete und abwog, ob er Arnold von seiner Sichtweise überzeugen
könnte, fing er wieder zu sprechen an.
„Weißt du, bevor ich Soldat wurde, war ich Lehrer. Die Menschen
von Chemnitz erinnern mich an eine Klasse von Schülern, die ich nun
unterrichten muss, damit sie auf eigenen Beinen stehen können. Das Leid, was
sie erlitten haben, war ihnen dabei der beste Lehrer, da er den Wunsch bei
ihnen geweckt hat, ein besseres Leben zu haben. Meine Aufgabe ist es nur noch
ihnen etwas in die Hand zu geben, womit sie das erreichen können und woran sie
glauben können. Ich red aber nicht von Religion. Das würde ihnen nur schaden,
da sie sich so mit ihrem Leben abfinden und im Tod etwas Besseres erwarten
würden. Ich möchte, dass sie ihr Glück im Leben und nicht im Tod suchen.
Dafür habe ich aber genau das Richtige.“
Vielsagend tippte der Kommandeur auf seine Ausgabe des
kommunistischen Manifests, wobei ein Lächeln sich auf seinem Gesicht schmiegte.
Das Wohlwollen, was er über seine Sprechzeit bei Arnold aufgebaut hat,
vernichtete er mit seinem letzten Satz, welcher bei Arnold Panik auslöste, da
er sofort seine schlimmste Vermutung nun bestätigt sah, dass Chemnitz eine
Geisel der Sowjetunion werden soll.
Sofort ergriff die Stimme die Chance, welche sich ihr ergab
und konnte sich wieder in Arnolds Verstand festsetzen. Sein aufgelöster Geist
war der perfekte Nährboden für die Lügen und Manipulationen der Stimme, die
ihre Macht über Arnold nun in Sekunden auf eine neue Höhe bringen konnte.
Ein brennender Hass erfüllte jeden Teil von Arnold, der durch
seine Panik geboren wurden war und veranlasste ihn, erneut seinem Unmut über
den Kommandeur Luft zu machen. Bevor er aber die Möglichkeit dazu bekam,
klopfte es an der Tür, was die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog.
Schnell trat ein Soldat ein, nachdem der Kommandeur ihm die
Erlaubnis erteilte, reinzukommen. Dieser setzte ihn in Kenntnis, dass Stalin am
Apparat sei und unverzüglich mit ihm reden müsste.
„Gut“, antwortete der Kommandeur. „… und … bringt unseren
Gast solange in den Keller. Wir müssen noch über einiges reden.“
Wie durch eine Hand gesteuert, begaben die beiden sich
gleichzeitig zu Arnold und machten diesem verständlich, dass er ihnen folgen
muss. Auch wenn die Stimme ihn zu Taten verleiten konnte, deren Folgen
schwerwiegender sein können, als er es zu erkennen vermochte, war Arnolds
Vernunft nicht gänzlich ausgeschaltet, wodurch er sich ohne Murren wieder in
die Obhut der Soldaten begab.
Jedoch wollte er dem Kommandeur einen letzten finsteren Blick
schenken, bevor dieser sich mit seinen Puppenspieler unterhalten konnte. Ihre
Blicke trafen sich nicht, aber Arnold konnte in den Augen des Kommandeurs, die
auf den Hörer gerichtet waren, welchen er noch nicht angerührt hatte, obwohl
sein Vorgesetzter an der anderen Leitung war, tiefste Abscheu sehen.
Begleitet wurde dieser Blick durch seine Hände, welche er auf
das kommunistische Manifest hielt, wie um Kraft von dieser zu beziehen, da er
danach den Hörer nahm, wozu er sich deutlich zwingen musste. Dieses
Verhaltensmuster und vor allem diesen Blick konnte er bis jetzt nur bei einer
Personengruppe, zu welcher er auch gehörte, sehen, die im Krieg vertreten
waren, Deserteure.
Arnold wurde von den Soldaten in den Keller geführt und mit
unfreundlicher Stimme, mit welcher die Soldaten zeigten, was sie von ihm hielten,
aufgeklärt, dass sie ihn holen würden, wenn der Kommandeur wieder Zeit für ihn
hätte.
Als Arnold alleine war, wurde er sich wieder der Stimme
bewusst und zu was sie ihn verleitet hatte, innerhalb seines Gespräches mit dem
Kommandeur. Von Scharm überrumpelt, focht er mit der Stimme erneut, bis diese
wieder aus seinem Verstand flüchtete, um nicht in der Gewalt Arnolds zu gelangen.
Er verfluchte sich dafür, als die Stimme endlich wieder fort
war und er seinen Kopf nur für sich hatte, dass er sich ihrer Anwesenheit im
Unklaren war und wie leicht sie ihn manipulieren konnte.
Immer und immer wieder ging er das Gespräch mit dem Kommandeur
durch, um festzustellen, was er von ihm halten sollte, konnte aber zu keinem
eindeutigen Ergebnis gelangen. Danach versuchte er verzweifelt einen Plan zu
erstellen, wie er nun weiter vorgehen sollte, jedoch stellten sich diese
Bemühungen als sinnlos raus, da er immer wieder an seine Familie denken musste
und was mit ihr geschehen sein könnte.
Nachdem er sich eingestehen konnte, dass es gerade kein Zweck
hatte, weiter zu versuchen, einen Plan zu schmieden, befasste er sich damit,
was die Stimme alles in ihm manipuliert hatte und versuchte die falschen
Gedanken zu enttarnen.
In seiner Suche erkannte er, dass die Stimme nicht nur seine Gedanken
verändert hatten, sondern auch seine Emotionen. Alles, was er seit seiner
Ankunft in Chemnitz gespürt hatte, war Wut und Hass, welcher sich gegen die
Sowjets richtete. Ihm fiel auch auf, dass die Stimme Iwan zu seinem Sündenbock
gemacht hatte, dem er die Schuld an allen Schlechten gab, was er hier gesehen
hatte.
Durch seine Suche brachte Arnold aber auch all die Emotionen
zu Tage, die die Stimme unterdrückt hatte, die seinem Hass im Weg gestanden
hätten. Wie eine Sturmflut kam sie ihm entgegen und mit der tatsächlichen
Möglichkeit vor Augen, dass seine Familie tot sein könnte, und mit den
Geschehnissen der letzten Monate, die Arnold schwer auf den Schulter lasteten,
konnte er nicht mehr an sich halten und fing an, zu weinen.
Kapitel 5
Zu Arnolds Glück kamen die Soldaten erst wieder, nachdem er
sich beruhigt und die unterdrückten Emotionen, die sich in seinem Inneren
aufgestaut hatten, verarbeitet hatte. Binnen einer Minute waren sie wieder in
dem Büro angekommen, in welchem der Kommandeur das Telefonat beendet hatte und
nun in Gedanken vertieft war, weswegen er die drei erst wieder bemerkte,
nachdem einer der Soldaten ihn mehrfach ansprach, um ihn wieder in Diesseits zu
bekommen.
„Ah, da seid ihr ja wieder“, sprach der Kommandeur, der noch
nicht völlig aus seiner Gedankenwelt entkommen war.
Ohne die Stimme, welche seinen Verstand trübte, kam Arnold
der Kommandeur wie ein anderer Mann vor. Zuvor dachte er, er würde einem
Schurken gegenüber sitzen, welcher sich am dem blutenden Land bereichern
wollte, indem er den letzten Funken Leben aus ihm herauspresste und stehlen
würde. Nun sah er einen gealterten Soldaten, der scheinbar über ein
schwerwiegendes Problem grübelte, was ihn davon abhielt, das Gespräch zu
eröffnen. Arnold spielte mit dem Gedanken, sich für sein Benehmen zu
entschuldigen, jedoch hegte er immer noch eine Abneigung gegen die Sowjets,
welche unabhängig von der Stimme bestand.
Erst nach ein paar Minuten kam er entweder zu einem
zufriedenstellenden Ergebnis oder hatte es aufgeben, in diesem Moment eine
Lösung zu finden, da er seinen Blick von seinen Händen hob, auf welche er die
ganze Zeit gestarrt hatte, in welchen er das kommunistische Manifest hielt, und
Arnold zum ersten Mal wirklich bemerkte, seit dieser den Raum verlassen musste.
„Hör zu“, eröffnete der Kommandeur, „ich weiß, wir hatten ein
schwierigen Start, aber ich hoffe, dass wir uns jetzt wie erwachsene Männer
benehmen können.“
Mit einem fragenden Blick schaute der Kommandeur Arnold
solange an, bis dieser mit einem Nicken sein Einverständnis gab.
„Sehr gut, dass freut mich.“ Die Miene des Kommandeurs hellte
sich sichtlich auf, welche zuvor noch mit Falten durchzogen waren, die durch
das Nachdenken verursacht wurden.
„Dann möchte ich jetzt wissen, wer du bist und ob du von hier
kommst.“
Nachdem Arnold Auskunft zu seiner Person gab, wurden seine
Aussagen überprüft, um sicherzugehen, dass er nicht log. Wenig überraschen
bewahrheitete sich alles, was Arnold sagte, womit der Kommandeur endlich auf
das eigentliche Thema kommen konnte, als diese Formalität erledigt war.
„Also, Arnold Uhlig, ich will gleich auf den Punkt kommen,
ich brauche deine Hilfe.“
„Wofür brauchst du meine Hilfe?“, fragte Arnold.
„Weißt du, seit unserer Ankunft werden die Leute der Stadt
von einer Gruppe an … ehm … dazu gebracht, uns zu hassen. Diese besteht aus den
ganzen Männern, die hier nicht mehr zu finden sind, das denke ich. Sie klauen
auch unsere Vorräte und sa … behindern uns. Es kam noch zu keinen Kämpfen, da
sie feige sind, aber sie werden die Leute der Stadt dazu kriegen wollen, sich
gegen uns … aufzulehnen, was wir verhindern müssen.
Wir haben in der ganzen Stadt nach ihnen gesucht, konnten sie
aber nie finden, was ich nicht verstehen kann. Nur dank einiger Frauen, die uns
… Gerüchte von ihnen erzählt haben, wissen wir von ihnen. Wir glauben, dass
einige unter den Menschen hier, ihnen helfen, sich vor uns zu verstecken. Hier müsstest
du uns helfen. Gehe unter die Leute, die den Schutt wegräumen und versuche
herauszufinden, wo diese Gruppe steckt“
„Warum sollte ich euch helfen?“, fragte Arnold unverfroren,
obwohl ihm klar war, dass der Kommandeur die Hilfe sein musste, von welcher der
Vorbote gesprochen hatte, aber er wollte aus Neugier wissen, womit sie ihn
ködern oder erpressen würden.
„Sag du es mir“, entgegnete der Kommandeur.
Arnold ließ sich auf darauf ein und fing an, darüber
nachzudenken, warum er sie unterstützen sollte, obwohl er eine deutliche
Missgunst gegen die Russen hegte. Es dauerte etwas, bis Arnold darauf kam, was
der Kommandeur meinen könnte.
„Naja“, fing Arnold an, „wenn du die Situation nicht in den
Griff bekommst, wird Stalin dir die Kontrolle über die Stadt entziehen und
jemanden schicken, der härter durchgreifen würde, um die Gruppe zu finden.“
„Ich bin das Beste, was ihr bekommen könnt“, antwortete der
Kommandeur, wobei er anerkennend nickte. „Und Uhlig, auch wenn es vielleicht
unschön für dich ist, darüber zu reden, aber hast du die Körper deiner Eltern
gesehen?“
„Ehm… Nein“, antwortete Arnold mit einer verwunderten Stimme,
einmal wegen der Frage und einmal, weil der Kommandeur ihn mit seinen Nachnamen
anredete. „Ich hab nur die Reste von unserem Haus gefunden und habe etwas
vorschnell Schlüsse daraus gezogen.“
„Verstehe, dann weißt du nicht sicher, ob sie tot sind?“
„Nein“
„Gut, dann könnten sie vielleicht noch am Leben sein“,
antwortete der Kommandeur, wobei er Arnold deutlich beobachtete. „Wenn du uns
hilfst, könnten wir nach ihnen suchen, aber mach dir nicht zu viele Hoffnung,
sie könnten auch wirklich tot sein. Du wüsstest es so aber.“
Es keimte ein wenig Hoffnung in Arnold auf, aber er setzte
dieser ein frühes Ende, da der Kommandeur selbst sagte, dass sein Angebot kein
Beweis für ihr Überleben war. Wenigsten konnte Arnold so Gewissheit über ihr
Schicksal bekommen, weswegen er mit einen Nicken erneut sein Einverständnis
gab.
Daraufhin klärten der Kommandeur und Arnold die Details ihres
Plans. Arnold sollte unter die Einwohner gehen, die die Trümmer wegräumten und
versuchen herauszufinden, wo sich die Gruppe/Kollektiv aufhielt und wie sie den
Fängen des Kommandeurs immer wieder ungesehen entfliehen konnten. Dass er ein
Deserteur war, sollte Arnold aber verschweigen, da er sonst die tiefste
Missgunst der Menschen geweckt und so keine Möglichkeit mehr hätte, sich in den
Vertrauten Kreis der Gruppe/Kollektiv einzuschleichen, da sie in ihm nur einen
Feigling oder Verräter sehen würden.
Der Kommandeur und auch die beiden Soldaten, die sich noch
mit im Raum befanden, nahmen aber keine Abscheu daran, dass Arnold desertiert
war, wenn man bedenke, wem er dienen musste. Sie wunderten sich viel mehr,
warum er solange damit gewartet hatte.
Noch am selben Tag wurde Arnold zu den Aufräumarbeiten
geschickt, um mit seiner Arbeit zu beginnen. Ihm wurde eine Notdürftige
Unterkunft zu Verfügung gestellt, die nicht viel besser war, als die der
anderen Einwohner, da sie sichergehen wollten, dass niemand Verdacht schöpfte.
Sich in der Gewalt eines weiteren Kriegstreiber zu wissen,
auch wenn man die beiden schwerlich gleichsetzen konnte, der über ihn nach
Belieben verfügte, bereitete Arnold ein mattes Gefühl der Entrüstung, nachdem
er so viel riskiert hatte, um seine Freiheit zu erlangen. Gepaart mit dem
Anblick der Trümmer, die die erloschene Glut seines Zorns erneut anfachte,
machte sich ein Groll in Arnold breit, der nach einem Ziel suchte, auf welches
er sich stürzen konnte. Leider fand sich keine einfache Beute, nach der sich Arnold
dringlich sehnte. So wucherte die Ranküne in ihm und drohte sein Innenleben zu
vergiften, was der Kern aber zu seinem Vorteil auszunutzen wusste.
Die letzten Niederlagen hatten den Kern Demut gelehrt. Er
könnte Arnold nun nicht mehr so einfach korrumpieren, wie ein normaler Mensch.
Nun müsste er zu anderen Methoden greifen, die eigentlich nur für Betroffene
bestimmt waren, über die die Stimme weit mehr Kontrolle hatte, doch für Arnold
würde er eine Ausnahme machen. Arnold war etwas Besonderes.
Wie er von der Existenz der Stimme erfahren konnte, wusste er
nicht, aber er hatte einen Verdacht. Wenn er nur auf seine Erinnerungen zurückgreifen
oder seine Gedanken schon derart stark manipulieren könnte, dass er sich daran
erinnern würde, doch dies war ihm erst möglich, wenn er vollkommen Kontrolle
über ihn hätte. Um seine Macht über Arnold weiter auszubauen, müsste er den
Groll nutzen, der in seinem Inneren loderte.
Durch sein
Gespräch mit ihm kann Arnold den Sowjets nicht mehr die Alleinschuld geben, dachte der
Kern. Wir werden ihm helfen müssen, diese
törichte Empathie wieder loszuwerden.
Vorsichtig ließ der Kern erneut die Stimme in Arnolds
Verstand eindringen, dieses Mal jedoch als einen Beobachter. Arnold kam gerade
bei den Arbeiter an. Bei diesen handelte es sich ausschließlich um Frauen, da
alle Männer nicht auffindbar waren.
Gerade als Arnold sich umblickte, zu wen er sich gesellen
sollte, ließ der Kern durch seine Stimme behutsam ein positives Gefühl
einweben, welches er bei einer bestimmten Gruppe von Frauen verspüren sollte.
Diese waren mittleren Alters und mussten schwer unter den Folgen des Krieges
leiden, was man ihnen ansehen konnte.
Sein Plan gelang und Arnold ging auf die Frauen zu, um bei
ihnen zu arbeiten. Auch wenn er ihn erfolgreich manipulieren konnte, war es
jedes Mal ein Spiel mit dem Feuer. Arnold hatte bewiesen, dass er die falschen
Gedanken enttarnen und die Stimme aus seinen Verstand verjagen konnte. Bei
keiner anderen Person musste er so vorsichtig umgehen, weswegen es sich als
eine Prüfung seiner Fähigkeiten erwies, ihn lediglich mit kleinen Anstößen zu
steuern, von denen er keinen Verdacht hegte.
Die Unterhaltung wurde schnell von Arnold eröffnet. Es war
ein Segen für den Kern, dass Arnold so kontaktfreudig war. Dass macht einiges
leichter. Nach einer kurzen Vorstellrunde fing Arnold auch schon an über alles
Mögliche zu meckern, dabei aber eher in einer humoristischen Art, um wohl den
Gefallen der Gruppe sich zu verdienen. So genau hörte der Kern aber nicht zu.
Er konzentrierte sich auf den Groll, der in Arnold hauste.
Es glich einem eingesperrten Raubtier. Wann es immer die
Chance sah, sich einen Weg aus seinem Gefängnis zu bahnen, ging es mit aller
Aggressivität vor und scherte sich nicht, wer dabei zu Schaden kommen könnte.
Doch wer sollte seine Beute sein, wenn es frei ist?
Das scheinbar scherzhafte Meckern, hatte wohl doch nicht nur
den Sinn, das Wohlwollen seiner Gegenüber zu verdienen, sondern fungierte auch
als ein Ventil, mit welchen Arnold seine Ranküne in kleinen Portionen sich zu
entledigen wünschte. Auf diesen Weg würde es aber eine Lebensaufgabe werden, so
sein Inneres von dem Groll reinzuwaschen.
Der Kern wagte es aber nicht sich diesem zu nähern, da er
damit sicherlich Arnold über seine Anwesenheit alarmieren würde. Wenn er für
Arnold wieder ein weiser Berater werden wollte, der ihm das richtige Vorgehen
einfach in seinen Gedankengang hineinflüsterte, musste er den Groll nutzen.
Aber es genügte dem Kern, das Innere von Arnold zu studieren,
er wollte endlich zur Tat schreiten. Also bediente er sich der Frauen, die
immer ein offenes Ohr für die Stimme hatten.
Es war eine erholsame Abwechslung, die Frauen innerhalb
Arnolds Gruppe zu steuern, da sie sich der Stimme nicht bewusst waren und jeden
Gedanken, der in ihren Verstand mit eingewoben wurde, als den eigenen ansahen
und es so spielend leicht für den Kern war, sie wie seine Puppen zu bewegen.
Als erstes sorgte er dafür, dass sie Sympathie für Arnold
empfanden, und sich seiner Kritik über die mangelhaften Werkzeuge anschlossen.
Damit bestätigte sich Arnold ʺseineʺ Vorahnung, dass diese Gruppe ein adäquater
Haufen sei. In Arnold konnte nun der Kern auch überrascht feststellen, dass er
sich darüber mehr freute, als er es erwartet hätte. Er dürstete regelrecht nach
einer vernünftigen Unterhaltung. Der Kern schloss daraus, dass er wohl über
einen längeren Zeitraum von jeglichen menschlichen Wesen getrennt war und ein
abgeschottetes Dasein fristete oder seine letzten Konversationen von dürftiger
Natur waren.
So ließ er diesen verbalen Gedankenaustausch eine Weile vor
sich hin traben, wobei er immer wieder dafür sorgte, dass keiner der Frauen
etwas sagte, was Arnolds missfallen könnte. Dabei manipulierte der Kern die
Betroffenen nicht nacheinander, sondern alle zur selben Zeit. Für einen
normalen Menschen war diese Fähigkeit, seinen Geist mit so vielen Aufgaben
gleichzeitig zu belasten, unmöglich, aber für den Kern eine Leichtigkeit, die
auch über ihre Grenzen verfügte, welche er aber noch nicht auszuloten gedachte.
Auch wenn die Konversation ihn etwas ermüdete, nicht aber
weil er seinen Geist bis ans äußerste reizen musste, sondern weil es ihn
langweilte, konnte der Kern seine Freude daran finden. Es war wie auf einen
Flügel zu spielen, selbst das eintönigste Lied konnte die Euphorie wecken, die
der Musik anheim war.
Nach einer Weile befand der Kern, dass das Gegenseitige
Wohlwollen nun stark genug gefestigt war, dass es auch ohne sein Einwirken
bestand haben müsste. Die völlige Kontrolle hatte der Kern ja über keinen von
der Gruppe. Bis weilen konnte er die Betroffenen hier nur über die Stimme
manipulieren. Völlig ausgeliefert waren sie ihm nicht, doch das wollte er jetzt
ändern, besser gesagt, damit anfangen.
Langsam fing er an, das Gespräch über die Sowjets abschweifen
zu lassen. Nun kam der eigentlich interessante Teil für den Kern. Er selbst
konnte den Hass bei einer jeweiligen Person nur begrenzt anfachen, doch andere
Individuen ihrer Art erwiesen sich hier als weit effizienter.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, und das machte sich der
Kern hier zunutze, indem er dafür sorgte, dass sich die Menschen trafen, welche
unter dem Einfluss der Stimme lagen und er dafür sorgte, dass sich über ihren
gemeinsamen Hass unterhielten. Von da an, war es ein Selbstläufer. Ohne weitere
Manipulationen seinerseits stachelten sie ihre Abscheu gegen den Sündenbock,
den der Kern ausgewählt hatte, gegenseitig an und ließen ihn neue Dimensionen
erreichen, den die Stimme allein nie hätte verursachen können.
So war es auch bei der Gruppe, mit welcher Arnold zuvor noch
über die abgenutzten Hämmer meckerte. Zuerst sträubte Arnold sich, bei der
Verunglimpfung der Russen zu beteiligen, doch mit jedem gesprochenen Wort,
welche zur Hälfte aus Lügen bestand, die der Kern ersann und den Frauen behutsam
zu flüsterte, konnte der Groll mehr von ihm Besitz ergreifen, da er die Beute
zu finden geglaubt hatte, nach der er sich sehnte.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich nahm Arnold an dem
wüsten Tadel gegen Iwan Teil und offenbarte sich schnell als der eifrigste Redner,
der die Ehre der Russen durch den Dreck zog. Erneut verblüffte es den Kern, wie
leicht es war, in Männer den Hass zu lodern, im Vergleich zu Frauen, wo dieser
Vorgang deutlich Zeitintensiver war.
Endlich konnte der Kern die Stimme in Arnold festigen und so
auch wieder Einfluss auf sein Verhalten nehmen. Je größer der Hass auf den
Sündenbock wurde, desto tiefgreifender wurde die Macht der Stimme über den
Betroffenen. Einzig die Erkenntnis, dass er erneut von der Stimme befallen war,
welche durch äußerliche Faktoren wie Fakten oder logische Gedanken verursacht
wurden, die die Lügen des Kerns enttarnen würden, gaben Arnold die Möglichkeit,
sich aus seinem Bann zu befreien. Falls es wieder zu einem Gespräch mit dem
Kommandeur kommen sollte, der in der Lage war, die benötigten Informationen zu
liefern, welche den weiteren Fortschritt torpedieren würden, musste der Kern zuvor
den Hass in Arnold derart schüren, dass dieser eine Ignoranz entwickelte, die
jeglicher Logik widerstand.
Ja, dachte der
Kern, ich werde Arnold zu einem von uns
machen und dafür sorgen, dass er uns einen guten Dienst leisten wird.
Das Gespräch der Gruppe wurde nun von einem Soldaten
unterbrochen, der sie aufforderte, weiterzuarbeiten und keine Zeit mehr zu
verschwenden. Die Fortführung ihrer zuvor abgebrochenen Beschäftigung,
zuschulden des Gespräches, und giftige Blicke waren die Antwort, die die Frauen
und auch Arnold gaben.
Trotz dieses unglücklichen Zusammentreffens mit einem
übergelaufenen Deutschen, über den die Gruppe mehrere vulgäre Witze machten,
dass er die Bedürfnisse Iwans befriedigt, war Arnold recht zufrieden. Selten
konnte er in der letzten Zeit sich so ausgelassen mit anderen unterhalten und
sogar über einige Scherze lachen.
Es freute ihn, dass seine Vorahnung sich bestätigte und er
sich die richtige Gruppe ausgesucht hatte. Seine eigentliche Aufgabe, mehr über
das Kollektiv zu erfahren, hatte er schon fast vergessen. Nun wollte er seine
Freude haben, bevor er sich wieder seinen Pflichten widmen würde. Nächstes Mal
würde er auch versuchen, die Namen der Frauen nicht zu überhören, wenn sie sich
vorstellten und diese lästige Angewohnheit abzugewöhnen, die er im Krieg
erlernte und die ihm dort gute Dienste leistete, den psychischen Schrecken zu
überleben, aber hier ihm keinen Vorteil bot, sondern nur Nachteile.
Eigentlich wollte er sich an dem Lästern über die Sowjets
nicht beteiligen, doch die Frauen sprachen Probleme an, die er schwerlich
einfach vergessen konnte und die das Verschulden der Russen sein mussten.
Darüber gab es keinen Zweifel. Außerdem tat es gut seinen aufgeschobenen Zorn
auf diese Weise herauszulassen, als ihn stattdessen auf ewig in sich
hineinzufressen.
Bevor er jedoch sich wieder an die Arbeit machte, ließ Arnold
seinen Blick über die anderen Leute schweifen, die auch die Trümmer wegräumen
mussten. Ihm fiel auf, dass sich viele weitere, in ähnliche Gruppen, wie die
Frauen und er, zusammengeschlossen hatten und sich auch über die Sowjets
auszulassen schienen, da viele den Soldaten finstere Blicke zu warfen oder in
leises Gelächter ausbrachen, als diese ihnen den Rücken zugekehrten.
Doch stellten diese Gruppen nur einen kleinen Teil aller
Arbeiter dar, die gerade am Werke waren. Viele gingen einfach nur ihrer Arbeit
nach und waren durch das ständige Pöbeln der Gruppen sichtlich entnervt. Andere
ignorierten sie völlig und hielten beim Arbeiten Kreuze in ihren Händen und um
ihren Hals und schienen zu Gott zu beten, während sie schufteten.
Arnold glaubte aber zu erkennen, dass die Gruppen über die
Dauer seiner Arbeitsschicht langsam zu wachsen schienen. Von diesen ging aber
nie ungutes Gefühl aus, fand er, sondern etwas positives, ähnlich wie bei
seiner Gruppen. Mit einem zufriedenen Lächeln machte er sich an die Arbeit,
welche stetig von derben Witze über die Russen begleitet wurde.
Kapitel 6
Die Tage verflogen regelrecht und Arnold freudendete sich mit
den Frauen aus seiner Gruppe an. Anfangs kam er sich etwas merkwürdig vor, der
einzige Mann nicht nur in der Gruppe, sondern auch unter den Arbeitern zu sein,
doch hatte er dies schnell vergessen.
Abends, wenn sie Feierabend hatten, saßen sie, wie die
anderen Gruppen, noch zusammen und aßen und unterhielten sich. Das scheußliche
Essen war ein Gesprächsthema, was jedes Mal wieder aufkam und von Arnold
begonnen wie dominiert wurde. Er versuchte sogar, das Essen etwas anzureichern
oder etwas daraus zu kochen, jedoch stellte sich dies immer als zwecklos
heraus, womit Arnold nur noch mehr Stoff hatte, worüber er sich beschweren
konnte.
Leider waren die Frauen an solchen Themen mit jeden Tag
weniger interessiert und lenkten das Gespräch immer wieder in dieselbe
Richtung, in die der Sowjets. Natürlich hatte Arnold Freude daran, Iwan durch
den Dreck zu ziehen, jedoch war seine Gruppe wie besäßen davon und unterhielten
sich bald ausschließlich darum.
Zunehmend fühlte sich Arnold sogar etwas unwohl, an den
Gesprächen teilzunehmen, was aber ein Teil seines Verstandes zu unterdrücken und
durch positive Bestätigungen zu ersetzen versuchte, mit mäßigen Erfolg. Es war
immer wieder ein geistiges Ringen, ob er sich an er Gesprächskultur beteiligen
sollte. Zumeist obsiegte aber der Teil seines Geistes, der ihn dazu ermutigte, sich
der Schimpfrede anzuschließen.
Aber nicht nur Drang wuchs bei den Frauen, über die Sowjets
zu schimpfen, sondern auch in welcher Lautstärke sie es taten. Streitereien mit
den Soldaten, die einen Witz mitbekamen, weil die Frauen es laut genug
aussprachen, zählten bald zur Tagesordnung. Pöbeleien wurden mit jeden Mal
aggressiver und konnten erst durch die Androhung von Gewalt durch die Soldaten,
die ihre Waffen dabei zur Schau stellten, nieder gerungen werden.
Damit wuchs aber auch der Hass auf die Soldaten, als diese
sich gegen die Beschimpfungen zur Wehr setzten, womit die Frauen nur noch mehr
Lust hatten, ihren Unmut nun aus der Gruppe zu tragen. Es war ein
Teufelskreis.
Die Gründe, welche die Frauen brauchten, um über die Russen
zu schimpfen, wurden auch immer abstruser. Schlechtes Wetter sowie kleiner
Missgeschicke reichten aus, um stundelang darüber zu debattieren, dass es nur
die Schuld der Sowjets sein kann, die ihr Leben schwerer machten wollten.
Iwan wurde zum völligen Sündenbock für jede Negative
Erfahrung deklariert, die die Frauen durchleben mussten, wofür sie zum Großteil
nichts konnten. Selbst Arnold erschien dies völlig aus der Luft gegriffen,
sodass selbst die Stimme in seinen Verstand, ihn nicht mehr vom Gegenteil
überzeugen konnte.
So ging es ein paar Tage lang, bis eines Morgens die Frauen von
Arnolds Gruppe erneut einen böswilligen Scherz auf Kosten der Sowjets losließ,
gerade als einer der Soldaten an Ihnen vorbei lief.
„Was hast du da gerade gesagt?!“, fragte er Soldat, der schon
mehrfach mit den Frauen aneinander gekommen war.
„Du hast mich schon verstanden, oder hast du schon deine
Sprache verlernt, um Iwan besser zu gefallen?“, antwortete einer der Frauen mit
deutlicher Streitlust in ihrer Stimme.
Zornesröte stieg dem Soldat in den Kopf und er ging auf die Pöblerin
zu.
„Du hältst jetzt deine Schnauze und arbeitest jetzt weiter,
sonst …“
„Sonst was?“, unterbrach die Frau ihn lautstark. „Arbeiter
doch selbst, wenn du genug hast für Iwan den Schoßhund zu spielen.“
Mit großer Wucht schleuderte die Frau ihr Werkzeug auf den
Boden, gefolgt von den restlichen Frauen, die solidarisch zu ihr standen. Nur
Arnold behielt von der Gruppe seine Gerätschaft weiterhin in den Händen, der,
wie nun alle Arbeiter, den eskalierten Streit gespannt und schockiert
beobachtete, da es noch nie zuvor zu solch einer Situation kam.
„Was fällt euch ein?!“, brüllte der Soldat sie an und zielte
nun mit seinem Gewehr auf sie. Eine Reaktion erreichte er damit bei den aber Frauen
nicht. Diese waren mehr davon schockiert, dass Arnold sich ihnen nicht
anschloss, weswegen sie mit ihren drohenden Blicken und einigen verbalen
Ausflüchen dazu aufforderten.
Das Geschrei des Soldaten hatte weitere alarmiert, die sich
sofort zu ihrem Kameraden gesellten und ihn unterstützen, nachdem sie von den
Geschehnissen erfahren hatten, indem
auch sie ihre Gewehre erhoben.
Inmitten dieses kleinen Aufstandes, die kurz davor stand,
durch Waffengewalt ein jähes Ende zu finden, befand sich Arnold, der zwischen
den Reihen zu stehen schien. Wie gelähmt stand er da, als nun alle Frauen
seiner Gruppe ihn anfuhren, es ihnen gleich zu tun und sein Werkzeug wegzuwerfen,
um den Arbeitsdienst zu verweigern, wohingegen den Soldaten die Geduld
auszugehen schien, da die Frauen sie nicht einmal beachteten. Ihnen fiel aber
Arnold auf, der sich nicht auf die Seite der Frauen schlug und mit diesem
Aufstand nichts am Hut haben wollte, weswegen sie ihm signalisierten, sich aus
den Reihen der Pöbler zu entfernen und zu ihnen zu kommen, damit ihm kein Leid
widerfahre, für etwas, woran er keine Schuld trug.
Teile seines Verstandes, versuchten ihn nun davon zu
überzeugen, sich auf die Seite seiner Gruppe zu schlagen, jedoch wehrte sich
Arnold störrisch dagegen, da er eigentlich nur weiter arbeiten und sich an
keiner Auseinandersetzung beteiligen wollte. Er jetzt bemerkte er, als immer
wieder Gedanken kamen, die ihn dazu aufforderten, an dem Aufstand teilzunehmen,
dass die Stimme wieder in seinem Verstand war. Diese hatte seinen Willen zur
Selbstbestimmung unterschätzt und wurde schnell von Arnold verscheucht.
Damit hatte er aber immer noch keine Antwort für sein Dilemma
gefunden, in welchem er stand. Ohne die Stimme fühlte er keinen Drang mehr,
sich den Frauen nun anzuschließen, trotzdem hatte er sich mit ihnen
angefreundet, obwohl er immer noch nicht ihre Namen wusste, und wollte sie
nicht im Stich lassen. Zu den Soldaten wollte er aber auch nicht gehen, da er
damit nicht nur zeigte, dass er auf ihrer Seite stand, sondern auch weil seine
Abscheu gegen die Russen, welche ihren Ursprung im Krieg hatte, ungebrochen
war. Andererseits wollte er aber auch nicht sterben, was Iwan dann doch ein
bisschen attraktiver machte.
Trotzdem waren beide Möglichkeiten, die ihm zur Wahl standen,
für ihn untragbar. Er konnte und wollte sich für keiner der beiden Seiten
entscheiden. In dieser Situation kam erschwerend noch hinzu, dass er von den
Frauen und den Soldaten unter Druck gesetzt wurde, sich zu entscheiden Panik
kam langsam in Arnold auf, welche ein Ergebnis des Drucks war und betäubte
seinen Verstand, sodass ihm nicht mehr möglich war, klar zu denken.
Mit festen Griff umklammerte Arnold sein Werkzeug und
versuchte rein aus Reflex, das Klavierspiel vor sich hin zu summen, um sich
selbst zu beruhigen, jedoch ohne Erfolg. Er spürte wie sein Herz mit jeder
Sekunde schneller schlug und der Fluchtinstinkt ihm befahl, wegzurennen, als
alle Blicke sich auf ihn richteten.
„Was ist hier los?“, fragte der Kommandeur, als er die
Szenerie betrat. Dieser machte jeden Tag seinen Rundgang durch die Stadt, um
den Stand des Fortschritts zu begutachten und kam so schnell hergeeilt, wie er
nur konnte, als er von dem Aufruhr erfahren hatte.
„Die hier weigern sich zu arbeiten und haben uns mehrfach
beleidigt“, sagte einer der Soldaten und zeigte mit seinem erhobenen Gewehr auf
die Frauen.
„Verstehe“
Der Kommandeur lag seine Hand auf das Gewehr des Soldaten,
der ihm gerade geantwortet hatte und drückte dieses langsam nach unten, damit
es nicht mehr auf die Gruppe zielte.
„Also, ihr wollt nicht weiter arbeiten?“, fragte der
Kommandeur die Frauen.
„Warum sollten wir“, entgegnete die Redeführerin der Gruppe,
die den Aufstand begonnen hatte, „Damit Chemnitz in eure gierigen Hände fällt,
wenn wir fertig sind mit der Schufterei und ihr uns dann tötet oder vertreibt?“
„Wir wollen euch nicht schaden, im Gegenteil. Wir wollen euch
helfen. “
„Natürlich“, antwortete die Frau mit einem gehässigen Lachen.
„Das hat man ja gesehen, wie ihr alles aus der Stadt geklaut habt, was wertvoll
war und in eure gierigen Hände gepasst hat.“
„Es tut mir Leid, aber eure Soldaten haben großen Schaden in
unserer Heimat verursacht und den muss man jetzt begleichen, ich hab auch nur
meine Befehle.“
Auch wenn die Frau den Kommandeur mit einer von Wut triefenden
Stimme anging, behielt dieser einen ruhigen Tonfall bei, wie ein Erwachsener,
der mit einem zornigen Kind reden musste.
„Und was glaubt ihr, wird passieren nach eurem Aufstand?“,
fragte der Kommandeur und blickte jede einzelne der Aufständischen an und fuhr erst
fort, als keine der Betroffenen ihm eine Antwort gab. „Das wir alle aus
Deutschland gehen werden und euch in Ruhe lassen, nach den letzten Jahren.
Nein, das werden wir nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass von Deutschland kein
Krieg mehr ausgeht.
Wir haben aber aus den Versailler Vertrag gelernt und wollen
die Fehler nicht wiederholen. Wir wollen euch auch helfen, wieder aufzubauen.
Ihr müsste aber viel arbeiten und selbst machen, wir unterstützen euch nur.
Und wenn ihr euch weigert oder sowas mehr machen solltet,
muss ich strenger werden und wenn ich es nicht schaffe, euch zum Arbeiten zu
bekommen, wird Stalin jemand schicken, der kein Problem hat, euch sehr schlimm
zu bestrafen. Verstanden?“
Der Kommandeur hob eines der Werkzeuge auf, welches einer der
Frauen auf den Boden geschleudert hatte und drückte es der Redeführerin in die
Hand, die es wortlos annahm. Dabei konnte man in ihrer Miene sehen, wie sie
verzweifelt nach etwas suchte, was sie gegen den Kommandeur ins Feld führen
konnte, aber nicht fündig wurde, weswegen sie ihm gezwungener Weise recht geben
musste.
Arnold wurde keines weiteren Blickes gewürdigt. Nicht von
seiner Gruppe, den Soldaten oder nicht einmal dem Kommandeur, der wohl
jeglichen Kontakt zwischen ihnen geheim halten wollte und sich nun wieder
entfernte. Wortlos gingen alle wieder an die Arbeit und Arnold dankte für das
Einschreiten des Kommandeurs, da er nicht wusste, was er am Ende getan hätte.
Als das Ende der Arbeitsschicht erreicht wurde und jeder die
Werkzeuge zurückgab, drückte einer der Soldaten Arnold unauffällig einen Zettel
in die Hand. Erst als er sich sicher war, dass keine Blicke auf ihn ruhten, sah
er sich das Geschrieben an. Es war eine Nachricht von dem Kommandeur, der um
ein geheimes Treffen heute Abend mit ihm verlangte. Ort und die genaue Uhrzeit
waren ebenfalls genannt, weswegen Arnold sich das wenige, was auf dem Zettel
stand, merkte und ihn danach entsorgte, dabei aber darauf achtete, dass ein
Fremder, falls er die Reste der Nachricht irgendwie finden sollte, es nicht
mehr lesen könnte.
Etwas eingeschüchtert log Arnold seine Gruppe an, die sich
wieder versammelt hatten, dass er sich unwohl fühle und besser gleich schlafen
gehe. Finstere Blicke und ein deutliches Desinteresse waren die einzige Antwort,
die er erhielt.
Im Schutze der Dunkelheit schlich sich Arnold durch die
düsteren Gassen Chemnitz und hütete sich vor jedem menschlichen Wesen, der sich
seiner Bewusst werden und das Treffen platzen lassen könnte. Der Kommandeur
wartete bereits geduldig auf sein Eintreffen, hatte sich aber auch ein Versteck
gesucht, damit der Zufall ihm Niemanden einbrachte, der nicht über seinen Plan
und Arnolds Aufgabe eingeweiht war.
Das Treffen fand in der Ruine eines alten Ladens statt,
welches genügend Ecken bot, in der man sich ungesehen unterhalten konnte.
Leicht erschreckt wurde Arnold, als er am Ort antraf und von dem Kommandeur
plötzlich aus dessen Versteck angesprochen wurde, welches gut genug war, das er
ungesehen blieb, selbst für Arnold, als er in seiner unmittelbaren Nähe stand.
„Freut mich, dass du kommen konntest“, flüsterte der
Kommandeur.
„Warum sollte ich kommen?“, fragte Arnold in derselben
Lautstärke, als er sich von dem kleinen Schock erholt hatte.
„Wir müssen über vieles sprechen“, antwortete der Kommandeur
und setzte sich auf ein Trümmerteil und zeigte Arnold, dass er ebenfalls Platz
nehmen sollte, was er auch tat.
„Wir sind alle Unterlagen gegangen und ich muss die leider
sagen, dass deine Mutter und deine Schwester unter den Toten der Bomben sind.
