ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ein Tag wie jeder andere
Stille herrscht um dich herum, während du auf das Zeichen wartest. Die Ruhe herrscht nur in deinem Kopf, außerhalb davon verkündet ein Beamter in deiner Meinung nach viel zu langen und unnötig komplexen Phrasen das Urteil und den Grund dafür, während die Menge gespannt den Atem anhält oder zwischendurch jemand eine Verleumdung ruft, die auf allgemeine Zustimmung trifft.
Was das heutige Opfer auch getan haben mag, es muss grässlich genug gewesen sein, weitflächigen Zorn auf sich zu ziehen. Andererseits breitet sich das erregte Feuer schnell unter den Massen aus, es kann also genauso gut sein, dass kaum einer der Anwesenden einen angemessenen Grund für ein derartiges Verhalten besitzt.
Nicht, dass es dich kümmern würde. Was der Mann, der vor dir an einer waagerechten Bank festgezurrt auf sein Ende wartet, auch verbrochen haben mag, es muss schwer genug wiegen, damit er diese Behandlung
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Stille herrscht um dich herum, während du auf das Zeichen wartest. Die Ruhe herrscht nur in deinem Kopf, außerhalb davon verkündet ein Beamter in deiner Meinung nach viel zu langen und unnötig komplexen Phrasen das Urteil und den Grund dafür, während die Menge gespannt den Atem anhält oder zwischendurch jemand eine Verleumdung ruft, die auf allgemeine Zustimmung trifft.
Was das heutige Opfer auch getan haben mag, es muss grässlich genug gewesen sein, weitflächigen Zorn auf sich zu ziehen. Andererseits breitet sich das erregte Feuer schnell unter den Massen aus, es kann also genauso gut sein, dass kaum einer der Anwesenden einen angemessenen Grund für ein derartiges Verhalten besitzt.
Nicht, dass es dich kümmern würde. Was der Mann, der vor dir an einer waagerechten Bank festgezurrt auf sein Ende wartet, auch verbrochen haben mag, es muss schwer genug wiegen, damit er diese Behandlung verdient. Mehr musst du nicht wissen.
Die Verkündung neigt sich dem Ende zu, du spürst es förmlich. Selbst die lautesten unter den Schaulustigen werden in der Regel kleinlaut, wenn sich der Höhepunkt der Veranstaltung nähert. Und tatsächlich, der Beamte, der bis eben noch nüchtern seine Rede gehalten hat, wendet sich von der Menschenmenge ab und dir zu. Mit einem knappen Nicken bedeutet er dir, deiner Aufgabe nachzukommen.
Du trittst vor, die Planken des Schafotts knarzen leise unter deinen schweren Stiefeln. Du legst deine groben Hände auf das hintere Ende der Bank, um sie mit einer ruckartigen Bewegung von der vertikalen in die horizontale Position zu bringen, dabei schiebst du sie noch ein paar Zentimeter vor, so dass das Haupt des Mannes ein Stück über die Vorrichtung, die über ihm hängt, hinausragt. Der Hals des zu Tode Verurteilten liegt nun auf dem Lunette, mit einer weiteren Bewegung schiebst du das Gegenstück herunter auf seinen Nacken, so dass er nunmehr vollständig eingespannt ist.
Jetzt bleibt nur noch eins zu tun und du erledigst es, wie die vielen Male zuvor, ohne zu zögern, ohne etwas dabei zu empfinden und vor allem ohne den Moment unnötig in die Länge zu ziehen. Einige der Leute enttäuscht das vielleicht, weil sie sich erhoffen, den Verurteilten in seinen letzten Sekunden möglichst lange und umfassend in seiner Todesangst vergehen zu sehen, doch du bist nicht dazu da, ihnen zu dienen.
Deine Aufgabe ist lediglich einen Mechanismus zu bedienen, der ein mit zusätzlichem Gewicht beschwertes Beil herabsausen lässt, dass fähig ist selbst dem standhaftesten Mann mit Leichtigkeit den Kopf von den Schultern zu trennen. Zumindest hoffst du in den winzigen Wimpernschlägen des Fallens, dass genau dies sogleich geschieht.
