Bizarro FictionMittel

Into the Labyrinth

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Harte Elektrobeats hallten durch das kleine Zimmer und in seinem Kopf wider. Kein anderer Laut war zu vernehmen, da er die Lautstärke zwar nicht auf das Maximum, jedoch hoch genug gedreht hatte, dass die Musik von nichts übertönt werden konnte.

Höher und höher schlugen die Klänge, immer weiter trieben sie nach oben, trieben ihn an, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Mochte es noch halbwegs besinnlich angefangen haben, war er spätestens nach den ersten zehn Sekunden verloren gewesen. Der Song hatte ihn gepackt und würde ihn erst wieder loslassen, wenn er zu Ende gespielt hatte. So dachte er zumindest…

Verstörend, dachte er nicht zum ersten Mal, während die Klangkulisse gerade eine weitere Ebene erreichte, eine noch tiefer schürfende, eine noch grausamere. Verstörend und faszinierend. Er war gefesselt, anders konnte er es nicht sagen.

Und da kam die zweite Pause, sofern man denn von einer Pause sprechen konnte. Die erste war in Form eines Zuges erschallt, welcher kurzzeitig alle anderen Sounds ausblenden ließ. Danach war es jedoch nur umso schräger, schiefliegender, mitreißender, verstörender weitergegangen, ohne dass der Höhepunkt des Songs bereits erreicht worden wäre.

Die zweite Pause wiederum war kaum lang genug, um dem Hörer genug Zeit zum Durchatmen zu geben, da direkt im Anschluss nur noch härtere Beats folgten, die langsam vom Finale kündeten.

Die Disharmonie dieses Glanzstücks erreichte schließlich doch ihren Höchstpunkt, der treibende Sound durchbrach ein letztes Mal die ungeahnte Grenze, die schon längst erreicht zu sein schien, die Spannung wurde unerträglich und dann… nichts. Ein paar ausklingende letzte Hammerschläge, direkt auf das eh schon geplagte, rasende Herz und auf einmal: aus. Ohne Vorwarnung, ohne die Befriedigung eines langsam dahinschwindenden Soundteppichs, einfach vorbei, während man noch auf dem Gipfel der Achterbahn festsaß.

Er saß noch lange da in dieser plötzlich eingetretenen Stille und sah sich unfähig, irgendetwas zu unternehmen, ja sich nur zu regen. In seinem Kopf herrschte Leere, während er gleichzeitig versuchte, das eben Gehörte zu verarbeiten. Sein Herz pochte noch immer wild, kam aber langsam auf ein gesundes Maß herunter.

Wow, so etwas hatte er noch nie erlebt. Verstörend, faszinierend, perfide grausam… kein Adjektiv seines Wortschatzes konnte auch nur ansatzweise beschreiben, was er gerade erlebt hatte.

Wenn ich das jemandem erzähle, erklärt er mich für verrückt… Natürlich würde er das, aber damit hatte er sich über die Jahre hinweg abgefunden. Er hatte eben einen anderen Bezug zur Musik, hörte sie nicht nur, sondern lebte sie. Er atmete Musik, fühlte jeden einzelnen Takt solange, bis er ihm in Fleisch und Blut übergegangen war, bis er nicht mehr nur ein zusammengemischtes Gewirr aus einzelnen Tönen vernahm, sondern sie bis ins kleinste Detail auseinanderhalten und wahrhaftig fühlen konnte.

Während andere Menschen sich damit brüsteten, eine regelrechte Bibliothek an tausenden und abertausenden Liedern zu besitzen von Dutzenden Künstlern, von denen sie gerade einmal die Hälfte nennen konnten, kannte er jedes seiner Stücke auswendig, hatte sie sooft gehört, dass er sie beliebig oft in seinem Kopf abspielen konnte, was natürlich trotzdem kein Vergleich zum richtigen Hören, Fühlen und Leben darstellte.

War er exzentrisch? Vermutlich. Störte ihn das? Wie könnte es, wenn Musik doch alles für ihn bereithielt, was er zum Leben brauchte?

Und dieses eben gehörte Stück Kunst: Unglaublich, fesselnd, atemberaubend, verängstigend… Er würde es noch viele Male hören, das war ihm klar, aber nicht mehr heute. Das eine Mal reichte für einen Tag, das hatte ihn schon genug aufgewühlt. So etwas hatte er noch nicht erlebt, zumindest nicht in diesem Ausmaß.  

Ich sollte mich schlafen legen, entschied er kurzerhand. Ja, schlafen und den Geist in Ruhe sinnieren lassen. Morgen konnte er sich den Song dann noch einmal zu Gemüte führen, vorbereitet dann, um nicht erneut erschlagen zu werden von dieser schieren Gewalt, dieser entfesselten Macht, die kein Mensch außer ihm zu verstehen in der Lage war.