Es tut mir leid.“
Der Kommandeur schwieg einen Augenblick und wartete auf
Arnolds Reaktion. Dieser brach aber nicht in Tränen aus, sondern nahm die Bestätigung
seines Verlustes mit einem eisigen Schweigen hin, da er sich keine großen
Hoffnungen gemacht hatte und schon seit seinem ersten Zusammentreffen mit dem
Kommandeur sich in der Trauerphase befand. Aber wie an der Front hatte er nicht
die Zeit, um den Tod seiner Familie zu verarbeiten, weswegen er es erst einmal
hinnehmen musste und wenn er seine Freiheit endlich zurück erlangt hatte,
könnte er sich mit dem Tod seiner Familie auseinandersetzen.
Erst jetzt wurde Arnold bewusst, dass der Kommandeur gesagt
hatte, dass nicht seine ganze Familie tot war.
„Was ist mein Vater?“, fragte Arnold, der seinen Blick hob,
welchen er zuvor auf den Boden gerichtet hatte, und den Kommandeur nun mit
einer hoffnungsvollen Miene ansah.
Dessen Gesicht verzog sich bei dieser Frage sichtlich, da er
die Antwort nur ungerne Arnold mitteilen wollte.
„Über das wollte ich mit dir sprechen. Dein Vater ist nicht
unter den Toten und hat … überlebt, ist aber aus der Stadt geflohen und hat dir
diesen Brief dar gelassen.“
Mit einem gewissen Zögern überreichte der Kommandeur Arnold
den Brief, der in aller Eile verfasst wurde.
„Lieber Arnold,
wenn du das hier liest, dann hast du den Krieg überlebt und
wolltest nach Hause zurückkehren. Ich muss dir leider sagen, dass deine Mutter
und Schwester gestorben sind. Bleib nicht in der Stadt. Du musst verschwinden.
Mit Chemnitz wird etwas geschehen, was dir nicht gefallen wird. Wenn du
bleibst, wird man auf dich keine Rücksicht nehmen können und du wirst
vermutlich zu Schaden kommen. Suche nicht nach mir. Es ist das Beste, wenn wir
uns nie wieder sehen, glaube mir.
Viel Glück!“
Fassungslos hielt Arnold den Brief in seinen Händen und las
ihn sich mehrmals durch, um sicherzugehen, dass er kein Opfer einer
Sinnestäuschung war. Nie hatte sein Vater und er ein gutes Verhältnis gepflegt,
trotzdem glaubte er, dass doch etwas wie eine rudimentäre Familienliebe
zwischen ihnen herrschte, die von dem Brief aber nun widerlegt wurde.
Mit welcher Kürze und Kälte er den Tod seiner Mutter und
Schwester beschrieb, erschien Arnold selbst für seinen Vater zu harsch,
weswegen er auch nicht daran glaubte, dass er wahr sein konnte. Warum er aber
über ihr Dahinscheiden lügen sollte, blieb Arnold schleierhaft und er rechnete
seinem Vater keinen noblen oder guten Grund an. Anstatt Trauer erwachte
deswegen der tiefe Groll in ihm.
Zorn erfüllt, zerriss er den Brief in kleine Fetzen und ließ
diese zu Boden fallen. Eine derartige Reaktion hatte der Kommandeur erwartet,
wäre aber von einer weit intensiveren Wutattacke nicht überrascht gewesen, wenn
er an das erste Treffen mit Arnold zurückdachte.
Bereits nach wenigen Sekunden hatte er sich aber schon wieder
beruhigt, sehr zu der Überraschung des Kommandeurs.
„Du hast die Nachricht schnell …“
„Verarbeitet“, beendete Arnold den Satz des Kommandeurs, da
dieser lange nach dem richtigen Wort suchte.
„Verarbeitet, danke.“
„Ja, mein … Vater hatte sich nie mit Ruhm bekleckert, sagen
wir es so.“
„Oh, das kann ich verstehen.“
„Ach ja?“, fragte Arnold, mit deutlicher Interesse in seiner
Stimme.
„Ja. Weißt du, mein Vater war Lehrer, wie ich einmal. Er
wollte viele Russen lehren. Früher konnten wenige auf eine Schule gehen. Sehr
viele konnten nicht lesen. Ich war ein Kind, aber ich war stolz auf ihn. Dann
kam es aber zum Krieg mit Japan. Mein Vater wurde … musste mit hingehen. Der
Krieg dauerte nicht lange an und wir verloren ihn. Er überlebte und kam
unverletzt nach Hause. Na ja, sein Körper war unverletzt.
Nach den Krieg hatte er … einen Schaden im Kopf. Er konnte
nicht mehr schlafen, hatte ständig Angst und redete kam noch. Dann hat er mit …
Opium angefangen. Heißt das in deiner Sprache so?“, fragte der Kommandeur,
worauf Arnold mit einem Nicken antwortete.
„Gut, ehm, er hat also angefangen Opium zu nehmen. Das hat
ihm geholfen zu schlafen, aber er würde schnell …“
„Süchtig“, ergänzte
Arnold erneut, worauf der Kommandeur mit einem Nicken antwortete und das ihm
fremde Wort sich merkte.
„Ja, er wurde süchtig. Schnell verlor er seine Stelle und hat
unser ganzes Geld für Opium ausgegeben. Nach seinem Tod waren meine Mutter und
ich sehr Arm. Es dauerte sehr lange, bis wir uns wieder ein normales Leben
aufgebaut hatten, durch harte Arbeit. Und weißt du, viele Menschen finden in
schweren Zeiten Gott, ich fand aber den Kommunismus.“
Abscheu kam Arnold hoch bei der bloßen Erwähnung des Wortes
Kommunismus. Er versuchte jedoch, seine Gefühle zu unterdrücken, da er Angst
hatte, erneut unwissend von der Stimme befallen zu werden. Nun erschien Arnold
aber jedes gesprochene Wort von dem Kommandeur ein Versuch, ihm vom Kommunismus
zu überzeugen.
„Das kommunistische
Manifest hatte ich bereits vor dem Tod von meinen Vater gelesen, doch dann
hatte ich es erst richtig verstanden“, fuhr der Kommandeur fort. „Vorher ging
es mir zu gut, um die … Bedeutung zu verstehen. Erst durch meine Zeit in Armut
lernte ich, wie wichtig es ist.“
„Also willst du die
Einwohner leiden lassen?“, fragte Arnold fassungslos, der von neuem Zorn
beflügelt wurde. „Du bist doch krank. Stalin und dir sind die Leute doch Scheiß
egal. Ihr wollt bloß mal Diktator spielen und andere leiden lassen.“
Kaum waren die Worte über Arnolds Lippen gekommen, die er mit
gesenkter, aber auch wütender Stimme dem Kommandeur an den Kopf schleuderte,
schon bereute er es, sie ausgesprochen zu haben. Sofort überprüfte Arnold, ob
die Stimme wieder seine Gefühle und Gedanken manipuliert hatte, da es ihn
selbst erschrak, dass seine Emotionen ihn so leicht übermannen konnten. Jedoch
konnte er kein Anzeichen der Stimme finden, weswegen er die Schuld für sein
Verhalten selbst trug.
Wut zeichnete sich auf das Gesicht des Kommandeurs, wobei er
über die Gleichsetzung mit Stalin regelrecht empört erschien.
„Wir wollen nicht Diktatoren spielen, wir sind das notwendige
Übel“, entgegnete der Kommandeur, der sich sichtlich zurückhalten musste. „Wir
wollen eine bessere Welt aufbauen. Wenn wir die Menschen Armut zeigen müssen
oder Reiche alles nehmen müssen, werden wir es tun. Es wird ihnen dann aber auch
besser gehen.
Wie würde es ihnen mit dem Kapitalizm gehen? Abstand von
Armen und Reichen würde mit den Jahren immer größer werden und viele der
Menschen hier werden nicht zu den Reichen zählen, nein. Sie werden dann für
immer arm bleiben. Schon mal in einem Stahlwerk gearbeitet? Ich müsste dort
jeden Tag arbeiten, um zu überleben. Es war die Hölle. Dass müssten dann viele
der Menschen hier durchmachen, nur damit dann die wenigen Reichen ihr Geld
bekommen.
Ich will dem einen Riegel aufbinden. Jeden auf dieselbe Stufe
bringen.
Und jetzt sag mir, was besser ist: Armut und Leid, welche nur
kurz anhalten und den Menschen etwas lehren oder welche, die sie ihr leben lang
haben?“
Als der Kommandeur mit seinem Monolog zu Ende kam, herrschte
eine bedrückende Stille. Arnold ließ sich die Frage durch den Kopf gehen und
suchte nach einer Antwort, die er geben und die alles entkräften könnte, was
der Kommandeur gesagt hatte, jedoch wurde er nicht fündig.
Der Kommandeur deutete das Schweigen Arnolds aber nicht als
einen Sieg seinerseits, sondern als ein Eingeständnis Arnolds, dass sein
Denkweise vielleicht fehlerbehaftet ist und überdacht werden sollte. Mehr
konnte der Kommandeur von ihm nicht erwarten.
Die Beiden wurden sich nun einig, das Gespräch an dieser
Stelle zu beenden, damit sich noch im Guten auseinander gehen könnten. Während
seines Heimwegs, ging Arnold den Dialog mit dem Kommandeur mehrmals durch, wie
bei ihrem ersten Treffen, und konnte sich erneut nicht entscheiden, was er vom
Kommandeur halten sollte.
Aber eines musste er sich eingestehen, sein Gegenüber hatte
einen Punkt, in dem was er sagte.
Kapitel 7
Seit dem Gespräch zwischen Arnold und dem Kommandeur war eine
Woche vergangen, die ohne weitere Zwischenfälle gesegnet wurde. Die Gruppe von
Arnold wurde ihm gegenüber verschwiegen, seit er sich geweigert hatte, sich
ihrer Arbeitsverweigerung anzuschließen. Das wenige, was sie noch in seiner
Anwesenheit sprachen, galt immer den Sowjets und war von bösartiger Natur,
wobei sie es vermieden, dass die Soldaten es mitbekamen.
Doch nicht nur seine ehemalige Gruppe mied ihn, viele der
Arbeiterinnen schenkten ihm nicht einmal einen Blick, da sie ihn nun auch als
ein Bückling der Russen ansahen. Natürlich handelte es sich hierbei nicht um alle
der Einwohner, bei denen er in Ungnade gefallen war, jedoch war es ein
beachtlicher Teil.
Auch wenn Arnold nun klar war, dass seine Gruppe, und auch
die anderen, welche sich unter den Einwohnern gebildet hatte, von der Stimme
beeinflusst wurden, kränkte ihn dieses abweisende Verhalten trotzdem. Erneut
fühlte er sich isoliert, wie bei seiner Odyssee zuvor, nur dass es dieses Mal
bitterer war, da er von Menschen umgeben und nicht alleine war. Gestärkt wurde
die Vereinsamung damit, dass es ihm nun auch unangenehm auffiel, dass er der
einzige Mann unter all den Frauen war, worüber ihn kein Mann auf Dauer beneiden
würde.
Mit den dahinstreichenden Tagen veränderte sich Arnolds
Gruppe aber auf Physisch. Ihre Haut wurde zunehmend bleicher, sodass sie schon
fast krank erschienen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Sie legten
derart an Muskelmasse zu, dass es Arnold schon erschrak, vor allem, da sie mit
jedem Tag weniger aßen. Auch wenn ihre Physik noch im Rahmen des Möglichen lag,
fiel einem jedem auf, der sie sah, dass dieser Zuwachs unmöglich von der Arbeit
alleine kommen konnte. Dem ganzen setzte nur noch der Haarausfall die Krone
auf. Fast jede der Frauen musste ein Kopftuch tragen, um die Reste ihrer
Frisuren zu vertuschen.
Es kam noch zu einigen Treffen zwischen Arnold und dem
Kommandeur, in welchen sie die derzeitige Lage besprachen, die leider relativ
unverändert blieb. Jedes Mal suchten sie sich ein anderes Versteck auf, wo sie
reden und dabei ungesehen bleiben könnten. Seit aber dem Disput, in ihrem
ersten geheimen Treffen, hielten sie die Konversation auf das mindeste
beschränkt, da keiner der Beiden die Energie für einen neuen hatte.
Arnold wurde in dieser Zeit auch nicht weiter von der Stimme
belästigt und er genoss es, seinen Verstand wieder für sich zu haben, etwas,
was er nie erwartet hätte, zu vermissen. Trotz dieser glücklichen Fügung hatte
sich eine Paranoia in Arnold breit gemacht, die wohl unumgänglich ist, wenn man
bedenke, was er in den letzten Monaten erlebt hatte. Ständig suchte er seinen
Geist ab, ob die Stimme nicht erneut wieder seine Gedankengänge manipulierte,
fand aber keine Spur von der Stimme. Leider reichte diese Gewissheit immer nur
einige Minuten an, bis die Panik, erneut eine Handpuppe des Bösen geworden zu
sein, ihn packte und er sich wieder auf die Suche machte.
Ihm war aber auch bewusst, dass er sich der Stimme früher
oder später hingeben musste, um das Kollektiv zu finden, da ansonsten die wilde
Jagd ihn für sein Versäumnis bestrafen wird. Jedoch wollte er zuvor sich etwas
sammeln und mental vorbereiten, bevor er sich erneut in die Klauen des
Kollektivs begab.
So verging die Zeit und das Tagesgeschehen wurde bald zu dem
immer selben ablaufenden Trott. Bei Arnold kam langsam ein vertrautes Gefühl
auf, wie er nur an der Front verlebt hatte und begrenzte die Arbeit seines
Geistes auf das mindeste, wobei ein Großteil dieser für die zwecklose Suche
nach der Stimme innerhalb seines Verstandes verschwendet wurde, damit die Zeit
etwas schneller verflog.
Am Ende der Woche veranstaltete der Kommandeur ein kleines
Fest, um die Einwohner für ihre harte Arbeit zu belohnen, was für ihn ein
essenzieller Teil ʺder Erziehungʺ der Menschen hier war. Es war nicht
besonderes, aber eine willkommene Abwechslung für Jedermann, auch für Arnold.
Das Fest wurde im Freien auf dem ehemaligen Marktplatz veranstaltet, da hier
genug Platz für die Veranstaltung war.
Für Essen und Musik sorgten die Soldaten, die in ihren
Aufgaben aufgingen. Unterstützung beim Kochen leistete Arnold, der sich trotz
der Differenzen, welche er mit den Sowjets hegte, sofort für diese Aufgabe
bereit erklärte, da es ihn endlich die Möglichkeit bot, seine Leidenschaft
wieder auszuleben, wie er es seit langen nicht mehr konnte.
Die Anspannungen, welche noch vor einer Woche das Verhältnis
zwischen den Soldaten und Einwohner dominierte, geschuldet durch die Gruppen,
war wie vergessen. Viele der sich fremden Menschen lachten und tanzten zu den
rhythmischen Klängen der neugebildeten Orchestern.
Der Kommandeur führte Gespräche mit einigen der etwas älteren
Frauen und gab ihnen eine Ausgabe des kommunistischen Manifests. Zuerst
erfühlte es Arnold mit einer Abscheu, da mit dem Kommunismus die Herrschaft von
Stalin verband, doch seit den Unterhaltungen mit dem Kommandeur und der
glücklichen Reaktion der Dame auf das Geschenk, wurde seine Abneigung etwas
gedämpft. Er musste aber eingestehen, dass er bei dem Anblick, wie der
Kommandeur das Buch überreichte, an die Stimme denken musste und diese nett
wirkende Geste als eine ähnlichen Korruptionsversuch deutete, wie das Kollektiv
es mit ihn und allen anderen Bürgen tat.
Nun wurde der Kommandeur zum Tanz aufgefordert und kam dieser
Anfrage mit einem lauten Lachen nach. Von Arnolds ehemaliger Gruppe kam nun die
Redeführerin, welche vor einer Woche die Auseinandersetzung mit dem Kommandeur
hatte, auf Arnold zu und auch sie bat ihn um einen Tanz.
Etwas verwundert nahm er die Einladung an begab sich mit ihr
unter die anderen, die einen leichten Walzer zum Lied tanzten. Nachdem sie sich
in den Takt rein gefunden hatten, eröffnete die Frau das Gespräch.
„Wie geht es dir Arnold? Wir haben ja in der letzten Zeit so
wenig geredet, ich hoffe du nimmst uns das nicht böse.“
„Mir geht es ganz gut“, antwortete Arnold, „und ich nehme
euch das nicht Übel. Kann es ja verstehen, dass ihr nicht grade auf mich gut zu
sprechen seid.“
„Es freut mich, dass du das verstehst. Wir müssen uns aber
für unser Verhalten wirklich entschuldigen. Es ist so viel in letzter Zeit
geschehen, da kann man ja mal den Blick für das Richtige verlieren. Dich unter
solchen Druck zu setzten, war falsch. Du hast ja sicherlich auch viel durch
gemacht. Außerdem bist du der einzige richtige Mann weit und breit. Dass macht
das Alles ja nur noch schlimmer für dich.“
„Ja, kann man sagen.“ Arnold entging es nicht, wie die Frau
wieder eine gewisse schärfe in ihre Stimme legte, die deutlich wurde, als sie
ihn als den einzige ʺrichtigenʺ Mann bezeichnete. Langsam beschlich ihn aber
auch, dass die Frau etwas im Schilde führte und dies nur das Vorgeplänkel dafür
sei.
„Wie lange warst du denn eigentlich an der Front?“, fragte
die Frau Arnold.
„Ehm, ich weiß nicht genau. Ungefähr vier bis fünf Monate.
Genau weiß ich es aber nicht.“
„Aha, und wann wurde dir mitgeteilt, dass der Krieg vorbei
war?“
„Na ja, … das war“, antwortete Arnold mit großen Zögern und
versuchte verzweifelt sich eine Lüge einfallen zu lassen.
„Ich frage nur, weil einige der anderen Soldaten schon längst
vor dir zurückgekehrt waren.“
„Ach, natürlich“, sagte Arnold mit einer gekünstelten Stimme,
als ihm die Lüge wieder einfiel, die der Kommandeur und er für so seine
Situation sich ausdachten. „Ich wurde kurz vor dem Ende von meiner Einheit
getrennt und musste alleine zurück finden. Wie konnte ich das nur vergessen.
Naja, wie du gesagt hast, es ist so viel in letzter Zeit geschehen, da kann man
ja so was vergessen in all der Schnelle.“
„Natürlich, das verstehe ich. Ich verstehe aber nicht, warum
du mich anlügst.“
„Was?“, fragte Arnold, bemüht die Beherrschung zu behalten,
„ich habe dich nicht angelogen.“
„Da hat mein Sohn etwas anderes erzählt“, antworte die Frau,
auf deren Gesicht sich nur ein gehässiges Lächeln zeigte, dass sie die ganze
Zeit mit Mühen verstecken konnte. „Er hat in derselben Einheit gedient, wie du
und uns davon erzählt, dass du feige weg gerannt bist, als der Russe ankam. Und
nicht nur das, jetzt hast du auch mit zusammengetan, um uns zu schaden.“
„Warte, nein, so …“
„Ach sei ruhig“, unterbrach die Frau Arnold mit gesenkter
Stimme, damit keiner der anderen Tänzer es hörte. „Mein Sohn hat dich
beobachtet und gesehen, wie du dich mit ihrem Anführer getroffen hast,
mehrmals. Er wollte dich sofort töten, aber unser Anführer hat es ihm
verboten.“
„Euer Anführer?“
„Tu nicht so, als ob du von ihm nicht wüsstest. Er will dich
immer noch zu einem von uns machen, obwohl du ein Bückling von Iwan bist und
alles, was wir erreichen können, zerstören willst, da es dir Iwan befohlen hat.
Du bist doch damals auch nur desertiert, um dich den Russen anzuschließen. Du
hast dich längst für eine Seite entschieden.“
„Was, nein!“, entgegnete Arnold, der sich nur mit Mühen
zurückhalten konnte, da es ihn sehr aufbrachte, was die Frau ihm für Lügen an
Kopf warf. „Ich habe mich für keine ʺSeiteʺ entschieden. Das ist doch dämlich.
Wieso müssen wir uns denn für eine Seite entscheiden? Damit erreicht man doch
nichts, außer dass wir uns nur gegenseitig schaden. Damit ist niemanden geholfen.“
Daraufhin herrschte einen kurzen Augenblick Schweigen, in
welchen keiner der Beiden es wagte das Wort zu ergreifen und die Frau die Worte
Arnolds bei sich sacken ließ, bevor sie weiter redete.
„Bevor mein Sohn wieder in Chemnitz ankam, musste er durch
Teile Deutschlands reisen. Was glaubst hat er auf dem Weg gesehen?“
Bevor Arnold die Chance hatte, eine Antwort auf die Frage zu
geben, kam die Frau näher an ihn heran und flüsterte in sein Ohr:
„Er hat gesehen, wie die Sowjets sich alles nahmen, was sie
wollten: Wertgegenstände, Land und Frauen, jeden Alters. Überall, wohin er kam,
war es dasselbe und immer waren es die Sowjets. Er ist auch anderen Kameraden
begegnet, die genau dasselbe gesehen haben.“
Kaum hatte sie Arnold, dass gesagt, schon entfernte sie sich
wieder ein Stück von ihm und nahm den eigentlichen Abstand wieder ein, der
zwischen den Tänzern herrschte.
„Was glaubst du, sind die wahren Absichten der Sowjets?“,
fuhr die Frau fort. „Uns helfen? Nein, das ganz sicherlich nicht. Sie wollen Ihre
Besatzungszone nur ausschlachten und in ein zweites Russland verwandeln. Alle
die gegen sie sind, werden ermordet oder entsorgt. Die Konzentrationslager
werden zu Arbeitslager, wo man die hinschicken kann, die ihnen nicht gefallen.
Wo ist der Unterschied, zu dem, was die letzten Jahre in Deutschland geschehen
ist. Wir tauschen nur ein Diktator, durch einen anderen ein, der uns erneut
eine Ideologie auf zwängen will. Nur dieses Mal wissen wir es besser.
Man kann sich nur noch für eine Seite entscheiden, da beide
nicht zusammen bestehen können. Und du hast schon längst bewiesen, für wen du
dich entschieden hast.“
In dem Gespräch mit der Frau merkte Arnold nicht, wie schnell
wie die Zeit verflogen war, weswegen es ihn erschrak, als das Lied für ihn abrupt
endete und die Frau, welche ihn keine fünf Sekunden zuvor böse Blicke zuwarf, als
sie mit ihm redete, nun mit einem Lächeln und Knicks sich von ihm
verabschiedete.
Völlig aufgelöst, stand Arnold einen Moment dar, bis er sich
fangen und sich etwas zurückziehen konnte. Ob die Frau ihm gerade nur Lügen
aufgetischt hatte, war ihm egal. Er glaubte jedes ihrer Wörter. Mitschuld daran
hatte die Stimme, welche sich während des Gespräches in ihm wieder einnisten
konnte und seine Gedankengänge vorsichtig manipulierte, aber nur in mickrigen
Ausmaßen, da sie es fürchtete, Arnolds Paranoia zu wecken, welche schwerlich zu
unterdrücken war.
Nun herrschte in Arnold ein innerer Kampf, was er als
nächstes tun sollte, woran die Stimme keinen Einfluss nehmen konnte, da das
sofort mit ihrer Entdeckung geendet hätte. Beide Seiten waren für Arnold untragbar
geworden und trotzdem müsste er sich auf eine schlagen. Einerseits wollte er
sich dem Kollektiv anschließen, um die Sowjets aus Deutschland zu vertreiben,
fürchtete aber zu einer willenlosen Handpuppe zu werden, die von ihrem blinden
Hass völlig zerfressen war. Andererseits wollte er das Schauspiel auch
überleben und sein eigener Mann sein, wofür er der wilden Jagd dienen musste,
damit war aber nicht gewiss, ob Chemnitz in die Händen der Russen bleiben
würde.
Als Arnold beide Optionen abwägt hat, erschien es ihm
sinnvoller, der wilden Jagd Folge zu leisten. Durch das Gespräch mit der Frau
plagten ihn nun aber einige Fragen, die dabei aufgekommen waren und seine
Entscheidung ins Wanken bringen konnte.
Erst jetzt wusste er endlich an wen er sich wenden musste, um
dem Chaos, welches die Frau in ihm verursacht hat, ein Ende zu setzen. Er ließ
seinen Blick über sein komplettes Umfeld schweifen, bis er endlich die
Silhouette von Hanns auf einem Häuserdach in der Nähe entdeckte. Nur er konnte
ihm Antworten geben.
Auf dem Dach eines noch intakten Hauses, welches Abseits von
dem Fest stand, trafen sich die beiden. Hanns konnte sich Arnolds Anliegen
erahnen, sich mit ihm unterhalten zu wollen, als dieser ihn anblickte und
direkt in seine Richtung stapfte.
„Was willst du?“, fragte Hanns mit einer ungeduldigen Stimme,
als Arnold bei ihm eintraf.
„Der Anführer der wilden Jagd, wer ist er?“
„Du willst wissen, wer Wodan ist?“, fragte Hanns verdutzt.
„Wodan ist der Göttervater. Herr des Krieges, der Toten,
sowie der Magie. Seine Heldentaten sind in unzähligen Lieder verewigt. Er
verfügt über ein unvergleichbares Wissen und gebietet über die Menschen. Reicht
das?“
„Wenn er so allmächtig ist, warum hat er das dann alles zu
gelassen?“ Arnold zeigte dabei auf die Trümmer der Stadt, um zu
veranschaulichen, was er genau meinte.
„Nur weil er über euch gebietet, muss er nicht die Mutter für
euch spielen. Ihr seid für euer Leid selbst verantwortlich“, antwortete Hanns,
der Arnolds langsam überdrüssig wurde.
„Ja, aber ist doch der Herrscher. Er hat eine Verantwortung
uns gegenüber. Er hätte das alles doch verhindern können, oder? Warum hat er
das alles zugelassen? Es ist doch seine Pflicht, uns ein gutes Leben zu
ermöglichen und nicht leiden zu lassen.“
„Wage es ja nicht Wodan mit menschlichen Herrschern
gleichzusetzen“, entgegnete Hanns aufgebracht. „Du hast nicht das Recht ihn zu
kritisieren, nur weil es dir oder den Menschen gerade schlecht geht. Es ist
nicht seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihr euch nicht alle wie Hunde
angeht, dir ihr seid. Du bist bloß eine simple Schachfigur, die die Ehre hat,
von Wodan bewegt zu werden. Gedenke nicht, dass du einen freien Willen hast. Du
hast dich zu beugen, wenn er es befiehlt.
Hast du das verstanden?“
„Ja“, antwortete Arnold nach einer kurzen Pause.
„Gut. Wenn du nochmal zu mir, mit einem solch nichtigen
Anliegen kommst, zerschmettere ich dir eines deiner Beine. Und jetzt mach dich
gefälligst nützlich.“
Unter Zorn ritt Hanns weg und verschwand im Himmel, wobei man
ihm kaum mit den Augen folgen konnte.
Von der innerlichen Zerrissenheit, war nun keine Spur mehr in
Arnold zu finden. Das Gespräch hatte ihm die Antwort gegeben, die er benötigte,
um eine Entscheidung zu fällen. Sofort machte er sich der Stimme bewusst, von
der er nun erwartete, dass sie wieder zu ihm durchdringen konnte.
Anstatt sie aber zu verjagen, nahm er sich ihrer an und ließ
seinen Hass schüren, der auch ohne ihre Wirken nun eine noch nie da gewesene Größe
erreicht hatte, die sein komplettes Denken steuerte.
„Ja“, sagte Arnold zu sich selbst, als die Stimme ihre Macht
in ihm ausbaute, „ich weiß nun, was ich zu tun habe.“
Kapitel 8
Noch am selben Tag ließ Arnold dem Kommandeur eine Nachricht
zu kommen, dass sie über einige Neuigkeiten reden müssten. Vor dem Treffen
musste er aber einige Erledigungen tätigen, wobei die Stimme ihm ein treuer
Gehilfe war, mit dem sich diese in aller Schnelle erledigen ließen.
So wurde Arnold früher fertig, als er erwartet hatte und
musste die verbliebenen Stunden in tiefen Grübeln verbringen. Sein Beschluss
war in Stein gemeißelt, trotzdem hatte er Zweifel, das Richtige zu tun. Durch
die vergangene Zeit hatte der Kern gelernt, Arnold nicht mehr völlig
anzustacheln, sondern lediglich zu ermutigen, da der Zuwachs seines Hasses
deutlich größer war, wenn er die Entscheidung willentlich selbst traf, vor
allem da er sich der Stimme bewusst war.
Wenn sich Arnold seinem Hass widmete, konnte er die Stimme
hören, welche ihm den Hauch eines Weges zuflüsterte, der direkt zu dem Kern
führen würde. Der Kern war sich zwar den Risiken bewusst, nachdem sich seine
Theorie bestätigte, dass Arnold von der wilden Jagd geschickt wurde, aber er ließ
keinen Zweifel in sich gedeihen, dass Arnold ein weiterer Begleiter, in seinen
Kampf sein würde.
Es gibt
keinen Zweifel, dachte sich der Kern. Er
wird sich uns nicht mehr entziehen. Er hat nun die Wahrheit gesehen und
versteht uns. Er wird alles tun, was notwendig ist und sich seinen Hass derart
hingeben, dass er ihn an jemanden auslassen muss, der keine Schuld trägt. Er
wird ihn töten.
Nachdem die Sonne untergegangen war und die Musik und
Festlaute, welche noch eine Weile andauerte, kam der Kommandeur an, welcher
sich durch eine dichten Nebel kämpfen musste, der die letzten Stunden
aufgezogen war. Ein großes und zufriedenes Lächeln begleitete die freudige
Umarmung, mit welcher er Arnold begrüßte.
„Uhilg, wo warst du nur? Es war toll. Du hast viel verpasst.“
Arnold war durch das unerwartete Auftreten des Kommandeurs
etwas verdutzt konnte sich aber schnell wieder fangen.
„Ich hab mich etwas unwohl gefühlt und … musste etwas
nachgehen“, antwortete Arnold.
„Oh, ich hoffe dir geht es wieder gut.“
„Ja, das war nicht so schlimm.“
„Verstehe. Und warum wolltest du mich treffen? Wegen deinen
…“
„ʺErmittlungenʺ, beendete Arnold den Satz des Kommandeurs, da
er in seinem Wortschatz kein passendes Wort finden konnte.
„Ja, … nehme ich an. Ach, wenn wir nur russisch reden
könnten, dann hättest du ein anderes Bild von mir.“
„Also, ja, ich wollte mich mit dir treffen, wegen meinen
ʺErmittlungenʺ, aber das kann warten. Erzähl aber, waren die Musiker nachher
schlimm besoffen?“
Mit einem Lachen, welches der Kommandeur unterdrucken musste,
da beide immer noch darauf bestehen mussten, dass sie unentdeckt blieben,
erzählte er von den Musikern, die kaum gerade still stehen konnte, da sie
ordentlich in die Flasche gekuckt hatten.
Diese Auskünfte, welche für den Kommandeur die Möglichkeit
bot, den Tag nochmal Revue passieren zulassen, waren für Arnold lediglich ein
Trick, mit welchen er den Kommandeur ablenken konnte, während er sich auf sein
geplantes Attentat mental vorbereitete. Eigentlich war sich Arnold sicher, dass
er in den Stunden, welche er auf den Kommandeur warten musste, sich derart auf
den Mord seelisch vorbereitet hatte, dass dies binnen Sekunden erledigt sein würde,
es war ja nicht das erste Mal, dass er jemanden töten musste. Und trotzdem
zögerte er.
Als einen Freund würde Arnold den Kommandeur nicht
bezeichnen, da seine Abscheu gegen die Sowjets dies verhinderte und er dafür seinen
Name wissen müsste, trotzdem hegte er gegen ihn kein Groll, was es ihm hätte
leichter gemacht, ihn zu erschießen.
An die Pistole kam Arnold durch die Hilfe der Stimme, welche
eine Frau zu ihm schickte, welche ähnlich weit fortgeschritten war in ihrer
Korruption, wie die Mitglieder seiner ehemaligen Gruppe, und die ihm die Waffe
gab, die sie bis dahin versteckt hielt.
Innerhalb des recht einseitigen Gespräches wandte der
Kommandeur Arnold immer mehr den Rücken zu, als er sich nebenbei in der Ruine
umsah, um den Schaden des Gebäudes zu begutachten. Dabei zog sich Schatten der
Trauer auf sein Gesicht, welcher keinem Schauspiel zu Grunde lag und sich
Arnold zeigte, wenn auch nur bedingt, den Lichtverhältnissen und der abgewandten
Position des Kommandeurs zu schulden.
Zögernd zog Arnold die Waffe langsam aus seiner Jackentasche
und versuchte das Attentat abzuschließen, wobei sein Zögern die Überhand zu
gewinnen drohte. Um ihn zu unterstützen, sorgte die Stimme dafür, dass sich Arnold
an das Gespräch mit Hanns erinnerte. Die Zweifel wurden sofort von dem
kurzzeitig vergessen Hass nieder gerungen und gaben ihm die Kraft den Mord zu
begehen.
Gerade als Arnold die Pistole zum Zielen anlegte, während der
Kommandeur nichtsahnend von den Geschehnissen erzählte, die in Arnolds
Abwesenheit passiert waren, ließ der Schrei einer Frau sie beide in ihrem
Treiben innehalten. Zu Arnolds Glück kam der Schrei aus der Richtung, in welche
der Kommandeur ohnehin schon blickte, wodurch er die Waffe nicht sah, die
Arnold nun wegsteckte.
In dem Schrei lag ein Schrecken, der ihnen das vermutliche
Schicksal der Frau bereits verriet. Der Kommandeur zog unverzüglich seine Waffe
und begab sich in die Hocke, was Arnold ihm gleich tat, wobei er seine Waffe
dort ließ, wo sie war.
„Sollen wir dem nachgehen?“, fragte Arnold in einem leiseren
Flüstern als zuvor, nachdem er sich zu dem Kommandeur begab.
„Ja, sollten wir …“, flüsterte der Kommandeur, wobei er
deutlich noch abwog, ob sie sich der potentiellen Gefahr aussetzen sollten, bis
er schnell zu einem Ergebnis kam. „Na gut, wir gehen in die Richtung, aber mit
Vorsicht. Wir wissen nicht, wer dort draußen ist. Wir machen nichts Dummes. Wir warten auf Verstärkung.
Das müssen noch andere gehört haben.“
Schleichend begaben sich die zwei in die Richtung, aus
welcher der Schrei kam. Sie gingen dabei nie auf der offenen Straße, sondern
nur im Schutze der vielen Trümmerteile. Schnell kamen sie bei dem Ursprungsort
an, von wo aus der Ruf getätigt wurde. Dort fanden sie die Leiche einer jungen
Frau, welche brutal ermordet wurde.
Selbst ein Schelm der Medizin hätte erkannt, dass die Frau
Spuren auswies, als ob sie von einen wildes Tier angefallen wurden wäre. Tiefe
Schnittwunden, welche von Klauen verursacht wurden, zeichneten sich über ihren
Brustkorb, der mit großer Wucht aufgerissen wurde. Ihr Kopf wurde scheinbar mit
einem Gegenstand eingeschlagen und nur noch Reste waren von diesem vorhanden.
Es erforderte schon ein genauerer Blick, um die Leiche als eine Frau zu
identifizieren.
Arnold war zwar den Anblick von entstellten Leichen durch den
Krieg gewohnt, doch die Reste dieser armen Seele erregte seine tiefste Abscheu
und er musste sich die Hand vor den Mund halten und den Blick abwenden. Der
Kommandeur hingegen war etwas abgebrühter, doch auch ihn schockierte der Körper
der armen Frau. Neben dem frischen Blut, was eine Pfütze auf der Straße um die
Leiche bildete, konnte man eine Blutspur erkennen, die sich vom Tatort
entfernte.
Hierbei konnte es sich entweder um den Täter handeln oder
eine weiteres potentielles Opfer, welches noch in Lebensgefahr schwebte und
vielleicht verletzt war. Leider war die erhoffte Verstärkung noch nicht vor
Ort, weswegen die beiden erneut nachdachten, ob sie der Spur folgen sollen, um
den Täter zu stellen oder eine unschuldige Person zu retten, sich dabei aber in
Lebensgefahr zu begeben.
Fluchend musste der Kern feststellen, dass die Stimme ihre
Vormachtposition verlor, als Arnold die Reste dieses unglücklichen
Missgeschicks sah, welches in seiner Unachtsamkeit ihren Ursprung hatte. Er
hatte sein Fokus völlig auf Arnold gelegt, wodurch er seine anderen Soldaten
vernachlässigte, die seiner Führung dringender benötigten, da ihr Hass ihnen
jeglichen logischen Gedanke verbot und der Kern diese ersetzte. So hatte ihr
Hass sie zu dieser zwecklosen Gräueltat verleitet und ihren Blutdurst geweckt,
der sich wohl noch auf ein weiteres Opfer richten sollte.
Sie wieder in Reihe und Glitt zu bekommen, dürfte kein
leichtes Unterfangen sein, vor allem da sie noch nicht mit ihrem Massaker
abgeschlossen hatte.
Wenn Arnold
auf einen treffen sollte, dachte der Kern, ist
er wahrlich auf ewig verloren.
Angespannt folgten die beiden der Blutspur, die mit jeder
weiteren an Stärke verlor, bis sie ganz abebbte. Ohne weiteren Anhaltspunkt
suchten sie vorsichtig den Ort ab, ob sie einen weiteren Hinweis auf den Geflüchteten
finden könnten. Ein leises Wimmern erregte Arnolds Aufmerksamkeit, welches aus
einer Gasse, in der Nähe des letzten Bluttropfens, kam.
Nachdem Arnold dem Kommandeur ein Handzeichen gab, dass er zu
ihm kommen soll, fragte dieser, mit erhobener Waffe, in die Gasse hinein, wer
sich dort befand. Die Waffe stellte sich als sinnlose Sicherheitsmaßnahme
heraus, da die Person, welche sich auf die Frage des Kommandeurs zu ihnen hin bewegte,
nicht der Täter war, sondern einer der älteren Damen, welche ein
kommunistisches Manifest von dem Kommandeur erhielt.
Sofort packte sie die beiden an den Ärmeln und zog sie
panisch in die Gasse hinein.
„Gott sei Dank“, wimmerte die alte Frau, als sie in der Gasse
standen, „ihr müsst mir helfen. Bitte, … bitte. Helft mir.“
„Ganz ruhig, du musst dich beruhigen“, sagte der Kommandeur.
„Was ist passiert?“
Es dauerte eine Weile bis sich die alte Dame wirklich derart
gefangen hatte, dass sie weiterreden konnte. Sie war sichtlich unter Schock.
Ihre Kleidung war an einigen Stellen wie von Klauen zerrissen und war völlig
mit Blut bedeckt, wovon ein Großteil aber nicht ihr eigenes war. Die einzige
sichtbare Verletzung, die die alte Dame aufwies, war eine Schnittwunde an ihrer
Schulter, welche sie mit einem Fetzen Stoff notdürftig verbunden hatte. Arnold
half ihr dabei, sich wieder zu beruhigen, indem er ihr sagte, dass sie
kontrolliert und nicht hektischen atmen sollte. Mit jedem tiefen Atemzug fielen
ihr mehr graue Haare ins Gesicht, welche sie zuvor in einem strengen Zopf zusammengebunden
waren, der sich aber im Laufe der Flucht gelöst hatte.
„Ja“, sagte die ältere
Dame schwer atmend, „es geht wieder.“
„Gut“, antwortete der Kommandeur und ließ sie so langsam los,
als fürchtete er, sie könnte ohne seinen Griff zusammenfallen. „Kannst du jetzt
sagen, was passiert ist?“
„Ja, … das kann ich“
Es dauert einen Augenblick, bis sie erneut antwortete, da sie
mit den frischen Erinnerungen zu kämpfen hatte.
„Wir, … meine Tochter und ich, wir waren auf dem Heimweg von
der Feier, als wir was gehört haben. Jemand war uns gefolgt und … und überfiel
uns.“
„Das machen sie sehr gut“, ermutigte der Kommandeur, da die
Frau wieder in Panik zu verfallen schien. „Wissen sie noch, wer sie angegriffen
hat?“
„Das waren diese Dinge. Oh Gott, … sie waren schrecklich. Sie
haben uns beschimpft, … uns Verräter genannt, bevor sie …“
Die ältere Dame hielt sich nun die zitternde Hand vor dem
Mund und musste sich schluchzend an dem Kommandeur festhalten, damit sie nicht
zusammenbrach.
„Ganz ruhig, alles ist gut. Wir bringen sie nun von hier
weg“, sagte der Kommandeur und wollte mit ihr aus der Gasse hinaus gehen.
Bevor er aber einen Schritt machen konnte, hörten sie das
schwerfällige Stapfen von zwei Gestalten, welche auf der Straße liefen, die sie
noch nicht weiter lang gelaufen waren. Das Wimmern der Frau nahm zu, da ihr
diese wohl bekannt waren.
„Hier muss er hin
sein“, sprach einer der Gestalten mit einer grollenden Stimme, die mehr dem
einem Monster aus einem Märchen glich, als dem eines Menschen.
„Er ist ihr gefolgt. Will sie für uns töten“, versicherte
eine weitere Stimme, die ähnlich unnatürlich klang, wie die vorherige.
„Aber warum können wir ihn nicht spüren und wo sind die
anderen, die ihn suchen sind? Die können wir auch nicht spüren“
„Mhmmm, weiß nicht, aber vergiss die. Die kommen zurecht,
aber er nicht. Wir sollten suchen.