Zwar hast du es selbst noch nicht erlebt, doch ist dir bereits zu Ohren gekommen, dass Scharfrichter aufgrund eines fehlgeschlagenen oder unzureichend ausgeführten Prozesses von den Massen gelyncht wurden. Ein Schicksal, dass du dir selbst gerne ersparen möchtest.
Glücklicherweise hat die neueste Erfindung des Exekutionshandwerks, die sogenannte Guillotine – manch ein Gelehrter behauptet, so neu wäre sie gar nicht, aber das interessiert dich nicht –, deine Arbeit um ein Vielfaches erleichtert und das Risiko zu scheitern, entsprechend deutlich gemindert. Vor nicht allzu langer Zeit hast du derartige Hinrichtungen noch mit dem Schwert vollziehen müssen, was nicht selten mehr als einen Hieb erfordert hat und bei Weitem nicht so sauber vonstattengegangen ist.
Zwei Geräusche folgen dicht aufeinander, erst das Aufkommen des Beils und dann das dumpfe Schlagen eines Kopfes in ein dafür vorgesehenes Auffangbecken. Im Fallen hat er sich leicht gedreht, weswegen dein Blick, den des Verstorbenen trifft. Ein Schauder geht dir durch Mark und Bein, als die Augenlider des abgetrennten Kopfes noch ein letztes Mal blinzeln. Täuschst du dich, oder ist da noch der Hauch von Leben in seinen zum Sehen gedachten Äpfeln auszumachen?
Nein, unmöglich. Und wenn doch, jetzt, weitere Sekunden später, ist es verschwunden. Die Hinrichtung ist erfolgreich durchgeführt worden. Gedanklich fügst du einen schwarzen Strich der scheinbar endlosen Liste zu. Endlos ist sie jedoch nicht, nicht für dich, du weißt genau welche Ziffer diesem Opfer zuzuordnen ist: der dreihundert und dreiundzwanzigste Gerichtete. Du führst noch zwei weitere Listen, für Gefolterte und Gefolterte und dann Gerichtete.
Eine hohe Zahl, wie manch einer, der sich mit dieser Profession nicht auskennt, behaupten würde, dabei ist sie für die Zeit, die du dich bereits mit dieser Berufung beschäftigst – also quasi dein Leben lang – noch verhältnismäßig gering. Allerdings nimmt das Hinrichten verurteilter Diebe, Mörder und anderer Straftäter auch nur einen sehr geringen Teil deiner Beschäftigung ein. Allein mit dieser Tätigkeit, könntest du dir deinen Lebensunterhalt jedenfalls nicht verdienen.
Jetzt, da das Schauspiel vorbei ist, löst die Menge sich langsam auf, um ihren eigenen Beschäftigungen nachzugehen. Nur ein kleiner Teil verbleibt, um auch noch mit anzusehen, wie der Gerichtete hinfort geschafft wird.
Diese Aufgabe übernehmen deine beiden Söhne, die zeitgleich deine Lehrlinge und Assistenten sind. Eine andere Wahl, als den gleichen Weg wie du einzuschlagen, haben sie kaum. Dein Familienname ist geächtet. Obgleich du während dieser Arbeit eine schwarze Maske trägst, weiß doch jeder Ortsansässige wer darunter steckt und wessen Brut zu ihm gehört. Dass deine Kinder und Kindeskinder jemals eine andere Anstellung als die des Scharfrichters finden, muss als höchst unwahrscheinlich bewertet werden.
Nicht, dass dich das kümmern würde. Dein Vater hat dir schon von klein auf eingetrichtert, dass er einen ehrbaren Beruf ausübt, genauso wie seine Mutter vor ihm. Was die Menschen auch denken mögen, es gäbe nichts, wofür du dich schämen müsstest. Allen voran, da es die gleichen Leute sind, die verlangen, dass dem Gesocks ihre gerechte Strafe zugefügt wird.
