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Die Kriegsmadonna

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Kurze Anmerkung: Eine Madonna ist die Darstellung der Jungfrau Maria in der Kunst…hier ist keinesfalls die singende Frau in Beinahe-Rentenalter gemeint^^

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Der alte Mann legte seine Hand beinahe zärtlich auf die Seite des Fotoalbums vor ihm,
seine Haut beinahe so fleckig wie das alte Papier.

Die beiden eingeklebten Bilder waren nun schon beinahe 70 Jahre in seinem Besitz und auch heute, wenn er sie von Zeit zu Zeit betrachtete, kam es ihm vor, als wäre kaum ein Tag vergangen, seit er mit seinen Kameraden auf diesem tristen Bahnhof gestanden hatte.
In Hamburg war es gewesen, kurz bevor der Zug sich auf den Weg nach Osten machte – mitsamt der 30 Männer, die hier siegessicher in die Kamera blickten.
Ihre Gesichter waren noch kindlich, beinahe ein wenig unschuldig und ihre Uniformen, sie sie mit jenem absurden Stolz trugen, den sie damals alle fühlten, wirkten unbenutzt und sauber.
Hergerichtet von den übereifrigen Müttern, wahrscheinlich, die sie alle erst vor wenigen Stunden verabschiedet hatten.
Sein Blick fiel auf einen der jungen Männer. Er war etwa 17 und unterschied sich in Haltung und Ausdruck kaum von den Anderen. Auch seine Haare waren kurz, die Farbe damals noch ein schmutziges blond.
Mit Wehmut betrachtete der Alte die auf Fotopapier konservierten Soldaten.
Viele von ihnen waren Freunde gewesen und geworden, manche wenige kannte er seit Kindertagen.

Dass ihr Leben sich radikal verändern würde, wussten sie alle.
Dass sie sterben würden, wussten wohl einige.
Dem alten Mann huschte ein bitteres Grinsen über das faltige, entstellte Gesicht, als ihm einmal mehr bewusst wurde, dass keiner von ihnen auch nur im Entferntesten damals ahnen konnte, wie ihr kleines Kriegsabenteuer tatsächlich ausgehen würde:

Nie hatte Heinrich sich vorstellen können, dass Schmerzen ein solches Ausmaß annehmen konnten. Es fühlte sich an, als würde sein Körper in Flammen stehen, nicht mehr aus Fleisch, sondern vielmehr aus flüssiger, formloser Lava bestehen.
So war es jedes Mal, wenn das Morphium nachließ.
Morphium – sein Gott und Retter, das einzige, das er noch zu lieben fähig war, seit ihm die Granatsplitter praktisch das halbe Gesicht weggerissen hatten.
Heinrich wurde beinahe wahnsinnig bei dem Gedanken daran.

In dieser Nacht war er – und dies kam in letzter Zeit höchst selten vor – bei Bewusstsein.
Die Flieger, die den Nachschub des rettenden Rauschgiftes hatten liefern sollen, waren abgeschossen worden und die im Halbschlaf ausgestoßenen Schreie und das Jammern erfüllte das provisorisch errichtete Lazarett der Männer, die sich ebenso sehr danach sehnten wie er.
Heinrich starrte an die Decke. Nichts, was er in seiner Bewegungsarmut in sein Blickfeld bekommen konnte, war dazu geeignet, ihn abzulenken.
Er seufzte und schloss die Augen.
„Lieber Gott, bitte, irgendwer…“ die Gedanken zuckten durch seinen benebelten Geist: „Lass es enden. Lass uns in Frieden sterben.“

Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich etwas verändert.
Er wusste nicht, um wen es sich handelte, denn er kannte sie nicht und ebenso wenig passte sie hierher, doch sehen konnte er sie dennoch. Eine Frau, die an seinem Bett saß, den Kopf ihm unverwandt zugeneigt. Ihr Körper war von einem weiten Umhang eingehüllt, von Kopf bis Fuß verdeckt von brauem, abgetragenen Stoff. Heinrichs schwaches Herz schlug schneller, als er sie genauer betrachtete: Die Erscheinung ähnelte einer Madonnenfigur, doch im Gegensatz zur heiligen Mutter Jesu war es keineswegs ein gutes Empfinden, welches ihr plötzliches Erscheinen in ihm auslöste.
„Bin ich tot?“, Heinrichs Stimme war ein kaum hörbares Krächzen, trotzdem voll von Verwirrung und Angst.
Die Frau lächelte, so glaubte er, denn unter dem tief in ihr Gesicht gezogenen Umhang waren kaum mehr als Umrisse ihrer Mimik zu erkennen.
„Nein, du lebst. Nur Lebende sind fähig, um Hilfe zu bitten.“
„Ich habe nicht…“
„Du bist fähig, ihnen ihren Frieden zu geben, Heinrich.“, woher kannte diese Frau seinen Namen? Er wagte es nicht, sie zu fragen.
Die Jungfrau Maria – oder was auch sonst sie war – legte ihm die Hand auf die schmerzende Brust. Umgehend ließen das Brennen und Nagen in seinem Körper ab und ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus.
Dann war es vorbei. Niemand saß mehr an seinem Bett und mit der Frau schien auch all sein Leid verschwunden zu sein.
Heinrich atmete auf und wollte erleichtert die Augen schließen, als das seltsame Gefühl mit aller Macht zurück kam.
Mit dem Gefühl kam die Stimme, die in seinem Kopf flüsterte: „Schlaf noch nicht, Soldat Heinrich. Du hast hier eine Aufgabe: Rette sie Alle.“