Langsam fingen die Gestalten an, die Straße zu durchkämmen,
was sich durch den Nebel für sie schwieriger erwies als für Arnold und den
Kommandeur. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis sie auf die Gasse stoßen
würden.
Jegliche gewonnene Beherrschung war aus der alten Frau
gewichen, deren Gesicht durch ein Schwall aus Tränen überflutet wurde. Nur schwerlich
konnte sie ein Schluchzen unterdrücken und ihre Strähnen, welche ihr im Gesicht
hangen, verklebten sich in den Tränen und dem Schweiß, die beide ihren Ursprung
in einer berechtigten Todesangst hatten.
Dem Kommandeur und Arnold war der Ernst der Lage wohl bewusst
und sie zögerten nicht, unverzüglich den Rückzug anzutreten, um den Fängen
dieser Hünen zu entgehen. Dabei mussten sie die ältere Dame mit sich führen, da
diese durch ihren Schock völlig gelähmt war.
Schleichend begaben sie sich tiefer in die Gasse hinein, bis
die Umrisse des Endes dieser in Sicht kam. Der Kommandeur, welcher vor Arnold
und der alten Frau lief, hielt abrupt an und gab ihnen ein Handzeichen, dass
sie es ihm gleich tun müssen. Bevor Arnold fragen konnte, was diese Verzögerung
soll, vernahm er erneut das schwere Stapfen, welches aus der Straße kam, in
welche das Ende der Gasse mündete. Begleitet wurden die Schritte von grollenden
Stimmen, die sich miteinander unterhielten, aber zu leise waren, dass Arnold
sie genau verstehen konnte. Er konnte nur feststellen, dass sie sich verteilt
auf der Straße befanden und wohl ebenso auf der Suche nach ihnen waren.
Gerade als er versuchte, auszumachen, wie viele dieser
Gestalten ihnen den Weg versperrten, hörte er hinter sich das leise Echo der
beiden Verfolger, die den Eingang der Gasse entdeckt hatten und diesen gerade
entlang gingen. Unter dem harmonischen Spiel seiner Mutter, versuchte Arnold
verzweifelt einen Plan zu überlegen, wie sie aus dieser Situation heil
herauskommen könnten, während er mit sich kämpfen musste, nicht völlig der
Panik und dem einsetzenden Zittern zu verfallen.
Ein Blick konnte Arnold aber noch nicht auf die beiden Hünen
werfen, deren Schritte mit jedem neuen lauter wurden und ihm ein Stück näher zu
einer Angstattacke brachten. Jedoch erwies sich der Nebel auch zu ihrem
Vorteil, da er auch den Verfolgern noch keine Möglichkeit bot, sich ihrer
Anwesenheit bewusst zu werden.
Leise auf Russisch fluchend begab sich der Kommandeur näher
an den Ausgang der Gasse und verschwand fast völlig aus der Sicht Arnolds. Was
er genau damit bezwecken wollte, wusste Arnold nicht. Er verschwendete darauf
aber auch keinen Gedanken, da er nun jede Stelle um sich herum nach einem
möglichen Versteck absuchte, aber nicht fündig wurde.
Nach Beherrschung ringend, versuchte Arnold nun selbst durch
ruhiges und langsames Atmen, welches weiter von dem Klavierspiel in seinem Kopf
unterstützt wurde, wieder einen klaren Verstand zu bekommen. Die ältere Dame
war in tiefes Zitterten übergangen und gab ohne Pause Stoßgebete von sich, in
welchen sie wohl um Unterstützung bat, worüber sich Arnold aber nicht sicher
war, da ein leises Schluchzen ihre Worte fast vollständig unkenntlich machten.
Nachdem das Stapfen der Verfolger so laut wurde, dass Arnold
mit zittrigen Händen nach seiner Waffe greifen wollte, erschien der Kommandeur
wieder bei ihnen. Neben seinen nervösen Händen, die sich ineinander vergriffen
hatten, und dem leicht angespannten Gesicht konnte man dem Kommandeur keine
weiteren Anzeichen seiner Angst ansehen, welche Arnold und die ältere Dame so
in ihren Griff hatte.
„Hört mir zu“, begann der Kommandeur mit leicht bebender
Stimme, als er sich der Nähe der Verfolger bewusst wurde, „wir müssen
verschwinden oder wir sind tot. Ich konnte keinen Weg finden, welchen wir gehen
könnten, … außer über die Straße.“
Mit schockierten Blick schauten Arnold und die ältere Dame
dem Kommandeur fassungslos an. Bevor sie aber Einwände gegen den Plan anbringen
konnten, nahm der Kommandeur erneut das Wort:
„Wir haben keine Wahl! Die Männer sind nicht so nah, wir ihr
denkt. Wir können uns durch schleichen, wenn wir komplett leise sind.“
„Nein, … ich gehe nicht dorthin, dass ist …“
Bevor die ältere Dame aussprechen konnte, kam der Kommandeur
ihr zuvor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Was genau er sagte, konnte Arnold
nicht verstehen. Das einzige, was er erkennen konnte, war, dass die ältere Dame
etwas aus ihrer Jacke heraus holte und fest an sich drückte.
Jegliche weitere Einwände, die von Arnolds Seite hätten
kommen können, wurden unter dem Stampfen der anrückenden Verfolger begraben. Mit
dem Kommandeur an der Spitze, der älteren Dame in der Mitte und Arnold am Ende,
machten sie sich aus der Gasse hinaus.
Durch den dichten Nebel, welcher sich durch die ganze Stadt
zu erstrecken schien, konnte Arnold gerade noch den Kommandeur sehen, welcher
keine zwei Meter von ihm entfernt war. Die weiteren Gestalten, welche um sie
herum alles absuchten, erfüllten die Umgebung mit ihren tiefen Stimmen, die
sich in derselben Manier unterhielten, wie ihre beiden Verfolger.
Arnold fiel gleich nach den ersten Schritten auf, die der
Kommandeur trat, welche die ältere Dame und er wie zahme Hunde blind befolgten,
dass sie keinem klaren Weg hinterher gingen, sondern nur den Gestalten
auszuweichen versuchten. So waren die Stimmen der Hünen um sie herum, ihre
einzige Orientierungsquelle, diese völlig wirr über die komplette Straße
schickte.
Nach einer schirren Ewigkeit, in welcher Arnold und auch die
ältere Dame vor Anspannung die Luft anhielten, ertönte in ihrer Nähe das Echo
von Gewehrschüssen, die mit den entfernten Schreien eines weiteren Hünen
beantwortet wurde.
„Sie sind da“, sprach einer der Gestalten, welcher sich in
ihrer Nähe befand. „Sollten wir abhauen oder weiter suchen?“
Unter den restlichen Hünen entfachte nun eine Debatte, ob sie
ihre Suche abbrechen oder fortsetzten sollten. Anstatt aber geordnet zusammen
zu entscheiden, redeten alle Durcheinander, was ein schnelles Ergebnis
unmöglich machte.
Um nicht vor Erleichterung laut loszulachen, musste Arnold
sich beide Hände vor dem Mund halten, welche ein breites Lächeln jedoch nicht verhindern
konnten. Dem Kommandeur fiel ebenfalls sichtlich die Anspannung aus dem Gesicht
und die ältere Dame brach dieses Mal in Freudentränen aus.
Nun konnte Arnold sehen, dass die ältere Dame die ganze Zeit
ein kommunistisches Manifest in ihren Händen hielt und eng an sich drückte.
Ohne es zu wollen oder gar die Chance haben, es zu kontrollieren, durchfuhr
Arnold der vergessene Hass, welche ihn dazu gebracht hatte, den Kommandeur
töten zu wollen, als er das Schriftstück erblickte. In diesem kurzen Aufblitzen
griff er fast reflexartig nach der Stimme, welche sich jeder Chance annahm,
eine weitere Person zu bekehren, es sei denn der Kern verbot es.
Fluchend bemerkte eben jener, dass sich Arnold wieder mit der
Stimme verband. So schnell er konnte trennte er die Verbindung, damit sie sich
nicht derart festigte, dass es selbst für ihn schwierig war, sie wieder zu
lösen.
Kaum hatte Arnold die Stimme in sich bemerkt, schon war sie
verschwunden, ebenso wie der Hass, den er gleich wieder zu begraben versuchte,
da dies nicht der geeignete Platz war, sich mit diesem zu beschäftigen. Nun
fiel Arnold auf, nachdem er sich seinen Hass vor erst befreit hatte, dass die
Gesichter von der alten Dame und dem Kommandeur jegliche Farbe verloren hatten
und in völliger Angst erstarrt waren.
Es düngte ihm, was die beiden derart schockiert hatte. Sicher
war er sich aber erst, als er bemerkte, dass die Diskussionen der Gestalten
aufgehört hatten und um sie herum eine drohende Stille herrschte. Als Arnold
nun genauer in den Nebel schaute, bemerkte er, dass sie 6 riesigen Sillouten,
deren ganzer Anblick der Nebel immer noch verschleierte, umzingelt hatten und
anstarrten.
Plötzlich trat einer dieser direkt vor Arnold und beugte sich
zum ihm herunter, um ihm mit einen großen Lächeln zu begrüßen.
„Ach da bist du!“, sagte die Gestalt mit freudigen Ton, der
in dessen monströsen Stimmlage Arnold einen Angstschauer über den Rücken jagte.
„Ich hab mich schon gefragt, wo du bist.“
Die restlichen Hünen folgten ihrem Kameraden und rückten in
das Sichtfeld der Gruppe, nur das sie sich den Kommandeur und die ältere Dame
schnappten und festhielten. Sofort stolperte Arnold rückwärts, als sich das
Wesen zu ihm gebeugt hatte, wobei er schnell ausrutschte und auf sein
Hinterteil fiel. Eigentlich dachte Arnold, dass er von Kraft erfüllt werden
würde, wenn er sich den Hünen ausgesetzt sähe, wie bei seiner Fahnenflucht, die
ihm zur Flucht verhelfen würde, dies war aber weit gefehlt. Wie ein Boxer, der
einen kräftigen Schlag gegen das Kinn abbekommen hatte, versagten seinen Beine
und weigerten sich, ihm irgendeinen Dienst zu tätigen. Einzig zittern konnte
sie noch, wie sein restlicher Körper, der sich wie ein Pendel einmal in
panischer Angst und dann wieder in schieren Unglauben senkte.
Mit einer Körpergröße von fast drei Meter überreichten die
Giganten Arnold und die anderen bei weitem. Sie hatten eine graue aufgedunsene
Haut, die sich wohl länger schon dem Tageslicht entzogen hatte. Von ihrer
Statur glichen sie mehr einem Gorilla, als einem Menschen. Ihre Arme waren
derart riesig, dass sie sich nach vorne beugen und sie als Unterstützung zum
Laufen nutzen mussten, da ihre kleiner ausgefallenen Beine sie unmöglich
alleine voran bringen könnte. Dadurch verfügte jeder der Hünen auch über einen
Buckel, der sie daran hinderte, ihre volle Größe zu entfalten. Über Haare
verfügte keines der Wesen, weswegen auf jedem ihrer Antlitze eine Glatze
thronte.
Unter ihrer Haut zeichneten sich Muskel ab, die jede Faser
ihres Leibes bedeckten und ihnen unvorstellbare Kräfte verleihen mussten. An
Kleidung trugen die meisten lediglich die Reste einer zerrissenen Hose, da ihre
monströsen Körper keine andere zuließen.
Diesen Anblick allein hätte Arnold vielleicht noch ertragen
können, aber nicht den ihrer Gesichter. Auch wenn jedes der Monster ein anderes
hatte, so teilten sie sich eines, man konnte nur mit viel Fantasie erahnen,
dass sie einst menschlich waren. Bei der Gestalt, welche Arnold begrüßt hatte,
zeichnete sich eine riesige Narbe senkrecht durch sein Gesicht bis zum Kinn und
hinterließ dort eine widerwärtige Kluft im Fleisch. Ob sie von einer
Schnittwaffe oder auf andere Art entstanden war, konnte Arnold bei bestem
Willen nicht sagen. Dem Kiefer des Hünen fehlten fast jegliche Zähne und er
verfügte nur noch über die Reste seiner Lippe, da ein Großteil dieser von der
Narbe vernichtet wurde. Seine Augen hatten ihren ursprünglichen Posten
verlassen und befanden sich an komplett anderen Stellen. Das eine lag knapp
über dem Kiefer während das andere in die Nähe der großen Narbe gewandert war.
Eine Nase sucht man vergebens und nur noch die Reste dieser zeigten sich in dem
Gesicht.
Durch diesen grotesken Anblick gebannt, hatte Arnold nur
einen kurzen Blick auf die anderen Monster geworfen, aber sie besaßen über
ähnlich abstoßende Gesichter wie Leiber. Erst als er seinen Blick von der immer
noch lächelnden Fratze des Hünen abwenden konnte, der noch vor Arnold stand,
bemerkte er, dass jedes der Wesen über Krallen verfügte, die ihre Pranken nur
noch gefährlicher machten, welche aber über nur drei Finger verfügten.
Scheinbar ging ihre schiere Masse mit einer ebenso großen
Beschränktheit einher, da erst einige Sekunden vergehen mussten, bis die
Monster bemerkten, dass Arnold über ihre Erscheinung nicht so glücklich war,
wie sie.
„Was hast du?“, fragte der Hüne vor Arnold, dessen Miene nun
von einer fast kindlichen Neugier erfüllt wurde. „Wir sind doch hier, um zu
helfen, Arnold.“
„Woher weißt du wie ich heiße?“, fragte Arnold mit bebender
Stimme, welche seine Angst fast gänzlich erstickte.
„Erkennst du mich den nicht? Ich bin es, …, wir haben doch
zusammen gedient.“
Alles, was sich um Arnold befand, schien wie erstarrt zu sein,
ihm selbst ausgeschlossen, als die Erkenntnis ihn überwältigte und er in der
widerwärtigen Fratze tatsächlich verbliebene Merkmale eines Mannes erkennen
konnte, den er einmal seinen Kameraden geschimpft hatte. Dieses Ding vor ihm
war wirklich einmal ein Mensch gewesen, sie alle waren einmal Menschen.
„Nein, nein, nein, nein, … dass kann … niemals“ Selbst dem
Monstrum vor Arnold fiel es schwer, ihn zu verstehen, da dieser unaufhörlich
sein Kopf schüttelte und seine Worte so schwach waren, dass sie fast sofort in
der Stille wieder vergingen, bevor sie irgendjemandes Ohre erreichen konnten.
Gerade wollte der ehemalige Kamerad von Arnold erneut das
Gespräch wieder anfangen, da kamen ihm die Entsetzensschreie der alten Frau zuvor.
Rotz und Wasser überströmten ihre von Panik zerfressene Miene und sie wand sich
in den Griffen der Bestien, die sie an ihren Armen festhielten. Ihr
erbärmliches Aufheulen vermochte es in Arnold, trotz des Schocks, in welchem er
sich befand, tiefes Mitleid für diese arme Seele hervorzurufen.
„Halt die Schnauze!“, plärrte das Monster vor Arnold und
verpasste der alten Dame einen derart starken Hieb, dass sie aus den Griff
ihrer Geiselnehmer geschleudert wurde.
Mit schockierten Blick musste Arnold beobachten, wie die alte
Dame schwer mit ihrem Gesicht auf dem Boden aufkam und vorerst reglos dort liegen
blieb. Gerade als er sich ihres Ableben sicher war, zuckten ihre Glieder auf
und unter größten Mühen versuchte sie sich, auf alle viere zu stemmen.
Kaum hatte sie ihren Oberkörper von den Asphalt etwas angehoben,
schon schoss ein Schwall aus Blut aus ihrem Gesicht hervor. Wie schlimm die
zugefügte Wunde war, konnte Arnold nicht sehen, da die Distanz zwischen ihnen
zu groß war, um durch den Nebel klar sehen zu können.
Dem Kommandeur schoss der Zorn ins Gemüt und er versuchte
verzweifelt mit seiner Pistole, welche noch immer in seiner linken Hand war, auf
das Gesicht oder andere Stellen der Monster, die ihn festhielten, zu zielen, an
denen er größtmöglichen Schaden verursachen könnte, wenn er abdrücken würde.
In Sekunden hatte sich eine Pfütze Blut unter der alten Dame
ausgebreitet, die dazu überging, von den Monstern wegzukriechen, da sie zu
schwach war, um aufstehen zu können. Tiefes Lachen machte sich unter den Hünen
breit, als sie den Fluchtversuch mit ansahen.
Einem dieser Unholde überkam der Tatendrang und er verpasste
der alten Dame ein Tritt in den Bauch, welcher sie leicht in die Luft hob und
wieder in die Nähe von Arnold und dem Kommandeur schleuderte. Nun konnte Arnold
einen Blick auf das zerfetzte Gesicht werfen, als sich die ältere Dame am Boden
vor Schmerzen zusammenkrümmte und unentwegt Blut aus den Resten ihres Mundes
hochwürgte.
Hilfesuchend blickte die ältere Dame den Kommandeur mit ihrem
verbliebenen Auge an und gab ein röchelndes Geräusch von sich, was wohl der
Versuch war, ihn etwas sagen zu wollen.
„Du Verräterin!“, zischte der ehemalige Kamerad von Arnold
die ältere Dame an. „Willst bei Iwan betteln gehen?! Er wird dir nicht helfen.
Du bekommst, was du verdienst, wie deine Tochter!“
Es zauberte sich ein breites Lächeln auf jedes der
entstellten Gesichter, als die Bestien mit Freude beobachteten, wir der
ehemalige Kamerad von Arnold zur Abwechslung verbal angriff, womit er sich aber
nicht länger zufrieden gab. Schon als er die ältere Dame beschimpft hatte,
suchte sich das Monstrum die nächste Stelle aus, die er zerreißen wollte.
Schnell hat er seine Wahl getroffen und holte mit einer
seiner Pranken Schwung aus und Schlug auf das linke Bein der Frau. Der Klang
des brechenden Knochen und die qualvollen Schreie der ältere Dame, bei dem nur
mehr Blut aus den Resten ihres Mundes spritze, brachte Arnold fast zum Kotzen,
die anderen Monstren beantworten das Schauspiel aber mit belustigtem Grunzen.
Einer der Monster konnte nicht mehr an sich halten und
verpasste der armen Frau den nächsten Schlag. Wie eine Gruppe ausgehungerte
Tiere stürzten sich die restlichen Hünen auf die ältere Dame und rissen sie
Stück für Stück auseinander. Beleidigungen und das immer leiser werdende Röcheln
der Frau gingen fast in dem grotesken Klang des Lynchens unter, der von dem
bersten ihres Körpers erfüllt wurde.
Selbst die verbliebenen beiden Bestien, die bis dahin den
Kommandeur festhielten, konnten ihre Selbstbeherrschung nicht länger
aufrechterhalten und ließen einfach so von ihrem Gefangenen ab, um sich an dem
Gemetzel zu beteiligen.
Für einen Moment blieben der Kommandeur und Arnold wie
angewurzelt stehen. Sie waren durch das schreckliche Schicksal der älteren Dame
unter Schock konnten aber auch nicht fassen, dass die Hünen sich so in ihrem
Blutrausch verloren hatten, dass sie ihnen keine Beachtung schenkten. Kurz
spielten beide mit dem Gedanken, Rache an diesen Monstern zu üben, ihnen war
aber klar, dass sie dann dasselbe Ableben wie die ältere Dame erwarten würde.
Auch wenn die Verstärkung jeden Augenblick eintreffen müsste,
da diese Kreaturen einen Heiden Lärm verursachten, entschieden sich die beiden
zur Flucht. Leider konnten sie dabei nicht in die Richtung wegrennen, aus der
sie die Schüsse gehört hatten, da dieser Weg von den Bestien versperrt wurde,
weswegen sich nur die entgegengesetzte Richtung anbot.
Der ehemalige Kamerad von Arnold entpuppte sich aber als der
scheinbar Vernünftigste aus diesen Wilden, da er sich ihrem Fluchtversuch
bewusst wurde, bevor sie genügend Distanz zwischen sich und dem sicheren Tod
aufbauen konnten.
„NEIN!“, brüllte dieser aus voller Kehle. „Was machst du da,
Arnold?!“
Als Arnold keine Antwort gab, packte das Monstrum sich ein
kleines Trümmerteil, welches auf der Straße lag und warf es in die Richtung der
Flüchtigen. Mit großer Wucht traf das Trümmerteil den Kommandeur in den Rücken
und beförderte ihn sofort auf den Boden, wobei ihm seine Pistole klirrend aus
der Hand fiel und in der finsteren Gasse verschwand, aus der sie zuvor hergekommen
waren.
Panisch rüttelte Arnold an dem bewusstlosen Kommandeur und
versuchte diesen wieder auf die Beine zu bekommen. Auch wenn dieser
schmerzhaftes Stöhnen von sich gab, war er nicht in der Lage, sich wieder
aufzurichten, geschweige denn weiter zu rennen.
„Warum rennst du weg, Arnold? Du bist doch einer von uns!“
Mit wildem Zorn stürmte der ehemalige Kamerad von Arnold auf sie zu. Dabei
glich er von seiner Art, sich fortzubewegen vollkommen einem Gorilla. Der
Unterschied war aber, dass er um einiges stärker war und sich gerade auf dem
Zenit seines Blutrausches befinden musste.
Alles in Arnold schrie ihn an wegzurennen, als dieser Kollos
in ihre Richtung stürmte, doch erneut waren seine Beine völlig erstarrt und
konnten sein eigenes Gewicht nur noch mir größter Mühe tragen. Da Flucht keine
Option mehr war, suchte Arnold den Boden nach der Pistole des Kommandeurs ab,
stand aber derart unter Strom, dass sein Geist nicht die benötigte
Konzentration aufbringen konnte, die gesehenen Bilder richtig zu verarbeiten
und die Pistole zu entdecken.
Als das Biest und Arnold nur noch wenige Meter voneinander trennten,
griff er in seine Tasche und holte seine eigene Pistole heraus, die er bis
dahin versteckt hielt, und eigentlich weiterhin vorhatte, versteckt zu halten.
Donnernd schossen die Kugeln aus der Pistole, die Arnold binnen Sekunden
geleert hat, und zerfetzten große Teile der entstellten Fratze des Hünen und
hinterließ ein Ringen in Arnolds Ohren, was ihm einige Sekunden lang begleitete
und es ihm fast unmöglich machte, etwas deutlich zu hören.
Trotz dieser Einschränkung konnte er das tiefe Gekreische des
Biestes hören, welches von seinen unvorstellbaren Schmerzen kündete. Anstatt
aber Tod um zu fallen, ergriff das Monstrum seinen verblieben Schädel und lief wild
umher, wie ein geköpftes Huhn. Bei diesem Schauspiel handelte es sich aber
nicht um letzte Muskelreflexe. Dieses Ding lebte noch, obwohl ihm ein Großteil
des Schädels weg geschossen wurde.
Völlig demoralisiert, ließ sich Arnold langsam zu Boden sinken
und beobachtete den nun blinden Feind, wie er ohne Sinn und Verstand umher
stapfte und sich immer noch den Restschädel umklammerte. Durch das Gebrüll
wurden nun die anderen Unholde von der Situation gewahr und wollten sich mit
deutlicher Wut aufmachen, ihren verletzten Kameraden zu unterstützen. Sie kamen
aber nicht mal in seine Nähe, als endlich die Verstärkung von Arnold und dem
Kommandeur auftauchte und sie sofort attackierte.
Um nicht ein Opfer des Kugelhagels zu werden, hatten die
Bestien ihre geplante Rache vergessen und machten sich nur noch auf,
wegzurennen. Den Kopflosen würdigten sie keines zweiten Blickes und
verschwanden mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit, die Arnold nur noch
mehr Angst für sie einjagte.
Ohne zu zögern, nahmen die Soldaten nun den Beschuss auf den
letzten verstümmelten Feind auf, der ein einfaches Ziel war. Damit er kein
Opfer eines Querschlägers wurde, stürzte sich Arnold auf den Boden, neben den
Kommandeur, und hielt sich seine geschundenen Ohren zu, um weiteren Schaden
durch den Lärm der Gewehre zu verhindern.
Erst als jeder der 10 Soldaten seine letzte Kugel aus dem
Gewehr geschossen hatte, ging der blutige und zerfetzte Rest von dem Biest zu
Boden und starb vor den Augen aller Anwesenden. Weder Glück noch Freude machte
sich aber in Arnold breit. Er starrte unabdinglich auf das erlegte Monstrum und
fragte sich, wie ein Mensch zu so etwas nur werden konnte. Langsam machte sich
die Erkenntnis breit, die ihm einen Schauder durch den ganzen Körper jagte.
Verzweifelt versuchte er einen anderen Ansatz zu finden, wie
sich diese Verwandlung nur erklären lassen könnte. Doch egal wie sehr es ihn
sträubte, er musste sich eingestehen, dass dies das Werk des Kollektivs war. Damit
musste sich Arnold selbst die Frage stellen, ob auch er zu solch einer
missgestalteten Kreatur geworden wäre, wenn er den Mord an dem Kommandeur
tatsächlich getan hätte.
Bei den Gedanken, dass er beinahe eines dieser Scheusale
geworden wäre und nur durch Glück diesem Schicksal entrungen war, schnürte sich
sein Hals zusammen und raubte ihm die Luft. Reflexartig fing er schnell und hektisch
an, zu atmen und merkte, wie sich eine Panikattacke anbahnte. Zu seinem Glück
waren die Soldaten vor Ort und konnten ihm helfen, sich zu beruhigen.
Daraufhin trafen noch die restlichen Soldaten ein und halfen
dabei, den Platz aufzuräumen. Die Leiche des Monstrums steckten sie unter ein
Lacken und schafften es in einem Wagen weg, wobei sich entsetztes Raunen unter
den wenigen breit machte, die die Kreatur zu Gesicht bekamen. Der Kommandeur
wurde vor Ort noch medizinisch behandelt, hatte aber keine schweren Schäden
davon getragen.
In dem ganzen Durcheinander nutze Arnold die Chance und
versteckte nun seine leere Pistole, bevor sie noch jemand zu Gesicht bekam. Erneut
war ihm das Glück hold, da der Kommandeur keine weiteren Fragen wegen der
Schusswaffe stellte und wohl annahm, dass Arnold seine genommen hatte. Warum er
sich nicht nach ihr erkundigte, wusste Arnold nicht, nahm aber an, dass er es
einfach vergessen hatte.
Weder Arnold noch der Kommandeur wechselten ein Wort
miteinander und sahen den Aufräumarbeiten stumm zu. Als sich diese aber dem
Ende näherten, ergriff der Kommandeur das Wort.
„Weißt du, was das für Dinger waren?“
„Nein, … keine Ahnung“, entgegnete Arnold mit ausdrucksloser
Stimme, als er mit ansah, wie die Soldaten nun den blutigen Fetzen Fleisch
wegschafften, der einmal die ältere Dame war.
„Verstehe. Du musst mit uns kommen, jetzt. Die Dinger sind
irgendwo in der Stadt und wir wissen nicht wo. Sie haben dein Gesicht gesehen,
sie werden dich jagen und töten.“
„Ja“
Arnold sah den dem Kommandeur während ihres Gesprächs nicht
einmal an und betrachtete mit blassen Gesicht unaufhörlich die nun verdeckte
Leiche der älteren Dame an, wodurch sich ein schreckliches Schuldgefühl
ankündigte, welches aber durch seinen Schock noch betäubt wurde.
„Der Wagen ist in fünf Minuten bereit“
„Ich muss vorher nochmal schnell wohin“, sagte Arnold und
riss seinen Blick von dem Leichensack.
„Was?“, entgegnete der Kommandeur fassungslos. „Du bist
verrückt, Uhlig. Die sind noch da draußen. Es ist hier gefährlich. Was willst
du denn noch machen?“
„Ich muss nur was holen, was ich bei unserem Treffpunkt
vergessen hab.“
„Chert poberi“, fluchte der Kommandeur auf Russisch, „dann
mach, aber zwei Soldaten kommen mit.“
„Das ist doch …“
„Mir egal“, unterbrach der Kommandeur Arnold barsch, „sie
kommen mit oder du gehst gar nicht.“
Da Arnold deutlich spürte, dass der dem Kommandeur nicht
danach war, lange über solche Nichtigkeiten zu diskutieren und er den Tag
einfach nur beenden wollte, nahm er die Bedingung an. Während seines kurzen
Marsches, wobei die beiden Soldaten die Gegend stetig nach den Monstern
absuchten, versuchte er sich schnell einen Plan auszudenken, wie er sie solange
ablenken könnte, um die Waffe sicher loszuwerden. Nebenbei musste er sich noch
einen genauen Vorwand einfallen lassen, wonach er angeblich suchen muss.
Egal wie stark er auch nach grübelte, ihm viel nichts ein und
er spürte, wie der verwünschte Druck ihn erfüllte und unter Stress stellte.
Sein Geist war viel zu niedergeschlagen und erschöpft, um gegen den Druck
ankämpfen zu können, weswegen er ihm hilflos ausgesetzt war.
Ein leichtes Zittern stellte sich ein, als sie bei dem
Treffpunkt ankamen und Arnold war kaum noch in der Lage, 2 Sätze ohne
entsetzliche Angst auszusprechen, wie damals, wenn er vor seiner alten
Schulklasse reden musste. Bevor er aber überhaupt etwas unternehmen konnte,
hörten sie ein leises Stöhnen, welches aus einem Nachbargebäude kam.
Durch die zersprengten Fensterrahmen konnte die Gruppe die
Silhouette eines der Hünen erkennen, der sich schwerfällig und mit starken
Humpeln einen Weg, der seine Größe entsprach, aus dem Haus suchte.
Unverzüglich machten sich die beiden Soldaten heimlich näher
an das Biest heran. Kaum waren sie außer Hörreichweite ertönte hinter Arnold
plötzlich eine bekannte Stimme.
„Das dürfte sie ablenken“, flüsterte Hanns.
Erschrocken drehte sich Arnold um und sah den Reiter etwa
vier Meter von ihm entfernt stehen, der sich noch in den Schatten befand, in
welchen er sich versteckt hatte.
„Was hast du
gemacht?“, fragte Arnold in derselben Lautstärke wie Hanns, nachdem er sich
wieder gefangen hatte.
„Ich konnte einigen der Anhänger an der Flucht hindern und
dachte, sie könnten eine perfekte Ablenkung sein, wenn wir uns noch unterhalten
müssten. Und keine Sorge, die beiden dürften ihn mit leichten erlegen. Ein halb
verhungerter Straßenköter könnte das. Und jetzt mach endlich!“
Ungeschickt griff Arnold in seine Jackentasche und holte
seine leere Pistole erst heraus, als er sicherstellte, dass sich keine ungebetenen
Zuschauer in der Nähe befanden. Gerade als er sie sicher entsorgen wollte,
schaute Hanns an seiner Schulter vorbei und ein schwaches Lächeln zeigte sich
auf seinem Gesicht.
„Ach, und Arnold“, sagte Hanns wieder auf Arnold gerichtet,
„solltest du nochmal vorhaben, uns zu verraten …“
Bevor er weiter sprach, konnte Arnold hinter sich hören, wie
die beiden Soldaten auf den verletzten Hünen schossen. Just in diesen Moment
zog Hanns seine Armbrust heraus und schoss auf Arnolds Hand. Der Bolzen
durchbohrte die Pistole und nagelte diese, mit einigen Fleischfetzten von
Arnolds Hand, an die Wand hinter ihm fest.
Arnolds Schmerzensschrei ging in dem Lärm der tüchtigen
Gewehre unter. Innerhalb Sekunden lud Hanns seine Armbrust in übernatürlichen
Tempo nach und feuerte einen zweiten Bolzen ab. Alles ging so schnell von
Dannen, dass Arnold nicht mitbekam, wo der zweite Bolzen gelandet war.
Ängstlich wartete er auf den einsetzenden Schmerz, der ihm verraten würde, wo
er getroffen war.
Jedoch kam dem Schmerz ein Tropfen Blut zuvor, der auf seinem
Schuh landete. Als Arnold diesen bemerkte, fühlte er sein Kopf ab, bis er an
seiner rechten Schläfe die verwundete Stelle fand. Hier hatte der Bolzen ihn nur
gestreift, aber ein Schnitt verursacht, der sich fast bis zu seinem Hinterkopf
ausgebreitet hatte und sein kurzgeschnittenes Haar mit seinem Blut besudelte.
Der Bolzen war hinter ihm in die Wand eingeschlagen, aber
auch schon wieder verschwunden, wie der andere zuvor. Nur noch die Löcher in
den Wänden und der Pistole, welche zu Boden gefallen war und an der das Blut
von Arnold klebte, sprachen von ihrer Existenz. Kaum hatte Arnold sich wieder
zu Hanns umdrehen wollen, da stand dieser schon direkt neben ihm.
„Ich schieße schneller als du. Viel schneller!“
Mit den absterbenden Gewehrschüssen der beiden Soldaten, die
ihrem Gegner wohl den Gar ausgemacht hatten, verpasste Hanns Arnold einen
kräftigen Schlag in den Bauch, welcher ihn röchelnd zu Boden schickte. Mit
letzter Kraft konnte sich Arnold auf alle viere hochbringen, war aber durch
schweren Schmerzen zu weiteren Aktionen nicht mehr fähig. Hanns nahm in dieser
Zeit gemütlich die Pistole in seinen Besitz und packte mit einer Hand den Kopf
von Arnold und zog ihn soweit hoch, bis sich ihre Blicke trafen.
„Das war deine letzte
Warnung“
Kapitel 9
Nach der Auseinandersetzung zwischen Hanns und Arnold, in
welcher der Reiter die Oberhand mit Leichtigkeit davon ringen konnte,
verbrachte Arnold den Rest des Abends in einem recht großen Familienhaus,
welches etwas abseits der Stadt bei einem Fabrikgelände stand. Grund für dieses
abgeschiedene Domizil, war die frisch geborene Angst, dass weitere Kreaturen
sie angreifen könnten, während sie das weitere Vorgehen planen würden. Neben
ihm hielten sich dort noch der Kommandeur und einige weitere der Soldaten auf,
welche die zwei Unholde getötet hatten und bei den Aufräumarbeiten tätig waren.
Der wenige Schlaf, welcher Arnold diese Nacht erreichte,
erwies sich als keine allzu große Hilfe, seinem Körper die Erholung zu geben,
nach welcher sicher dieser dringend sehnte. Bereits mit den ersten
Sonnenstrahlen wurde er von einem Soldaten geweckt und bekam den Befehl, sich
schnellstmöglich fertig zu machen.
Danach musste Arnold eine sehr gründliche ganz
Körperuntersuchung über sich ergehen lassen, um zu überprüfen, ob sich
irgendwelche Sonderbarkeiten an seinem Leib feststellen ließen, nachdem er in
Kontakt mit den Monstern kam. Sein einziger Trost war, dass sich die anderen Soldaten,
die gegen die Unholde gekämpft hatten, und sogar der Kommandeur sich dieser
Prozedere unterziehen lassen mussten.
Bei keinem der Untersuchten konnte man eine Veränderung
finden, die weitere Nachforschung oder Quarantäne erforderlich machten. Am Ende
der Untersuchungen kümmerte man sich noch einmal um die Wunden von Arnold und
dem Kommandeur, die bis dahin nur rudimentär behandelt wurden. Über die
Schrammen, welche Arnold an seiner Hand und Kopf hatte, stellte aber niemand
irgendwelche Fragen, da alle wohl annahmen, dass diese im Kampf mit den
Monstern entstanden waren.
Arnold war heilfroh, sich endlich wieder ankleiden zu können
und dieses vermaledeite Labor zu verlassen, welches in aller Hastig aufgebaut
wurde. Er konnte seine Freiheit aber keinen Moment kosten, da er sofort in den
nächsten Raum geführt wurde. Dieser befand sich im zweiten Stockwerk des
Familienhauses und hat wahrscheinlich als ein kleines Arbeitszimmer einst
gedient. Von dem Mobiliar waren nur noch ein Tisch und 3 Stühle vorhanden. Den
einen Stuhl hatte Arnold in Beschlag genommen, während die anderen beiden von 2
Deutschen genommen wurden, welche Arnold gegenüber saßen, wobei der Tisch
zwischen ihnen stand.
Die Deutschen trugen die Uniformen der Sowjets und waren
damit leicht als 2 Überläufer zu erkennen. Eigentlich müsste in Arnold der
verdrängte Hass auflodern, wenn er sich solchen Menschen gegenüber sah, doch er
blieb in seinem Gefängnis und machte kein Anzeichen, ausbrechen zu wollen.
Auch wenn Arnold damit keinen Groll gegen die beiden Soldaten
hegte, konnte man bei ihnen eine leichte Abneigung gegen ihn in ihren Blick erkennen.
Es herrschte eine bedrohliche Stimme in dem Zimmer und keiner der beiden zeigte
irgendwelche Intentionen, diese zu durchbrechen. Sie blättern schnell in
einigen Akten, die die Ereignisse der gestrigen Nacht und auch Arnolds
Werdegang, sowie die von dem Kommandeur gegebene Aufgabe, dokumentierten.
„Also“, sagte endlich
einer der Soldaten, der seinen Blick aber immer noch von den Dokumenten erhob,
„ wir haben nicht sehr viel Zeit, dich zu befragen, deswegen kommen wir gleich
zum Punkt. Was weißt du über diese Kreaturen die euch gestern angegriffen
haben?“
„Nichts“, antwortete Arnold, „ich habe sie gestern zum ersten
Mal gesehen.“
„Tatsächlich“, schaltete sich nun der andere Soldat ein, „und
du hast keine Idee, wo diese Dinger hergekommen sind. Du solltest ja etwas über
die Fraktion herausfinden, die sich gegen uns gestellt hat und es lässt sich ja
leicht deuten, dass die Dinger und die Gruppierung dasselbe Ziel verfolgen, uns
zu vernichten.“
„Ich habe es noch nicht bis zur ʺGruppierungʺ geschafft. Ich
konnte bis jetzt nur mit Leuten reden, die dieser helfen wollten. Aber …“
Arnold zögerte kurze und wollte sich gerade fragen, ob er es
wirklich mit den Soldaten teilten wollte, hatte nun aber keine Wahl mehr, da
die beiden ihn solange hinterfragen würden, bis er freiwillig anfing zu singen.
„ … den, den ich getötet habe, … er war einmal ein Kamerad
von mir, mit dem ich an der Front war.“
„Wie hieß er?“ Die beiden Soldaten zückten in Windeseile
Notizblöcke und Stifte und sahen Arnold erwartungsvoll an.
„Ich, … weiß nicht, wie er hieß“, gab Arnold zögernd zu.
„Was?!“, gaben beide fast zeitgleich von sich und es
zeichnete sich Fassungslosigkeit auf ihre Gesichter.
„Das kann doch nicht wahr sein. Haben dir deine Kameraden so
wenig bedeutet? Kein Wunder, dass du so leicht abhauen konntest!“
Selbst bei dieser böswilligen Anschuldigung spürte Arnold,
wie der unerwünschte Hass nur leicht aufloderte und dann wieder verzog. Es
hatte sich zwar eine gegenseitige Abneigung, zwischen Arnold und den Soldaten
entwickelt, aber er war überrascht, welche Selbstbeherrschung er an den Tag
legen konnte, wenn die Stimme des Kollektives nicht seine Gedankengang
verfälschte. Trotzdem, wollte sich Arnold diese Beschimpfung nicht länger
bieten lassen.
„Ich hab mit ihm nie ein Wort gewechselt und wir haben uns
nur ab und zu gesehen. Und was willst du mir überhaupt erzählen. Ihr seid doch
auch von eurer Truppe abgehauen, um euch den Sowjets anzuschließen. Waren euch eure
Kameraden auch scheiß egal?“ Hiermit stellte Arnold seine Selbstbeherrschung
auf die Probe, da er einen neutralen und sachlichen Ton beibehielt und nicht
anfing seine Stimme zu erheben, wie bei seinem ersten Treffen mit dem
Kommandeur.
„Was fällt dir ein?“, zischte der Soldat Arnold an, der
sichtlich beleidigt war. „Im Gegensatz zu dir, sind wir nicht abgehauen,
sondern haben nur die Seiten gewechselt, um für die gute Sache zu kämpfen. Und
…“
„Wie dem auch sei“, unterbrach der zweite Soldat seinen
Kameraden, der sich deutlich besser unter Kontrolle hatte, „hast du sonst noch
irgendwelche Ideen, wo sich die Kreaturen aufhalten oder wie sie entstanden
sind, wenn sie wirklich einmal Menschen waren?“
„Nicht wirklich. Ich glaube nur, dass Einige unter den
Arbeiten ihnen helfen, sich zu verstecken. Und sie helfen dabei mehr und mehr
Menschen gegen euch aufzustacheln.“
„Hat man ja gesehen. Du hast sie dabei auch immer tatkräftig
unterstützt“, gab der eine Soldat streitsüchtig von sich.
Immer noch verspürte Arnold den Hass kaum, sodass er sich
fragte, ob dieser überhaupt noch in ihm existierte. Auch von der Stimme war
keine Spur, worüber er auch froh war, obwohl dies die perfekte Chance für sie
sein müsste.
Bevor die Befragung weiter fortgesetzt werden konnte, öffnete
sich die Tür und ein weiterer Soldat kam herein.
„Zeit um. Muss los“, gab dieser in einem schwereren Akzent
als der Kommandeur von sich und zeigte auf Arnold.