Er erhob sich aus seinem Sessel, schaltete die Anlage aus, schlenderte zu seinem Bett hinüber – der Weg war nicht weit, immerhin besaß er nur eine gut fünfundzwanzig Quadratmeter große Ein-Zimmer-Wohnung – und warf sich angezogen, wie er war, hinein, nur um wenige Minuten später auch schon wegzudämmern.

Bevor er jedoch einschlief, dachte er noch: Ein Schriftsteller oder Maler, der so schreiben oder malen könnte, wie dieses Lied komponiert wurde, könnte Großes vollbringen. Er würde die Menschheit in Angst und Schrecken versetzen, keine Frage, aber es wäre ein Meisterwerk, das seinesgleichen suchte. Schade eigentlich, dass das wohl niemals jemand schaffen wird…

 

Der Schlaf war kurz und unruhig. Mit pochendem Herzen erwachte er schweißgebadet. Fürchterliche Träume hatten ihn gehetzt und gejagt, hatten ihn erbarmungslos verfolgt, schneller und weiter und immer weiter. Jetzt blieb von ihnen nur noch ein Schemen, eine dunkle Erinnerung, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken.

Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm, dass er gerade mal drei Stunden hinter sich gebracht hatte. Die Stadt außerhalb seiner Wohnung lag in tiefer Dunkelheit einsam und verlassen da. Was sollte er jetzt mit seiner übrigen Zeit anfangen?

Automatisch ruckte sein Kopf zu der Musikanlage. Oh nein, auf keinen Fall! So sehr es ihn auch lockte und rief, er war noch nicht bereit, nicht nach diesen Träumen, die vermutlich erst durch das Lied verursacht worden waren.

Erst einmal was trinken, beschloss er. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Er stand auf, ging zum Kühlschrank, goss sich ein Glas ein, setzte sich damit in seinen Sessel und ehe er sich versah, trieb ihn schon wieder dieser Song durch eine Hetzjagd der Gefühle, während das Glas Wasser unangetastet neben ihm stand.

Er war einfach nicht davon losgekommen, hatte nicht widerstehen können, fühlte sich wie ein Süchtiger, der wusste, dass dir Droge seiner Wahl ihn irgendwann umbrachte, und diesem Wissen zum Trotz dennoch immer weiter im Sumpf seines Elends versank.

Ok, das war ein bisschen weit hergeholt, aber ernsthaft, noch nie zuvor hatte ihn ein Lied derart in seinen Bann gezogen, dass sein Körper regelrecht automatisch und ohne sein Zutun handelte, obgleich in seinem Inneren eine kleine, kaum wahrnehmbare Stimme verlangte, den Song nicht noch einmal zu hören, ihm zurief, dass es noch zu früh sei, er nicht bereit wäre. Doch wie sollte diese leise, flüsternde Stimme gegen das donnernde Hallen ankommen, das nun wieder seine Wohnung erfüllte? Sie wurde einfach niedergeschrien von den kreischenden Klängen, bis sie schließlich verstummte.

Das Lied endete, er nahm sich vor, einen Schluck Wasser zu trinken und sich mit etwas anderem zu beschäftigen, stattdessen ließ er es erneut von vorne spielen, um die Ruhe, die seine vier Wände zu erdrücken schien, zu vertreiben. Ruhe, war jetzt das Letzte, was er wollte. Er wollte mehr und immer mehr, wollte dieses unbefriedigende Gefühl hinter sich lassen, dass das Finale des Songs immer mit sich brachte. Irgendwie musste es doch möglich sein!

Vielleicht war der Vergleich mit dem Süchtigen doch nicht so abwegig, wie er gedacht hatte…

Die Stunden zogen dahin, die Sonne ging auf, er hörte weiter den immer gleichen Song, kannte mittlerweile jede Phase, jeden einzelnen Klang und war doch nicht zufrieden. Die Zeit machte ihm deutlich, dass er aufstehen und zur Arbeit gehen musste, doch erfüllte allein der Gedanke ans Arbeiten ihn mit Grauen. Wie konnte er nur annehmen, ruhigen Gewissens in einem stickigen Büro zu sitzen, während hier dieses Meisterwerk darauf wartete, weiter gehört zu werden?

Am Ende obsiegte die Vernunft, nicht jedoch ohne ein ausgiebiges Maß an Missfallen. Irgendwie schaffte er es, sich hochzuraffen, zu duschen, anzuziehen und dann tatsächlich das Haus zu verlassen. Bei jedem Schritt wurde ihm schwerer ums Herz, die Motivation sank in den Keller, während er nach oben stieg.

Moment mal, nach oben? Was sollte das? Was tat er da?

Seine Füße bewegten sich von selbst, marschierten stoisch die Treppe nach oben statt nach unten, aber was wollten sie dort? Eine Etage höher, eine weitere und dann noch eine, ohne dass er die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangt hätte. Wenn das so weiterging, würde er bald das Dach erreichen, und dann?

