EigenartigesMittelSchockierendes Ende

Ich hol dich ab

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Dienstagmorgen. Sechs Uhr. Das Weckerklingeln ist laut und nervtötend. Ich drehe mich vier Mal um, wälze mich aus dem Bett und stehe mühsam auf. Ich stelle fest, dass ich Dienstage hasse. Außerdem hasse ich den Wecker. Und ich habe Hunger. Einen letzten, verächtlichen Blick auf das batteriebetriebene Marterinstrument werfend, verlasse ich den Raum und schlurfe zur Küche. Die Kühlschranklampe brennt grell in meinen vom Schlaf ausgedörrten Augen. Toastbrot, Butter, Wurst. Während ich jeden Bissen kaue, als wär er so zäh wie Leder, stiere ich finster auf die Küchenuhr. Um halb acht muss ich unten sein. Also hab ich noch etwas Zeit.

Anziehen, waschen, Tasche packen. Je wacher ich werde, desto weniger sehe ich aus, wie ein komatöser Affe mit verendeten Synapsen, der sich halbtot durch die Welt schleppt. Stattdessen bewege ich mich nun mit der Anmut eines sterbenden Schwanes. Leichtfüßig tänzelnd, die Hände theatralisch erhoben und das Schicksal anklagend, mich mit Tragik zu überschütten. Denn tragisch war es schon. Ich muss zur Arbeit, wie jeden Tag. Doch zu den üblichen Strapazen kommt nun noch hinzu, dass ich idiotisches Wesen meinem neuen Arbeitskollegen, der im selben Ort wohnt, angeboten hab, zusammen zu fahren. Idiotisch deshalb, weil ich mich nun nicht nur mit meinem eigenen, trägen und bisweilen im Verfall begriffenen Körper belasten darf, sondern ich nun auch noch jene Existenz kutschieren darf, deren Verlässlichkeit sich nur mit der einen zerstochenen Kondoms auf einer siffigen Autobahntoilette vergleichen lässt.

Meist verbringe ich die Zeit, die ich auf ihn warte, mit dem Fluchen und Verwünschen seiner Person. Zumal ich doch so pünktlich und verlässlich bin. Doch diese Wesenheit schafft es nicht – nicht mal ein einziges Mal – pünktlich zum Treffpunkt zu kommen. Immer, wenn ich dann auf ihn warte, lege ich mir Sätze zurecht wie: „Du olle Pottsau, komm gefälligst pünktlich an!“ oder „Ey Pissnelke, mach ma hinne!“
Jeder dieser konstruktiven Dialoge soll auf die Beendigung des Fahrverhältnisses auslaufen. Doch wenn ich ihn dann sehe, so schüchtern, jung und irgendwie hilflos, dann überkommt mich das Mitleid und meine innere Mutter Theresa – die olle Schlampe! – gewinnt die Überhand. Meist sorgt das dafür, dass ich auch noch lüge und ihm sage, ich hätte erst kurz gewartet, obwohl das Gegenteil wahr ist. Aber was soll man machen? „In die Hos scheißen und lachen!“, wäre die Antwort, die ich mir selbst geben würde, hätte ich gefragt. Aber da auch verfrühte Inkontinenz meiner Lage keine sonderlich große Abhilfe leisten würde, verbleibe ich bei gemurmelten Flüchen.

Ich schaue auf mein Handy. Auf meine übliche Frage, ob alles so bleibe, wie verabredet – das muss man ihn regelmäßig fragen, da er gelegentlich spontan seinen Plan ändert, es aber für überflüssig hält, mich zu informieren – antwortet er mit „Ok“. Eine aufschlussreiche und für seine Verhältnisse sehr kommunikative Antwort. Seine unbeholfene Dummheit schlägt sich auch in unseren Konversationen nieder. Er ist nicht sehr wortreich, wohingegen ich ein Wasserfall bin. Sein Repertoire beschränkt sich auf die Phrasen: Ja, Nein, Ok, Bitte, Danke, keine Ahnung, Hallo und Tschüss. Hach…welch ausgesprochen fruchtbarer Boden für endlos epische Gespräche. Aber da mir dieser Mensch aufgrund der bereits geschilderten Unzuverlässigkeit und allgemeiner Bildungsallergie ohnehin nicht sonderlich nahe am Herzen liegt, kann ich die Mängel in sozialer Annäherung und Gesprächen noch verschmerzen. Über viel mehr als das Wetter, die Verkehrslage oder den allgemeinen Gemütszustand (Wie geht’s dir? – Danke gut und dir? – Auch gut – Ok) haben wir ohnehin nicht gesprochen. Denn wann immer ich andere Themen aufgriff, wurde die Konversation einseitig, da er mir nicht folgen konnte oder seine Antworten einsilbig wurden.