Entrüstet gaben sie Arnold ein Handzeichen, das er ihrem
Kamerad folgen sollte und damit die
Befragung vorbei sei. Auf dem Weg stellte er fest, wie sinnlos diese
Unterredung mit den Soldaten war, aber er hatte etwas Wichtiges gelernt. Er
hatte sich nun endlich wieder im Griff.
Der Soldat führte Arnold aus dem Haus in das Kellergewölbe
des Fabrikgeländes, welches wohl als Lager einst diente, jedoch von Sowjets fast
gänzlich leergeräumt wurde. In einer der vielen freien Stellen hatte man aus
Bänken und allem, was sich noch finden ließ, eine kleine Tribüne gebaut, die
sich um ein metallenen Tisch zog, auf dem der Unhold lag, welcher innerhalb der
Ablenkung von Hanns getötet wurde.
Ein Großteil der Plätze wurde von Soldaten eingenommen, die
von höherem Rang waren, als der übliche Fußsoldat. Ansonsten waren noch drei
Ärzte anwesend, die sich aber bei dem Kadaver befanden und ihre Instrumente
bereit machten.
Bei all diesen höheren Tieren im Militär, auch wenn sie noch
unter dem Kommandeur waren, fühlte sich Arnold etwas fehl am Platz an, da er zu
seinen Kriegszeiten noch nie an solchen Treffen Teil nehmen durfte. Den
Kommandeur entdeckte Arnold erst, als dieser ihn mit seiner Hand zu sich
winkte. Beim ihm angekommen, sah Arnold, dass der Kommandeur einen Platz für
ihn frei gehalten hat.
„Setz dich, Uhlig“, forderte der Kommandeur Arnold freundlich
auf.
„Ja, danke“, antwortete Arnold und sprach erst nach einem
kurzen Zögern weiter. „Sag mal, wollen die das Monster aufschlitzen? Und wenn
ja, was mache ich dann hier?“
„Natürlich wollen sie dieses Monstr aufmachen. Und du musst
dar sein, da du alles wissen musst, was wir über die Monstr finden. Du hast ja
gezeigt, dass du bei uns kämpfen willst. Und ich muss dir danken für Gestern.
Ich wäre tot wie Frau, ohne dich.“
„Ja, kein Problem.“ Es machte sich das vergessene
Schuldgefühl bei Arnold breit, als der Kommandeur sich bei ihm bedankte. Nur
mit Mühen konnte er sich dieses nicht anmerken lassen und versuchte bestmöglich
den Unberührten zu mimen, was ihm scheinbar auch gelang.
Jeglicher weiterer Versuch, das Gespräch fortsetzen, kam
jedoch abrupt zu einem Ende, als die 3 Ärzte verkündeten, dass die
Vorbereitungen abgeschlossen sein und die Obduktion beginnen könnte.
Der riesige Leib lag mit dem Rücken auf dem Tisch und musste
etwas abgestützt werden, da aufgrund des Buckels man den Unhold nicht flach
hinlegen konnte. Gespannt blickten alle Anwesenden auf die Leiche, wobei alle
Unterhaltungen endeten, die zuvor den Platz erfüllten.
Mit dem ersten Schnitt, der einige Minuten in Anspruch nahm,
öffneten sie den Brustkorb und legten diesen frei, dass jeder der Anwesenden
einen Blick in dessen Inneres werfen konnte. Angewidert wendete sich Arnold ab,
bemerkte aber, wie sich ein schockiertes Raunen unter den Leuten breit machte.
Um den Grund dessen zu erfahren, überwand er seinen Ekel und schaute sich das
Innenleben des monströsen Körper an.
Lunge und Herz waren in einem erbärmlichen Zustand und
erschienen wie ausgetrocknet. Verwundert begutachteten die Ärzte die Organe und
entfernten diese aus dem Leib. Danach machten sich diese wieder an die Arbeit,
den Körper bis zum Hüftbereich aufzuschneiden.
Nun bemerkt Arnold, welche Anstrengungen die Ärzte hatten,
den Leichnam zu öffnen, da dieser durch seine zähe Haut und kräftige Muskeln
gut geschützt wurde. Auch die Rippen hatten sich als starker Widersacher
entpuppt, den sie nur mit vereinten Kräften Herr werden konnten.
Es herrschte eine Totenstille, als die Ärzte sich abmühten
und sich der Körper all ihre Werkzeuge widersetzte. Jeder Zentimeter, den sie
aber vorankamen, wurde mit einem fauligem Geruch gedenkt, der aus dem Inneren
des Unholdes kam. Schnell hat sich der Gestank auch bei allen Teilnehmer der
Obduktion breit gemacht und setzte sich unwiderruflich in dessen Kleidern fest.
Der Kragen, den sich nun alle Teilnehmer der Obduktion über die Nase gestülpt
haben, erwies sich als der einzige Schutz gegen den verwünschten Übeltäter.
In Arnolds Geist huschten die abscheulichsten Vorstellungen
vorbei, die der Quell des Geruches sein könnte. Ähnlich ging es den anderen
Anwesenden auch nicht, dem Kommandeur miteingeschlossen, auf deren Gesichter
sich eine Mischung aus Spannung und Abscheu zeigte, als ihr Verstand ihnen
mögliche Erklärungen dar bot.
Die Gedankengänge aller endeten, als sich die Ärzte erschöpft
von Leib abließen und das Fleisch auseinander zog. Von den Organen, ohne die
Leben gar nicht möglich sein dürfte, waren nur noch schwarze vertrocknete Reste
übrig, von denen der widerwärtige Dunst ausging. Im Gegensatz zu dem Herz und
den Lungen, die noch funktioniert haben könnten, bestand kein Zweifel, dass
jedes der Organe seit längerem abgestorben sein musste.
Ratlos betrachteten die Ärzte die Überreste des einst
menschlichen Innenlebens und entfernten diese widerwillig, wobei selbst diesen
hart gesottenen Mediziner die Übelkeit ins Gesicht geschrieben stand. Kaum waren sie damit fertig, setzten sie nun
an, ein Stück des Armes auszuschneiden.
Erneut entbrannte ein langwieriges Ringen, bis es ihnen
endlich gelang auch diesen Abschnitt zu öffnen. Zum Glück aller Anwesenden
blieben sie von einer weiteren Welle des entsetzlichen Geruches verschont,
erblickten aber etwas, was sie nicht weniger schockierte.
Goldene Fäden, die von ihrem Aussehen den Wurzeln einer
Pflanze ähnelten und von ihrem Durchmesser einem Schnürsenkel glichen,
durchzogen den Arm und hatten sich mit den Muskeln, Arterien und Venen
verbunden. Dabei gab es an die fünf großen Hauptsträngen, die sich durch den
kompletten Arm zogen und von denen unzählige kleinere ausgingen, die sich in
dem Fleisch verankerten. Lange versuchten die Ärzte einige aus dem Körper zu
entfernen und näher zu untersuchen, was sich aber als sinnlos erwies, da sie
widerstandsfähiger waren als die Muskeln und die Haut des Unholdes und sie
derart fest mit Körper verwachsen waren, dass man sie unmöglich von diesem
trennen konnte.
Daraufhin schnitten sie den Leichnam an weiteren Stellen auf,
um zu überprüfen, ob sich dieses goldene Wurzelwerk durch den ganzen Leib zog.
Egal ob der andere Arm, die Beine oder der Rücken, überall ließ sich die
goldenen Fäden finden. Auch im aufgeschnitten Brustkorb konnte die Ärzte sie
entdecken, auch wenn sie hier weitaus weniger ausgebreitet waren wie an den
Armen und Beinen, weswegen sie diese in ihren Anstrengungen übersahen. Da
bemerkten die Ärzte auch, dass sie den Brustkorb nur öffnen konnten, weil die
goldenen Wurzeln sich nicht komplett über diesen zogen und sie die
ungeschützten Stellen zufällig getroffen hatten.
Nachdem sie bestätigen konnten, dass sich das Wurzelwerk
durch den ganzen Körper zog, blieb nur noch eine Stelle übrig, die sie noch
untersuchen könnten, das Gehirn. Hier zeigten sich die erschöpften Kräfte der
Mediziner deutlich, als sie schwer keuchend die Schädelplatte öffneten, die,
wie der restliche Körper, um einiges stärker war, als bei einem normalen
Menschen.
Fast 15 Minuten vergingen, als die Ärzte die Instrumente
ruhen lassen konnten und sich das Gehirn den Zuschauern offenbarte. Ein
goldener Glanz kam von diesem aus, sodass ursprünglich alle annahmen, dass es
seine eigentliche Farbe gewechselt hatte, was für keinen der Anwesenden mehr besonders
erschien. Erst beim genaueren Betrachten erkannten sie, dass das Gehirn sich
nicht verändert hatte, sondern von so vielen Fäden durchzogen war, dass es in
dem Wurzelwerk untergegangen war. Selbst der größte Schelm konnte nun erkennen,
dass das Gehirn die Quelle der Fäden sein musste.
Was darauffolgte und zwischen den Teilnehmern besprochen
wurde, weiß Arnold nicht mehr. Kein Wort konnte zu ihm durchdringen. Er starrte
nur auf seinen Arm und versuchte zu erkennen, ob sich diese Wurzeln auch in
seinem Fleisch festgesetzt hatten. Zum allerersten Mal in seinem Leben
fürchtete sich Arnold von seinem eigenen Körper.
Er musste herausfinden, ob auch sein Leib befallen war, aber
wurde von einer unglaublichen Abscheu geschüttelt, wenn er nur daran dachte,
wirklich diese goldenen Fäden in sich zu finden. Dieser Schrecken brachten aber
noch eine weitere Erkenntnis. Mit dem Anblick der Monster und dem Wissen, was
ihm bevor stehen würde, wenn er sich weiterhin dem Kollektiv hingibt, wusste
er, dass jede Verbindung mit der Stimme von nun an unmöglich war, da diese
Erkenntnis für immer als eine Warnung in seinem Geist verweilen würde.
Er konnte die Stimme nicht mehr hören. Er würde sie nie mehr
hören können.
Kapitel 10
Mit lautem Knall donnerte Arnold die Tür seines Zimmers zu, in
welchem er die letzte Nacht verbracht hatte und verschloss diese. Dafür musste
er vorher seine vollbepackten Arme leeren, indem er das Verbandszeug, das
Messer, das Nähzeug und die Flasche Schnaps, welche er in aller Eile in dem
Anwesen zusammengesucht hatte, auf sein Bett fallen ließ. Ob irgendjemand diese
Sachen vermissen könnte, stellte für ihn kein Problem dar.
Auch wenn er mit der Ausrede die Zeugen der Obduktion
verließ, dass ihm schlecht geworden sei, beschlich ihn die Furcht, dass diese
seine Lüge enttarnt hatten und ihn heimlich gefolgt waren. Vor Aufregung und
seinem Sprint schwer atmend, mit dem er durch das Haus gejagt war, als er sich
sicher war, dass sich niemand in diesem aufhielt, legte er sein Ohr an die Tür
seines Zimmers und versuchte zu horchen, ob er irgendetwas verdächtiges
wahrnehmen könnte.
Hierbei erschwerte es sein Keuchen ihm, anständig zu
lauschen, weswegen er sich erstmal selbst beruhigen musste, mit seinen alt bewehrten
Tricks. Aber auch so konnte er nur eine Totenstille wahrnehmen, was ihm als
Zusicherung reichen musste, dass er wirklich alleine war.
Seine Paranoia verhinderte zwar jedes aufkeimende Gefühl der
Sicherheit, aber damit dürfte Arnold wohl leben können. Die tiefe Angst, welche
ihn fast vollkommend lähmte, machte es ihm aber schwer, sich von der Tür zu
lösen, jedoch wusste er, dass es keinen anderen Weg gab, um wirkliche Gewissheit
über seinen Körper und den Vorgängen, welche sich in diesen abspielten, zu
erhalten.
Zwar versagten ihm seine Beine nicht, trotzdem zitterten sie,
als er seine Mitbringsel wiederaufnahm und mit diesen in sein Badezimmer ging.
Um sein Hemd nicht zu beschmutzen, zog er es aus und hielt seinen rechten Arm
über seine Waschschüssel. Er hatte sich eine Stelle am rechten Oberarm, direkt
unter der Schulter ausgesucht, weil er diese Wunde leicht verstecken könnte.
Das Zittern hatte sich nun über seinen kompletten Körper
ausgebreitet und machte es ihm unmöglich, das Messer richtig anzusetzen,
weswegen er ein tiefen Schluck aus der Schnapsflasche nahm, um sich ordentlich
Mut anzutrinken. Bevor er aber zum Schnitt ansetzte, steckte er sich sein
größtes Handtuch in den Mund, damit seine Schmerzensschreie keine ungebetenen
Gäste anlockten.
Nun gab es keine Ausrede mehr für Arnold, mit dem Eingriff
länger zu warten und er legte das Messer erneut an, aber sein Körper wollte
sich dem Vorhaben einfach nicht beugen. Beinahe hätte er unter der Gegenwähr
seines Leibes klein beigegeben und das Messer wieder weggesteckt, doch konnte
er genug Entschlossenheit aufbringen, um den ersten Schnitt zu vollziehen.
Dieser war kaum mehr als ein größerer Kratzer, auch wenn aus
diesem Blut floss. Damit hatte Arnold aber den entscheidenden Schritt vollzogen
und setzte wieder an, nachdem er sich einen weiteren Schluck aus der Schnapsflasche
genehmigte. Bei dem Unhold hatten die Ärzte etwa sieben Zentimeter in die
dicken Arme geschnitten, bis sie fündig wurden. Da Arnold nicht gerade kräftig
gebaut war, müsste er nicht derart tief in sein Fleisch vordringen, was ihn
etwas beruhigte.
Immer wieder versuchte sich Arnold weiteren Mut zu zu sprechen,
was sich als wirkungslos herausstellte. Er fühlte sich schwach und nutzlos, wie
als er ein Kind war, wo es öfter vorkam, dass er in eine Situation geraten war,
in welcher ihm jegliche Entschlossenheit verlassen hatte. Das fing schon dabei
an, dass er auf einen Baum geklettert war und sich nicht traute, wieder
herunter zu klettern oder vor mehreren Leuten sprechen musste.
Neben der Scharm war auch der Hohn seines Vaters nie weit,
der sich gerne über sein Scheitern beschwerte. Und so stellte sich Arnold in
diesem Augenblick vor, wie sein Vater ihn wohl für seine Feigheit zurechtweißen
würde.
„Traust dich wohl nicht, was?“, hörte er die Stimme seines
Vaters ihn beschimpfen. „War ja klar! Und das nennt sich mein Sohn! Mein Vater
hätte mich den Gürtel schmecken lassen, wenn ich mich wie ein Weib benommen
hätte!“
Früher hatte diese Zurechtweisung Arnold immer tief gekränkt
und nur noch mehr verunsichert, doch nun war das einzige, was sich in ihm auftat,
Wut. Arnold hatte es satt, immer unter dem strengen Wort seines Vaters zu
leiden. Je mehr er sich ausmalte, wie sein Vater ihn wohl beleidigt hätte,
wuchs sein Groll.
„Es reicht!“, zischte Arnold und beendete den erdachten
Monolog.
Von dem Zorn beflügelt setzte er das Messer wieder an und
schnitt tiefer in seinen Arm. Als ihn der Schmerz zu überwältigen drohte,
ertönten schon neue Beleidigungen, die ihn für seine Schwäche bestrafen
wollten. Er ließ sie aber nicht lange verweilen, da seine Wut ihm die Kraft
verschaffte, erneut in sein eigenes Fleisch zu schneiden und sie für einen
Moment ruhig zu stellen.
Nach drei großen Schnitten hielt Arnold ächzend inne und
legte das Messer auf den Boden. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen
und es erforderte seine verbliebenen Kraftreserven, sich wieder auf die Beine
zu hieven und die Wunde im Spiegel zu betrachten. Lange suchte er in den
Reflexionen Anzeichen für die goldenen Fäden fand aber zu seiner Erleichterung
keine und sank erschöpft zu Boden.
Leider war damit die Arbeit noch lange nicht getan. Zuerst
nahm sich Arnold einen weiteren Schluck aus der Schnapsflasche und goss danach
ein Teil des Alkohols auf die Wunde. Die Schmerzen waren unerträglich und er
befürchtete kurz einen Moment das Bewusstsein könnte ihn verlassen. Um sich
weitere Kraft zu beschaffen, stellte sich Arnold wieder seinen empörten Vater
vor, dessen Geschimpfe er über die Jahre auswendig lernen konnte.
Mit vier Stichen hatte er die Wunde zugenäht und seine Zähne
noch tiefer in das geschundene Handtuch vergraben, was diese Prozedur auch
nicht unbeschadet überstanden hatte. Zufriedenen betrachtete Arnold sein Werk
im Spiegel und fing an, seinen Arm gründlich in einer weiteren Waschschüssel zu
säubern.
Vollkommene Gewissheit hatte er damit zwar nicht, ob sein
Körper unberührt durch das Kollektiv war, konnte sich damit aber zufrieden
geben, dass der Schaden klein war. Während Arnold die Wunde verband, nachdem er
mit der Säuberung fertig war, bemerkte er von sich selbst überrascht, was er für
eine Entschlossenheit bekam, als sich die Stimme seines Vaters vorstellte, die
ihn beschimpfte.
„Das merke ich mir“,
sagte Arnold zu sich selbst und leerte den Rest der Schnapsflasche.
„Uhlig, ich bin es. Mach auf“, sagte der Kommandeur und
klopfte erneut an die Tür.
Wie durch einen dicken Schleier bekam Arnold das Klopfen und
die Rufe mit und erhob sich mit matten Gliedern von seinem Bett, in welches er
sich gelegt hatte, um sich kurz auszuruhen. Ein Blick aus dem Fenster verreit
ihm aber, dass er wohl in einen tiefen Schlummer gefallen war, da die Sonne
bereits am unter gehen war.
„Ja, ich komme“, antwortete Arnold und streckte sich dabei
ausführlich, wobei seine frische Wunde ihn stärker einschränkte, als er
erwartet hatte.
„Na endlich“, sprach der
Kommandeur als ihm die Tür geöffnet wurde, „ich dachte schon, du, machst nie
auf. Geht es dir besser?“
„Ja, viel besser“
„Gut, dann mach dich fertig, du musst mit kommen.“
„Wohin?“ Arnold gab sich Mühe die Besorgnis aus seiner Stimme
herauszuhalten, da ihm die schlimmsten Befürchtungen in den Kopf schossen.
„Nichts schlimmes“, antwortete der Kommandeur, der die Sorge
trotz Arnold Bemühungen deutlich erkennen konnte, „wir müssen nur reden, aber
an einem besseren Ort. Also komm mit“
Ohne Arnold die Chance zu geben, darauf noch irgendetwas
erwidern zu können, drehte der Kommandeur sich um und ging Richtung Treppe, die
in den Keller führte. Etwas verunsichert ging Arnold ihm hinterher und
versuchte sich auszumalen, was der Grund der Unterredung sein könnte. Am
wahrscheinlichsten, dachte er sich, wollte der Kommandeur mit ihm wohl über das
weitere Vorgehen reden und was seine neue Aufgaben sein würden.
Als beide im Keller angekommen waren, fiel Arnold urplötzlich
wieder ein, was sich dort befand, eine Sammlung feinsten Weins und stärkeren
Sachen, die dem ehemaligen Besitzer wichtig gewesen sein musste. In seiner Eile
war er zuvor hier runter gestürmt und hatte die Schnapsflasche an sich gerissen
und dem restlichen Inventar kaum Beachtung geschenkt, da er seine Prozedur
abschließen wollte, bevor irgendjemand wieder in das Haus kommen konnte. Das er
völlig vergessen hatte, welche Schätze sich unten befanden, nach welcher sich sein
durstiges Herz schrecklich sehnte, schob er auf seinen noch schlaftrunkenen
Geist, der bei diesem Anblick nun wieder auf seiner Höhe war.
Das eingeschaltete Licht offenbarte Arnold nun jeden Winkel
des Lagers, die ihm zuvor verborgen geblieben war, da er sich zuvor nicht die
Mühe gemacht hatte, bei seinem ersten kurzen Besuch, sich weiter als 5 Meter
vom Treppenabsatz fortzubewegen, als er nach einer Schnapsflasche suchte.
Während Arnold noch in seiner Bewunderung vertieft war, ging
der Kommandeur bereits zur erst besten Weinflasche und schnappte sie sich.
„Fang“, sprach der Kommandeur und warf die Flasche Arnold zu,
der sie im letzten Moment fangen konnte.
Mit einem einladenden Winken lud der Kommandeur Arnold ein,
sich zu ihm an einen Tisch mit mehreren Stühlen zu gesellen, die mitten im
Keller standen und wovon man spielend leicht an ein Großteils des
hier gelagerten Alkohols kommen konnte. Kaum hatte Arnold Platz genommen schon
hatte der Kommandeur eine zweite Flasche in der Hand, welche er aber für sich
behielt.
„Trinken wir, Uhlig“, sagte der Kommandeur und hielt Arnold
seine geöffnete Flasche hin, damit sie anstoßen konnten.
„Worauf?“, fragte Arnold belustigt und ließ die beiden
Flaschen kurz zusammenstoßen.
„Dass wir noch leben Uhlig, … dass wir noch leben“
Daraufhin verfielen beide in Schweigen und fingen an, den
Wein ihre Kehlen herunter zu schütten, als wäre es ein billiges Bier. Der
Kommandeur schien aber nicht ganz so durstig zu sein, da er eher langsam trank
und gerade einmal bei der Hälfte angekommen war, als Arnold bereits seine
Flasche geleert hatte und sich die nächste holte.
Mehrmals öffnete der Kommandeur die Lippen und suchte die
richtigen Worte, um das Gespräch aufzunehmen, schloss sie aber wieder, als er
nicht fündig wurde. Je weiter die Zeit voranschritt und der Wein Arnold anfing,
zu Kopf zu steigen, desto bedrückter wurde die Miene des Kommandeurs und er
schien deutlich angespannter als sonst.
„Mein Vater liebte Wein“, sagte Arnold mit einem leichten
Lallen, der bereits ein Teil seiner Hemmung durch den Alkohol verloren hatte.
„Wann immer er zu viel trank, dann … dann hat er angefangen über die Regierung
zu meckern, … über die Nazis“
Ein leichtes Lachen stimmte sich bei Arnold ein, der seine
Erzählung lustiger empfand, als der Kommandeur es tat.
„Herr Gott, hat er es geliebt, über sie zu meckern“, setzte
Arnold fort, während sein Blick starr auf seiner derzeitigen Weinflasche hingen
blieb. „Anfangs nahm er sich ihre Ideo … hiep … logie vor. Also wie sie die
Rassen der Menschen ansahen und so. Dann irgendwann fing er über … fing er an
über die schrecklichen Propa… ach du weiß schon, ähm Film zu reden. Und dann
über den Volksempfänger. ‚Verdammte Goebbels Schnauze‘ hat er immer gesagt,
wenn das Ding … hiep … losging. Aber er hat immer nur gemeckert, wenn wir keine
Gäste dar hatten und nur wir da waren. Wir mussten versprechen, dass wir
niemand sagen, dass er das gesagt hat. Und wenn er anfangen wollte zu meckern,
hat er sich immer ge … gedreht, um zu kucken, dass niemand … niemand fremdes
dar war, der ihn hören könnte. So etwa.“
Mit einer hektischen und plötzlichen Bewegung drehte sich
Arnold auf seinem Stuhl, damit er hinter sich blicken konnte, dabei aber so
viel Schwung hatte, dass er fast umkippte. Nun konnte er dem Kommandeur sein
erstes Lachen entrinnen, als dieser ihm half, nicht den Boden unschön kennen
lernen zu müssen. Es war beiden klar, dass Arnold seinen Vater hier nun
überspitzt dargestellt hatte, was dem Wein auf nüchternen Magen zu schulden
war.
„Genau so hat er sich umgesehen, ich schwöre es“, sagte
Arnold mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ja, so war das. Aber er konnte auch
Ruhe geben … und zwar wenn es Essen gab. Meine Mutter war die beste Köchin, die
du … hiep … vorstellen kannst. Ich durfte ihr immer helfen. Meine kleine
Schwester anfangs auch, hat aber schnell die Lust verloren. Konnte eh nie
kochen. Und … und als ich so gut war, dass ich alleine … hiep … kochen konnte,
war er sogar stolz auf mich, also mein Vater, meine ich. Aber auch nur wenn es
geschmeckt hat und wehe es hat nicht geschmeckt. Ja, … aber dann war er
wirklich stolz auf mich. Aber dann ging das Gemecker wieder los. Ich darf ja
gar nicht darüber lä … lästern, bin ja nicht besser. Trotzdem war es manchmal
ner … hiep … vig. Und dann ging er auch auf andere Sachen los, wie … naja …“
„Kommunizm?“, fragte der Kommandeur
„Ja“, antwortete Arnold knapp, dessen Hals durch das ganze
Gerede etwas heißer geworden war, was er mit einem weiteren Schluck bekämpfen
wollte.
„Ich kann deinen Vater verstehen, Uhlig. Der Kommunizm hat
einen schlechten Ruf, nicht ohne Grund.
Weißt du, ich war einer der Soldaten, die den Winterpalais
ähm … geholt haben.“
„Wirklich?“, fragte Arnold schockiert, dem es schwer fiel,
sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Ja. Bevor ich Soldat wurde, war ich Lehrer. Nicht für lange
Zeit, aber ich habe es geliebt. Als 1917 Nikolas … nicht mehr Zar war, gab es
eine …“
„Pro … Provis … sorische Regierung?“
„Ja“, antworte der Kommandeur etwas zögernd, „genau. Also, es
lief ganz gut, bis Lenin wieder nach Russland kam. Er wollte die Macht und hat
es anfangs durch Wahlen versucht. Für ihn ging es aber viel zu langsam. Also
wollten wir uns die Macht einfach holen. Ich bin ihm schnell gefolgt. Er hat
das versprochen, was ich immer wollte.
Und als wir uns fertig gemacht hatten, um anzugreifen, dachte
ich, dass ich sterben würde. Aber mein Gott, lag ich falsch. Der Winterpalais
war ganz wenig … geschützt. Nicht mal das Tor war zu. Wir konnten einfach
reingehen und alle festnehmen. Mehr war es nicht. Es war wie mit der Bastille.
Die Leute bei Petrograd haben nicht mal bemerkt, dass was los war.“
Es machte sich während der Ausführung des Kommandeurs bei ihm
und Arnold ein Lachen breit, die die Geschehnisse recht amüsant fanden. Als der
Kommandeur aber fortsetzte, hat sich ein Großteil seines Lächelns aus seinem
Gesicht gestohlen.
„Ein paar der Soldaten und ich haben uns dann im Winterpalais
umgeschaut und im Keller mehr Vino ähm, ich meine … Wein. Wir haben mehr Wein
mehr gefunden, als man trinken könnte. Viel mehr als hier. Ich habe so viel
getrunken, dass ich nach einer Stunde unter einem Tisch lag und eingeschlafen
war.
Die anderen sind dann nach draußen gegangen und haben unseren
Sieg … anders gefeiert. Sie sind in ein reiches Viertel von Petrograd gegangen
und haben auf Spaß auf Leute geschossen, die reich aussahen und sind einfach in
Häuser rein gegangen, um dort weiter zu töten … das waren die einzigen, die an
dem Tag gestorben sind.“
Der Kommandeur nahm einen tiefen Schluck aus seiner
Weinflasche, wie als ob er einen bitteren Nachgeschmack herunterspülen müsste.
„Weißt du“, setzte der Kommandeur mit heißer Stimme fort,
„ich dachte, dass wir endlich Erfolg hatten, aber weiß Gott, was wir tun
mussten, um die Macht zu behalten. Als es zum Krieg in Russland kam, habe ich
mich der roten Armee angeschlossen. Und …“
„Und was?“, fragte Arnold, als der Kommandeur nicht weiter
redete.
„Nein. Darüber rede ich nicht, Uhlig … darüber rede ich
nicht.“
„War … war es so schlimm?“
„Es war die Hölle. Für mich und be … besonders für die
Bevölkerung.“
Keiner der Beiden ergriff danach das Wort und es machte sich eine
bedrückte Stille breit. Als Arnold nun auf die Gestalt des Kommandeurs blickte,
sah er nicht mehr einen Feind, der gekommen war, um Deutschland schonungslos zu
plündern, sondern einen finster drein blickenden Mann, der durch die
wachgerufene Erinnerungen förmlich in sich zusammen gesunken war.
Von der sonst so stattlichen aussehende Gestalt, die ein
Musterbeispiel eines jeden Vorzeigesoldaten war, war nur noch eine leere Hülle
übrig, der jede Kraft genommen wurde, um die Fassade weiterhin aufrecht zu erhalten.
Das vergessene Scharmgefühl kam nun stärker als zuvor zurück
und erzeugte in Arnold einen Selbsthass, den sein Vater nie hervor bringen
konnte, egal wie oft er ihn geschimpft hätte.
„Ich weiß, dass es schwer für dich sein muss, darüber zu
reden“, sagte Arnold, „und ich will mich … naja, bei dir bedanken, dass du es
mir erzählt hast. Und für alles andere, was du für mich getan hast. Also …
danke Iwan“
„Was?“, fragte der Kommandeur schockiert.
Zuerst war Arnold verwirrt, als er den Gesichtsausdruck
seines Gegenübers sah doch gerade als ihm sein Fehler auffiel, ergriff der
Kommandeur wieder das Wort.
„Du denkst, ich heiße Iwan?“
„Nein“, sagte Arnold beschwichtigend, „ich habe nur …“
„Wie lautet mein richtiger Name?“, unterbrach ihn der
Kommandeur scharf. „Sag ihn!“
„Ach komm … du weißt doch, ich … ich habe heute noch nichts
gegessen“, fing Arnold mit einem lustigen Ton an, um die Situation zu
entschärfen, „und ich habe so viel getrunken, da kann doch …“
„Artjom“, unterbrach der Kommandeur ihn erneut, „Mein Name
ist Artjom“
„Ja, dass wusste ich“, log Arnold, „und …“
Artjom ließ Arnold nicht weiter reden und würgte ihn mit
einem kurzen Wink seiner Hand ab. In seiner Miene konnte Arnold deutlich
erkennen, dass er Artjom schwer gekränkt hatte und dieser nun gerichtfertig
wütend auf ihn war.
„Weißt du“, sagte Artjom mit scharfen Ton, „ich glaube wir
sollten jetzt aufhören und über das reden, warum wir hier sind.
Als das Monstr mich angriff, hast du mir das Leben gerettet.
Ich wollte dich noch fragen, was du mit meiner Pistole gemacht hast, hab es
aber vergessen bei all den Dingen, die ich machen musste. Sie hat meinem Vater
gehört, weißt du. Aber vor ein paar Stunden kam einer der Soldaten zu mir und
weißt du, was er mir gebracht hat?“
Wie ein eiskalter Wind jagte die Erkenntnis durch Arnold, die
ihm trotz seines angetrunken Zustandes, den Ernst der Lage begreifbar machte.
Langsam griff Artjom in das Innere seiner Jacke, welche er trotz der Wärme
immer noch trug und holte die Pistole heraus.
„Die hier“, sagte Artjom und blickte Arnold an wie eine Katze
eine Maus, „Er hat sie dort gefunden, von wo wir zu den Monstry kamen, mit
vollen Magazin.
Ich habe eine Frage an dich Uhlig. Warum hast du eine
geladene Pistole zu unserem Treffen mitgenommen?“
Jeder Versuch zu Lügen stellte sich als sinnlos heraus, da
Arnold so von dieser Frage überrumpelt wurde, dass sein Gesicht Bände darüber
sprach, was in ihm vorging. Arnold fühlte sich nun vollends wie eine Maus, die
von einer Katze in die Enge getrieben wurde. Ihm brach kalter Schweiß über den
ganzen Körper aus und er spürte, wie sein Leib anfing zu zittern. Aus reinem
Reflex versuchte er sich das Klavierspiel seiner Mutter wach zu rufen, um sich
irgendwie zu helfen.
„A … A … Also“, stotterte Arnold, „es ist nicht so …“
Wutentbrannt riss Artjom den Tisch, an dem sie saßen, um und
verpasste Arnold einen kräftigen Schlag mitten ins Gesicht, der ihn von seinem
Stuhl auf den Boden beförderte. Benommen versuchte Arnold sich wieder
aufzurappeln, doch sein Geist wie Körper wurden durch die Schmerzen und dem
Schock, den der Hieb ausgelöst hatte, völlig nutzlos gemacht und es dauerte
einige Sekunden, bis er verarbeiten konnte, was gerade geschehen war.
Unterdessen drehte Artjom Arnold auf den Bauch und packte
dessen Arm, um ihn schmerzhaft zu verdrehen. Erneut durchfuhren Arnold
Schmerzen, welche jedoch deutlich intensiver waren als zuvor und entlockten ihm
sofort ein gepeinigtes Jauchzen. Kaum spürte er, wie Artjom nun die Pistole an
den Hinterkopf anlegte.
„WARUM HAST DU EINE GELADEN PISTOLE ZU UNSEREM TREFFEN
MITGENOMMEN?!“, brüllte Artjom und entsicherte seine Waffe.
„Sie … AHH … sie haben mich dazu gebracht“, presste Arnold
unter Schmerzen und Todesangst hervor, „ich schwöre es, ich … ich wollte es
nicht“
Nach ein paar Sekunden, die sich für Arnold wie ganze
Lebzeiten anfühlte, ließ Artjom von ihm ab und brüllte etwas auf Russisch in
Richtung der Treppe. Augenblicklich erschien 2 Soldaten an dem Türrahmen und
nahmen Haltung ein, auch wenn sie durch den Anblick der Situation etwas irritiert
gewesen sein mussten.
„Packt dieses Svin’ya und fesselt ihn an einen Stuhl in einer
der Räume! Ich kümmere mich dann um ihn“
Kapitel 11
Jegliche Gegenwähr erwies sich als sinnlos, da die Fesseln um
Arnolds Arme und Beine nicht nachgeben wollten und ihn fest an den Stuhl
behielten. Fast eine halbe Stunde war bereits vergangen, als die 2 Soldaten ihn
in diesen Raum geschliffen und an den Stuhl festgemacht hatten, der mitten im
Zimmer stand.
Neben ihm befanden sich nur noch ein großer Tisch und ein
Fenster im Raum, durch welches der Mondschein kam und seine Umgebung etwas
erleuchtete. Der Stuhl war an den Boden fest angeschraubt und hielt jede
Anstrengung von Arnold eisern stand. Nur sein Kopf war noch frei, der immer
noch von dem Schlag brummte und er so sein Umfeld nach jeglichen Details
absuchte, die ihm irgendwie helfen könnten.
Leider war das einzige, was er neben der spartanischen
Einrichtung noch erkennen konnte, dass der Raum etwas kleiner war, als sein
Zimmer, welches bereits von bescheidener Größe war. Nicht einmal eine Uhr war
vorzufinden und Arnold nahm an, dass dieser Ort früher wohl als ein kleines
Lager für Nahrung oder dergleichen genutzt wurde. Damit beschlich ihn aber auch
die Erkenntnis, dass Artjom und sein Gefolge den Raum bereits im vorhinaus für
ihn vorbereit hatte.
Mit jeder dahin schreitenden Minute, die er alleine gefesselt
verbringen musste, wuchs die Angst in Arnold vor den Konsequenzen, die ihm
bevorstanden. Die Warterei empfand er als die erste Strafe und sie verfehlte ihr
Ziel nicht. Würde der Stuhl ihn nicht halten, hätten seine Glieder unter dem
schieren Stress, welcher in diesem Augenblick sein einziger Folterer war, ihn
nicht mehr stemmen können und wären in sich zusammengefallen.
Begleitet wurde nun das eintretende Zittern, welches sich
zuerst nur über Arme und Beine ausbreitete, von seiner inneren Stimme, die ihn
für seine begangene Fehler schimpfte, welche ihn in diese Lage gebracht hatten.
Gerade als er versuchte, sich einen Plan auszudenken, wie er sich retten könnte,
platzte Artjom mit einem seiner Gehilfen in den Raum.
In ihren Händen trugen sie drei Eimer mit Wasser, einen
Verband, einen Ledergürtel, einen Hocker und noch ein paar weitere Dinge, die
sich Arnolds Blick aber entzogen. Keiner der beiden schenkte ihm jegliche
Aufmerksamkeit und sie breiteten ihre Mitbringsel auf den Tisch aus.
Stumm verschwand der Gehilfe, als alle Gegenstände auf dem
Tisch lagen und ließ die beiden alleine. Immer noch herrschte eisiges Schweigen
und Artjom hatte Arnold den Rücken zu gekehrt und werkelte an dem Tisch herum.
„Artjom“, sagte Arnold mit zitternden Stimme, „i … ich weiß,
d … dass ich …“
Bevor er aussprechen konnte, drehte sich Artjom zu ihm um,
wodurch er ins Stocken geriet. Er hatte seine Hände mit dem Verband eingewickelt
und knackte demonstrativ mit ihnen. Mit einem schnellen Schritt trat er vor
Arnold und verpasste diesem unvermittelt einen kräftigen Schlag in den Bauch, welcher
ihn soweit zusammensinken ließ, wie es seine Fesseln erlaubten.
Keuchend versuchte Arnold sein Kopf wieder aufzurichten,
wobei ihm jede Bewegung und jeder Atemzug schmerzte, um seinen Peiniger erneut
um Gnade an zu flehen. Ein zweiter Schlag begrüßte seine Gesicht, als es ihm
endlich gelang und knallte sein Hinterkopf an die Rückenlehne des Stuhles.
Benommen merkte Arnold wie Artjom anfing auf ihn einzureden,
wovon er aber noch nichts verstehen konnte, da er seine getrübte Aufmerksamkeit
auf dem Blut heften blieb, welches aus seiner Nase floss und auf seine Hose
fiel.
Ist meine
Nase gebrochen?, fragte sich Arnolds innere Stimme.
„ … ein Land, wo ich meinen Traum wahr machen kann“, hörte
Arnold Artjom sagen, nachdem er aus seiner Trance kam, „und den Leuten helfen
kann. Und du? Du bist zu dumm, um zu sehen, dass ich euch schütze.“
Unter Schmerzen, welche sein Gesicht und sein Magen quälten,
konnte Arnold nun bemerken, dass Artjom ihn umrundete, während er sprach. Seine
wutverzerrte Miene sprach Bände darüber, welch Unheil Arnold noch bevor stand,
wenn er nichts tat.
„Artjom“, begann Arnold, „ich …“
Wie eine gespannte Bärenfalle, in die er hingetreten war,
schnallte Artjom zu ihm und schlug ihn auf die bereits geschundene Nase. Die
Schmerzten stürzten wie eine unaufhaltsame Flut über ihn hinweg und entlockten
ihm einen kurzen Aufschrei.
Nun ist sie
gebrochen, sprach ein Teil Arnolds zu ihm.
Anstatt aber seine Hand wieder zurück zu ziehen, packte
Artjom Arnolds Kopf und drückte ihn an die Rückenlehne.
„Weißt du, was ich für euch gemacht habe?“, fragte Artjom
zornig, „Ich halte meine Soldaten zurück, dass sie euch nicht plündern oder
eure Frauen nehmen, wie es andere tun. Aber das interessiert dich nicht, oder?
Nein, ich bin nur Iwan für dich, der gekommen ist, um dein Land zu zerstören.
Ich bin weich geworden. Ich war viel zu nett zu dir, weil ich
dachte, du wärst wie die anderen Deutschen, die sich mir anschlossen, aber da
lag ich ja falsch.
Keine Sorge, du hast mir gezeigt, dass ich mich wie zu Zeiten
des Krieges in Russland benehmen muss, um hier die Feinde zu besiegen. Und mit
dir fange ich an. Ich bekomme alles aus dir heraus, was du weißt.“
Daraufhin gab sich Artjom seinem Zorn hin, welchen er bis
dahin noch unterdrückt hatte und schlug wie ein Wilder auf Arnold ein. Wenn
seine gebrochene Nase eine Flut war, dann war dies nun ein gewaltiger Sturm,
der jeden Gedanken vernichtete, bis nur noch die Schmerzen übrig waren.
Nicht einmal ein leises aufheulen konnte ihm gelingen, da ihm
die Raserei von Artjom nicht die Zeit dafür ließ. So plötzlich wie aber sie
begann, endete sie auch. Nur schwach konnte Arnold sein Umfeld war nehmen und
er spürte, wie sein Körper, um ihm weiteres Leiden zu ersparen, zu dösen anfing
und bald in Ohnmacht übergehen würde.
Bevor er sich aus seinem Leibe retten und in den ersehnten
Schlummer fallen konnte, durchfuhr sein Körper ein plötzlicher Schock, der ihn
sofort wieder in die Wirklichkeit zurückholte. Artjom hatte einen der Eimer
genommen und ihm das Wasser ins Gesicht geschüttet.
Arnold wollte ein erbärmliches Flehen von sich geben, als er
sich der weiteren Tortur ausgesetzt sah, konnte aber kaum ein Ton sagen, da ein
Großteil seines Gesichts angeschwollen war und jeden Versuch, auch nur einen
Muskel dort zu bewegen, schwer bestrafte. Das Wasser, was sein Kopf runterlief,
tropfte mit dem Blut, welches nun aus seinen zahlreichen Wunden strömte, auf
seine Hose und auf sein Hemd und ruinierte diese völlig. Bei seinem
vergeblichen Sprechversuch bemerkte Arnold, dass einige seiner Zähne locker
waren und sich nicht mehr lange in seinem Gebiss halten würde.