Nein, das ist unmöglich!, versuchte er sich zu beruhigen. Die Tür zum Dach war sowieso verschlossen, musste sie sein, aus Sicherheitsgründen. Doch logische Schlussfolgerung hin und her, seine sich von selbst bewegenden Füße erfüllten ihn mit immer weiter wachsendem Grauen, das eine Grenze nach der anderen spielend hinter sich ließ, bis er nur noch ein nervöses, panisches, wie Espenlaub zitterndes Nervenbündel war, das nichts weiter tun konnte, als blindlings seinem Schicksal entgegenzusehen.

Er erreicht die Tür zum Dach, seine Hand streckte sich aus, der Moment der Wahrheit kam. Die Klinke wurde hinabgedrückt und… Nein! Mühelos glitt die Tür auf und mühelos setzten seine Beine ihren Weg fort, so sehr er sich auch dagegen wehrte. Schnurstracks, in gemächlichem Tempo trugen sie ihn zum Rand hin, um ihn hinabzustürzen.

Würde es wehtun? Würde es lange dauern? Er hoffte es nicht. Wenn er schon sterben musste, dann doch bitte schmerzfrei und schnell!

Er wollte die Augen schließen, die letzten Meter nicht mehr mit ansehen müssen, doch nicht einmal dazu war er noch fähig.

Sie erreichten den Rand des Daches, das hieß, er und sein Körper, denn er fühlte sich nicht länger mit ihm verbunden, eher wie ein fremdes Wesen, das nicht hierher gehörte, ein Parasit, der entfernt werden musste, und zwar auf die einzig mögliche, drastische Art und Weise.

Sie blieben stehen. Oh Gott sei Dank, es war noch nicht vorbei! Gleich würde er die Kontrolle zurückerlangen und dann… Die Pause endete, der letzte Schritt wurde gemacht, er fiel, nur nicht nach unten, sondern nach oben!

Ungläubig starrte er unter sich, sah, wie er sich von dem Dach entfernte, von der Straße, in der er wohnte, von den Menschen, die sich seine Nachbarn nannten und sich stetig über den Lärm aus seiner Wohnung beschwerten. Alles wurde kleiner und kleiner, während er immer höher und höher stieg, bis er die Wolkendecke durchbrach und die Welt unter sich kaum mehr erkennen konnte.

Es war ein schreckliches Gefühl, ihm drehte sich der Magen um, und dennoch, dennoch war es auf eine befremdliche Art faszinierend. Schrecklich und faszinierend und Übelkeit erregend und nicht enden wollend, da er immer höher und höher und noch höher stieg. Ein Ende seiner Reise schien nicht in Sicht, wenn das so weiterging, dann…

Pause, kurz vor dem Durchbruch in das All, welches dunkel und endlos über ihm hing.

Hier schwebte er nun, noch nicht gänzlich von seinem Heimatplaneten entfernt und doch so weit weg, wie er sich nie zu träumen gewagt hätte. Über ihm das endlose Nichts. Wenn er dort hinaufsteigen würde, dann gäbe es kein Zurück, dessen war er sich sicher.

Die Pause endete so schnell, wie sie angefangen hatte. Mit rasender Geschwindigkeit schoss er hinauf zum Himmelreich der Sterne. Schneller, schneller, weiter, weiter, höher, höher, bis der Gipfel erreicht wurde, nur dass es keinen Gipfel gab, kein Ziel, kein Ende, es durfte nicht enden, denn jedes Ende dieses majestätischen Fluges wäre ein Drama ohnegleichen. Ein Ende dieser himmlischen Reise bedeutete ein Ende allen Seins, da nichts mehr wert war zu sein, im Vergleich zu diesem göttlichen Erlebnis.

Er fürchtete sich nicht länger vor seinem Sturzflug, er genoss ihn in all seinen Zügen. Atemberaubend schön war er und gleichzeitig so unendlich abgründig furchterregend. Das war Kunst, in ihrer reinsten Form!

Und dann… dann war es vorbei. Der Flug endete, die Kunst endete, das Meisterwerk hatte sein Finale erreicht. Unbefriedigend, ungenügend, unfertig. Die Hochstimmung brach schlagartig ab, ehe er den Sturz vollzog.

Von den höchsten Höhen, die ein Mensch je erreicht hatte, stürzte er hinab in ein Loch, so tief, dass er sich nie wieder daraus würde befreien können. Selbst wenn er diesen Flug noch einmal würde erleben dürfen, er kannte nun seinen Ausgang, wusste, dass er ihn nie würde zufriedenstellen können. Das Drama, das er fürchtete, trat ein und alles, was ihm blieb, war, sich dem Sturz hinzugeben und zu hoffen, dass der Aufprall ihm ein ähnlich jähes Ende bereitete wie diesem Schandwerk, dass er so voreilig als meisterhaft bezeichnet hatte.

Doch wie sollte auch Perfektion entstehen, wenn sie, wie alles andere, der Endlichkeit unterlag?

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