Entgegen der Meinung deines Erzeugers, empfindest du jedoch keine Ehrbarkeit beim Ausüben deiner Berufung. Für dich ist es einfach eine Arbeit, die erledigt werden muss, so wie der Bäcker das Brot bäckt und der Prediger vor Gottes Zorn warnt, richtest du diejenigen, über die ein entsprechendes Urteil verhängt wurde.
Dabei interessiert es dich nicht einmal, ob sie wirklich schuldig sind. Wenn die oberen Herren es so entscheiden, wird es seine Richtigkeit haben und im Zweifel, erfolgt die finale Richtung ohnehin bei der letzten Instanz, der sich ein jeder Mensch früher oder später stellen muss, um entweder ins Himmelreich aufzusteigen oder in einem dunklen Ort voll endloser Qual zu landen, die ihn sich wünschen lassen wird, lieber eintausendmal den Kopf zu verlieren, als noch eine Sekunde länger im Inferno der ewig brennenden Hölle verbringen zu müssen.
Für dich ist dieser Moment allerdings noch lange nicht gekommen, weswegen es nun an dir liegt, vom dem Schafott herabzusteigen und deine Bezahlung einzufordern. Die Familie des soeben Verstorbenen, eine Mutter mit zwei Kindern, erwartet dich bereits. Mit ausdruckslosem Gesicht drückt dir Frau ein paar Münzen in die ausgestreckte Hand, du nickst lediglich, steckst das Geld ein und wendest dich ab. Später, wenn deine Söhne den Leichnam weggekarrt und auf einem Scheiterhaufen verbrannt haben, wird noch eine weitere Gebühr fällig werden.
Besagte Lehrlinge haben den Körper bereits heruntergeschafft. Soeben wird noch das Haupt hinterhergetragen, auf dass der eine von beiden losziehen kann, während der andere zurückbleibt, um die Guillotine zu reinigen.
Sie machen ihre Arbeit gut, verrichten sie mit der gleichen stoischen Präzision wie du. Über ihre Hilfe bist du dankbar, da es dir erlaubt dich gleichzeitig mit anderen Dingen zu befassen.
Was wird heute noch anfallen? Ein Selbstmörder, den du von seinem Strick schneiden musst, um seinen unter Umständen schon seit Tagen verfaulenden Körper zu entsorgen? Der letzte ist schon wieder eine ganze Weile her, hat dich den halben Tag gekostet ihn aus dem Haus zu schaffen, weil der Gestank selbst für dich kaum zu ertragen gewesen war und du mehrfach hast pausieren müssen, um wieder zu Atem zu kommen. Von dem Anblick, den sein bereits stark verwester und von Fliegen umschwirrter Körper geboten hat, ganz zu schweigen.
Den Menschen in der Umgebung ist es nicht anders ergangen. Die meisten haben schnell das Weite gesucht, sofern es ihnen möglich war. Du vermutest, dass sie das Haus und vor allem die Wohnung, in der du den Mann aufgefunden hast, immer noch meiden, da der penetrante Geruch vermutlich nie wieder weichen wird.
Wie sich später noch herausstellen soll, wird dich an diesem Tag kein weiteres menschliches Wesen mit seinem Dahinscheiden belästigen, dafür eine andere, nicht wesentlich angenehmere Aufgabe warten.
Bis dahin jedoch nimmst du, jetzt, da sich auch die letzten Schaulustigen verzogen haben, deine Maske ab und atmest tief durch. Endlich kannst du wieder du selbst sein. Sobald du dir das schwarze Ding über das Gesicht ziehst, verlierst du alles, was dich ausmacht. Deine Identität wird ausradiert, übrig bleibt lediglich ein ausführendes Werkzeug, dass bedient wird und gleichsam selbst Mechanismen auslöst. Du bist Teil einer Maschine, die errichtet wurde, um Leben auszuhauchen, wo andere entscheiden, dass es aufgrund begangener Taten ausgehaucht werden muss, da jede andere Behandlung für die Gesellschaft nicht mehr tragbar wäre.