Kurz betrachtete Artjom sein Werk und schien recht zufrieden
damit zu sein, als Arnold jedes Mal von Schmerz gepeitscht wurde, wenn er sein
Gesicht nur leicht bewegte. Im Gegensatz zu seinem Gefangen, befand er sich in
absoluter Höchstform und zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen.
„So“, sagte Artjom und
nahm den Ledergürtel von dem Tisch, „ich glaube wir können weiter machen.“
Mit langsamen Schritten kam er auf Arnold zu und schlug die
metallene Schnalle des Gürtels immer wieder in seine Hand. Von Angst gepackt,
zerrte Arnold an seinen Fesseln und drückte sich mit aller Kraft gegen die
Rückenlehne, nur um mehr Abstand vor seinem Folterer zu bekommen. Als die
beiden kaum ein halber Meter trennte, fing Artjom wieder zu sprechen an:
„Weißt du, als ich noch Lehrer war, musste ich ein paar der
Schüler schlagen, wenn sie sich falsch … gemacht hatten. Es kam nur selten vor
und es hat mir kein Spaß gemacht, aber sie haben dann besser gelernt. Also,
kannst du mir sagen, wo die Feinde sind?
Uhlig, ich rede mit dir“, sagte Artjom, als Arnold keine
Antwort gab, „Weißt du es nicht? Das musst du aber wissen. So, du willst nicht
mit mir reden, dann …“
Ohne weiteres Zögern donnerte Artjom den Gürtel dreimal auf
das rechte Bein von Arnold. Dieser schrie vor Schmerzen auf, als die Schnalle auf
seine Haut hämmerte und dort Blutergüsse zurückließ.
„So, dann kommen wir zu einer weiteren Frage“, setzte Artjom
fort, „Wie kann sich der Feind vor uns verstecken, wenn er doch aus großen
Monstr besteht?
Weißt du das auch nicht. Hast du dich nicht gut vorbereitet
oder willst du nicht mit mir reden?“
„Ich bitte dich“, krächzte Arnold, „hör damit auf“
Erneut sauste der Gürtel 3-mal nieder, traf jedoch Arnolds
linkes Bein und wurde von einem neuen Schmerzensaufschrei beantwortet.
„Du weißt ja sehr wenig Uhlig. Ich hoffe aber, du jetzt meine
Frage beantworten. Wer …“
„Fahr zur Hölle!“, unterbrach ihn Arnold zornig, „Du krankes
Schwein! Ich hoffe …“
Die Beleidigungen, die Arnold ihn mit aller Abscheu noch an
den Kopf werfen wollte, gingen in ein wildes Gekreische über, als Artjom erneut
von seiner Wut übermannt wurde und rasend mit dem Gürtel auf den Gefesselten
einschlug. Arme und Beine waren dabei das gewünschte Ziel, jedoch trafen einige
der Schläge auch den Bauch und die Brust, die Arnold ein Röcheln entlockt
hätten, wenn er nicht am Spieß brüllen würde.
All dem setzte ein weiterer Querschläger ein Ende, welcher
Arnold an der Schläfe mit solcher Wucht traf, dass es ihn fast in die erlösende
Ohnmacht versetzt hätte. Verschwommen nahm er den Raum und alles, was sich in
diesem befand, war und konnte benommen Bewegungen bei seinem Gegenüber
wahrnehmen, der nun inne hielt und sich dann an seinen Fesseln zu schaffen
machte.
Nach einigen Sekunden, die in Arnolds Zustand aber arg
verlangsamt wirkten, lösten sich die Fesseln um seine Arme und Beine und er
fiel, nachdem er kleinen Ruck verspürte, der ihn vom Stuhl drückte, auf den
Boden. Unter dem Klavierspiel seiner Mutter konnte er wieder den befreienden
Schlaf sich anbahnen sehen, nur um auf dieselbe schreckliche Weise von ihm
getrennt zu werden.
„Wach?“, fragte ihn Artjom höhnisch.
Arnold konnte darauf nichts erwidern, da er von seinen
pochenden Gliedern geschüttelt wurde und damit beschäftigt war, dass wenige
Wasser, was er verschluckt hatte, wieder heraus zu keuchen. Dabei wurde er nur
von neuen Schmerzwellen gepeinigt, da nun weite Teile seines Leibes mit
Blutergüssen übersäht waren.
„Steh auf“, sagte Artjom in gebieterischen Ton.
Wie ein dressierter Hund fügte sich Arnold dem Befehl,
brauchte aber mehrere Anläufe, um sich wieder auf die Beine zu stemmen, wobei
er den Tränen nahe gekommen war. Der höhnische Gesichtsausdruck verschwand aus
Artjoms Miene, als er seinem Opfer dabei zusah, wie er bei einer so leichten
Aufgabe an seine Grenzen stoß und er wand den Blick gänzlich von ihm ab, bis er
schwankend vor ihm stand.
„Gut“, sprach Artjom und nahm den kleinen Hocker an sich,
„Was glaubst du, werden wir hiermit machen?“
Die einzige Antwort, die Artjom erhielt, war das
angeschwollene Gesicht Arnolds, welches keine Regung zuließ. Davon schien
dieser nicht erzürnt und stellte den Hocker auf den Boden.
„Stell dich darauf und bleibe solange dar stehen, bis ich dir
sage, dass du runter kommen kannst.“
Argwöhnisch trat Arnold auf den kleinen Hocker und fiel fast
diesem herunter, nicht weil seine geschundenen Glieder ihn nicht mehr tragen
wollten, sondern weil eines der 3 Beine kürzer war, als die anderen und er so
das Gleichgewicht halten musste, was sich in seiner damaligen Verfassung als
eine Herakles Aufgabe erwies.
Sein Peiniger blieb aber nicht untätig, sondern schnappte
sich die leeren Weinflasche, welche fast alle von Arnold stammten und warf sie
um ihn herum auf den Boden. Unzählige Glasscherben umgaben Arnold und er wurde
sich der Grausamkeit dieser Aufgabe bewusst.
„Breite die Arme aus!“, sagte Artjom, „so, wie Lisus am
Kreuz“
Widerwillig kam Arnold dem Wunsch nach, wobei in seine Arme
und Beine ein dauerhaftes Pochen einsetzte, welches ihn Tränen in die Augen
trieb. Um dabei nicht vom Hocker zu stürzen, musste er sein Gewicht so
neuverteilen, dass das kürzere Bein in der Luft stand, wodurch aber sein
rechtes Bein die meiste Last trug und sich die dort aufgeriebenen Muskeln zu
verkrampfen drohten und vor Schmerzen aufschrien.
Das Schlimmste war aber Artjom, der wieder anfing ihn zu
umrunden. Wie eine Katze, die nun mit der gefangenen Maus noch etwas spielen
wollte, schlug er mit dem Gürtel mehrfach dicht an ihm vorbei. Wenn er in den
toten Winkel von Arnolds Blick ankam, verlangsamte er sein Tempo und ließ den Gürtel
so oft durch die Luft sausen, dass Arnold jedes Mal zusammen zuckte und das
Gleichgewicht verlor, was er sich schmerzhaft zurück kämpfen musste.
Nachdem fünf Minuten vergangen waren, hörte Artjom mit seinen
Spielchen auf und setzte sich auf den Stuhl und betrachtete seinen Gefangen,
den er immer noch nicht zu erlösen gedachte. Lange blickte er in Arnolds
Gesicht, welches mittlerweile tränenüberströmt war und derart rot angelaufen
war, dass man es mit einer reifen Tomate verwechseln konnte.
„Bitte“, flehte Arnold, dessen Körper so stark zitterte, dass
es fast unmöglich war, das Gleichgewicht zu halten.
Die starre Miene weichte sichtlich auf und jede Freude, die
er an dieser Folter einst verspürte, wich aus Artjom‘s Blick und offenbarte ein
Schimmer Scharm, der schwach aber auch deutlich aufleuchtete, wie ein weit
entfernte Leuchtturm in tiefster Nacht. Schnell verdeckt er dies, indem er sich
mit seiner linken Hand ins Gesicht griff und seine Schläfen rieb.
Mit einem Ruck stand er von dem Stuhl auf und fegte ein Teil
der Glasscherben mit seinem Fuß weg, sodass eine freie Stelle entstand.
Bereitwillig stürzte sich Arnold auf diese, als wäre sie die lebensrette Oase
in einer toten Einöde.
Je länger Artjom die Gestalt vor sich betrachtete, desto mehr
nahm er die eingefallene Haltung ein, die er bekam, als er im Weinkeller seine
schlimmsten Erinnerungen wach rief.
„Ich glaube, du hast genug“, sagte Artjom mit schwacher
Stimmer, nachdem er dem Blick von Arnold abgewendet hat.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er um den Gequälten
herum und verschloss die Tür, als er aus dem Raum hinaus getreten war. Geneigt
sich der Erschöpfung hinzugeben und endlich einzuschlafen, nahm Arnold seine
letzten Kräfte zusammen und kroch zu dem Fenster.
Schwer atmend hievte er sich auf seine protestierenden Beine,
die ihm deutlich machten, dass sie keine Sekunde länger durchhalten würden.
Diese Warnung musste aber Arnold ignorieren, damit er die benötigte Höhe
erreichen konnte, um aus dem Fenster zu sehen.
Er musste nicht lange suchen, bis er die Gestalt eines
riesigen Hundes sehen konnte, der das Anwesen im Auge behielt. Kurz trafen sich
ihre Blicke und das Ungetüm betrachtete ihn einen Augenblick, bis er umdrehte
und davon rannte.
Erleichtert sank Arnold die Wand hinunter und verfiel in den
verdienten Schlummer.
Kapitel 12
Stöhnend hielt sich Arnold die Hand vor seine Augen, um sich
gegen die blendenden Sonnenstrahlen zu schützen, die durch das Fenster kamen.
Neben der Sonne begrüßte ihn der pochende Schmerz in seinen Armen und Beinen
sowie in seinem angeschwollenen Gesicht. Mit jeder noch so kleinen Bewegung
konnte er spüren, wie die unzähligen Blutgerinnsel auf seinem Körper aufbrachen
und seine Bewegungen einschränken würden.
Unerträglich wurde auch der grässliche Wundschorf, der
Arnolds Züge ihn eine widerwärtige
Fratze verwandelte und schrecklich juckte. In seinem Mund, der völlig
trocken war, konnte er den eisernen Geschmack seines eigenen Blutes schmecken,
der aber schon getrocknet sein musste. Als er kläglich versuchte, mit seiner
Zunge den Mund etwas zu befeuchten, bemerkte er wieder, dass einige seiner
Zähne durch die Schläge locker geworden waren und raus zu brechen drohten.
Auch wenn der Schlaf ihm viel zu kurz vorkam, hatte er ihm
genug Erholung verschafft, dass er aufstehen und zaghaft laufen konnte, was
aber mit Schmerzen verbunden war. Die nüchterne Inspizierung seines Zustandes
wurde aber von einem Lärm unterbrochen, der von einer regen Geschäftigkeit der
Soldaten draußen sprach.
Durch sein Fenster war es ihm nicht möglich, einen Blick nach
draußen zu werfen, er konnte aber die unverständlichen Rufe einiger Soldaten
hören, die wohl am Fabrikgelände tätig waren. Niedergeschlagen gab Arnold seine
Versuche auf, etwas über das Vorgehen draußen zu erfahren und legte sich in
eine kühle Ecke des Zimmers, die ihn vor den Sonnenstrahlen schützte, um die
Ruhe zu genießen, bevor Artjom oder einer seiner Handlanger zu ihm kommen
würde.
Eine Viertelstunde verbrachte er in einem angenehmen Zustand,
in welchem er leicht döste, bevor das Schloss der Tür umgedreht wurde und diese
sich öffnete. Herein kam ein junger Soldat und stellte ihm ein Tablett mit ein
paar Scheiben Brot, Käse und einem Glas Wasser hin.
„Was geht da draußen vor sich?“, fragte Arnold mit brüchiger
Stimme
Der Soldat musterte ihn mit einem verächtlichen Blick und er
schien geneigt, ihm als Antwort ins Essen zu spucken.
„Geht dich nichts an!“, zischte dieser in dialektfreien
Aussprache und unterdrückte seinen Wunsch.
Wenig überrascht über die schroffe Antwort, da er mit so
einer nach dem gestrigen Tag gerechnet hatte, setzte sich Arnold wieder in
seine Ecke und Verschlang das Frühstück gierig. Immer wieder bahnte sich die
Fragen an, was er als nächstes tun sollte oder was Artjom noch mit ihm vorhabe.
Diese bekamen aber keinerlei Beachtung, da Arnold zu sehr damit beschäftigt
war, den gerade erst entdeckten Hunger und Durst zu stillen.
Kurz bevor Arnold die letzte Scheibe Brot in seinen Mund
steckte, hörte er, wie der Motor eines Fahrzeuges angelassen wurde und sich dieses
in Fahrt setzte. Humpelnd setzte auch Arnold sich in Bewegung und eilte, so gut
es seine schmerzenden Beine zuließen, zu dem Fenster, um sich das Auto näher
anzusehen.
Es handelte sich bei diesem um einen kleinen
Truppentransporter, der zehn Soldaten auf seiner Tragefläche hatte. Sie fuhren
auf direktem Weg nach Chemnitz, welchen Arnold von seinem Fenster aus gut im
Blick hatte. Ebenfalls konnte er Hanns entdecken, der sich noch weit vor dem
Fahrzeug befand und aus dem Schutz eines kleinen Hügels und ein paar Bäume die
Nähernden beobachte.
Plötzlich wurde Arnold klar, dass der ganze Aufruhr mit
seiner Rettung zu tun haben musste.
„Er hat irgendwie dafür gesorgt, dass viele von ihnen weg
müssen“, sagte Arnold leise zu sich selbst.
Es stahl sich ein derart großes Lächeln auf sein Gesicht,
dass der Wundschorf an vielen Stellen aufzureißen drohte und er es deswegen mit
aller Kraft zu unterdrücken versuchte, was ihm aber nicht einmal ansatzweise
gelang.
Wo er aber scheiterte, konnte Hanns in Sekunden die Freude
aus seinem gezeichneten Gesicht verjagen. Als der Transporter etwas näher
gekommen war, ritt Hanns aus seinem Versteck mitten auf die Straße und
versperrte den Soldaten den Weg. Bevor diese verwundert auf nur ein Wort von
sich geben konnten, gab der Reiter einen schrillen Pfiff von sich.
Im Bruchteil einer Sekunde brachen die zwei riesigen
Jagdhunde Hanns aus ihren Verstecken, die selbst Arnold vorher nicht entdeckt
hatte und rannten von je einer Seite auf das Auto zu. Als sie bei diesem
angekommen waren, stürzten sie sich auf die Tragefläche und fielen die Soldaten
an.
Die überraschten Männer konnten keine Gegenwehr leisten und
wurden gnadenlos von diesen Biesten zerfleischt. Trotz der Entfernung, die an
die 100 Meter gehen müsste, konnte Arnold ihre angsterfüllten Schreie so
deutlich hören, als würde er neben Hanns stehen, der dieses Gemetzel
nichtssagend betrachtete.
Abgetrennte Körperteile, zerfetzte Organe und Unmengen an
Blut flogen von dem Wagen und ziemten das Umfeld mit all der Grausamkeit, die
dem Spektakel anheim war. Ein Unglücklicher konnte sich vor den Fängen und
Klauen der Hunde retten, die rasend um sich schlugen und schaffte es sogar von
der Tragefläche herunter.
Kaum hatten seine Beine aber den Boden berührt, da traf ihn
ein Messer in seine linke Wade und schickte ihn schreiend zu Boden. Freudig
stürzten sich die Bestien, als sie das Wehklagen des Verwundeten hörten, auf
diesen und rissen ihn langsam in 2 Hälften.
In aller Ruhe gab Hanns einen seiner Hunde ein kurzes
Handzeichen, der sofort aufhörte mit den verstümmelten Leichen zu spielen, die
zu Teilen auf der rot gefärbten Tragefläche und Boden lagen, und brachte ihm das
Messer zurück, welches er auf den Flüchtigen geworfen hatte.
Nun trafen sich zum ersten Mal die Blicke von Hanns und
Arnold, der bisher schockiert das Gemetzel mit weit aufgerissenen Augen
erblickt und jegliche Farbe im Gesicht verloren hatte. Langsam hob Hanns das
bluttriefende Messer und zeigte mit der Klinge in Arnolds Richtung, woraufhin
seine Hunde gleichzeitig mordlüstern los rannten.
Als Arnold diese unheiligen Monster auf sich zu stürmen sah,
wurden all die Stoßgebete und Fragen, ob dies nicht ein Albtraum sein könnte,
die ihm durch den Verstand sausten von einer entsetzlichen Erkenntnis zum
Schweigen gebracht.
Hanns war nicht hier, um ihn zu retten.
„Hallo!“, schrie Arnold und eilte auf die verschlossene Tür,
„Ihr müsst mich hier rauslassen, sofort!“
Einer der Soldaten, der Arnolds verzweifelte Stimme gehört
hatte, war gerade an der Tür angekommen und wollte eine schnippige Antwort von
sich geben, als die Hunde gegen die Wand knallten, an der Arnold zuvor stand.
Das Fensterglas ging bei dem harten Aufprall zu Bruch und fiel scheppernd zu
Boden, wodurch man das schrille Geplärr der Bestien deutlich hören konnte, die
mit aller Kraft versuchten, die Wand einzureißen.
Ihr Bemühen wurde aber von den verbliebenen Soldaten
unterbrochen, die nach Draußen gestürmt waren, als sie den lauten Knall gehört
hatten. Unverzüglich eröffneten sie das Feuer auf die Hunde, welche von Arnold
abließen, um sich ihren neuen Feinden anzunehmen.
Angsterfüllt hämmerte Arnold gegen die Tür wie ein
Wahnsinniger gegen seine Zellenwand und schrie den Soldat, der noch immer davor
stand, an, ihn endlich rauszulassen, während im Hintergrund die Hunde dem
Kugelhagel trotzten und sich auf die armen Männer stürzten.
In dem Anwesen entbrannte heillose Panik und ein Großteil der
Besatzung rannte nach draußen, um ihre Kameraden zu unterstützen, die unter
qualvollen Schreien in Stücke gerissen wurden. Ein weiterer Soldat blieb vor
Arnolds Tür stehen und die beiden berieten in aller Eile, was sie mit dem
Gefangenen tun sollten, kamen aber zu einem Ergebnis, als jeder Versuch
scheiterte, die Hunde aufzuhalten und der Kampflärm unabdinglich näher kam.
Das Klimpern des Schlüsselbundes und das Klicken, als das
Schloss geöffnet wurde, war Musik in den Ohren Arnolds und erfüllte ihn mit
derart großer Freude, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Hektisch winkten
ihm seine Gegenüber zu, ihm zu folgen, in deren Gesichter sich der blanke
Horror hinein gefressen hatte.
Keiner der drei hegte den Wunsch, sich ebenfalls nach draußen
zu begeben, da die unermüdlichen Bestien dem Beschuss der Soldaten eisern
standhielten und mit jeden dahin schreitenden Moment ein weiteres Gewehr, mit
dem schmerzerfüllten Ausruf seines Besitzer, verstummte. Ohne einen Fluchtweg
vor Augen zu haben, rannten sie, so schnell ihre Beine sie tragen konnten, die
Treppe ins nächste Stockwerk hinauf.
Arnold kam als Letzter in diesem an und trotz seiner
schrecklichen Schmerzen, die sich in seinen Gliedern dank der Anstrengung breit
machte, half er den beiden Soldaten die Tür, welche ins untere Stockwerk
führte, mit jeglichem schweren Gegenstand zu verbarrikadieren. Gerade als sie
einen weiteren Schrank vor die Tür zerrten, krachten die beiden Hunde gegen
diese.
Mehr und mehr kleinere Risse bildeten sich auf dem Holz der
Tür, als die Ungetüme ihre schweren und blutigen Leiber dagegen rammten, jedoch
hielt die Pforte stand. Begleitet wurde jeder neuer Angriff von ihrem
wutverzerrten Gebrüll, dass mehr dem eines Dämons glich als dem eines Hundes.
Die Biester beendeten aber sofort ihre kläglichen Versuche,
zu den drei durch zu kommen, als ein lautes Quietschen von der ersten Stufe der
Treppe hörbar wurde. Mit schwerfälligen Schritten bahnte sich eine Gestalt den
Weg nach oben, wobei das Ächzen der Treppe immer lauter wurde, je näher er kam.
Leise winselnd gaben die Hunde Hanns Platz, damit er an ihnen
vorbei kommen konnte und die beiden rannten nach unten, als er ihr Herr sie
überwunden hatte. Vor der Tür angekommen, presste der Reiter seine Hand gegen
diese und stemmte sich mit seiner gesamten Kraft gegen sie. Was den Hunden in
ihrer Raserei nicht gelang, vollbrachte Hanns in aller Ruhe und mit nur einem Arm.
Jeglicher Gegenstand, den die drei vor die Tür gezogen hatten,
wurde weg geschoben, als die Tür sich langsam zu öffnen begann. Panisch warfen
sich die Soldaten und Arnold vor den Berg an Möbelstücken und stemmten sich mit
all ihrer Kraft dagegen, um Hanns daran zu hindern, die Pforte zu öffnen.
Vereint konnten sie die unmenschlichen Kräfte des Reiters
daran hindern, den Weg zu ihnen frei zu machen, doch mit jeden neuen Versuch,
den Hanns tätigte, nahmen seine Anstrengungen zu und es stellte sich lediglich
als eine Frage der Zeit heraus, bis er Erfolg haben würde.
Seufzend wollte Hanns die zweite Hand an die Tür legen, als
das Geplärr seiner Hunde laut wurde, die sich noch im unteren Stockwerk
befanden. Nach einem kurzen Augenblick ließ der Reiter von der Pforte ab und
begab sich genauso langsam herunter, wie er die Stufen erklommen hatte.
Erleichterung machte sich nur im kleinsten Maß bei den drei
breit, die durch die Aufregung schwer atmend darüber berieten, wie ihr nächstes
Vorgehen auszusehen haben sollte. Einige Minuten eröffneten sie Pläne verwarfen
sie jedoch wieder in Windeseile. Ihr einziger gefasster Beschluss, der für sie
keine Nachteile hatte, war, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, mit allem, was
sie zur Verfügung hatten.
Auch wenn die Gewehre an den Hunden keinen nennenswerten
Schaden verursacht hatten, klammerten sie sich an die Illusion, sich wehren zu
können. Arnolds Bewaffnung und die der Soldaten bestand aus einem Gewehr und
einer einzigen Handfeuerwaffe, welche nur in durch einen Wunder signifikanten
Schaden an ihren Gegner verursachen könnte.
Gerade als Arnold seine Waffen, auf sichtbare Mängel, untersuchte,
nahm er einen stickigen Geruch war, der seine beiden Gefährten noch nicht
erreicht hatte, die noch in ihre Diskussion vertieft waren, welches Fluchtauto
sie nehmen sollten. Er brauchte einen Augenblick, bis ihm endlich die Quelle
des bekannten Geruchs ein viel, Rauch.
Wie ein guter Wein, entfaltete die Erkenntnis ihren bitteren
Geschmack nur langsam, erfüllte Arnold aber mit einem grässlichen Schrecken,
der jede Zuversicht aus seinem Leibe verjagte.
„Der Weinkeller“, sprach Arnold mit brüchiger Stimme.
Die beiden Soldaten blickten Arnold fragend an und
unterbrachen sogar ihre hitzige Unterhaltung. In diesem Augenblick der Stille konnten
die Anwesenden das Knistern des Feuers hören, welches direkt unter ihnen wütete
und das Anwesen sich stückweise einverleibte.
Untermalt wurden die hungrigen Flammen vom dem Qualm, der
durch die Spalten und Risse der Tür sickerte und das zweite Stockwerk komplett
einzuhüllen drohte, bevor der Brand ihn überhaupt erreichen könnte. Erneut
brach Panik aus, als sich die drei der Falle bewusst wurden, in der sie sich
nun befanden, was von dem Knacken des Holzes, welches unter ihnen verbrannte,
stetig verstärkt wurde. Hektisch versuchten sie nun, einen Fluchtplan zu
erdenken, mit dem sie dieser Todesfalle doch noch entkommen könnten.
Unter dem ansteigenden Druck, der nicht nur Arnolds
Kreativität lähmte, kam nur wirres Geschwätz daher, welches sich niemals bewerkstelligen
lassen würde, selbst wenn sie kein so dringliches Ultimatum gesetzt bekommen
hätten. Einer der beiden Soldaten brach schließlich unter der Furcht zusammen
und rannte mit einer vor Entsetzten und Todesangst verzerrten Miene zum ersten
Fenster, welches ihm in die Augen sprang und riss dieses auf.
Der Soldat erwies sich geschickter, als Arnold es
ursprünglich für möglich gehalten hat, da der Mann sich mit einem Schwung aus
dem Fensterrahmen stürzte und sich an diesem noch festhalten konnte, um nicht
in den Abgrund zu fallen. Mit geübten Griffen kletterte der Soldat Zentimeter
für Zentimeter hinunter, bis sich ein Bolzen in seinen Arm bohrte.
Hanns hatte sich auf die Lauer gelegt und ließ nun seine
Hunde wieder frei, die nur mit aller größten Mühe ihren erweckten Blutdurst
unterdrücken konnten, um das Versteck nicht preis zu geben. Trotz der Schmerzen,
die durch den Körper des Soldaten fegten, und des verwundeten Armes, konnte
sich der Mann mit größter Anstrengung noch festhalten, was seinem Kopf rot
anlaufen ließ.
„Oh Gott, bitte nicht“, flehte der Soldat, als die Hunde
unter ihm ankamen und in die Luft sprangen, um ihn zu erwischen, „Helft mir! So
helft mir doch!“
Das Gesicht des Soldaten wurde von einem Schwall aus Tränen
überströmt, welches rot angelaufen war, als ob jemand den armen Mann zusätzlich
noch die Luft rauben würde. Weder Arnold noch der andere Soldat gingen auf die
Bitten des Mannes ein, dessen Stimme mit jedem Mal verzweifelter und
verbitterter wurde. Schuld und Scharm peitschten derart stark auf Arnold ein,
dass er den Blick abwendete und sich die Ohren zu hielt, um nicht mehr den
Soldaten zu hören, wie er weiter flehte.
Dumpf konnte Arnold noch hören, wie der Verzweifelte einen
letzten Aufschrei aus den Lungen brüllte, als die Fänge eines Hunde seine Beine
erwischten und ihn auf den Boden hinunter riss, wo er bei lebendigen Leibe
zerfleischt wurde.
Während Arnold sich im Geist selbst für seine Untätigkeit
bestrafen wollte, ließ der Qualm ihn auch in realen Welt leiden. Nur mit größter
Mühe konnte er noch sehen und musste sich den blutbefleckten Kragen seines
Hemdes über seinen Mund ziehen. Sein getrübter Blick ging ziellos durch den
Raum, als er sich klar machte, dass das sein Ende sein würde, was sogar ein
beruhigendes Gefühl bei ihm auslöste.
Gleichgültig blieb sein Blick auf einem Schrank hängen, der
von fantastischer Qualität und Aussehen war und Arnolds Gefallen weckte. Erst
beim genaueren Hinsehen, konnte er dessen Inhalt identifizieren, was ihm die
Idee für einen neuen Plan bescherte.
Von neuen Lebensgeistern erweckt, holte er den anderen
Soldaten, der sich ebenfalls mit seinem Schicksal abfinden und dem
Erstickungstod vorziehen wollte, zu sich, um ihn von seiner Idee zu berichten. Es
erforderte kein großartiges Überredungsgeschick von Arnold, um den Soldaten von
seinem Plan zu überzeugen, da jeder umsetzbare Vorschlag einer göttlichen Gabe
glich.
Der Soldat zog seinen Mantel aus und breitete ihn vor dem
Schrank aus. In höchster Eile öffneten sie ihn und holten jede Schnapsflasche,
die der Besitzer dort gelagert hatte, aus dem Inneren und lagen ihn auf den
Mantel. Eine Flasche schlossen die beiden aber aus und steckten ein Taschentuch
in deren Öffnung.
Als die Vorbereitungen, die ihnen die letzten Kräfte raubten,
vollendet waren, positionierten sich die beiden an je einem Fenster, welche in
die Richtung zeigten, wo sie Hanns
vermuteten, wobei das Geplärr seiner Hunde eine hervorragende
Hilfestellung darstellte.
Arnold fühlte sich wie ein Ertrinkender, dem es versagt war,
seinen Kopf aus dem nassen Grab empor zu heben, um den rettenden Sauerstoff
begierig in sich hinein zu saugen. Damit der Plan aber von Erfolg gekrönt sein
würde, musste er sich in Geduld üben, was bei dem von Qualm überfluteten Raum unmöglich
erschien.
Mit einem kurzen Nicken gab Arnold dem Soldat ein Zeichen,
woraufhin dieser das Taschentuch in der einzelnen Schnapsflasche mit einem
seiner Streichhölzer anzündete und den Mantel nahm, den er so zusammengebunden
hatte, dass keiner der sich dort befindlichen Flaschen hinausfallen könnte.
Langsam hob Arnold den Hut des Soldaten, welchen er
bereitwillig hergab, und hielt ihn vorsichtig über dem Fensterrahmen. Keine
Sekunde dauerte es, bis ein Bolzen durch die Luft sauste und den Hut aus Arnold
Händen riss und an die Wand hinter ihm nagelte.
Bevor das zerbrochene Fensterglas, welches durch den Bolzen
in hundert kleine Stücke zerfetzt wurde, den Boden berühren konnte, schoss der
Soldat hoch, der sich bei dem bereits geöffneten Fenster positioniert hatte,
und schleuderte den prall gefüllten Mantel in die Richtung, aus welcher das
Geplärr der Hunde kam. Als dieser aus seinen Händen glitt, griff der Soldat die
Schnapsflasche, an der das brennende Taschentuch aus der Öffnung hinauslugte
und versuchte es genau auf denselben Punkt zu werfen, wo der Mantel gelandet
sein musste, wobei der Qualm ihm das Zielen fast unmöglich machte.
Kaum war die Flasche aus seinen Händen, schon jagte ein
zweiter Bolzen auf den Soldaten zu und durchbohrte seine Schulter, wo er eine
klaffende Wunde zurückließ. Sofort eilte Arnold zu dem Verletzten, der durch
die Wucht des Geschosses auf den Rücken fiel, und half ihm wieder auf die
Beine.
Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte Arnold, dass ihr
Plan fehlgeschlagen sei, bis er das schmerzhafte Jaulen eines Hundes und den
wütenden Aufschrei von Hanns hören konnte. Ihren Sieg durften die beiden aber
keinen Moment lang feiern, da ihnen die Luft ausging und ihre erschöpften
Leiber stetig von Hustenanfälle durchgerüttelt wurden.
Der einzige Ausweg, durch welchen sie aus dem brennenden Haus
flüchten könnten, war ein weiteres Fenster, welches über dem Dach eines
Werkzeugschuppens lag. Obwohl Arnold sich noch in einem ramponierten Zustand
befand und sich jeder Schritt wie ein Tagesmarsch anfühlte, lag er vor dem
Soldat, der immer mehr an Tempo verlor.
Sein Gesicht wirkte Totenblass und Blut quoll unaufhörlich
aus dem Loch in seiner Schulter, über welches er seine rot gefärbte Hand gelegt
hatte. Gerade als Arnold bei dem Fenster ankam und dieses aufmachte, drehte er
sich zu dem Verwundeten um, der kurz vor dem Zusammenbrach stand.
„Komm!“, brüllte Arnold zu ihm, „wir…“
Ein lautes Knacken ertönte von dem Boden, auf welchen der
Soldat gerade stand. Gelähmt blickten sich die beiden an, als das Holz unter
dem Soldaten zusammenbrach und in die Flammen stürzte, welches unten wütete. In
letzter Sekunde gelang es Arnold die Hand des verletzten Armes zu greifen,
woraufhin der Soldat einen Schmerzensschrei von sich gab.
Zu ihrem Glück hing ein Teil des eingebrochenen Bodens noch
in der Luft und der Unglückliche suchte dort panisch Halt. In all der Aufregung
hatte keiner der beiden bemerkt, wie der unverletzte Hund durch ein Fenster
sprang, nachdem er den Schrei des Soldaten gehört hatte.
Die Blutgier musste jeden Instinkt des Biestes unterdrücken,
da er wir von Sinnen auf den Verletzten zu rannte, dessen Füße in der Luft
baumelten. Auch wenn der Hund über unnatürliche Fähigkeiten besaß, forderte das
Feuer seinen Tribut an dessen Körper, als er dadurch stürmte.
Nichts konnte aber den Hund aufhalten, der mit einem großen
Zug durch die Flammen sprang und den Soldat erreichte. Die blutigen Zähne
vergruben sich tief in sein linkes Bein und der Hund baumelte an ihm in der
Luft, knapp über dem brennenden Boden.
Kreischend versuchte der Soldat sich noch irgendwie
festzuhalten, jedoch war ihm und auch Arnold das zusätzliche Gewicht zu viel
und beide drohten den Halt zu verlieren. Wild zappelte der Hund hin und her und
verschlimmerte die Wunde in seinem Bein, ebenso wie die unerträglichen
Schmerzen.
Ein letzter Schrei konnte die Lippen des Soldaten verlassen,
bevor der Hund ihn mit einem Ruck nach unten riss. Begleitet wurden die beiden
von den verbliebenen Trümmern des Bodens, an welchen sich der Soldat festhielt
und welche durch das Ringen der beiden geschwächt wurden. Diese ersparten dem
Mann aber einen qualvollen Tod, da sie ihn und die Bestie, welche ihn gerade
zerfleischen wollte, unter sich begrub und zerquetschte.
Kaum war die Hand aus Arnolds Griff entglitten, schon
versuchte ihn das gewohnte Schuldgefühl heimzusuchen. Dieses konnte aber seine
volle Wirkung nicht entfalten, da Arnold von einem erneuten Hustenanfall
geschüttelt wurde, der ihm wieder bewusst machte, in welcher Gefahr er noch
schwebte.
„Herr Gott Arnold, bist du selbst zu blöd zum Aufstehen?!“,
hörte Arnold die verhasste Stimme seines Vaters ihn fragen.
Von neuem Willen erfüllt richtete er sich wieder auf seine
Beine, die sich zur selben Zeit schwer wie Beton, aber auch schwach wie die
eines Kleinkindes anfühlten. Mit einem Ruck stürzte er sich aus dem geöffneten
Fenster und ließ sich auf das Dach des Werkezugsschuppens fallen, wobei er mit
seinem Rücken zuerst aufkam.
Die Landung presste den verbliebenen Sauerstoff aus seinen
Lungen und brachte einige seiner Wunden zum Aufplatzen. Trotzdem empfand Arnold
diesen Moment als den größten Sieg in seinem noch jungen Leben und sein erster
Atemzug, in welchem er seine gereizten Lungen mit der vermissten frischen Luft
füllte, als seine wohl verdiente Belohnung.
Sein geweckter Verstand ließ sich aber nicht trüben und
verschaffte Arnold, nachdem er den Augenblick genug ausgekostet hatte, wieder
einen klaren Kopf. Vorsichtig kroch er zum Rand des Daches und versuchte einen
möglichst einfachen Weg nach unten zu finden. Jedoch erwiesen sich seine
Bemühungen als zwecklos, da er ausrutschte und vom Dach fiel.
Die zweite Landung war nicht derart schmerzhaft wie die
erste, trotzdem entlockte sie Arnold ein gequältes Stöhnen, da er sich nun um
seinem glorreichen Sieg beraubt fühlte. Gerade als er sich behutsam aufrichten
wollte, um sein Körper etwas zu schonen, konnte er hören, wie das Winseln des
brennendes Hundes, welches zuvor stumpf die Klänge des Feuers begleitete, mit
einem kurzen Jaulen endete.
Jeglicher vorsichtiger Umgang mit seinem Körper war vergessen
und Arnold richtete sich so schnell er konnte wieder auf, um von diesem
verfluchten Ort zu flüchten. Befeuert wurde er von seiner Fantasie, die seiner
Vorahnung Form gab und die Furcht wieder in ihm wach rief.
Ungeschickt untersuchte er sein Gewehr, welches er die ganze
Zeit mit sich trug, wobei ihm keine genaue Einschätzung gelang, da es ihm
jegliche Konzentration kostete, beim Humpeln nicht über seine eigenen Füße zu
stolpern.
„Arnold“, sprach Hanns mit ruhiger Stimme, die die gesamte
Geräuschkulisse mit Leichtigkeit zu übertönen schien.
Panisch drehte sich Arnold um und sah wie der Reiter gerade
am brennenden Haus vorbei lief und ihn mit langsamen Schritten nachsetzte. Sein
Körper war von schweren Brandwunden übersäht, die aber in unnatürlicher
Geschwindigkeit zu verheilen begannen. Die Armbrust hatte er weggesteckt und
hielt nur ein Messer in seinen Händen, welches mit frischen Blut beschmiert
war. Während Hanns auf Arnold zu marschierte, musterte er den Flüchtigen mit
grimmiger Miene, die nur anzudeuten vermochte, welcher Zorn in dem Reiter
loderten musste.
„Verschwinde!“, brüllte Arnold.
Unbeeindruckt setzte Hanns weiter auf Arnold zu und behielt
sein gemächliches Tempo bei. Von neuer Todesfurcht gepackt, entsicherte Arnold das
Gewehr und schoss auf seinen Verfolger. Gleichzeitig zu schießen, dabei die
Kontrolle über das Schießeisen zu behalten und noch rückwärts zu humpeln, um
den Abstand zu dem Gefürchteten beizubehalten, erwies sich fast als ein Ding
der Unmöglichkeit.
Bevor ihm aber ein Fehler unterlaufen konnte, ging Arnold die
Munition aus. Er hatte in Windeseile das ganze Magazin auf Hanns leer
geschossen, bei dem sich Schusswunden vom Bauch bis ins Gesicht zog, aber keine
weitere Reaktion hervorrufen konnten, als ein genervter Blick.
Hastig suchte Arnold sein Körper ab, um ein weiteres Magazin
zu finden. Während seiner kläglichen Suche schleuderte Hanns das Messer auf
Arnold, welches sich in sein linkes Bein bohrte und ihn aus dem Gleichgewicht
brachte. Die Schmerzen konnten nicht einmal zu seinen Kopf vordringen, da
überwand der Reiter die Distanz zwischen ihnen und packte ihn an seinen
Hemdkragen.
Freude tauchte kurz in der grimmigen Miene von Hanns auf und
erhellte sein sonst so ernstes Gesicht, als er Arnold mit aller Kraft auf den
Boden schleuderte. Die gerade gewonnene Luft wurde wieder aus Arnold hinaus
gedrückt und bevor er sie sich wieder einverleiben konnte, schlängelte sich eine
grobe Pranke um sein Hals und drückte diesen zu.
Genüsslich packt Hanns das Messer, welches sich in Arnold
Bein befand und zog es sehr langsam heraus, um sich an den Schmerzen in seinem
Gesicht zu laben, welches aber vor allem von der Gier nach Luft gezeichnet
wurde. Um Arnolds Versuche, sich zu befreien, zu unterbinden, stemmte der Reiter
seine Beine auf die Arme des Sterbenden, die zuvor verzweifelt an seiner Hand
kratzen, mit welcher er das Leben aus Arnold hinausdrückte.
Arnolds Blick fing sich zu trüben an, als Hanns seinen Griff
etwas lockerte und ihm so erlaubte, wieder zu atmen
„Letzte Worte?“, fragte Hanns mit Hohn in der Stimme.
„Warum?“, entgegnete Arnold knapp.
„Ganz einfach, du hast sie gesehen und nun weiß du, was dich
erwartet, wenn du weiterhin der Stimme lauschst. Du bist taub für sie geworden.
Das passiert jedem Menschen, der das Ergebnis sieht. Wie willst du also den
Kern aufspüren, wenn du seine Verlockungen nicht mehr wahrnehmen kannst?
Und bei den restlichen Menschen bist du ab sofort ebenso
verhasst, wie die Bücklinge des Kollektivs. Sie vertrauen dir nicht mehr. Es
ist nur eine Frage der Zeit, bis du ihrer Folter nicht mehr standhalten kannst
und reden wirst. Das kann ich nicht zu lassen, weswegen ich dich und alle
anwesenden Menschen töten muss.
Und jeder wird glauben, dass es die Bücklinge waren, die das
hier anrichteten, um dich, ihren Verstoßenen, zu töten, bevor er wichtige
Geheimnisse verraten könnte. Mein Plan ist leider nicht perfekt, da sich so die
Spannungen zwischen den Menschen in der Stadt erhöhen könnten, da diese
Menschen glauben, dass die Menschen in der Stadt alle mit dem Kollektiv unter
einer Decke stecken, was das Misstrauen zwischen ihnen stärkt und so weiter.
Aber darum brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen, du
Glücklicher. Wir werden schon dafür sorgen, dass das Wachstum des Kollektivs nicht
überhand gewinnen wird. Vielleicht suchen wir uns einen neuen Menschen. Das
Kollektiv ist nicht wählerisch. Es nimmt jeden auf, der nur etwas Groll in sich
trägt“
Gerade als Hanns mit seiner freien Hand das Messer packte und
hoch über Arnolds Gesicht hielt, um zum finalen Schlag auszuholen, kam Arnold
eine Idee, wie er sich aus dieser Situation retten könnte.