Als seine Füße auf dem Boden aufsetzten, war er verwundert, dass die Beine sein Gewicht hielten, nach all den Wochen des Liegens. Sein Körper fühlte sich taub an und bewegte sich dennoch kontrolliert – nur war es nicht mehr Heinrich, der die Bewegungen kontrollierte.
Etwas ließ ihn durch den Raum gehen, vorbei an seinen wimmernden Kameraden und den erschöpft schlafenden Schwestern.
Er beobachtete sich selbst, wie ein Fremder, als seine Hände nach den Skalpellen griffen, ohne eine Ahnung, was er damit tun sollte.
Als er die erste Klinge in die Brust eines der schlafenden Kameraden rammte, verstand er es.
Blut spritze aus der Wunde, es befleckte Heinrichs Gesicht, mischte sich mit dem Schmutz auf seiner Uniform. Mit einem verwirrendem Glücksgefühl leckte er es sich von den aufgesprungenen Lippen und drehte sich zur nächsten Krankenpritsche um.
Der zweite Mann röchelte leise, während Heinrich ihm die Kehle aufschnitt, so tief, dass er beinahe den Kopf von Körper getrennt hätte. Seine Hand hob sich ein letztes Mal und griff nach dem Arm seines Mörders. Eine letzte, fast flehende Geste des Sterbenden, bevor seine Augen stumpf und leer wurden.
Heinrich starrte auf ihn hinunter und begann zu lachen, hohl und irre, ein bedrohliches Flackern in den blauen Augen. Er hatte soeben einen seiner besten Freunde getötet.
Urplötzlich wurde sein Lachen durch ein anderes Geräusch unterbrochen.
Entsetzt fuhr Heinrich herum und erblickte eine Krankenschwester. Sie schien durch sein Lachen aufgewacht zu sein und war nun, mitten in den roten, klebrigen Pfützen, die sich auf dem Boden gesammelt hatten, auf die Knie gefallen. Wie eine Sirene klang ihr hysterisches Weinen durch den ansonsten Stillen Saal.
Heinrich begann schief zu grinsen, als er auf sie zuging, sie an den langen Haare packte und brutal zurück auf die Füße riss. So dicht er konnte brachte er ihr Gesicht vor das Seine und setzte das tropfende Skalpell an ihren Bauch. Ihr Blick war erfüllt von panischer Hilflosigkeit, während sie ihn, mit immer wieder wegbrechender Stimme anflehte: „Bi-bitte nicht! I-ich will nicht ste-erben. Hören Sie a-auf!“ Weder ihre Worte, noch ihre offensichtliche Verzweiflung erreichten Heinrich.
„Wieso weinst du?“ Seine Stimme war frei von jeglichen Gefühlen, während das Skalpell langsam in ihren Körper glitt: „Möchtest du nicht ins Paradies?“
Als er sie losließ, glitt sie zuckend zu Boden. Ihre Gedärme flossen aus ihrem Körper und mischten sich mit dem Blut der vorherigen Opfer.
Immernoch lächelnd starrte der Soldat auf sie herab.
Die verbliebenen Patienten würden sich nicht wehren, sie waren dem Tod ohnehin schon näher als dem Leben. Mit leichtem Schritt ging er in einen Nebenraum, in dem der letzte stationierte Arzt des Lazaretts an seinem Tisch eingeschlafen war. Als Heinrich sein Zimmer betrat, öffnete er die Augen und blinzelte verwirrt.
„Wie ist das…wie ist das möglich.“, fragte er noch, als der Mann, dessen Wunden er noch vor wenigen Stunden verbunden hatte, vor ihn trat. Dann bohrte sich das Skalpell in sein verblüfftes Gesicht und er kippte nach hinten. Wieder betrachtete Heinrich sein Werk, jedoch nur einen Augenblick. Er hatte keine Zeit, sich auszuruhen, noch nicht jetzt.
Es waren noch Andere übrig, die er befreien musste und so trat er zurück in den Behandlungssaal. Von denen, die folgten, schrie keiner, als er ihre Fieberträume für immer beendete.
Als der letzte Mann seinen letzten Atmenzug getan hatte, verließ Heinrich das Lazarett.
Hier war nichts mehr für ihn zu tun.

Die Kälte empfing ihn und der Schnee knirschte unter seinen nackten Füßen, als er ziellos in die karge Landschaft  hinausstolperte.
Nichts als der Tod würde ihn dort erwarten können.

Der alte Mann ließ seine Finger hinunter wandern zum unteren Bild.
Dieses war eine Zeichnung, kein Foto, und er hatte sie selbst gefertigt.
Sie zeige eine Frau, eingehüllt in einen dunklen Schleier, welche mit zugewandtem Gesicht an einem Krankenbett saß.
Das einzige aber, was von diesem Gesicht, dass unter dem Schleier nicht viel mehr zu sein schien als ein schwarzes Loch, war ein schmales Lächeln.

„Diesmal verwehrst du mir den Frieden nicht, meine Madonna.“, flüsterte der Alte und griff zu seinem Messer. Wie durch Butter glitt es in seine Brust.

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