Als ich in meine Schuhe steige, zeigt die Uhr zwanzig nach Sieben an. Perfekt in der Zeit. Ich zieh den Mantel an, sperre die Haustür zu und steige ins Auto. Seufz. Meine Lust darauf, gleich mit Mister Mitteilsam auf eine sicherlich anstrengende Schicht zu fahren ist mit der Lust zu vergleichen, die man empfindet, wenn man im Freibad eine adipöse ältere Dame im zu knappen Bikini vor das Sehorgan bekommt, deren Milchtüten auf Kniehöhe baumeln, wie abgerissene Hosenträger. Unter neuerlichem Seufzen starte ich den Motor und fahre zu der kleinen Bushaltestelle, an der wir uns immer treffen oder besser gesagt, an der ich immer auf ihn warte, ob nun im Auto oder zu Fuß. Denn auch wenn er fährt, ist Pünktlichkeit nicht seine oberste Priorität. Der Standort kommt immer noch erschwerend hinzu. Denn auf der Haltestelle darf ich streng genommen gar nicht parken. Da aber morgens kein Bus hält und auch keine Kontrollen sind, bin ich bislang mit dieser Übertretung des Gesetzes davon gekommen. Der erste Schritt in eine kriminelle Laufbahn beginnt oft mit Falschparken, hab ich mal gelesen. Ich stelle beim Fahren fest, dass meine Laune nicht das einzige ist, das an diesem Morgen als beschissen bezeichnet werden kann. Auch das Wetter ist so trüb und ekelhaft, als hätte der Leibhaftige höchst selbst seine Tage. Nieselregen und leichter Nebel, dazu eine klamme Atmosphäre. Gott sei Dank bin ich heut mit Fahren dran. Hätte ich bei diesem Wetter noch auf ihn warten müssen, unter freiem Himmel mitten an der Hauptstraße, wie eine Bordsteinschwalbe, wären „Mord und Totschlag“ vermutlich auf meiner Liste der Gesetzesüberschreitungen erschienen.

Stattdessen stehe ich nun auf der Haltestelle und stiere in den dunklen Himmel. Wir haben erst Oktober, aber die Sonne geht bereits deutlich später auf. Bis acht oder halb neun ist es noch richtiggehend dunkel. Das passt ja gut. Miese Stimmung, mieses Wetter und miese Kollegen. Was kann da noch schief gehen? „Wahrscheinlich kommt genau heut dann so eine dumme Politesse mit ihrer Pferdefresse und sagt mir, dass ich hier nicht stehen darf.“, murmle ich halblaut zu mir selbst. Doch jene Prophezeiung bleibt aus…vorerst. Auch kein Auto fährt vorbei. Es ist ein richtiger ereignisloser und unnötiger Tag. Während ich in Selbstmitleid zerfließe, schaue ich ab und an in den Rückspiegel in der Hoffnung, dort den silbergrauen Zipfel seiner geschmacklosen Jacke zu erspähen. Doch nichts dergleichen. Stattdessen verstreicht Minute um Minute ohne Ereignis oder Sinn.

Als es viertel vor acht ist, greif ich zum Handy, fest entschlossen, dieser Wesenheit meinen Unmut kund zu tun. Doch zu meiner Überraschung hat er mir bereits geschrieben. Mein Handy ist stummgeschaltet, deshalb muss ich es verpasst haben. Ich öffne den Chat und lese staunend: „Wo bist du?“
„Wo soll ich schon sein, du inkompetenter Flachwicher?!“, murmle ich düster. Doch schreibe ihm: „Bin auf der Haltestelle. Wie immer.“ Keine zehn Sekunden später erscheint die Antwort: „Ich seh dich nicht…“ Ich kann förmlich spüren, wie die Ader an meiner Schläfe zu pochen beginnt. Nicht nur unpünktlich, auch noch blind? Ich sehe mich genervt um, kann ihn aber im Spiegel nicht sehen. Also frage ich, wo er ist. Umgehend kommt die Antwort. „Auf der Haltestelle.“ Nachdem ich den Drang, ihm für diese präzise Ortsangabe einen Oscar verleihen zu wollen, überwunden habe, schnalle ich mich ab und verrenke meinen Hals in alle Richtungen, um ihn zu erspähen. Doch die Haltestelle ist recht überschaubar und ich kann ihn nirgends sehen. „Wo genau?“, kommt meine Antwort daher nun noch saurer als zuvor.
Heute wäre es soweit. Heute würde ich ihm den Laufpass geben. Den Scheiß tu ich mir doch nicht an. Ich nicht. Das kann er mit wem anders machen.