„Warte!“, keuchte Arnold. „Ich … ich kann meinen Auftrag zu
Ende bringen! Ich … ich kann euch zum Kern führen!“
„Ach ja?“, fragte Hanns erheitert. „Und wie, wenn ich fragen
darf? Du kannst die Stimme nicht mehr hören. Wieso solltest du in der Lage
sein, sie ohne zu finden?“
„Wir werden sie nicht zu suchen brauchen. Wenn wir meinen
Plan befolgen, kann sich das Kollektiv nicht mehr verstecken!“
Kapitel 13
In weite Ferne konnte Arnold noch die Fahrzeuge hören, die zu
den Resten des Anwesens fuhren, aber das Pferd von Hanns ritt derart schnell,
dass sie in kürzester Zeit verblassten. Selbst sein getrübter Verstand, der
sich wie sein Körper im Halbschlaf befand, empfand es als ein Wunder, dass er
trotz der Geschwindigkeit des Gaules nicht von diesem herunterfiel, obwohl nur
eine Hand des Reiters ihn abstützte.
An den restlichen Weg konnte sich Arnold nur stückchenweise
erinnern. Was ihm aber im Gedächtnis blieb, war das er lautstarke
Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern und den Soldaten hören konnte, als
sie vom Pferd abgestiegen waren und heimlich durch die Innenstadt schlichen,
wobei er von Hanns getragen wurde. Nur durch die Androhung von Gewalt konnte
eine Ausschreitung im Zaum gehalten werden. Das wütende Gebrüll der Menschen
hörte er noch eine kurze Weile, nachdem seine Augen sich schlossen, jedoch auch
sie verstummten, als er erneut einschlief.
Geweckt wurde Arnold durch einen Strahl der unter gehenden
Sonne, ähnlich wie am Morgen dieses schrecklichen Tages. Er wand geblendet
seine Augen ab und versuchte sein Gesicht im Schutz der Finsternis zu
verstecken, die ihn sonst komplett umgab. Leider wurde jede Bewegung mit einem
dumpfen Schmerz begleitet, der nun auch seinem Schlummer erwachte, und sein
Versteck bot nicht einmal die Fläche, um sich zu drehen.
Als Arnold keinen Sinn mehr darin fand, sich weiter zwecklos
in den Schlaf zu flüchten und ihm wieder klar wurde, in welcher Situation er
sich befand, machte er sich daran, aus seinem Versteck auszubrechen. Erst beim
dritten Anlauf konnte er die Holzblanke aufstemmen, die über ihm lag.
Die Sonnenstrahlen fluteten seine winzige Kammer wie das
Innere eines sinkenden Schiffes und holten die Reste Arnolds versprengten
Geistes aus dem Land der Träume. Um ihn herum lagen die Überreste eines
ehemaligen Zimmer, die von den Bomben schwer beschädigt wurden. Mit den herum
liegenden Trümmer und einer Holzplanke konnte Hanns aber ein kleines Versteck
bauen, in dem Arnold seine erschöpften Kräfte wenigsten etwas auftanken konnte.
Sich auf die geschwollenen und Blutverkrusteten Beine zu
stemmen, strafte Arnold mit unsäglichen Pein, der seine Lippen zu beben
brachte, aber als er einmal auf den Füßen stand, konnte er den Schmerz
ertragen. Schritt für Schritt durchquerte er den restlichen Raum und
durchsuchte jede Ecke.
Nach ein paar Minuten konnte er unter einem Geröllhaufen aber
endlich die versprochenen Hilfsmittel finden: intakte Kleidung in seiner Größe
und ein kleiner Lederbeutel. Bevor er aber auch nur einen Blick auf die
frischen Kleider verschwendete, riss Arnold den Beutel auf und holte ein
Fläschchen aus dem Inneren.
In dem Fläschchen war einen blaue Flüssigkeit, die derselbe
Schimmer umgab, wie bei den Reiter der wilden Jagd. Ähnlich wie bei der Untersuchung
seines eigenen Körpers zögerte Arnold, den Inhalt ohne Bedenken zu trinken.
„Oh Arnold, du …“
Arnold sorgte sofort dafür, dass die Stimme seines Vaters
wieder schwieg, indem er das Fläschchen öffnete und es wie ein Schnapsglas mit
einem Zug leerte. Der bittere Geschmack verpasste ihn ein angewiderten Schauder
durch den Körper, aber Hanns hatte über die Wirkung des Trankes nicht gelogen.
Ein kribbelndes Gefühl, welches von einer fremdartigen Spannung
durchzogen war, jagte durch Arnolds Venen in jeden Winkel seines Leibes.
Jegliche Schmerzen verblassten fast vollständig und seine Wunden heilten in
derselben Geschwindigkeit, wie des Reiters. Auch wenn sich die Verletzungen
nicht gänzlich schlossen und er sich anfühlte, als ob er überall von
schrecklichen Muskelkater geplagt wird, konnte er sich wieder Bewegen, ohne ein
versagen seiner Glieder zu befürchten.
Begeistert betrachtete Arnold seinen genesenden Körper und
begutachtete, wie jede größere Wunde zu einem einfachen Bluterguss
zusammengeschrumpft war. Nun wurde ihm der Sinn seiner Rast klar, da dieser
Trank sein Körper nur begrenzt heilen konnte und er in seinem schrecklichen
Zustand, in welchem er nach dem Massaker war, sich wohl kaum so gut bewegen könnte,
hätte er das Wundermittel gleich da zu sich genommen. Warum Hanns ihm
stattdessen nicht gleich mehrere verabreichte, blieb Arnold schleierhaft, aber
er rechnete mit negativen Nachwirkungen, die der zu häufige Konsum mit sich
führen würde.
Durch die Reste eines Fensters wagte Arnold einen kurzen
Blick nach Draußen, um seine Umgebung zu erfassen. Er befand sich am Rande der
Innenstadt, in welche einige ferne Rufe heilten, die von einer gewissen
Aggressivität beflügelt wurden, dass sie nur von den Einwohner stammen konnte,
in welche sich die Stimme eingenistet hatte.
Ohne weitere Zeit verschwenden zu wollen, zog Arnold die
Kleider an und versuchte in den Überresten einer Fensterscheibe, sich etwas
herzurichten. Als er für seine Umstände ansehnlich genug war, um keinen
sofortigen Verdacht zu erregen, machte er sich nach draußen auf. Der Weg aus
den Ruinen gestaltete sich aber als schwerer, als es ihm lieb war, da Großteile
der Treppe in sich hineingestürzt waren und Arnold nur mit all seiner
Geschicklichkeit den Weg nach unten sicher absolvierte.
Jeden Schritt, den Arnold auf offener Straße tat, kostete ihn
Mut und Überwindungskraft. Sobald er aber eine Person ausmachte, die seinen
Pfad kreuzen würde, zog er sich in eine Gasse zurück, um einer Begegnung zu
entgehen. Die größten Sorgen bereiteten Arnold aber die anderen Soldaten, die
seine Maskerade leicht durchschauen würden.
Aber auf der ausgestorbenen Straße, durch die sich jeder
Mensch mit allem bemerkbar machte, was lauter war als ein Flüstern, hätte Arnold
ihnen im Vorhinein mit Leichtigkeit ausweichen können. Um diese Tageszeit waren
die Aufräumarbeiten noch im vollen Gange und bei der Stimmung der Einwohner
wurde jeder Soldat vor Ort gebraucht, um die Lage unter Kontrolle zu halten.
Nachdem einige Minuten vergangen waren, in welchen Arnold
zielstrebig auf den vereinbarten Treffpunkt zu hielt, kamen ihm zum ersten Mal
Zweifel an ihren Plan, den er in aller Eile erstellt hatte. Nie hätte er damit
gerechnet, dass Hanns zu diesem Geistesblitz zu stimmen würde, der zum Großteil
auf Glück fußte. Es verriet Arnold aber auch, dass der Reiter gelogen haben
musste, als er ihn als ersetzbar verspottete.
Ein leises Pfeifen riss ihn aus seinen Gedanken. Aus dem
geöffneten Fenster eines intakten Wohnhauses gab Hanns ihm ein kurzes Winken,
in das Gebäude einzutreten. Erst jetzt bemerkte Arnold, dass er bei seinem Ziel
angekommen war, einer relativen unberührten Straße, in welcher viele der noch
stehenden Häuser Wohnung für die Einwohner darstellten.
Mit einem unbehaglichen Gefühl, den der bloße Anblick dieses
Mörders bei ihm verursachte, machte sich Arnold mit unterdrückter Sorge in das
Gebäude. Hanns erwartete Arnold ihm Treppenhaus ungeduldig und ließ ihn das mit
seinem Blick wissen.
„Wurde auch Zeit“, zischte Hanns. „Wir haben nicht mehr viel
Zeit!“
Die Türen zu den Wohnungen im untersten Stock waren
aufgetreten und vor ihnen stand jeweils ein Benzinkanister.
„Du nimmst diesen und ertränkst in dem linken Loch alles aus
Stoff und Holz mit der Flüssigkeit eurer Maschinen. Ich übernehme das rechte.
Versuche aber den Behälter nicht gänzlich zu leeren. Ich vermochte nur an die
zehn zu entwenden, weswegen einer für mehrere dieser Löcher reichen muss. Wir
verfüttern aber nur die Löcher am Beginn der Häuser an die Flammen. Sie werden
sich schon auf die anderen ausbreiten und diesen Schandfleck in Asche
verwandeln. Verstanden?“
Arnold antwortete mit einem kurzen Nicken und hob den
Kanister auf, der mit 20 Liter Benzin gefüllt war. Wegen seines geschwächten
Zustandes gelang es ihm nur mäßig den vollen Kanister unter Kontrolle zu
behalten, als er Vorhänge und Mobiliar überkippte, weswegen er mehr
verschüttete, als es notwendig gewesen wäre.
Erschöpft zog Arnold eine Spur aus Benzin aus der Wohnung
hinaus, wobei er den Kanister nun wesentlich besser im Griff hatte, da dieser
einiges an Gewicht verloren hatte. Der Reiter war bereits im nächsten Haus
fertig und warf Arnold einen wütenden Blick zu, der ihn deutlich aufforderte,
sein Arbeitstempo zu erhöhen.
„Was mache ich hier eigentlich?“, fragte sich Arnold selbst,
als er in seinem dritten Haus ankam und gerade ein Kinderbett mit Benzin
überkippte, auf dem noch ein Teddybar lag. Er beantwortete sich seine Frage
selbst im Stellen und trotzdem war er von sich selbst schockiert, wie gedankenverloren
er im Begriff, war mehrere Gebäude nieder zu brennen.
Keine zehn Minuten waren sie beschäftigt, ihren Brand
vorzubereiten. Bei Arnold hatte sich aber schon in dieser kurzen Zeit ein
Gefühl der Routine breit gemacht, wie er es an der Front verspürt hatte. Sein
Körper schien wie von selbst die richtigen Stellen zu erkennen, die sich als
besonders gutes Brennmaterial eigneten und begoss sie sofort mit Benzin,
während sein Verstand sich mit dem Schrecken befasste, den sein Plan noch beinhaltete.
„Fertig?“, fragte Hanns, als Arnold aus seinem letzten
Gebäude heraustrat.
„Eh … Ja, bin ich“ Mit Mühen unterdrückte Arnold ein
Aufschrecken, als der Reiter plötzlich vor ihm stand.
„Gut“, antwortete Hanns mit grimmiger Miene. „Während ich die
nächsten Schritte zur Fertigstellung der Falle vollende, entledigst du dich
dieser Schandflecke und begibst dich auf die Lauer. Den richtigen Zeitpunkt zum
Zuschlagen musst du aber Abwegen. Verstanden?“
Erneut gab Arnold ein kurzes Nicken als Antwort, um jegliche
Unterhaltung mit dem Reiter aufs mindeste zu beschränken. Dieser empfand wohl
ähnlich, da er sich umdrehte und in den Schatten der Ruinen verschwand, ohne
ein weiteres Wort zu verschwenden.
Alleine ging Arnold zu dem ersten Haus, in die Hanns und er
Benzin gekippt hatten und warf einen Blick in diese hinein und trat danach vor
die Benzinpfütze, welche vor dem Eingang dieser „Löcher“ war. Stumpf nahm er
sich eine Packung Streichhölzer, die ihm der Reiter gab und war im Begriff
einer dieser zu entflammen, als er in seiner Tun inne hielt, da seine Vernunft
und Moralgefühl einen letzten Vorstoß wagten, ihn von seinem Vorhaben
abzuhalten.
„Du Feigling“
Arnold zog das Streichholz über die raue Fläche der Schachtel
und entflammte das dünne Stück Holz. Sofort warf er es auf die Pfütze und ging
zum nächsten Haus, bevor die Flammen auf dem Benzin durch die komplette Wohnung
getragen werden konnten.
Während Arnold in Windeseile von Haus zu Haus ging und die
Wohnungen anzündete, versetzte er seinen Verstand in einen dumpfen Zustand der
Gleichgültigkeit, in welcher die Bedenken seines Moralgefühls und die
aufkeimende Reue betäubt wurden. Einzig die Gewissheit, dass er damit den
ersten Schritt zur Beseitigung des Kollektivs und die Zurückgewinnung seiner
Freiheit tat, halten wieder und wieder in seinem Geist und machten ihm eines
klar, das Ende rechtfertigt die Kosten. Das musste es einfach.
Als er bei dem letzten Haus ankam und auch dieses in Flammen
aufging ließ, erwachte Arnold aus der Betäubnis und wurde von der Schuld regelrecht
erdrückt, die er beim Anblick der brennenden Häuser empfand. Das Feuer
spiegelte sich in seinen Augen wieder und erklomm mit äußerste Geduld Stockwerk
um Stockwerk, um sich jedes Gebäude einzuverleiben. Beinahe brannte sich dieser
Anblick so tief in das Innere Arnolds, dass seine Glieder vor dem Entsetzen
seiner Schandtat gelähmt gewesen wären.
Bevor dies aber geschehen konnte, erklang in Arnolds Verstand
das harmonische Spiel seiner Mutter, welches er seit langer Zeit nicht mehr in
sich wach rief und beruhigte sein Gemüht. Dank dieser Unterstützung schirmte
sich Arnold erneut ab, indem er die Gleichgültigkeit gegen seine Taten
erneuerte und sich wieder an das Ergebnis erinnerte, die seine Sünden
rechtfertigte.
Überrascht stellte Arnold fest, wie effektiv dieses
Gedankenspiel war, da er für den Moment weder Schuld noch Reue verspürte, als
die hungrigen Flammen die Häuser verschlangen.
„Merk ich mir“, sagte Arnold zu sich selbst und ging davon.
Auf seinem Weg vergas Arnold die Abschirmung aufrecht zu erhalten,
aber ebenso das schlechte Gewissen, da er sich mit seinem Plan befasste. Ein
gequältes Seufzen entfuhr ihm, als er an die Schwachstellen dachte, die er ihm
jetzt erst auffiel. Was ist, wenn das Kollektiv doch nicht so funktioniert, wie
er es annimmt? Wenn er das Kollektiv nur stärkt, anstatt es zu finden?
Ihm wurde regelrecht schlecht und spürte einen aufkommenden
Stress, der selbst gegen das Klavierspiel gefeilt ist. Langsam fing Arnold an,
seine Schläfen zu massieren, als sich auch Kopfschmerzen dazu gesellten.
Hätte er doch nur ein wenig mehr Zeit gehabt, den Plan auch
zu durchdenken, dann hätte er sich jedem Zweifel entledigen können. Dafür hatte
ihm aber Hanns nicht die Zeit gelassen, weswegen er jetzt mit dieser schnell
zusammen gesponnen Strategie festhing, die nur aus einigen Vermutungen und
Theorien bestand. Aber er musste einen Kern Wahrheit enthalten, da er den
Reiter überzeugen konnte, was Arnold etwas beruhigte.
Trotzdem nagte diese Ungewissheit weiter an ihm, ob der Plan
wirklich funktionieren würde. Schrille Rufe ließen Arnold aus seiner
Gedankenwelt hochjagen, die von den sich nähernden Schritte einiger Menschen
begleitet wurden, die in Richtung der brennenden Häuser rannten, von denen
mittlerweile Rauchfahnen ausgingen.
Gerade rechtzeitig begab sich Arnold in eine Gasse und
vermied so den Kontakt mit den Frauen, die panisch zu den Gebäuden stürmten.
Kaum waren diese an Arnold vorbei gezogen, erwiesen sich als besonders schnelle
Vorzügler, als die Schreie weitere Personen erklangen, die in dieselbe Richtung
eilten.
Nun war Arnold klar, dass er die Straßen meiden müsste, um
nicht aufgehalten zu werden und beschloss, den restlichen Weg über Gassen und
Ruinen fortzusetzen. Die unaufhörlichen Schreie der Frauen, die in Scharen zu
den Häusern rannten, ließen Arnold relativ kalt. Jedoch fragte er sich, ob
irgendwelche dieser Frauen dem Kollektiv bereits angehörten. Insgeheim hoffte
er es, da sein Plan damit leichter werden würde.
Aber selbst wenn sie noch kein Mitglied wären, konnten sie
die Stimme noch hören. Nach diesem schrecklichen Verlust würden sie so mit Hass
erfüllt sein, dass sie ein gefundenes Fressen für das Kollektiv sein würden.
Jeden Falls hoffte es Arnold.
Den weiteren Weg musste er mit besonders großer Vorsicht
nehmen, um ungesehen zu bleiben, weswegen er sich nicht länger mit dem Plan beschäftigte.
Als aber weitere kleinere Rauchfahnen aus der Innenstadt auftauchten, die von
den brennenden Vorratslagern für die Bevölkerung stammten, wurde Arnold
bewusst, wie kurz sie vor dem entscheidenden Schritt ihrer Falle standen, von
der das ganze Vorhaben abhing.
Seine Vermutung bestätigte sich, als die bisweilen größte
Rauchfahne auftauchte, zur welcher Soldaten wie Einwohner in Massen
hinströmten, vor denen sich Arnold versteckte. Sein Herz klopfte nun so laut,
dass er befürchtete, die Menschen, welche an seinem Versteck vorbei rannten,
würden ihn hören und finden.
Natürlich stellte sich diese Angst als grundlos heraus und
als sich die Mengen an Leuten lichtete, setzte Arnold seinen Weg fort, wobei
ihn die wütenden Anklagen seines Vaters stetig vorantrieben, falls er sich
irgendwo verkriechen wollte.
Endlich, nach unzähligen Minuten, in welchen sich Arnold
ungesehen vorwärts bewegte, erreichte er die St. Markuskirche, die völlig in
Flammen stand und um die herum die Löscharbeiten bereits im Gange waren. Selbst
durch die beste Abschirmung versetzte dieser Anblick ein Stich ins Arnolds
Herz, da ein weiteres Gebäude, welches er bereits seit seiner frühsten Kindheit
kannte, bald neben den anderen Kirchen in Trümmer lag. Doch dieses Mal gab es
keinen Feind, dem er die Schuld zuschieben konnte. Dieses Mal traf ihn die
Schuld.
Unter den fleißigen wie panischen Arbeiter, die Arnold aus
seinem Versteck beobachtete, konnte er Artjom ausfindig machen, welcher die
Löscharbeiten nicht nur befehligte, sondern noch selbst anpackte. Auch wenn
Arnold diesem Mann seit ihrer letzten Begegnung nichts mehr Gutes Abzugewinnen
dachte, verspürte er nichts als Hochachtung von der Sicherheit, mit welcher
alle Kräfte koordinierte.
Arnold entfuhr ein kleines Lachen, als er daran dachte, wie
entbehrlich er für den ganzen Plan eigentlich wäre. Hanns hätte mit
Leichtigkeit auch alleine die Häuser niedergebrannt, obwohl er sich noch um die
Lager und die St. Markuskirche kümmern musste. Aber trotzdem war Arnold
unverzichtbar, um die Vorbereitungen für die Falle zu vollenden.
Kapitel 14
Bis zum Morgengrauen kämpften die Arbeiter tapfer gegen die
Flammen mussten sich aber geschlagen geben, als weite Teile der St. Markuskirche
in sich zusammenfielen. Mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne erlosch
aber das Feuer und zurückblieb nur ein weiterer Trümmerhaufen, der sich in das
Gesamtbild der Stadt perfekt einordnete.
Arnold hatte den gesamten Abend die Löscharbeiten beobachtet
und vor allem die Menschen betrachtet, die im Schein des Brandes umherrannten
und nur unter der eisernen Hand Artjom‘s die Hoffnung bis zum bitteren Ende
nicht aufgaben. Nun waren sie alle erschöpft um die frischen Ruinen verteilt
und ruhten sich von der Nacht aber vor allem von der schweren Niederlage aus,
die jedem einzelnen das Gemüt verfinsterte.
Artjom hatte sich in die Trümmer zurückgezogen und keiner
wagte es, sich ihm zu nähern. Gerne hätte Arnold ihm die Ruhe gegönnt, aber er
musste seine Rolle in ihrem Plan spielen, sonst war das alles um sonst gewesen.
Ebenso würde er Artjom in absehbarer Zukunft nicht mehr so alleine antreffen
können, auch wenn ihm ein ungutes Gefühl kam, wenn er daran dachte, wie
aufgebracht der Kommandeur sein müsste.
Mehrere Minuten starrte Arnold einfach nur auf die Ruinen der
Kirche, bis er den Mut fasste, sich aus seinem Versteck zu erheben, was ihm
erneut nur unter der schimpfenden Stimme seines Vaters gelang. Auf dem Weg zu
den Resten der St. Markuskirche vergrub er sich ebenfalls in der
Gleichgültigkeit, um jede Schuld oder Reue von sich abzuweisen, damit es seinen
Geist nicht belastete.
Niemand schenkte ihm einen Blick oder jegliches Interesse,
als er schnurstracks auf die Kirche zu ging, selbst als er in diese eintrat.
Von dem Turm war nichts mehr erhalten und seine Trümmer verdeckten fast das
komplette Portal, was den Brand relativ unbeschadet überstanden hat. Das
notdürftige Dach und Großteile der Wände waren zusammen gestürzt und haben die
Bänke unter sich begraben, die zuvor aber dem Feuer bereits zum Opfer gefallen
waren. Keine der Tribünen stand noch und hinter den Trümmern sah man noch Reste
der Wände, die schwarz gefärbt waren und bald nicht mehr in der Lage sein
würden, ihr eigenes Gewicht zu tragen.
Artjom saß auf einem größeren Trümmerstück vor dem Altar und
vergrub sein Gesicht in seine Hände, wobei er seinen Rücken zu Arnold gekehrt
hatte. Um ihn herum lag nicht nur das zertrümmerte Holz der Bänke, sondern auch
das zersplitterte Fensterglas, welches die Strahlen der einfallenden Sonne reflektierte
und Arnold leicht belendete.
„Artjom“, sagte Arnold, als bei dem Kommandeur angekommen
war.
Zuerst dachte Arnold Artjom hätte ihn nicht gehört, da er
sich nicht rührte, doch dann hob er sein Kopf aus seinen Händen und drehte sich
langsam zu dem Eindringling um, nachdem er sich von dem Trümmerstück erhoben
hatte. In seinen Händen hatte er die Pistole, die Arnold enttarnt hatte und
zielte mit dieser auf ihn. Artjoms Miene loderte nur so vor Zorn und war bis
auf äußerste angespannt.
„Warst das du?“, fragte Artjom mit erschreckend ruhiger Stimme,
wobei er jedes Wort ausspuckte.
„Ja“, erwiderte Arnold und hob seine Hände. „Aber ich bin
hier um zu reden.“
„Zu reden?“, fragte Artjom belustigt. „Gut, fangen wir an, warum
ich dich nicht töten soll“
„Ja … ehm … auch wenn du es nicht glaubst, aber ich habe das
hier nicht getan, um dir zu schaden. Ich habe einen Plan, diese „Gruppe“ zu
finden. Die … die Idee dafür kam mir, als wir auf dem Anwesen angegriffen
wurden und … ich fliehen konnte. Ich weiß, wie diese Monster entstehen“
Neugier und leichte Überraschung zeigten sich in Artjoms
Miene, die aber sofort wieder von der brennenden Wut vertrieben wurden.
„Oh, wirklich?“, antwortete Artjom mit einem leicht
sarkastischen Tonfall. „Du weißt es jetzt. Verstehe. Ehm, und der Plan ist es, Häuser in der Stadt zu verbrennen. So finden wir
die Gruppe?“
„Nur wenn du mir hilfst“
„Und was soll ich machen?“
„Die Schuld für alles auf dich nehmen“, sagte Arnold nach
einer kurzen Überwindungspause, „und dich als Monster aufspielen, der die
Einwohner für ihr Benehmen bestrafen will“
Wenn Artjom zuvor überrascht war, war er jetzt regelrecht
Fassungslos über diese Forderung. Sein Zorn, der sein Gesicht das ganze
Gespräch über dominiert hatte, war mit einem Schlag verschwunden. Er wurde
derart überrascht, dass ihm sein Mund offen stand und er kurz die Waffe senkte.
Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder gefasst und die Antwort
verarbeitete hatte.
„Was?!“, fragte Artjom
empört. „Ich soll was tun?!“
„Ich weiß, dass es schwer ist, aber …“
„Schwer?!“, brüllte Artjom, „Du glaubst, es sei nur schwer?!“
„Es ist notwendig! Hör mir zu, die …“
„Nein, ich glaube, ich habe genug gehört!“
Artjom hob seine gesenkte Waffe wieder und zielte direkt auf
Arnolds Gesicht.
„Denkst du wirklich, ich würde das machen?“, fragte Artjom
mit vor Zorn bebender Stimme. „Du musst …“
„Die Gruppe holt sich Menschen und macht sie dann zu
Monstern“, unterbrach Arnold. „Sie holen sich die Einwohner, indem sie dafür
sorgen, dass sie euch hassen“
„Dann würden wir ihnen ja toll helfen!“
„Warte. Ja, wir werden dafür sorgen, dass sich weitere Leute
ihnen anschließen, aber …“
Ein Klicken, welches von der Pistole kam, unterbrach Arnold
und ließ ihn kurz innehalten, da er wusste, dass Artjom die Pistole gerade
entsichert hatte.
„Aber damit stellen wir ihnen auch eine Falle“
Arnold blickte in Artjoms Gesicht und schwieg, um kurz
irgendeine Reaktion abzuwarten. In der todernsten Miene veränderte sich nichts,
da Artjom aber noch nicht auch Arnold geschossen hatte, musste ihm das als
Antwort genügen.
„Die „Gruppe“ holt sich ihre Leute Stück für Stück, da sie
den Hass nur langsam bei den Einwohnern anstacheln konnten, da du … naja, milde
mit den Menschen umgegangen bist. Deswegen haben sie sich auch nicht stark
verbreitet. Wenn du aber die Schuld auf dich nimmst, haben sie leichtes Spiel.
Sogar viel zu leichtes.
Es werden sich so viele Leute mit einem Mal an sie wenden,
dass es zu viel für die Gruppe wird. Sie werden versuchen jeden aufzunehmen und
verlieren damit ihren Vorteil. Sie werden sich nicht mehr verstecken können, da
sie zu viele werden. Wir …“
„Was?! Dir …“
„Lass mich ausreden. Ja, wenn sie so viele werden, dass sie
sich nicht mehr verstecken können, werden sie uns angreifen. Deswegen müssen
wir sofort zu schlagen. Wir werden die Menschen, welche zu dem Kollektiv gehen
wird, heimlich begleiten und den Kern töten, sobald wir beim Versteck
angekommen sind.
Das ist der Plan“
Erneut blickte Artjom völlig Fassungslos in Arnolds Miene und
versuchte deutlich, sich einen Reim auf das Gesagte zu machen.
„Bog, du bist …“
„Geisteskrank?“
Dieses Mal zeigte sich Artjom nicht Dankbar, sondern wütend
über die Ergänzung, weswegen es Arnold augenblicklich bereute, es gesagt zu
haben.
„Du … wie kannst …“
Artjom suchte nach Worten, um seinen Verdruss Luft zu machen,
gab aber recht schnell auf.
„Warte“, sagte Artjom und blickte Arnold forschend wie
misstrauisch an, „was ist das Ko … Kollektiv und was ist der Kern?“
Erst jetzt bemerkte Arnold, dass er die richtigen Namen
benutzt hatte und fühle sich ähnlich ertappt, wie im Weinkeller.
„Artjom … dass würdest du nicht verstehen. Glaub mir“
„Dir glauben“, sagte Artjom mit einem Lachen, „nach den
letzten Wochen. Du bist seit gestern noch betrunken, stimmt?“
Arnold gab keine Antwort und es herrschte kurz Stille
zwischen den beiden. Der Kommandeur wollte mehrfach das Wort ergreifen, hielt
sich aber dann doch wieder zurück. Es herrschte ein innerer Kampf, den man an
Artjoms Mimik wie Gestik nur anzudeuten vermochte. Mit einem kurzen Lachen aber
und einen Achselzucken beendete er das Ringen mit seinem Geist und wendete sich
wieder an Arnold.
„Ich hab dir doch erzählt, dass ich … Dinge tun musste unter
Lenin … und auch unter Stalin. Schlimme Dinge. Aber ich hab sie gemacht und
weißt du wieso? Weil ich glaubte, sie würden helfen, den Kommunism zu erreichen.
Egal was passiert war. Ich habe mich an dieses Denken festgehalten.
Und nun kommt der Witz. Stalin hat eines Tages gesagt, dass
wir den Kommunism erreicht haben. Wir befinden uns immer noch in einer Diktatura
und er sagt, wir haben Kommunism erreicht. Er betreibt einen Personen … du
weißt schon um sich. Das zeigt, dass wir von dem wahren Kommunism nur träumen
können.
Und als er das gesagt hat, wusste ich, dass ich mein Leben
verschwendet habe, an Lügner. Es hat mich gebrochen“
Während der Ausführung tauchten Belustigung, Zorn und eine
Mischung aus beiden stetig auf Artjoms Gesicht auf und ließen dieses nie zur
Ruhe kommen. Die Pistole hatte Artjom gesenkt, fuchtelte aber immer wieder mit
ihr herum, wenn die Wut in ihm aufflackerte, weswegen Arnold die Hände noch
oben behielt.
„Mir wurde klar, dass mein Traum nie wahr werden würde“,
setzte Artjom fort. „Ich hab erwartet, dass ich nur noch auf ein Gewehr beißen
und sterben möchte, aber so war es nicht. Ich hab mich ans Leben geklammert
Uhlig, ich weiß selbst nicht warum. Ich hab alles gemacht, um Stalin zu
gefallen, um nicht getötet zu werden. Er konnte an einem Tag mit einem trinken
und am nächsten Tag einen umbringen lassen.
Als der Krieg gegen euch begann, habe ich ein neues Ziel
bekommen. Alle Nazis zu töten. Bog, hab ich es geliebt, meine Wut an euch
auszulassen. Ihr wart für mich der letzte Dreck, jeder von euch, den ich zu
töten hatte. Aber eines Tages sind einige von euch zu uns übergelaufen, weil
sie nicht mehr für die Nazis kämpfen wollten. Sie wollten für den Kommunism
kämpfen, Uhlig.
Da kam mir eine Idee und als Stalin mir Chemnitz gab, wusste
ich, warum ich noch am Leben war. Nenn es Sud’ba, wenn du willst. Mein Plan ist
es hier, in dieser Stadt, das Fundament für den wahren Kommunism zu setzen. Ich
wollte jeden hier die Armut schmecken lassen und ihnen dann zeigen, dass sie
sich das beste Leben mit harter Arbeit aufbauen können, wo jeder Mensch gleich
ist und nie wieder leiden muss. Ich wollte ihnen die Strast geben, die ich für
den Kommunism empfinde.
Marx hat selbst gesagt, dass wir für den Kommunism einen
neuen Menschen brauchen. Das Fundament für diesen wollte ich hier auch erschaffen.
Und weißt du, ich habe mich damit abgefunden, dass ich den Kommunism nie selber
erleben werde, weil ich mich an den Gedanken festhalte, dass ich helfen kann,
ihn hier über sehr viele Jahre entstehen zu lassen.
Verstehst du nun, was du von mir willst. Du willst, dass ich
alles zerstöre, was ich hier bauen wollte, um dir zu helfen. Und du hast mich
angelogen, wolltest mich töten, meine Männer sind durch dich gestorben und du
hast Häuser der Stadt verbrannt.
Diese Stadt ist meine letzte Hoffnung, mein Traum zu
erfüllen. Mein Plan ist dumm und verzweifelt, aber mehr kann ich für den
Kommunism nicht mehr tun. Es ist wie, als wenn ich in eine dunkle Nacht schieße
und hoffe zufällig ein Ziel zu treffen, welches ich nicht sehen kann. Und diese
Hoffnung willst du mir nicht nur nehmen, nein, ich soll sie selbst zerstören
und dem Kommunism für jeden in der Stadt verhasst machen.“
Schweigend hatte Arnold die Ansprache angehört und konnte den
Druck der Schuld spüren, wie sie seine Abschirmung zu überwinden drohte. Bevor
dies geschehen konnte, rang sich Arnold dazu, Artjom zu antworten.
„Du hast keine andere Wahl“, entgegnete Arnold knapp, der
sich wieder tiefer in seine Gleichgültigkeit zu vergraben versuchte.
„Was meinst du?“, fragte Artjom.
„Ganz einfach, egal ob du dich dafür bekennen wirst oder
nicht, die Einwohner werden euch die Schuld so oder so zu schieben und sich dem
Kollektiv anschließen. Selbst wenn jeder einzelne gesehen hätte, wie ihr jeden
Brand gelöscht hättet, würden sie euch die Schuld geben. Danach werden sie euch
angreifen und was passiert, wenn du die Situation nicht unter Kontrolle
bekommst? Stalin wird dich ersetzen und jemanden schicken, der mit dem
Kollektiv härter durchgreifen wird. Dann kannst du deinen Traum vergessen.
Wenn du aber jetzt mir hilfst und die Schuld auf dich nimmst,
könnten wir mit einem Mal genug Leute dazu bekommen, zu dem Kollektiv zu gehen
und es so finden. Also, was sagst du?“
Alles in Artjom wollte gegen die Erkenntnis rebellieren, aber
er musste sich eingestehen, dass Arnold Recht hatte und er sich in einer
Sackgasse befand. Jegliche Kraft wich aus seinem Körper und erschien in sich
zusammenzusinken, als er die letzte Hoffnung auf die Erfüllung seines Traumes
begrub.
„Uhlig“, brachte
Artjom hervor, „du bist der schlimmste Dreck, den ich in meinem Leben begegnet
bin. Ich hoffe, dass dein Leben nur halb so schrecklich wie meines wird“
Langsam schob der Kommandeur seine Pistole wieder in sein Holster
zurück und blickte Arnold direkt in die Augen. Der frühere Stolz und Wille, den
man in den Augen von Artjom erkennen konnte, war erloschen und ließ eine leere
Hülle zurück.
„Aber du hast Recht. Ich nehme die Schuld auf mich“
Kapitel 15
„DU SCHWEIN!! WIE KANNST DU ES WAGEN!!“
Die tobende Menge stürzte sich gegen die Soldaten und
versuchte Artjom in die Hände zu bekommen. Nur mit Aufbringung aller
vorhandenen Kräfte konnten die Sowjets die Menschen zurückhalten und bedrohten
sie mehrfach mit Waffengewalt, was dieses Mal die Situation nicht entschärfen
konnte.
„Wir gehen“, sagte Artjom knapp zu Arnold, nachdem er vom
Podest heruntergegangen war.
Neben Beschimpfungen und Mordandrohungen flogen noch Flaschen
und kleinere Steine, als sich die beiden von den aufgebrachten Einwohnern
entfernten. Begleitet wurden sie von einer kleiner Schar Soldaten zurück zu dem
Haus am Bahnhof, wo sich Arnold und Artjom zum ersten Mal getroffen hatten.
„Warten Sie, bitte“, erklang es hinter den beiden, als sie
gerade eintreten wollten.
Ein junger deutscher Soldat nahm Haltung ein war aber
deutlich bestürzt über die Geschehnisse und blickte den Kommandeur verunsichert
an.
„Was?“, fragte Artjom gereizt.
„Ich … ich wollte fragen, was das sollte?“, entgegnete der
Soldat zögernd. „Sie würden und haben nie den Befehl zu solch einer … Tat
gegeben. Warum behaupten sie aber, dass wir es waren? Die Einwohner hassen uns
jetzt noch mehr. Wir haben gestern doch versucht die Flammen zu löschen.
Deswegen …“
„Was bist du?“
„Ehm … also …“
„Ich hab gefragt, was bist du?“, wiederholte Artjom mit
Nachdruck.
„Soldat“
„Ja, und Soldaten Fragen nicht, sie tun, was ich sage. Also
frag nicht so dumm, warum ich das gemacht habe und denke, wer du bist. Und
jetzt verschwinde“
Eingeschüchtert entfernte sich der Soldat von Artjom und
gesellte sich zu seinen Kameraden, die ihn sofort ausfragten was geschehen sei,
sich das meiste aber an seinem Gesichtsausruck erahnen konnten.
„Gut, und was machen wir jetzt?“, fragte Artjom.
„Wir warten“, antwortete Arnold knapp. „Das Kollektiv wird
sie sich erst am Abend zu sich holen“
„Verstehe“
„Artjom, ich muss noch einmal kurz weg“
„Wo?“
„Einfach etwas erledigen. Dauert nicht lange“
„Du nimmst aber zwei Männer mit. Nicht, dass du weggehen
willst“
Arnold hatte bereits mit solch einer Forderung von Artjom
gerechnet und stimmte mit einem kurzen Nicken zu.
Zwei Soldaten folgten Arnold mit etwas Abstand und hatten
ihre Gewehre griffbereit, welche sie nicht für die aufgebrachten Einwohner parat
hielten. Ihm machte das fehlende Vertrauen aber nichts aus, wenn er daran
dachte, zu was er Artjom getrieben hatte.
Die Geschichte, die der Kommandeur Arnold erzählt hatte, als er
ihn in der Kirche überzeugte, ließ er sich einige Male durch den Kopf gehen. Er
verspürte Mitleid für das Schicksal von Artjom und Reue, weil der Traum des
Kommandeurs seinetwegen endgültig zerstört wurde. Mittlerweile nagten aber so
viele schlechte Taten an seinem Gewissen, dass eine weitere ihn relativ kalt
ließ.
Von allen Seiten bemerkte Arnold die verhassten Blicke der
Einwohner auf sich ruhen, die jeden Sympathisant der Sowjets als einen
geschworenen Todfeind ansehen mussten. Selten sah er wirklich jemand ihn direkt
anstarren, trotzdem wusste er, dass sie ihn alle verstohlen anblickten, sobald
er ihnen den Rücken zukehrte. Sein Plan hatte Früchte getragen, die ihm
unangenehmes Gefühl gaben, je weiter sie gingen.
Erleichtert atmete Arnold auf, als sie endlich beim
städtischen Friedhof ankamen.
„Wartet bitte hier“, sagte Arnold zu den beiden Soldaten, die
ihn misstrauisch ansahen. „Dauert nicht lange und ihr könnt mich die ganze Zeit
sehen“
Damit gaben sich die beiden zufrieden und ließen Arnold
alleine gehen. Der Brief seines Vaters halte in ihm wieder, als er von den fünf
Massengräbern stand und sich fragte, in welchem seine Mutter und seine kleine
Schwester liegen. Schnell gab er es auf, da es ihm unmöglich war, es
herauszufinden.
Stumm stand er da und blickte einfach auf die Gräber. Zum
ersten Mal war er froh, dass seine Familie Tod war, da sie sonst ein Teil des
Kollektivs sein könnten und dieser Gedanke jagte ihm einen Schauer durch den
Leib.
Als er dort stand wünschte er sich, er hätte ein Strauß
Blumen besorgen können, wofür ihm aber die Zeit fehlte. Er ließ in seinem Geist
ein letztes Mal das Klavierspiel seiner Mutter ertönen, bevor er sich umdrehte
und zurückging.
Die Sonne war gerade untergegangen und Hunderte Leute zogen es
aus den Ruinen ihrer ehemaligen Häuser auf die Straße. Wie in Trance
marschierten sie alle in dieselbe Richtung los, als ob all ihre Bewegungen von
einem Puppenspieler gelenkt wurden. Dabei lag ein verzweifelter Ton in ihren Augen,
der sich nach einer seelischen Stütze sehnte, die sie wohl in der Stimme
gefunden hatten.
Artjom gab den obdachlos gewordenen keinen
Ersatzunterschlupf, was den Hass auf ihn nun noch steigerte. In der ganzen
Stadt wurden Späher verteilt, die jegliche Bewegung sofort melden sollten. Bis
zur Bestätigung verbrachten Artjom und Arnold die Zeit mit angespannten Warten,
welches weit aus qualvoller war, als das Verhör des Kommandeurs.
Unter den Läufern, die alle nur dank dem Zufall
zusammenliefen, litten viele an starken Haarausfall und hatten eine bleiche
kränkliche Hautfarbe angenommen. Arnold hatte sich in die Prozession
eingeschlichen und kämpfte sich bis zur Spitze durch, ohne dass nur einer der
Läufer auf ihn aufmerksam wurde.
Bevor Arnold aufgebrochen war, hatten sie aber abgewartet, ob
sich eine weitere Prozession bilden würde, was nicht der Fall war. Diese hatte
sich wohl vor allem aus den neuen Obdachlosen gebildet, da sie ihren Ursprung
in den verbrannten Wohnhäusern hatten.
Jeder Soldat in der Stadt verfolgte die Prozession aus der
unmittelbaren Nähe und hielt ständig nach jeglichen Angreifer Ausschau, der
versuchen könnte, den Marsch gewalttätig zu beenden. Hanns musste auch in der
Nähe sein und das Treiben beobachten, auch wenn Arnold nicht wusste, von wo
genau aus er es tat.
Während sie weiter marschierten, konnte Arnold das Widerhallen
von Schüssen und Kampfgeräuschen vernehmen, die sich in seiner Nähe befanden.
Jeder weitere Schuss stimmte ihn nervöser und er umklammerte seine Pistole
fester, welche man ihm mitgab und die seit dem ersten Kampflärm gezogen hatte.
„Wo bin ich?“, hörte Arnold neben sich jemand fragen.
Die Stimme kam von einer Frau, die sich verwirrt umsah und stehen
blieb, was den restlichen Läufern hinter ihr nichts ausmachte, da man sie
einfach umrundete. Nach einigen Minuten passierte dasselbe mit einer zweiten
Frau, die sich aus Prozession entfernte.
Der Kern musste den Plan bemerkt haben und versuchte wohl nun
die Verbindung zu den Frauen zu trennen. Jedoch musste sich jedes einzelne
Mitglied der Prozession derart an die Stimme klammern, dass es Mühe und Zeit
aufforderte, sie los zu werden. Damit konnte Arnold seine Vermutung bestätigen,
dass die Verbindungen nicht dazu gemacht waren, um vom Kern wieder getrennt zu
werden.
Schadenfreude erfüllte Arnold, als er daran dachte, wie der
Kern siegessicher den gestrigen Tag als die perfekte Möglichkeit ansah, seine
Reihen zu füllen und naiv jeden aufnahm und so in ihre Falle getappt war. Das
ständig Donnern der Gewehre und die Schreie der Verletzten verdüsterte seine
Stimmung aber wieder.
Auf Grund der langsamen Geschwindigkeit der Läufer hatte
Arnold noch viel Zeit zum Nachdenken, was notwendig war, um sich von dem
Kampflärm abzulenken. Eine hartnäckige Sorge von ihm war, dass der Kern
versuchen könnte, solange vor der Prozession zu fliehen, bis er jede Verbindung
zu den Frauen trennen konnte. Für solch einen Fall hatten sie mehrere Truppen
in der gesamten Stadt verteilt, die Ausschau nach dem Kern halten sollen.
Außerdem war da noch Hanns, der den fliehenden Feind mit Leichtigkeit stellen
könnte.
Ihre Absicherungen gegen die Flucht des Kerns verhalf Arnold
nur teilweise, sich dieser Sorge zu entledigen. Schnell kam ihm aber ein neuer
Gedanke, der seine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Er dachte daran, als die
Stimme sich bei ihm eingenistet hatte und seinen Verstand manipulierte.
Warum redet
er nicht den Frauen ein, dass sie nicht weiterlaufen sollen?, fragte
sich Arnold.
Egal wie er oft er versuchte, eine Antwort darauf zu finden,
es gelang ihm nicht. Lediglich zwei Möglichkeiten kamen ihm in den Sinn, welche
das Verhalten des Kern erklären könnten: Erstens, er lockt sie in eine Falle
oder Zweitens, er kann sie nicht mehr Manipulieren.
Arnold wurde etwas schlecht, wenn er daran dachte, dass all
die Anstrengungen um sonst gewesen sein konnten und sie das Kollektiv nur noch
stärkten. Um sich Abhilfe zu verschaffen, ließ er das Klavierspiel wieder
ertönen und untersuchte die Situation noch einmal.
Als er den Weg zum Kollektiv sah, stand er nicht unter der
vollkommenen Kontrolle des Kerns, er hatte noch einen freien Willen, im
Gegensatz zu den Unholden. Jeder der Frauen befand sich in derselben
Emotionalen Lage wie Arnold damals und müsste dem Kern so nicht gänzlich
ausgeliefert sein. Trotzdem dürfte es doch für die Stimme ein leichtes gewesen
sein, den Läufern einzureden, dass sie sofort stehen zu haben.
Dazu kamen noch die Unholde, die scheinbar ohne Ziel und
Verstand die Soldaten angriffen. Zuerst vermutete Arnold, dass der Kern sich mit
diesem Angriffen einen Fluchtplan zu schlagen wünschte, indem er die Truppen
dort auslöschte, aber die Attacken konnten jedes Mal zurück geschlagen werden,
was er an den Verhöhnungen der Soldaten hörte, die sie den fliehenden Feinden
hinterherriefen.
Nach einer Weile kam Arnold aber eine Theorie, welche das
Verhalten erklären könnte. Der Kern war überlastet. Scheinbar hatte er zu viele
mit einen Mal aufgenommen und versuchte nun diese wieder loszuwerden und
gleichzeitig die Kontrolle über die bereits vorhandenen Unholde zu behalten,
was ihm nicht einmal ansatzweise gelang. Deswegen griffen die Unholde so
unbedacht an, sie hatten niemanden mehr, der sie daran hindern konnte, sich
ihrer Mordlust hinzugeben. Der Kern musste seine Kraft auf so viele Stellen
verteilen, dass er überall nur minimale Erfolge hatte.
Euphorie durchschwamm Arnold, als er sich die Theorie auf der
Zungen zergehen ließ. Wenn er Recht hatte, würde sein Plan nicht nur
funktionieren, sondern er hätte den Kern auch lahm gelegt. Gleichzeitig wurde
ihm aber bewusst, wie viel Glück er nur hatte, dass seine Strategie aufging,
die er sich in eine Minute zusammen gelegt hatte, damit ihm Hanns verschonte.
Aus heiterem Himmel kam die Prozession zum Stehen. Arnold
rempelte gegen eine ältere Frau vor ihm, da er etwas nach hinten gefallen war,
als er über seine Theorie nachdachte. Alle Augen richteten sich auf ein
ausgebranntes Wohnhaus, welches mit Müh und Not noch stand. Überrascht stellte
Arnold fest, dass sie in der Gegend waren, wo er aufgewachsen war, bis er das
Haus vor ihm sah, es war sein Haus.
Es herrschte Totenstille und jeder Läufer starrte ehrfürchtig
auf die Ruinen, aus welcher man das Getuschel mehrere Leute verstehen konnte.
Gerade als Arnold seinen Schock überwunden hatte und mit gezückter Waffe nach
vorne Preschen wollte, trat eine Gestalt aus der Eingangstür heraus.
Diese war in ein langes schwarzes Gewand gekleidet und hatte
sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, weswegen man von ihm nicht viel
erkennen konnte. Jeder der Betroffenen blickte die Gestalt an, als wäre er ein
Gesandter Gottes, der hier ist, um sie von ihrem Leid zu erlösen und sie in das
ewige Paradies mitzunehmen.
Rasend schlug Arnolds Herz, als er die Figur sah, die der
Kern sein musste. Seine Beine waren wie gelähmt und wollten sich nicht vom
Fleck rühren. Das Klavierspiel, was ihn bis dahin beruhigt hatte, verklang
schnell und ließ dem Stress freien Lauf, den es zurück gehalten hatte.
„Jetzt geh schon oder hast du das Laufen vor lauter Angst
vergessen, Arnold? Zu sowas hab ich dich nicht erzogen!“
Die vergessene Entschlossenheit loderte in Arnold wieder auf
und schmolz die Furcht, die seine Glieder im festen Griff hatte. Kaum gehorchte
sein Körper ihm wieder, schon rannte er in Richtung der Gestalt und stieß dabei
jeden um, der sich ihm weg befand. Langsam trat die Figur auf die Menge zu, die
ihn mit einer Hoffnung ansahen, dass es Arnold das Herz gebrochen hätte, wenn
sein Fokus nicht vollkommen auf die Gestalt gerichtet gewesen wäre.
„Meine“, sagte die Figur mit einer eigenartigen Stimme, die
in Arnolds ganzen Körper wiederhalte und einen angewiderten Schauer zur Folge
hatte, „Ki …“
Bevor die Gestalt aussprechen konnte, hatte sich Arnold bis an
die Spitze der Menge vor gekämpft und richtete die Waffe mitten in das Gesicht
der Figur, die sofort innehielt, als sie den Lauf auf sich gerichtet sah. Von der
Gestalt ging eine schwache Aura aus, die Arnold eine leichte Gänsehaut
verpasste und einen weiteren Schauer durch den Leib jagte. Es bestand für ihn
kein Zweifel mehr. Das vor ihm musste der Kern sein.
Die Menge war wie erstarrt und blickte Arnold fassungslos an,
den sie nun zum ersten Mal bemerkt haben. Unter der Kapuze der Gestalt glaubte
er etwas wie Furcht und Verblüffung gesehen zu haben. Jedoch vergrub sich Arnold
erneut in die Gleichgültigkeit, damit keine Emotionsregung, seine
Handlungsfähigkeit mehr sabotieren könnte. Und doch verspürte er eine
umfassende Zufriedenheit, als er die Waffe entsicherte und abdrückte.
Leblos viel die Gestalt zu Boden. Der Knall der Pistole fegte
durch die Menge und wurde von panischen wie elenden Gekreische beantwortet.
Schockiert blickte Arnold auf die Menge, die zum Toten stürmte und sich
weinenden zu seinen Füßen stürzte.
„Verflucht seist du!“, zischte Hanns.
Arnold drehte sich verwirrt um und sah den Reiter, wie er in
seine Richtung rannte und seine Armbrust bereit machte.
„Das war nicht der Kern, du Unsinniger!“, brüllte Hanns mit
wutverzerrtem Gesicht.
Wie vom Blitz getroffen, brauchten die Worte eine
Schrecksekunde, bis sie zu Arnold durchgedrungen war.
„Das kann nicht …“, stammelte Arnold und drehte sich wieder
um.
Eine weitere Gestalt, die ein ähnliches Gewand wie der
Verstorbene trug, hatte das Durcheinander ausgenutzt und war aus dem Haus
hinausgerannt und floh nun in eine Gasse.
„NEIN!“, brüllte Arnold und setzte dem Kern hinterher.
Weder die Abschirmung noch die Stimme seines Vaters konnten
in Arnolds Geist verbleiben, als eine Flutwelle von Panik durch seinen Verstand
zog und ihn unfähig machte, zu denken. Jeder, der in seinen Weg geriet, schlug
er ohne Rücksichtnahme gnadenlos um, sei es Kind oder alte Frau. Nur noch der
fliehende Kern hatte irgendeine Bedeutung für ihn.
Seine Beine schrien vor Schmerzen auf, als er ihn solch eine
Belastung aussetzte, jedoch verstummten sie, als er an die Konsequenzen dachte,
die folgen würden, wenn der Kern fliehen konnte. Durch die waghalsige
Geschwindigkeit, mit der Arnold dem Flüchtigen nachsetzte, konnte er ein gutes
Stück aufholen und die Gasse erreichen, bevor der Kern aus dieser entkam.
„HALT!“, brüllte Arnold und schoss auf den Kern.
Die Kugel fegte durch sein rechtes Bein und ließ ihn
schmerzhaft stürzen. Schwer keuchend kam Arnold beim Kern an, der seine Wunde
hielt und sich gerade auf die Füße gestemmt hatte. Ohne zu zögern zielte er auf
den Kopf des Flüchtigen und wollte gerade abdrücken.
„Arnold“, sprach der Kern knapp.
Ein Schock durchfuhr Arnolds kompletten Körper und ließ ihn
seine Waffe senken, als er die Stimme erkannte.
„Vater?“, fragte Arnold zögernd.
Der Kern entgegnete nichts und humpelte auf das Ende der
Gasse zu.
„ARNOLD, LASS IHN NICHT ENTKOMMEN!!!“, schrie Hanns, der bei
der Gasse ankam und mit seiner Armbrust auf den Kern zielte.
Als Arnold sich nicht rührte, fluchte der Reiter kurz auf und
schoss auf den Flüchtigen. Sausend flog der Bolzen direkt auf den Kopf des
Kerns zu. Kurz bevor er sein Ziel erreichen konnte, sprang ein Unhold in die
Gasse hinein und konnte den Flüchtigen zur Seite stoßen, wofür er den Treffer
kassierte.
Nichts als ein kurzer Aufschrei entfuhr dem Monster, als der
Bolzen sich in die Brust bohrte und dort bis zu Hälfte ins Fleisch eindrang.
Für einen normalen Mensch wäre dieser Wunde tödlich gewesen, doch der Unhold
blieb wacker auf den Beinen und schenkte dem Projektil keine größere Beachtung.
Schützend stellte er sich vor den Kern und half ihm, sein
Fluchttempo zu erhöhen. Wutentbrannt raste Hanns auf seine Gegner zu und schlug
auf dem Weg dorthin Arnold zu Boden, der sich noch immer nicht rühren konnte.
Drei weitere Bolzen versenkte der Reiter in den Unhold, welche sich tief in
seinen Rücken vergruben.
Blut strömte aus den Wunden des Monsters und mit ihr verlor
es beständig an Kraft. Zitternd stützte sich der Unhold auf seine Arme ab, um
den Kern weiterhin mit seinem Leib zu beschützen. Kein Dank erhielt die Kreatur
von ihrem Meister, der nicht einmal zurück blickte, als ein vierter Bolzen sich
in den Rücken seiner Kreation jagte und diese mit einem Schnaufen
zusammensackte.
„Hab ich dich!“, rief Hanns triumphierend, als er an dem beweglosen
Unhold vorbeirannte und mit der geladenen Armbrust auf den Kern zielte.
Jedoch packten ihn die monströsen Griffe des Unholdes, der
bereits mit dem Tod rang, sein Bein und rissen ihn zu Boden. Mit letzter Kraft umfasste
das Monster den Unterschenkel mit beiden Händen und brach ihn wie einen dünnen
Ast in zwei.
„Du verdammtes …!“
Rasend stach Hanns sein Messer solange in den Schädel des
Unholdes hinein, bis von diesem nur noch ein Fleischfetzen übrig war, aus dem
die zerstörten Goldfäden wirr herausragten. Von dem Kern fehlte jegliche Spur,
nur noch frische Bluttropfen zeigten an, welchen Weg er genommen haben musste.
Gerade als der Reiter sein Bein richten wollte, damit es besser verheilen
konnte, stürzte drei Unholde in die Gasse hinein und fielen Hanns an.
Machtlos musste Arnold mitansehen, wie die Kreaturen wild auf
ihn einschlugen und ihm Knochen um Knochen brachen. Ein blutiger Fetzen, der
einmal sein Arm war, hielt die Armbrust festumklammert, in der immer noch ein
Bolzen lag, welcher nun mit seinem Blut überströmt war. Trotz alle dem
vermochte es Hanns, sich kurz aus der Gewalt der Unholde zu befreien und die
Armbrust Richtung Himmel abzuschießen, bevor sein Schädel von der Pranke eines
dieser Monster zertrümmert wurde. Jegliches Leben erlosch aus dem Leib des
Reiters, was die Unholde nicht davon abhielt, weiter auf den Leichnam
einzuschlagen.
Arnold beobachte den Bolzen, der mit einer kleinen roten
Explosion am höchsten Punkt seiner Fluglaufbahn aufging. Kaum war das
leuchtende Rot am Himmel wieder von Dunkelheit verschluckt wurden, schon bahnte
sich eine Gewitterwolke mit tosenden Gedonner an.
„Oh Gott, bitte nicht“, brachte Arnold mit trockener Stimme
hervor.
Aus der Wolke kamen 20 Reiter heraus geritten, die mit einem
markerschütternden Kriegsschrei bei dem ehemaligen Haus von Arnold landeten.
Sofort schossen fünf Reiter in die Gasse hinein und flogen knapp über Arnolds
Kopf auf die Unholde zu. Diese brachten ihrerseits ein freudiges Lächeln hervor
und stürzten sich brüllenden den Reitern entgegen.
Das Blut spritze in Mengen an die Wände der Gasse, als die
zwei Parteien aufeinander trafen und sich bestialisch bekämpften. Um nicht
ungewollt ein Teil dieser Auseinandersetzung zu werden, raffte sich Arnold
wieder auf die Beine und rannte zum Eingang der Gasse zurück.
„Was tut ihr?!“, hörte Arnold eine bekannte Stimme rufen, die
vom dem Landungsort der wilden Jagd her kam.
Erst als er die Straße sehen konnte, wo zuvor die Menge um
die merkwürdige Gestalt getrauert hatte, erkannte er den Vorbote der wilden Jagd,
welcher wütend Befehle rief, die in einem wilden und panischen Gekreische unter
gingen. Direkt vor dem Eingang der Gasse blieb Arnold stehen und erblickte das
ganze schreckliche Schauspiel.
Die 15 verbliebenen Reiter hatten sich der Menge angenommen und
richteten ein Massaker an, wie es Arnold sich in seinen schlimmsten Albträumen
nicht vorstellen konnte. Seine frühere Heimatstraße, auf welcher er gerne mit
seinen Freunden gespielt hatte, war mit dutzenden Leichen von Frauen und Kinder
und deren Blut bedeckt, welches sich am Straßenrand sammelte, wie das Wasser zu
einem Flutregen.
Arnold fing an unkontrolliert zu Atmen und am ganzen Leib zu
zittern, was daran endete, dass er wieder zu Boden sank. Von ihm nahm keiner
der Reiter Kenntnis. Sie waren damit beschäftigt, die flüchtenden Frauen und
Kinder einzukesseln und hinzurichten, was sie mit einer Schnelligkeit und
Präzession taten, dass jedem gestählten Mann der Mut auf ewig verlassen würde.
„Das kann nicht …“, stammelte Arnold.
Mehrfach versuchte er auf die Beine zu kommen, um diesem
Albtraum zu entfliehen, jedoch verweigerte ihm sein Körper jeglichen Dienst und
er fiel immer wieder zu Boden, nachdem er sich ein paar Zentimeter aufstemmen
konnte. Sein Geist war ähnlich zerrüttet. Egal welchen Gedanken er zu greifen
versuchte, sein Verstand konnte ihn nicht halten und ließ ihn wieder davon
schwinden. Dafür brannte sich jeder Augenblick des Massakers unwiderruflich in
Arnold hinein, auch wenn sich für ihn alles so unwirklich anfühlte und
dieselben Worte in seinem Geist immer wieder ertönten: das kann nicht sein, das
kann nicht sein, das kann einfach nicht sein!
Keine zehn Meter von ihm entfernt kroch eine junge Frau
verzweifelt umher und suchte nach einem Ausweg. Als sich ihre Blicke trafen,
winkte Arnold sie schnell zu sich. Erleichterung, die wohl seit längerem schon
auf dem Gesicht vermisst wurde, zeigte sich bei der jungen Frau und sie kroch
auf die erhoffte Rettung zu.
Eine Kugel knallte aber in ihren Hinter Schädel und kam aus
ihrer Stirn herausgeschossen, woraufhin ihr Körper zusammensackte und sich eine
weitere Blutlache auf der Straße verbreitete. Der Reiter, der auf sie
geschossen hatte, riet neben sie und verpasste ihr eine weitere Kugel in den
Schädel.
Arnold hielt sich die Hand vor den Mund, da er befürchtete
sich mit seinem hektischen Atmen bemerkbar zu machen und presste sich gegen die
Wand der Gasse, um möglichst der Sicht des Abscheulichen zu entgehen. Nun
konnte Arnold aber einen vollkommenen Blick auf den Reiter werfen, der sein
Gewehr nachlud und ihm viel ein erschreckendes Detail auf, er war ein Sowjet.
Die Uniform war dreckig, zerrissen und er wurde vom blauen
Schimmer umgeben, aber es bestand kein Zweifel, dass dieser Mann einmal ein
Soldat gewesen sein musste. Der Zustand seines Körpers sprach aber dafür, dass
er schon vor einigen Jahren gefallen war. Dieser war halbverwesen und von
unzähligen Wunden gezeichnet, die man durch die Risse in der Kleidung sehen
konnte. Von der Haut waren nur noch bleiche aufgedunsene Reste übrig, die an vielen
Stellen dem blanken Knochen zeigte. Weder die Nase noch die Lippe waren im
Gesicht vorhanden, welches aber ansonsten
am besten erhalten war.
„Nazi!“, sprach der Reiter mit einer kratzigen Stimme und
spuckte auf die Leiche der jungen Frau.
Der Reiter gab seinem Gaul, welches ebenso mitten im
Verwesungsvorgang stecken geblieben ist, die Sporen und flog mit ihm zu seinen
Kameraden, die unverblümt weiter mordeten. Bei den anderen Reiter handelte es
sich ebenfalls um gefallene Soldaten verschiedenster Nationen, die Arnold auf
den ersten Blick nicht benennen konnte.
Selbst als das Scheusal davon ritt, nahm er nicht die Hand
von seinem Mund und machte sich nur noch kleiner, um nicht gesehen zu werden.
Seine Aufmerksamkeit wurde aber plötzlich von den Kämpfenden in der Gasse
wieder erregt. Dort wurden die Reiter von einer Überzahl an Unholden überrannt,
die frisch dazu gekommen waren, und in Stücke gerissen.
Dieses Mal hielten sie sich aber nicht an der Verstümmelung
der Leichen auf, sondern sprinten geradewegs in Arnolds Richtung. Der Boden
schien bei dem Aufmarsch der Monster zu beben, welches von ihrem Kriegsgeschrei
malerisch unterstützt wurde. Mit einem großen Satz sprang Arnold aus der Gasse
heraus und ging über zu einen wackeligen Lauf.
Schnell ließen die verbliebenen Reiter von den Menschen ab
und begrüßten die Angreifer, als sie aus der Gasse hinaus kamen. Der Aufprall
der beiden Seiten war derart heftig, dass Arnold zusammenzuckte und beinahe
hinfiel. Mit zitternden Hände umklammerte er seine Pistole nur noch fester, als
er von den Kämpfen floh.
„DU!“, brüllte einer der Unholde hinter ihm und rannte auf
ihn zu.
Arnold konnte ihn als einer derer identifizieren, welche ihn
in der nebelerfüllten Nacht überrumpelt hatten, nur dass er nun die deutliche
Intention hatte, ihn zu töten. Bevor das Monster ihn erreichen konnte, wirbelte
Arnold die Pistole umher und schoss in das Gesicht des Angreifers. Erneut blieb
ihm das Glück hold und er traf die Augen der Kreatur.
Diese umfasste sein Gesicht und kam zum Stehen, um sich neu
zu orientieren, wurde aber keine Sekunde später von einem Reiter in voller
Geschwindigkeit in die Seite gerammt und die Wand eines Hauses befördert. Zwei
weitere Unholde revanchierten sich für den Tod ihres Kameraden so gleich und
packten den Reiter und sein Gaul und zerrten sie zu Boden, wo sie ihm den
Schädel zertrümmerten.
Keiner der beiden Parteien wollte klein bei geben und sie
kämpften wie tollwütige Hunde gegeneinander. Mit einem leisen Zischen, welches
in dem Kampflärm unterging, flog eine Granate einen hohen Bogen mitten hinein
in das Getümmel. Gerade noch rechtzeitig bemerkt Arnold die Granate und
beförderte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit, als die Explosion die
Kämpfenden auseinanderriss.
„Auf sie!“, brüllte Artjom und ließ das Feuer eröffnen.
Kugeln folgen in solch einer Menge auf die Reiter und Unholde
zu, dass selbst sie Schaden auf Dauer davon tragen würden, weswegen sie sich
schnell für die Flucht entschieden. Der Kommandeur spielte mit dem Gedanken,
den Unholden nachzusetzen, tat diese Idee aber als reinen Selbstmord ab.
Ungläubig betrachtete Artjom und seine Soldaten das
Schlachtfeld, welcher Schrecken sich ihnen nun erst in seiner Gänze auftaten,
nachdem die Feinde geflohen waren. Viele mussten den Blick wieder abwenden und
auch Artjom verstörter dieser Anblick schwer.
„Blin, was … was war das, Uhlig?“, fragte Artjom mir
trockener Stimme.
„Ich … also … ich …“
„Bleib ruhig“, unterbrach ihn Artjom, nachdem er bemerkte,
dass Arnold unter einem schweren Schock stand, „wir schaffen dich weg von hier“
Artjom half Arnold auf die Beine und blieb in seiner
unmittelbaren Nähe, da er unaufhörlich schwankte und sich nur schwerlich
bewegen konnte.
„Ehm …“, sagte ein Soldat mit brüchiger Stimme, der vor
Artjom trat, „dass … dass sollten sie sich ansehen“
Eilig ging der Kommandeur dem Soldaten hinterher und rief
Arnold zu sich, als er gesehen hatte, was man ihm zeigen wollte.
„Weißt du, was … Das ist?“, fragte Artjom, nachdem Arnold bei
ihm ankam.
„Ja“, entgegnete er knapp, als er den Vorboten sah, wie er am
Boden mit schweren Wunden lag.
Kapitel 16
„Also, er ist bei der wilden Jagd?“, fragte Artjom.
„Genau“, antwortete Arnold.
„Und er sagte den Menschen, wenn die wilde Jagd kommt?“
„Ja, ich glaube es, bin mir aber auch nicht sicher“
„L … Lasst mich gehen“, brachte der Vorbote mit schwacher
Stimme hervor.
Überrascht blickten die beiden den Vorboten an, dem die
Erschöpfung aus dem Gesicht strahlte. Seit fast einem Tag hatten sie ihn nun
schon in ihrer Gewalt und konnten bisher kein Wort aus ihm heraus bekommen.
„Willst du also endlich reden?“, fragte Artjom und kam ein
Stück naher an den Reiter.
„Ja, wenn ihr mich von euren vermaledeiten Fesseln befreiet!“
Um zu verhindern, dass der Vorbote zu fliehen versucht,
hatten Arnold und Artjom ihm an die Wand festgekettet und Arme wie Beine abgetrennt und die Stümpfe
derart stark abgebunden, als ob die Amputation noch bevor stünde. Mitleid,
wegen der Schmerzen, die ein so drastisches Mittel zu Folge haben müsste, hatte
seit dem Blutbad keiner mit ihm.
„Ha, wir sind nicht dumm, du Monstr. Rede … und wir werden
dich …“
„Erlösen“, beendete Arnold, als Artjom nach dem richtigen
Wort suchte.
Der Vorbote ließ sich das Angebot durch den Kopf gehen und
wie Artjom in der Kirche damals, verlor er jeglichen Willen und sackte in sich
zusammen, als er sich mit seiner Situation abfand.
„Einverstanden“, entgegnete der Vorbote. „Nach dieser
Tragödie kann ich mich nicht mehr in den Reihen meines Königs erblicken lassen“
„Gut“, sagte Artjom, der mit weitaus mehr Widerstand
gerechnet hat, „dann sag, warum deine Leute die Menschen getötet haben?“
„Diese Bestien gehören nicht zu den meinen!“
„Was meinst du damit?“, fragte Arnold.
„Um euch dies verständlich darzulegen, muss ich mit meiner
Erzählung in längst vergangenen Tage beginnen, die …“
„Der’mo, rede schneller!“, unterbrach Artjom genervt.
„Wenn du es wünscht. Einst war mein König Wodan ein weißer
Herrscher, dessen Weitsicht jedes atmende Lebewesen übertraf. Doch ein Makel
befleckte sein Antlitz, die Furcht vor dem Tod. Eine Prophezeiung versprach das
Ende aller Welten und seinen Untergang. Jedoch vermochte er es, das Schicksal
mit seinem strategischen Genie und brennenden Willenskraft zu bändigen
und das Ende aller Dinge zu verhindern. Aber durch diese Tat hat er sein altes
Wesen vergiftet.
Wodan wurde größenwahnsinnig und erkennt sich als den einzig
wahren Herrscher an, den es geben darf. Keiner der Pflichten, die mit der Krone
einhergehen, hat er sich mehr gewidmet, weswegen dieser Schandfleck in eurer
Stadt wuchert, für wessen Entstehung das Versäumnis Wodans die Schuld trägt.
Doch endlich hat mein König den Beschluss getätigt, diesem Fluch ein Ende zu
setzen, aber nur aus dem selbstsüchtigen Antrieb, seine Herrschaft zu erhalten,
da das Kollektiv die Macht anzusammeln vermag, ihn zu stürzen.
In den Jahrhunderten, den Wodan seine Pflichten vergasen, da
er sie als Entbehrlich ansah, lichtete sich aber die Reihen der wilden Jagd.
Auch wenn sein heller Geist getrübt war und ist, sah er in der Infiltration des
Kollektivs die effektivste Möglichkeit, dem Feind ein Ende zu bereiten, aber er
erahnte, dass jeder Mensch von der Stimme derart verseucht werden würde, dass
sie sich in den Reihen des Kollektivs verlieren würden, weswegen er eine
schlagkräftige Armee in der Hinterhand haben wollte, um dem Feind auch
gewalttätig zu vernichten.
Dafür bediente er sich dieser Bestien. Gefallene Soldaten in
eurem letzten Krieg, welche durch die Gewehre der Deutschen ihr frühes Ende
erlebten und nun nach Rache sinnen. Leider hatte Wodan ihren Blutdurst
unterschätzt, was zu den Geschehnissen des vorherigen Tages führte.
War ich in der Lage, euren Wissendurst zu befriedigen?“
Es herrschte einen Augenblick Stille, in der jeder das
Gesagte verarbeiten musste.
„Gut“, sagte Artjom langsam, „und wie ist das … Kollektiv …
ehm …“
„Entstanden?“, beendete Arnold.
„Das spielt keine Rolle für die baldigen Ereignissen und
Entscheidungen, die er treffen müsst. Keine weitere Frage, die ihr mir stellen
könnt, vermag es euch Wissen zu vermitteln, mit dem ihr ein Vorteil gegen eure
Feinde erhaltet. Eins sei euch noch gesagt, Wodan wird alles vernichten, was
seine Macht bedroht. Und nun erfüllt eure Verpflichtung, die ihr mir schuldig
seid!“
„Später“, sagte Artjom knapp und ging mit Arnold aus dem
kleinen Zimmer, in welches sie den Vorboten eingesperrt hatten.
„Ich glaube, er weiß noch mehr“, erzählte Artjom mit
Gewissheit. „Er will einfach nicht reden“
„Und was sollen wir mit ihm tun?“, fragte Arnold.
„Weiter fragen, bis er weiter redet. Aber nicht hier, hier
ist es zu … hier ist die Lage zu schlimm. Wir bringen ihn ein großes Haus, was
nicht in Chemnitz liegt“
„Und was wollen wir dann machen? Er hat ja vielleicht
wirklich die Wahrheit gesagt und weiß nichts mehr, was uns helfen kann“
„Wenn er nichts mehr weiß, was hilft, … dann müssen wir fliehen.
Wenn wir bleiben, werden wir sterben“
Arnold entgegnete nichts mehr und gab mit einem kurzen Nicken
nur zu Kenntnis, dass er Artjom Recht gab.
Die Wolken verdeckten die Sonne, welche ihren Zenit seit
einigen Stunden überschritten hatte, als Arnold und Artjom vor der verschlossen
Haustür standen. Neben ihnen waren noch zwanzig Soldaten anwesend, die alle
ihre Waffen und Ausrüstung überprüften und sich auf den Ausflug in die Stadt
vorbereiteten.
„Bereit?“, fragte Artjom.
Niemand gab ein Zeichen des Widerstandes und der Kommandeur
öffnete die Tür, welche zuvor mit unzähligen Möbelstücken verbarrikadiert war.
Sofort eilten die Soldaten nach draußen und sicherten die Umgebung. Als sie
keinen Feind entdecken konnten, zog die Hälfte von ihnen aus, das Fahrzeug zu
holen, während der Rest die Stellung hielt.
Ein überdachter Truppentransporter, welche für zwanzig Mann Platz
hatte, fuhr vor das Haus und hielt dort an, ließ den Motor aber laufen. Ohne zu
zögern trugen Arnold, Artjom und zwei Soldaten den Vorboten, dessen Mund sie
zugebunden hatten, aus dem Haus hinaus und hievten ihn auf die Tragefläche des
Fahrzeugs.
Die Männer nahmen bei dem Gefangen Platz, den sie ab und zu
mit neugierigen Blicken musterten. Als der Motor erklang, ließen sie von dem
Vorboten ab und hielten unentwegt nach Feinden Ausschau, die das Fahrzeug
angreifen könnte.
Artjom und Arnold nahmen in der Führerkabine Platz, wovon der
Kommandeur das Steuer ergriff. Während der Fahrt beobachte jeder angespannt die
Stadt, welche wie ausgestorben wirkte. Nur selten konnten sie Personen
ausmachen, die sie aus den Schatten der Ruinen heraus beobachten. Wie viele
inzwischen dem Kollektiv angehörten, wusste keiner genau, man war sich aber
sicher, dass der Kern mindestens über die Hälfte der Bevölkerung mit der Stimme
versehen hatte.
Zu den verbliebenen Truppen, die noch in der Stadt verteilt
waren, war der Kontakt am Morgen abgebrochen. Nur noch der Wiederhall von
Schüssen und Schreien der Verzweiflung kündeten von ihrem Verbleib. Der
Kommandeur wollte einige Soldaten losschicken, um Reste der Truppen zu retten
und zu ihnen zu schaffen, sah aber dann davon ab, als Arnold ihm die ganze
Wahrheit über die wilde Jagd und das Kollektiv erzählt hatte.
Arnold suchte wie die Soldaten nach jeglicher Bedrohung, die
ihnen das Leben nehmen könnte. Er nahm sich aber nicht die Stadt vor, sondern
den Himmel und im Gegensatz zu der kleinen Truppe auf der Tragefläche konnte er
einen Schatten ausmachen, der am Stadtrand, dem sie bereits relativ nahe waren,
über die Wolken flog. Ihm war sofort klar, dass dieser keinem Reiter gehören
konnte, auch wenn er nur ein Detail erkennen konnte, ein paar Flügel.
Da fuhren die Verzweifelten, die mit ihrem schändlichen
Vorhaben beinahe den Traum des Kollektivs zu Nichte gemacht hätten. Die Schuld
musste der Kern aber bei seiner Naivität suchen, die ihn direkt in diese Falle
gelenkt hatte, die jeder Schelm zu erkennen vermochte. Wie ein Unsinniger hatte
er sich all die Hilflosen einverleibt und war durch die schiere Überzahl
schlicht überfordert gewesen, weswegen er die völlig Kontrolle über einige
seiner Diener verlor, die die Möglichkeit nutzten, um ihren Mordlust zu
stillen.
Doch aus den vergangen Fehler zu lernen, half ihm das jetzige
Vorgehen besser zu planen. Mit dem Blutbad, den die Seelenlosen bei den
Menschen angerichtet hatten, konnte der Kern ein Vorteil aus dem Debakel
herausziehen, für das sich die schmerzhafte Wunde an seinem Bein auszahlte.
Aber egal wie verlockend es war, sich den Menschen ungestüm
anzunehmen, übte sich der Kern in Selbstkontrolle, da sich die Meute erneut an
die Stimme klammern würden, was sich bei dieser Menge an Menschen, die den
ersten Aufmarsch bei weitem übertraf, als törichter Fehler erweisen und den Weg
erneut zu seinem Aufenthaltsort offenlegen würde.
Behutsam nahm sich der Kern wieder jeden einzelnen an, wie an
den Tagen, an welchen er seine Reihe an einer Hand ablesen konnte. Dabei spürte
der Kern, wie er sich mit jedem neuen Mitglied seines Kollektivs verbesserte
und dadurch über ein größeres Herr verfügen und eine neue Person schneller
korrumpieren konnte. Und dieses Geschenk, diese Weisheit hatte er nur Arnold zu
verdanken.
Oh Arnold, dachte
der Kern wehmütig.
Durch die Augen seiner Diener folgte er ihrem Fahrzeug, in
welchem sie einen der Verhassten mitschleppten, um in wahrscheinlich an einem
sicheren Ort weiter zu verhören. Wie gerne hätte er Arnold vor dem
schrecklichen Erwachen verschont, auf das er direkt zu steuerte, doch dies Leid
konnte er ihm nicht ersparen.
Jeder der Verzweifelten musste bereits die Walküre erblickt
haben, die am wolkenbedeckten Himmel ihre Kreise zog. Die Anmut, mit welcher
sie die Luft bändigte und wie ein Vogel die unendliche Freiheit genoss, die der
Horizont ihr bot, stimmte den Kern etwas neidisch. Nur einen Moment hätte er
gerne die Luft gespürt, die an seinem Leib vorbei zog, während er mit ihren
Schwingen der Schwerkraft trotze, doch musste er sich mit dem unansehnlichen
Körper abfinden, den er sein eigen nannte.
Dies herrliche Antlitz war aber mit Blut bedeckt, was dem
Kern ein Trost schenkte, wenn er sich ausmalte, wie seine kampflüsternde Diener
diese Wesen aus dem Himmel reißen und auf den verhassten Boden ziehen würden,
den sie ihr Leben lang entkommen konnten, wo sie ihr verdientes Ende bereits
erwartete. Aber um ein derartiges Geschöpf zu töten, bedürfte es einer
ebenwürdigen Kreation, die der Kern bereits ersannen hatte und erschaffen ließ.
Bald durfte er mit stolz geschwellter Brust seine neuesten Diener der Welt offenbaren.
Das Fahrzeug bremste abrupt, als es die Stadtgrenze erlangte
und das Feld von Leichen erblickte, welches sich aus Flüchtenden Menschen
zusammenstellte, die dem baldigen Schrecken, von dem sie eine Kostprobe
erhielten, entkommen wollten. Als die Walküre die Verzweifelten sah, brach sie
aus der Wolkendecke heraus und hielt ihre Axt zum Angriff bereit. Wie sich dies
edle Wesen trotz der goldenen Rüstung so elegant bewegen konnte, verblüffte den
Kern und erregte seine Faszination.
Die Erkenntnis musste sie wie eine geschossene Kugel aus
ihren Gewehren treffen. Keine Freude tat sich im Kern auf, als er mit ansah,
wie sie panisch das Fahrzeug wendeten, um der Walküre zu entgehen. Es regte
sich lediglich Mitleid bei ihm. Er war auch mal wie sie. Von Angsterfüllt, wenn
er sich Mächten gegenübersah, die seine Existenz mit einem Streich beenden
konnten.
Vielleicht verstanden sie ihn aber jetzt. Mit seinen
Fähigkeiten vermochte sie die Kräfte zu erhalten, um den Tyrannen die Stirn zu
bieten und ihnen einen Funken des Leidens zu zufügen, welchen die Menschheit
täglich ertragen muss.
Vielleicht wurden ihnen jetzt bewusst, dass er ihre einzige
Rettung war.
Aber der Kern wollte sich nicht länger von seiner Naivität
lenken lassen. Niemals würden sie sich ihm anschließen, nachdem sie die
Konsequenzen erdulden mussten, die durch seine Fehler geboren waren. Bald würde
er gegen sie vorgehen müssen, um ein weiteres Einschreiten ihrerseits zu
unterbinden, wobei er sie nicht unterschätzen durfte.
Ein in die enge getriebenes Tier, ist das Gefährlichste.
Und nun wussten sie Bescheid, dass die wilde Jagd die Stadt
isoliert von der Außenwelt hält, um eine Verbreitung des Kollektivs zu
verhindern und das jede arme Seele in der Stadt den Einherjer zum Opfer fallen
wird.
Und dieses Wissen machte sie gefährlich.
Kapitel 17
Niemand hatte mehr die Energie, irgendetwas zu sagen. Artjom,
Arnold und alle Soldaten hatten sich im Wohnzimmer zusammen gefunden und saßen
in einem Kreis, nachdem sie wieder in das Haus geflüchtet waren und jeden
Eingang, sei er noch so klein und undenkbar, verbarrikadiert hatten. Die
einzigen Möbel, die nicht zum Schutz des Hauses umfunktioniert wurden und nun
Türen wie Fenster versperrten, waren eine Handvoll Stühle, weswegen ein
Großteil der Anwesenden auf dem Boden saß.
Obwohl es bereits Mitternacht war und sie seit Stunden
unbewegt so dasaßen, lag der Schock über den Ernst ihrer Situation immer noch
derart tief, als hätten sie die Walküre und die dutzenden Leichen, die sie an
der Flucht gehindert hatte, gerade erst gesehen. Der verblieben Alkohol, den
sie im Haus noch finden konnten, bezog sich auf ein paar Flaschen Schnaps,
welche stillschweigend in der Runde rum gereicht wurden.
Zuvor wurde in dem Kreis mehrfach der Versuch unternommen,
über das weitere Vorgehen zu reden, wobei es jedes Mal von einem der Soldaten
kam und sich kaum mehr al zwei der Anwesenden an dem Gespräch beteiligten.
Mittlerweile hatten aber selbst die hartnäckigsten der Soldaten es eingesehen,
dass die Stimmung zurzeit viel zu gedrückt und niedergeschlagen war, als das
man über eine neue Strategie debattieren könnte.
Arnolds Blick hing steif auf den Kerzen, welche brennenden in
ihrer Mitte standen und den Raum um sie herum erhellten. Wenn er nicht an die
Berge von Leichen dachte, die er diesen und letzten Tag gesehen hatte, gab er
sich selbst für die Situation die Schuld, welche durch seinen Versagen
entstanden war, den Kern zu töten. Warum dieser die Stimme seines Vaters hatte,
wollte Arnold in diesem Augenblick nicht wissen. Sein einziger Wunsch war es,
dass Gesehene zu vergessen oder wenigsten zu verarbeiten, wobei der Schnaps ihm
bei ersteren half.