„Ich stehe direkt unter der Laterne.“ Seine Antwort klingt fast flehend. Meine Wut wechselt zu Verwirrung. Denn unter der einzigen Laterne dieser Straße steht mein Auto, aber weit und breit kein anderes menschliches Wesen. Ich steige genervt aus und rufe den Namen meines Kollegen. Keine Antwort. Auch als ich die Haltestelle abgehe, ist niemand da. „Verarscht der mich grade?“, kommt es mir mit einem Mal in den Sinn. Doch in Anbetracht seiner geringen Intelligenz scheidet dies eigentlich aus. Ich greife zum Telefon und rufe ihn an. Er nimmt nach dem ersten Freizeichen ab. „Wo genau bist du denn?!“, keife ich als Begrüßung ins Telefon. „Ich bin ausgestiegen und die ganze Haltestelle abgelaufen. Ich find dich nicht. Mein Auto steht unter der Laterne.“, komme ich seiner Antwort zuvor.

„Hä, Ich bin auf der Haltestelle. Unter der Laterne.“ Seufzend schau ich zur beschriebenen Stelle, nur um nichts vorzufinden. Kurz entschlossen schalte ich den Anruf zum Videochat um. Sein Gesicht erscheint kurz drauf auf dem Display. Den inneren Impuls unterdrückend, ihm durch den Bildschirm in die Fresse zu schlagen, brülle ich ihn an. „Wo bist du denn nu?! Zeig ma her!“ Er wedelt mit der Kamera umher und ich sehe, dass er tatsächlich auf der Haltestelle ist. Doch als der Schwenk zur Laterne geht, sehe ich kein Auto. Sprachlos schwenke ich meine Kamera umher und zeige ihm, dass er nicht dort ist, wo ich bin und umgekehrt. Wir sind beide sprachlos. Meine Wut verfliegt augenblicklich. „Das kann doch nicht sein…“, entweicht es mir, aber es ist kaum mehr als ein Flüstern. Er sagt gar nichts. Vermutlich ist sein schlichter Geist überfordert, was ich ihm diesmal – ausnahmsweise – aber nicht verübeln kann. Mein Verstand geht alle möglichen Erklärungen für dieses Rätsel durch, aber keine scheint auch nur annähernd befriedigend für die aktuelle Lage zu sein. Also schweige ich und öffne nur immer wieder den Mund, nur um ihn schnell zu schließen, ehe eine unüberlegte und unsinnige Theorie meine Lippen verlassen kann.

Nachdem wir uns also eine Weile angestarrte haben, nervöse Blicke in die Gegend werfen und abwechselnd den Mund auf und zu machend, breche ich schließlich das Schweigen. „Was sollen wir denn jetzt machen?“ Es ist eine dumme Frage und umgehend ploppt in meinem Kopf die Empfehlung zur Inkontinenz auf, doch ich schlucke sie hinunter. Angesichts der aktuellen Lage war es wohl das klügste, das ich fragen konnte. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte er ebenso wenig eine Antwort, wie ich. Nach einer weiteren Ewigkeit des Nichtstuns und Starrens treffe ich einen Entschluss. „Pass auf: Wir treffen uns jetzt bei deinem Haus. Wir gehen jetzt beide los und treffen uns dort. Einverstanden?“

Auf dem Weg zu seinem Haus, das nur unweit von der Haltestelle in einer kleinen Gasse liegt, frage ich mich, ob es wirklich so klug gewesen war, den Anruf zu beenden. Ich komme zu dem Entschluss, dass mein Auto, das ich provisorisch am Wegesrand geparkt habe, das größere Problem ist. Dennoch behagt es mir nicht, dass ich nun wieder allein bin. Als ich in die Gasse einbiege, in der sein Haus liegt, sehe ich in der Ferne eine Gestalt. Aufgrund der Witterung ist es mir allerdings unmöglich zu bestimmen ob es sich um meinen Kollegen handelt. Ich rufe seinen Namen, aber bekomme keine Antwort. Um die Nachbarn nicht unnötig aufzuwecken, dämpfe ich meine Stimme und eile stattdessen zu der Gestalt, das Gesicht niedergeschlagen, um es vor dem Regen zu schützen. Doch als ich mich bis auf wenige Person dem genähert hatte, was ich für meinen Kollegen gehalten, sehe ich eine verzerrte Fratze, deren bleiche und an vielen Stellen vernarbte Haut von einem Draht gestellt gespannt wird. Das straffe Gesicht grinst ein unweltliches Grinsen, während Tränen der Pein seine blutunterlaufenen Augen verlassen. Entsetzt stolpere ich ein paar Schritte rückwärts, doch mit unmenschlicher Schnelligkeit steht die Kreatur vor mir und legt mir ihre Hand auf die Schulter.

Eine Kälte, wie sie unmöglich auf dieser Welt vorkommen kann, ergreift meinen Körper und nachdem ich einen letzten Blick auf jene entstellte Monstrosität geworfen, umnachtet mich eine gnädige Schwärze.

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