„Hört ihr das?“, fragte Artjom, der seinen Blick vom Boden
löste, welchen er bis dahin unentwegt angestarrt hatte.
Im ersten Moment vernahm niemand ein Geräusch, welches die
Stille unterbrach, in welche sich die
Anwesenden zuvor vertieft hatten. Erst als sie genauer lauschten, hörten sie
ein leises Wiederhallen von einer fernen Quelle, wovon niemand ausmachen
konnte, um was sich eigentlich handelte, aber jeder erkannte, dass die Quelle
auf sie zukam.
„Der’mo“, fluchte Artjom, „dass kann nicht …“
Verunsichert über Artjoms schockierten Gesichtsausdruck
konzentrierte sich Arnold nur auf das Geräusch, bis auch er ausmachen konnte,
worum es sich handelte. Er sprang von seinem Stuhl auf und rannte zu einem der
Fenster, aus welchem er in die Richtung sehen konnte, aus der das Geräusch kam,
und entfernte einige der Möbelstücke, um daraus zu sehen.
Der Mond erhellte nur leicht die pechschwarze Nacht, welche
die Stadt umgab, aber es reichte ihm, um die Meute auszumachen, die auf sie zu
stürmte und dabei Flüche und Beleidigungen ausschrien. Bevor Arnold seinen
Blick von dem Fensterglas lösen konnte, um die anderen zu warnen, die ihn
beunruhigt ansahen und auf eine Erklärung für sein plötzliches Aufspringen
warteten, konnte er eine Silhoutte ausmachen, die von der Meute ausging und mit
hohen Bogen auf ihr Haus zuflog.
„SCHEI …“
Ein riesiges Trümmerteil knallte in den Vordereingang des
Hauses und fegte Wand wie Tür, mitsamt der Verbarrikadierung, weg und jagte
eine dichte Staubwolke durch das ganze Stockwerk. Hustend zog Arnold sich den
Kragen seines Hemdes über den Mund und wedelte den Staub vor seinem Gesicht
weg. Nur langsam lichtete sich die Wolke und er konnte die Anderen sehen, die
dasselbe wie er taten.
„JETZT STERBT IHR, IHR MADEN!!!“, brüllte es von dem
klaffenden Loch.
Sofort stürmte eine Handvoll von Frauen in das Haus hinein
und fielen einige der Soldaten an, die ihnen den Rücken zugekehrt hatten und
mit dem verbliebenen Staub kämpften. Die Angreifer befanden sich noch mitten in
der Verwandlung zu einem Unhold, hatten aber schon all ihre Haare verloren, die
bleiche Haut und immense Kraft, mit der sie die Männer zu Boden drückten und
immer wieder auf ihren Kopf einschlugen, bis die Fäuste der Frauen das Paket
spüren konnten.
Mehr und mehr drängten sich durch das Loch und erhofften sich
ebenfalls einen der Verhassten, an dem sie ihre Mordlust befriedigen könnten.
Nun erwies sich der Staub als ein Vorteil für Arnold, da er nicht nur ihm,
sondern auch den Angreifer die Sicht einschränkte und sie ihn deswegen noch
nicht bemerkt hatten.
Schüsse flogen den Neuankömmlingen entgegen und schickte die
meisten schreiend und mit schweren Wunden zu Boden, wo sie von ihren eigenen
Verbündeten totgetrampelt wurden, die sich nur für die Beute interessierten.
Arnold presste sich an die Wand und schob sich an dieser eilig von den
Angreifern weg, um zu seinem Verbündeten zu gelangen, die auf alles schossen,
was dieselben Geräusche machte wie die Frauen, da ihnen die Sicht zum genauen
Zielen fehlten.
Gerade als Arnold bei ihnen ankam, wurde die Wand mit dem
Fenster, aus welchem er keine Minute zuvor gesehen hatte, aufgerissen, als ein
ausgebildeter Unhold sich gegen diese rammte und damit ein zweites Loch
erschuf, durch welches man in das Haus gelangen konnte.
Die Soldaten ließen kurz von den Frauen ab, die über die
Leichen ihrer Verbündeten klettern mussten und eröffneten das Feuer auf den
Unhold, der dem vereinten Kugelhagel anfangs trotzte, aber schlussendlich
diesem erlag, als ein Großteil seines Schädels zerfetzt wurde. Über den Sieg
konnte sich aber niemand freuen, da weitere Unholde in das Haus eindrangen und
auf sie zu rannten.
Weitere Frauen und Unholde erlagen den Soldaten, doch ihre
schiere Überzahl genügte, um die Verteidigungslinie der Truppen zu erreichen.
„RÜCKZUG!“, brüllte Artjom zu den Soldaten, denen sich Arnold
beim Feuergefecht angeschlossen hatte, aber nun die Flucht ergreifen wollte.
Der Kommandeur räumte mit drei Soldaten mehrere Fenster am
anderen Ende des Hauses frei, um diese zur Flucht zu nutzen. Anfangs zogen sich
die Verteidiger geordnet zurück, aber als die ersten von ihnen in die Hände der
Monster fielen, von denen sie bestialisch zerfleischt wurden, machte sich Panik
breit und einer nach den anderen rannte zu den Fenstern.
Arnold war als einer der ersten losgerannt, wobei der Rest
ihm keine Sekunde später folgte, da der Ansturm der Unholde kein Ende zu nehmen
schien. Während Arnold durch das Haus rannte, konnte er noch sehen, wie sie
unzählige Frauen die Treppe hochstürmten und das Zimmer gefunden haben mussten,
in welchem der Vorbote angekettet war, da dessen Schreie keinen Moment später
erklangen. Mit größter Eile kletterte Arnold aus einem der geöffneten Fenster
und konnte sich nur knapp vor den Fängen der Unholde retten, die zu ihnen
aufgeschlossen hatten und jeden Soldaten tötete, welcher sich aus dem Haus
nicht retten konnte.
„ZURÜCK!“, brüllte Artjom Arnold an.
Vier Granaten flogen über Arnolds Kopf hinweg durch die
Fenster, als er die Beine in die Hand nahm und den Anderen folgte, die losgesprintet
waren, nachdem die Granaten ihre Hände verlassen hatten. Von der Explosion, die
ihre Kameraden von ihren Qualen erlösten und unzählige dieser Kreaturen in die
Hölle schickte, bekam nur Arnold nur den ohrenbetäubenden Knall mit.
Sie rannten solange, bis das Gebrüll der Frauen und der
Unholde nur noch ein leises Echo war. Jegliche strategische Raffinesse und
Vorsicht, die jeder einzelne im Militär erlernt hatte, war während ihrer Flucht
wie vergessen, erreichte sie aber wieder, als sie genügend Abstand zu den
Monstern verschafft hatten und sich nicht in der Nähe einer unmittelbaren
Gefahr glaubten.
„Der’mo!“, zischte Artjom und versuchte verzweifelt einen
Wutausbruch zu unterdrücken, was ihm nur ansatzweise gelang.
„H…Hallo?“, erklang es aus einer finsteren Ecke der Ruine.
Sofort richten sich alle verfügbaren Waffen auf die Stimme,
die sich als eine junge Frau entpuppte, aus deren ängstliches Gesicht nun alle
Farbe entwich. Ihre dreckige Kleidung, die stark in Mitleidenschaft geraten
war, war mit getrockneten Blut übersehen.
„Ich … Ich bin … keine von denen“, brachte die Frau mit
schwacher Stimme hervor.
Erleichtert ließen alle die Waffe sinken, als die Frau mit
erhobenen Händen auf sie zukam.
„Kö … Könnt ihr mir …“
Eine Kugel flog an Arnold vorbei und bohrte sich in die Stirn
der Frau, die wie eine Puppe umfiel, welche von ihren Schnüren getrennt wurde.
Seelenruhig steckte Artjom seine Pistole weg, nachdem er in das Magazin eine
neue Kugel einlegte, während Arnold und die Soldaten noch geschockt auf die
Leiche der jungen Frauen starrten.
„Was sollte das!?“, fragte Arnold den Kommandeur zornig.
„Ach Uhlig, sie wäre irgendwann zu einem Monstr geworden. Ich
habe sie davor … ehm …“
„Bist du verrückt geworden?!“, unterbrach Arnold nur noch
wütender Artjom, als er nach einem Wort suchte.
Die Soldaten schlossen sich Arnold an, auch wenn sie nicht
von Wut, sondern von schierer Fassungslosigkeit getrieben wurden.
„Wir hätten ihr helfen können, verflucht!“
Arnold packte Artjom an seinem Kragen und stand kurz davor
seine Faust in dem schuldabweisenden Gesicht des Kommandeurs zu vergraben.
„Ach ja?“, fragte Artjom, nachdem er seinen Blick in den
Himmel richtete. „Hätten wir?“
Im Schein des untergehenden Mondes bahnte sich eine
gigantische pechschwarze Wolke an, aus der die Hufenschläge tausender Reiter
erklangen. Ein riesiger Schatten zog sich über Chemnitz, als die Wolke ihren
Platz über der Stadt einnahm. Nur in ihrer Mitte konnte man eine freie Stelle
und in ihr eine Gestalt ausmachen, die sich nicht im Schutze der Wolke
versteckte, sondern viel mehr über ihr flog.
Selbst in der Dunkelheit erkannte Arnold die Figur wieder und
fühlte erneut dieses bedrückende Gefühl, dass er von der schieren Anwesenheit
der Gestalt zu Boden gedrückt wurde, nur dass dieses Mal auch der pure
Schrecken ihm entgegen strahlte.
Wodan hob langsam seinen prächtigen Speer und erteilte den
Befehl zum Angriff.
Kapitel 18
Unter dem Klang der Harfe eines Reiters, die von ihrer
Lautstärke und Imposanz jedes irdische Orchester in den Schatten stellte,
setzten Tausende Reiter zum Sturzflug an und jagten auf die Stadt zu. In einem
schrillen und erschütternden Chor, der durch alle Straßen zog, brüllten Unholde
und jeder andere, der die Stimme in sich trug, den Reitern entgegen und machten
sich auf die Schlacht bereit.
Arnold und die Anderen suchten sofort hinter einigen
Trümmerteilen Schutz, da die ersten Kämpfe entbrannten und auch bei ihnen die
beiden Parteien aufeinander prallten. Der Kampflärm war derart laut, dass
Arnold seine eigene Stimme nicht hören konnte, sondern nur noch wildes Gebrüll,
Gewehrschüsse und das Zerfetzen von Körpern vernahm.
Ein Unhold stürzte plötzlich in ihre Ruine hinein und kam
direkt neben ihnen auf den Boden. Bevor die Kreatur sich wieder aufrichten
konnte, landete ein Reiter auf ihm und ließ sein Gaul immer wieder auf den Kopf
des Unholds eintreten, bis dieser sich nicht mehr bewegte.
„WIR MÜSSEN HIER WEG!!!“, brüllte Artjom, als zwei weitere
Unholde in die Ruine rannten, um den Reiter anzugreifen.
Zu ihrem Glück hatten die Monster nur ihren Feind im Blick
und ignorierten deswegen die Flüchtenden. Gerade als Artjom und Arnold aus der
Ruine herauskamen, knallte einer der Unholde, welcher sich auf den Reiter
stürzen wollte und von diesem zurückgestoßen wurde und eine Kugel zusätzlich in
den Schädel bekam, vor die Soldaten und wurde beim Aufprall mit den Resten
einer Hauswand von dieser begraben.
„RENNT!“, brüllten die Soldaten, deren Fluchtweg nun völlig
abgeschnitten war. „WIR WERDEN EUCH WIEDER FINDEN!“
Arnold und Artjom spielten kurz mit dem Gedanken ihnen zu
helfen, entschieden sich aber dann doch zur Flucht, als eine weitere Schar
Reiter auf das Schlachtfeld bei ihnen ankamen. Auch wenn die Sonne noch nicht
aufgegangen war und die pechschwarze Wolke, die sich etwas gelichtet hatte, die
Stadt noch verdunkelte, konnte Arnold die Massen erkennen, die sich auf den
Straßen zerfleischten. Überall häuften sich die Leichen der Gefallenen und das Blut
färbte die Wände und Straßen rot. Von den Kadavern der Unholde ging der
Verwesungsdunst aus, der von ihren verfaulten Organen herkamen, welche nun
zuhauf jeden Winkel der Stadt säumten. Um diesem Gestank entgegen zu wirken, welcher
sich sonst wie ein rostiges Messer in ihre Nasen bohrten, hielten sich die
beiden die Nasen zu.
Während Arnold und Artjom sich ihren Fluchtweg durch die
Schlacht bahnten, wobei sie den Kurs immer wieder ändern mussten, um nicht in
einen Kampf hingezogen zu werden, befleckten sie ihre Kleidung unentwegt mit
den Blut der Unholde und Reiter, welches von allen Seiten strömte.
Trotz dem schwindenden Platz, der von Leichen und Kämpfern
eingenommen wurde, schafften es die beiden jedes Mal, einen neuen Weg zu
finden, welchem sie hinterherrannten, bis aber auch dieser vom Kampfgetümmel
versperrt wurde. Als Arnold erneut nach einer neuen Route suchte, während sie
in eine Ruine am Rand der Stadt kurzweiligen Schutz fanden, bemerkte er auf den
Dächern einiger Häuser riesige Unholde, die mindestens doppelt so groß waren,
wie ein normales Exemplar. Diese hatten jeweils einen Geröllhaufen aus großen
Trümmerstücken bei sich zusammengestellt, welche sie als Munition benutzen und
in die Richtung von Wodan schleuderten.
Die Walküren versuchten jedes Geschoss abzuwehren, welches in
die Richtung ihres Königs flog, aber auch ihnen war es nicht möglich, jedes
einzelne mit ihren Äxten zu zerschlagen. Ein Trümmerstück traf Wodan und sein
Gaul, welches ihn aus dem Gleichgewicht brachte und er dem Boden entgegen fiel.
Nur mit Aufbringung all seiner Fähigkeit als Reiter konnte der König den Sturz
etwas abdämpfen, was aber nicht
verhindern konnte, dass er mit einem gewaltigen Knall auf dem Boden aufkam.
Arnold sah den aufbrechenden Boden, der beim Sturz von Wodan
entstanden war und von dem unzählige Stücke in dem Himmel flogen, nur um knapp
neben der Aufbruch Stelle nieder zu rieseln. Keine 50 Meter trennten die beiden
von dem König, der noch keinen Versuch unternahm, sich aus dem kleinen Krater
zu erheben, in dem er lag.
Unmengen an Unholden, für die der Niedergang von Wodan der beste
vorstellbare Lohn war, rannten auf den Krater zu, um dem König gewaltsam seine
Krone zu entreißen. Ihnen stellten sich aber zwei riesige Wölfe, welche sich
auf den Dächern bei Wodan positionierten, und die Walküren entgegen, die mit
ihren Äxten wild um sich schlugen, um die Angreifer auf Abstand zu halten. Mit
einer Körpergröße von fünf Meter wäre es ein leichtes für die Walküren gewesen,
einen Unhold zu töten, doch in dieser Überzahl mussten sie immer wieder zurück
weichen, damit sie nicht überrannt wurden, bis einer der Walküren zu der Ruine
zurückgeschlagen wurde, wo sich Arnold und Artjom versteckten.
Rasend schlug sie mit ihre Axt wild um sich, sodass ein Hieb
sich in das halbeingestürzte Gebäude von den beiden verirrte, welches durch die
Wucht des Treffers jegliche Stabilität verlor und in sich zusammenzustürzen
drohte. Ohne ein Wort zu wechseln, sprinteten Arnold und Artjom aus der Ruine
heraus, bevor diese endgültig in sich zusammen fiel.
Den beiden wurde aber nicht die Zeit vergönnt, sich ein neues
Versteck zu suchen, da die Unholde die Walküre derart in Bredouille brachten,
dass diese anfing, alles um sie herum kurz und klein zu schlagen, um mit den
entstandenen Trümmer eine Barrikade zu erschaffen, die die Angreifer lange
genug zurückhalten würde, damit ihre Axt ihnen alle ein jähes Ende bereiten
konnte.
Schutt flog Arnold und Artjom um die Ohren, als die mächtige
Waffe der Walküre Häuser wie auch den Boden zerstörte und die beiden dazu
zwang, sich immer weiter zurück zu ziehen. Die Unholde wurden durch die
Verwüstung tatsächlich verhindert, da sie nun den entstandenen Geröllhaufen und
den tiefen Risse im Boden ausweichen mussten.
„Arnold Uhlig“, dröhnte es aus dem Krater, den sich Arnold
und Artjom bis auf zehn Meter nähern mussten.
Zwei Raben, die Arnold sofort als die identifizierte, auf die
er einst geschossen hatte, flogen mit lautem Gekrächzte, welches denselben Hohn
und Spott wie damals ausspuckte, in den Krater hinein.
„Du wagst es, vor mich zu treten, nach deinem kläglichen
Versagen?!“
In der Stimme Schwung ein Zorn und eine Erhabenheit mit, dass
Arnold am ganzen Leib leicht zu zittern anfing. Er fühlte sich wie ein Insekt,
dass die nahende Sohle eines Schuh sah, die ihn jeden Moment zerquetschen wird.
Eine riesige Hand, die in einem Panzerhandschuhe gekleidet
war, krallte sich am Rand des Kraters fest. Mit der anderen packte Wodan seinen
Speer und benutzte ihn als zusätzliche Stützte, um sich wieder aufzurichten,
wobei die Klinge der Waffe, welche von meisterlicher Hand geschaffen und
glorreich mit Gold verziert war, aus dem Erdloch herausstach und den letzten
Schein des untergehenden Mondes einfing. Arnolds Herz schien ein Schlag auszusetzten,
als sich der König aufrichtete und zur vollen Größen erstreckte.
„Du kleiner widerlicher Verräter, ich werde dein Tod sein!“
Jegliche Ehrfurcht und Todesangst, die Arnold seit dem
ertönen der grollenden Stimme verspürt hatte, verschwand, als er Wodan vor sich
sah. Der einstige Gott war nur noch ein Schatten seiner selbst. Sein
eingefallenes Gesicht war kreidebleich und abgemagert, was auch für seinen
Körper sprechen musste, da er die benötigte muskelöse Statur für die Rüstung
nicht mehr zu erfüllen schien, weswegen diese lose an ihm hing und er einem
Kind ähnelte, welches die Kleidung seines Vater trug. Unter der Krone, die ihm
etwas schief auf dem Kopf saß, quoll wirres langes graues Haar heraus, welches
mit dem ebenso ungepflegten wie langen Bart zu verschmelzen schien. Um sich auf
den schwachen Beinen halten zu können, die den sieben Meter großen Körper
alleine nicht mehr tragen konnten, musste er sich auf dem Speer abstützen,
welcher nun mehr einem Gehstock glich, als einer tödlichen Waffe. In seinen
Augen, die er starr auf Arnold richtete, funkelte ihm der schiere hasserfüllte
Wahnsinn entgegen.
„Heute lernst du den Tod schmecken!“, brüllte Wodan
siegessicher und stoß mit seinem Speer auf Arnold zu.
Dieser brauchte sich nicht die Mühe zu machen, auszuweichen,
da bevor die Klinge auch nur in seine Nähe kam, verlor Wodan das Gleichgewicht
und musste die Waffe zurückziehen, um sie als Stütze zu verwenden. Der König
lernte aber nicht daraus und versuchte mehrfach die beiden zu treffen, bis er
stolperte und alle viere landete.
„Wa … Warten Sie“, brachte Artjom hervor, als sich Wodan auf
die Beine kämpfte. „töten Sie uns nicht. Wir … Wir können ihnen helfen das
Kollektiv zu besiegen und die Stadt wiederaufzubauen“
Einer der Raben, die auf Wodans Schultern saßen, flog zu
seinem linken Ohr und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin sich Erkenntnis auf
seinem Gesicht zeigte, der Zorn aber verweilte.
„Wiederaufbauen, Artjom Smirnow“, zischte Wodan, „damit du
deine perfekte Gesellschaft hier erschaffst. Nein, damit du das Fundament hier
legen kannst, oder irre ich mich?“
„W… Was?“, fragte Artjom geschockt.
„Ja, ich wurde über deine Pläne in Kenntnis gesetzt, dass du
bestrebt bist, in dieser Stadt den Funken von diesem Hirngespinstes
weiterzugeben. Wie verzweifelt du sein musst, um dich solch einer Strategie zu
bedienen. Aber lass mich dir eine Frage stellen: glaubst du wirklich daran,
dass ich es erlauben werde, diese Idiotie in der Stadt wuchern zu lassen?“
„Ich … Was meinst du?“, fragte Artjom geistlos.
„Streng deinen schwachen Geist an, Artjom Smirnow. Du
wünschst, eine Utopie in eurer Welt zu erschaffen, in der jeder vom gleichen
Stand und kein Herrscher mehr von Nöten ist. Das würde das Ende meiner
Herrschaft bedeuten, du Unsinniger. Nie werde ich dies zulassen. Lieber lösche
ich euer ganzes Geschlecht aus, als meinen Thron aufzugeben.
Ihr Menschen wurdet fehlerbehaftet erschaffen und könntet
deswegen selbst ohne mein Einschreiten nie eine vollkommene Gesellschaft
erreichen. Eurer Sinn ist nicht im Paradies zu leben, sondern um beherrscht zu
werden“
Artjom musste das Gesagte erst verarbeiten, welche die
Bestrebungen seines Lebens als völlig sinnlos abstempelte. Erst nach einem
Moment der Stille konnte er die Kraft finden, zu antworten.
„Das … das bedeutet, dass das durch dich, alles Schlimme
passiert? Die Kriege, die Toten, die …“
„Nein“, unterbrach Wodan den Kommandeur, „dass trifft nicht
gänzlich zu. Ich gewähre jedem Mensch die Gabe, eigene Entscheidungen zu
fällen. Selbst wenn ich es wollte, euch in meine willenlose Puppen zu
verwandeln, verfüge ich nicht über die Kräfte, dies zu bewerkstelligen.
Aus diesem Grund muss ich dich des Lügens strafen, da niemand
als ihr selbst für euer Leid verantwortlich seid. Ich greife in die
Geschehnisse nur ein, falls meine Herrschaft in Gefahr schwebt oder wenn es
uninteressant wird“
Der Kommandeur verlor jegliche Farbe aus dem Gesicht und war
derart wackelig auf den Beinen, dass ein einfacher Windstoß reichen musste, um
ihn auf den Boden zu schicken.
„Und nun, Arnold Uhlig“, sprach Wodan und richtete seinen
Blick auf Arnold, „kommen wir zu deiner werten Persönlichkeit.
Du bist eine einzige Enttäuschung, in die ich so viel meines
Vertrauens lag. Als ich dich für diese Aufgabe erwählte, erhoffte ich großes
von dir. Wer anders als der im Kampf gereifte Sohn, soll den tückischen Vater
stürzen. Doch ich habe mich geirrt. Wie jeder Mensch bist du der Stimme
anheimgefallen, aber was hätte ich erwarten sollen.
Noch nie vermochte es ein Kollektiv solche Macht anzuhäufen,
dass selbst meine Hugin und Munin kein Wissen aus den Dienern erhaschen
konnten. Gegen solch ein Gegner kann sich kein einfacher Mensch wohl erwehren“
„Also ist mein Vater der Kern?“, fragte Arnold mit schwacher
Stimme.
„Nicht gänzlich“, sprach Wodan mit einem hämischen Grinsen
auf den Lippen. „Dein Vater ist aber der Grund, warum dieses Kollektiv derart
mächtig geworden ist“
„Was hat er getan?“
„Sie gesehen. Er hatte meine Reiter gesehen. Natürlich habe
ich sie für diesen Fehler hinrichten lassen, aber es vermochte nichts an den
Folgen zu ändern. Dank deines Vaters wusste ein frisch geborenes Kollektiv
gegen wen es sich wenden muss. Anstatt vor sich hin zu verfaulen, wurde es
zielstrebig und lachte sich durch deine Taten die ganze Stadt an.
Liebend gerne würde ich dich meinen Einherjer opfern, doch
ich bin zu Gnade gestimmt, wenn du deinen Dienst endlich vollendest. Eine
Stunde sei dir gegeben, den Kern zu finden und aus der Welt zu tilgen.
Scheiterst du wirst du mit ansehen, wie ich diese Stadt zerstöre und jeden
Menschen ein Ende in Qualen beschere. Danach erwartet dich ein langes
schreckliches Leben, in dem jegliche Freude eine verblasste Erinnerung sein
wird, nach welcher dein gebrochener Geist düsternd giert.
Du entscheidest“
Eine Schar von Reitern kam zur Unterstützung angeflogen und
hielten die Unholde auf, sodass die Walküren zu Wodan fliegen konnten, um ihn
auf sein achtbeiniges Gaul zu helfen. Auf seinem Ross erkannte man einen
Schimmer des längst vergangen Glanzes, welcher jeden vor Ehrfurcht erzittern
ließ, der dem König früher anheim war.
Wodan gab seinem Gaul die Sporen, welches seine acht Beine in
Bewegung setzte und sich mit den Walküren, die sich schützend um ihren König
verteilten, wieder in die Luft schwang. Arnold fühlte sich wie vor den Kopf
geschlagen und konnte das Gesagte nur auf einer oberflächlichen Weise
verarbeiten. Während seinem Gespräch mit Wodan war Artjom mit langsamen
Schritten von den beiden weggegangen und ging gebrochen der verwüsteten Straße
entlang, auf welcher sich dank der Walküre kein lebender Unhold mehr befand.
Als Arnold den Kommandeur ausgemach hatte, rannte er ihm
hinterher. Er konnte sich nur erahnen, in welcher Verfassung sich Artjom,
nachdem Gespräch mit Wodan, befinden musste. Bevor er ihn erreichen konnte,
erschienen die fünf Soldaten beim Kommandeur, von denen sie getrennt wurden.
Ihre Kleider waren übersaht mit dem Blut der Unholde und der
Reiter, aber auch ihrem eigenen, da sich kleinere Wunden über ihre Leiber
zogen.
„Genosse“, brachte einer der Soldaten freudig und nach Luft
hechelnd hervor, „endlich haben wir sie gefunden. Die Kämpfe, sie werden
weniger. Ich glaube, dass vorbei ist. Was sollen wir dann tun“
„Was wir tun sollen?“, wiederholte Artjom die Frage, nachdem
er seinen toten Blick vom Boden abwendete und auf die Soldaten richtete. „Wir
werden jeden Mensch, der der Kampf überlebt, töten. Sie sind alle Monstyr. Wir
müssen sicher gehen“
„A … Aber Genosse, d … das können wir nicht“, sagte der
Soldat fassungslos.
„Oh, und wie wir das können. Verstehst du es nicht. Jeder in
der Stadt, der keiner von uns ist, ist ein Monstr, dass uns töten will. Sie
zuerst zu töten, ist unser Pflicht. Wir haben keine Wahl. Die Monstr dürfen
nicht aus der Stadt kommen“
„Nein, nicht jeder Einwohner gehört doch zu diesen Dingern.
Wir könnten so viele retten.
Genosse, ich weiß nicht was mit ihnen los ist, aber sie
wollten doch hier den Kommunismus schaffen. Wenn wir jeden hier … umbringen,
wird sich ihr Traum nie erfüllen“
Artjom lachte laut und hämisch über den Versuch des jungen
Soldaten, an sein altes idealistisches Wesen zu appellieren.
„Wach auf“, brüllte Artjom den Soldaten an, nachdem sein
Lachen verklungen war, „Kommunism ist ein dummer Traum, der nie war wird. Zu
hoffen, dass er einmal kommt, ist sinnlos.
Aber wenn es dir lieber ist, können wir die Menschen der
Stadt ja nach Sibir schicken, wo sie wenigsten noch arbeiten können, bevor sie
sterben. Ja, das gefällt mir besser. So haben Monstyr noch einen Sinn und …“
Der Soldat hob sein Gewehr und hielt es direkt vor Artjoms
Gesicht.
„Genosse, … dass kann ich nicht zulassen!“
Artjom verspürte weder Angst noch Reue, wie er es erwartet
hatte, sondern lediglich Freude. Trotz alle dem, was passiert war, hatte er
Erfolg gehabt. Er konnte den Funken an die fünf Männer weitergeben, die für
diesen bereit waren, ihn zu töten. Er hatte sein Traum doch verwirklicht.
Er hatte das Ziel getroffen.
Arnold wollte dem Kommandeur zu Hilfe eilen und seine Pistole
wieder zücken, als er sah, wie die Soldaten auf ihn zielten, aber er kam zu
spät. Mit einem lauten Knall schoss die Kugel durch Artjoms Stirn und beendete
sein Leben. Die Soldaten blieben noch einen Augenblick vor der Leiche stehen,
bevor sie sich zurückziehen wollten.
Auch wenn der Kommandeur für Arnold kein Freund war,
verspürte er eine Mischung aus Wut und Trauer, als er ihn zu Boden sinken sah
und wollte Rache an seinen Mördern nehmen. Als er in ihren Blick aber Bedauern
und wahre Trauer entdeckte, hielt er inne. Er musste an die Frau denken, die
Artjom erschossen hatte. Kraftlos ließ er die Pistole wieder sinken und verwarf
die Idee, sie zu töten. Nach dem Kampf im Haus dürfte er auch nicht mehr als
drei oder zwei Schuss haben, weswegen eine Konfrontation mit den fünf tödlich
für Arnold enden würde und er wollte am Leben bleiben.
Ohne jegliches Ziel ließ er seinen Blick durch die Umgebung
umherschweifen und entdeckte nichts als mehr Verwüstung, Leichenberge, tobende
Kämpfe und Unmengen an Blut.
Ein Regentropfen fiel auf Arnolds Gesicht, auf welches schnell
aber tausende weitere folgten. Während er auf seine im Kampf und Tod
erstickende Stadt sah, welche von der Regenflut etwas gereinigt wurde, und er
an die Worte Wodans und ihre Bedeutung dachte, konnte er etwas hören, die
Stimme.
Sie versuchte nicht heimlich, in Arnold einzudringen und sich
sofort in den tiefen seines Unterbewusstseins zu verstecken, sondern trat offen
vor ihm. Sie unternahm keinen Versuch, seine Gedanken zu manipulieren, sondern
offenbarte ihm einen Weg, dessen Ziel sich Arnold erahnen konnte. Sie flüsterte
nicht, sondern sprach in der Stimme seines Vaters nur ein Wort:
„Komm!“
Epilog
Der Regen schlug schwer auf dem Boden auf und vertrieb so die
Unmengen an Blut, die Chemnitz Straßen rot gefärbt hatten. Arnolds müde Beine
erklommen den Hügel, nachdem sie ihn aus der Stadt herausgetragen hatten, auf
welchen der Weg endete, den die Stimme ihm vermittelt hatte.
Als die Spitze des Hügels in Sicht kam, entdeckte Arnold eine
Gestalt, welche ihm den Rücken zukehrte und seinen Blick starr auf Chemnitz
richtete, über welche er den perfekten Überblick hatte und mit Leichtigkeit das
Kampfgeschehen betrachten konnte. Von dieser ging eine viel stärkere Präsenz
aus, als von der anderen Gestalt, die er damals fälschlicherweise für den Kern
gehalten hatte.
Das ist er, dachte
sich Arnold, das ist der Kern!
Er zog seine Pistole und zielte auf den Kopf des Kerns,
nachdem er sie entsichert hatte. Kurz bevor er den Abzug drückte, um diesem
Albtraum endgültig ein Ende zu bereiten, zögerte er. Sein Finger wurde von
seiner Ungewissheit gestoppt, die sich nicht daraus ergab, ob diese Gestalt
wirklich sein Vater war, sondern was für Konsequenzen sein Handeln haben wird.
Wenn ich
den Kern jetzt töte, dachte Arnold, bleibt
Wodan an der Macht, er wird die Menschen weiter leiden lassen, ohne was zu
machen und er wird uns nur eingeschränkte Freiheit geben.
Wenn ich
aber den Kern leben lasse, geht das Töten weiter, mehr Menschen werden von ihm
kontrolliert und in Monster verwandelt und ich weiß nicht, was das Kollektiv
machen wird, wenn es Wodan besiegen sollte.
Also muss
ich mich entscheiden, ob ich nie wahre Freiheit haben will, dafür aber weiß,
was die Zukunft bringen kann oder ob ich frei sein will, dafür nicht sagen
kann, ob ich nicht irgendwann eines dieser Dinger werde.
Beide Möglichkeiten waren für Arnold untragbar, ebenso wie
willentlich das Kollektiv oder die wilde Jagd zu unterstützen. Aber er wusste,
dass er keine Wahl hatte. Er musste sich für eine Seite entscheiden.
Aber egal wie oft er es durchging, er kam zu keinem
befriedigen Ergebnis. Er hielt aber in seinem Hadern inne, als der Kern anfing,
kurz an seinem Gewand etwas herzurichten und sich langsam zu ihm umdrehte.
„Arnold“, sprach er in
der Stimme seiner Vaters, als sich ihre Blicke trafen.
Es fiel Arnold schwer, ein leises Aufschreien zu unterdrücken,
als er das Gesicht des Kerns unter dessen Kapuze erkennen konnte. Weder Augen
noch eine Nase befanden sich auf diesem. Nur unzählige Münder, die alle zu
sprechen schienen, aber keinen Ton von sich gaben. Eine Stelle an der Stirn, an
der sich einst ein Mund wohl befand, war errötet und glich einem leichten
Bluterguss, was auf der sonst bleichen Haut stark heraus stach. Der Kern hatte
eine kleine dickliche Statur, die das genaue Gegenteil zu der hageren und
großgewachsenen von Arnolds Vater war. Ob der restliche Körper des Kerns auch
mit Mündern übersät war, konnte Arnold nicht sagen, da das Gewand den
kleingewachsenen Leib vor den Blicken der Außenwelt gänzlich abschirmte und nur
das widernatürliche Gesicht zeigte.
Ein Mund bewegte sich aber nicht und wirkte neben dem geschäftlichen
Treiben, um sich herum, fehl an Platz. Plötzlich waberte aber das Fleisch um
den Mund und nahm die Form eines menschlichen Kopfes an, der schnell an Größe
gewann und sich aus dem Gesicht des Kerns herauswand. Augen, Nase, Ohren und
sogar die Haare wuchsen in binnen Sekunden heran und ergaben im Einklang mit
dem bereits vorhandenen Mund, das Gesicht von Arnolds Vater wieder.
„Hallo, mein Sohn“, sprach er.
„Großer Gott“, brachte Arnold hervor und ließ die Waffe ein
Stück sinken.
„Ich weiß, dass dieser Anblick erschreckend sein muss, vor
allem nach den Geschehnissen der letzten Tage, aber du musst mir jetzt zu
hören.
Verstehst du?“, fragte sein Vater ungeduldig, als Arnold wie
eingefroren dar stand und keine Antwort gab.
„Ja“
„Gut“, sagte sein Vater und schwieg einen Moment, bevor er
weiter sprach. „Seit du wieder nach Chemnitz gekommen bist, musstest du viel
durchstehen, dass weiß ich, und vieles dank unserer Fehler, doch ich möchte ein
letztes Mal an dich appellieren, dich uns anzuschließen.
Du hast selbst gesehen, was für ein Monster unser Leben
überwacht und uns verrotten lässt. Der einzige Weg, ihn loszuwerden, ist mit
Gewalt. Deswegen tun wir das“
Arnold schwieg einen Moment, um seinem Geist klar zu machen,
dass dies kein surrealer Traum war, als den er die Situation abstempeln wollte.
Nachdem ihm dies gelang, stieg eine tiefsitzende Wut auf, die sich über die
letzten Monate angestaut hatte.
„Ihr verwandelt jeden, der mit euch zu tun hat, in willenlose
Monster und erwartest nun, dass ich euch helfen möchte?“, fragte Arnold zornig.
„Für den Sieg sind Opfer notwendig, Arnold! Dass müsstest du
doch wissen“
„Ach, wie die Menschen, die eure Dinger abgeschlachtet haben“
„Wir haben Fehler gemacht, aber …“
„Willst du allen Ernstes, die ganzen Toten, die durch euch
gestorben sind, als „Fehler“ abstempeln. Hast du die Stadt gesehen? Das ist
deine Schuld! Du hast die halbe Stadt getötet! Wäre ich unter den Toten,
hättest du es doch nur mit einem Achselzucken weggesteckt!“
„Ich hätte getrauert“, antwortete sein Vater, mit
aufkommender Wut, „aber wäre es für den Sieg notwendig, hätte ich dich ohne zu
zögern geopfert.
Versteh doch, man kann unseren Feind nicht ohne weiteres
besiegen. Für den Sieg müssen wir schreckliche Dinge tun. Doch am Ende wird
jeder einsehen, dass jede Schandtat notwendig war und all unsere Sünden
rechtfertigt“
Übelkeit verbreitete sich rasend schnell in Arnolds Körper,
als er den Worten seines Vaters zuhörte.
Oh Gott, dachte
er, die denken genau wie ich. Ich bin
nicht besser als sie. Ich … ich bin wie mein Vater.
„Bitte, überdenke alles und du wirst mir Recht geben. Du bist mein Sohn und zusammen …“
Arnold erhob die Pistole wieder und drückte ab. Die Kugel
zerfetzte den Schädel von seinem Vater ebenso wie die des Kerns, dessen Leib
kraftlos zusammenklappte und zu Boden fiel. Mit dem Versagen des Körpers
verzogen sich die unermüdlichen Münder schmerzhaft zusammen und stellten ihren
Dienst ein, während der Regen langsam abebbte.
Der Schlachtlärm, dessen Widerhall Arnold selbst hier
erreichte, endete mit dem Tod des Kerns und wurde von einem Siegesschrei
beerbt, vor dem die Erde zu beben schien. Von der wilden Jagd war nur ein
kleiner Bruchteil übrig, der sich mit Wodan an ihrer Spitze in den Himmel
schwang und Chemnitz, ohne einen Blick zurück, verließ.
Langsam näherte sich Arnold der Leiche des Kern, um von
seinem Vater, dessen Kopf immer noch aus dem Gesicht herausragte, Abschied zu
nehmen. Als er vor dem Toten stand, bemerkte er, dass das Gewand nicht richtig
verschlossen war und Einblicke auf den Bauch des Kerns gab. Dort erkannte
Arnold einen leichten Bluterguss, der dem auf der Stirn des Toten glich. Eilig
öffnete er das Gewand, um die Stelle genauer zu untersuchen.
Wie der Kopf war auch der Bauch mit unzähligen Münder
übersehen, die sich ebenfalls auf eine groteske Weise verzogen hatten. Drei
rote Stellen, auf denen sich wohl einst Münder befanden musste, stimmten
perfekt mit dem scheinbaren leichten Bluterguss auf der Stirn überein.
Arnold heftete den Blick von dem Toten ab und richtete ihn
auf die Stadt, die der Kern die ganze Schlacht über im Auge hatte. Durch den
Schein der aufgehenden Sonne erkannte er drei Gestalten, die dasselbe Gewand
wie der Kern trugen und auf die Reste der Stadt zu rannten. Vor dieser warteten
mehrere kleinere Menschengruppen, die das Ziel der Gestalten sein mussten.
In widernatürlicher Weise fingen sich die Leiber der Menschen
an, die über einen normalen Körper zu verfügen schien, zu verrenken und mit den
Körpern der anderen zu verschmelzen. Weitere Personen entflohen panisch der
Stadt und waren im Begriff dieselbe Verwandlung durchzustehen, in welchen die
Wartenden sich bereits befanden.
„Verfluchter Bastard“, sprach Arnold mit tonloser Stimme. „Du
hast mich bloß hingehalten“
Er spielte mit dem Gedanken, den Hügel herunter zu rennen und
dem neuen Kern ein Ende zu bereiten, bevor er gänzlich entstehen konnte und
danach die Flüchtenden, die wahrscheinlich irgendwann selbst ein Kollektiv
erschaffen werden, zu verfolgen. Doch Arnold unterließ jeglichen Versuch, dies
zu tun.
Zum ersten Mal seit Monaten fühlte er sich wie sich selbst.
Als ob er seinen Kopf endlich aus einem Eimer kalten Wasser herausnehmen
durfte. Er war niemanden mehr verpflichtet. Er konnte endlich sein eigener Mann
sein.
Welche der beiden Seiten gewinnen wird, interessierte Arnold
nicht mehr. Dies klägliche Schauspiel wird sich weitere Male wiederholen, darin
war er sich sicher. Weder konnte er es verhindern, noch die Opfer, die diese
Auseinandersetzung fordern würde, retten. Er wollte kein Teil mehr davon sein.
Ob er am Ende ein Teil eines Kollektivs werden würde oder für
den Rest seines Lebens unter der eisernen Faust von Wodan zu leben hat, verlor
auf einmal jegliche Bedeutung. Es gab wichtigere Dinge, um die er sich nun
kümmern musste.
Er musste endlich eine Bar eröffnen.
„Ruhe in Frieden“, sprach Arnold trauernd und warf seine
Pistole zu dem Toten, die in der aufgeweichten Erde stecken blieb.
Ohne noch einen weiteren Blick auf den ehemaligen Feind zu
werfen, drehte er sich um und ging davon.
Dies war nicht mehr sein Kampf.
Ende