Jetzt, ohne das Symbol deiner Tätigkeit, bist du wieder nur ein Mensch, der wie jeder andere auch, sein Geld verdienen muss, um überleben und seine Familie versorgen zu können. Zumindest redest du dir das immer wieder ein.
Wenn du durch die Straßen ziehst, mit leerem Blick und automatischen Bewegungen, da deine Glieder Tag ein Tag aus, die immergleichen Abläufe abrufen und du in die Gesichter deiner Mitmenschen blickst, fragst du dich manchmal, wann du aufgehört hast, sie als lebende Objekte zu betrachten. In deinen Augen sind mittlerweile nur noch potenzielle Opfer eines Tötungsinstruments, das zu bedienen du auserkoren wurdest.
Der Adlige der mit erhobenem Haupt an dir vorbei stolziert: Ein ruchloser Mörder? Die alte Bettlerin, die auf Knien rutscht und dich anfleht, dir ein paar Münzen zu überlassen: Eine listige Diebin? Der Bauernjunge, der mit mürrischer Miene seine Eltern auf dem Hof unterstützt: Bald schon ein Schänder der Tiere, die er eigentlich pflegen sollte? Möglich. Nicht, dass es in deine Verpflichtung fallen würde, über all diese Menschen zu urteilen, du wirst sie allenfalls richten, aber möglich wäre es dennoch…
Überall siehst du rollende Köpfe, brechende Glieder oder anders geartete Strafvollzüge für unterschiedliche Verbrechen. Es ist nicht so, dass du den Wunsch danach hegst, diese zu verüben, es bereitet dir auch keine Freude, jedoch ist es zu einem festen Bestandteil deines Lebens geworden, weswegen es dir schwerfällt, dich gedanklich davon zu trennen, Distanz zwischen deinem Beruf und deiner freien Zeit zu gewinnen.
Zu Hause angekommen erwartet dich bereits dein Weib in der Tür. Ein Mann sei gekommen, der eine ernstzunehmende Wunde aufwies. Sie hätte ihn notdürftig versorgt, wollte alles Weitere aber dir überlassen, was du mit einem knappen Nicken bestätigst und dann weiter hineintrittst.
Als Tochter einer anderen Scharfrichterfamilie, die jedoch nicht als solche ausgebildet wurde, war deiner besseren Hälfte kaum etwas anderes übrig geblieben, als in ähnliche Verhältnisse zu heiraten. Sie verdingt sich mehr oder weniger erfolgreich als Nuturheilkundlerin, überlässt die ernsthaften Fälle in der Regel aber dir.
Bei dem Patienten handelt es sich um einen eigentlich anständig gekleideten Mann mittleren Alters. Sonderlich erhaben sieht er jedoch nicht aus, so blass und zittrig. Außerdem sind seine Sachen von Blut getränkt und stellenweise reichlich demoliert. Sie weisen Risse und geplatzte Nähte auf. Der Mann erweckt den Eindruck, mit einem Bären gerungen zu haben.
Auf einen Blick siehst du, dass die schlimmste Verletzung auf seiner rechten Schulter ruht. Der Rest sind eher oberflächliche Kratzer und Schürfwunden, die bereits hinreichend gesäubert und behandelt worden sind.
Der Fremde erklärt, ohne danach gefragt worden zu sein, dass ein Hund ihn angefallen hätte. Was mit dem Tier passiert ist, fragst du, während du deine Utensilien zusammenklaubst. Er habe es geschafft, es mit einem Stein niederzuschlagen, noch bevor andere Leute kommen konnten, um ihm zu Hilfe zu eilen. Als er davongehumpelt ist, hat es sich nicht mehr geregt.
Innerlich machst du dir eine Notiz. Wenn das Tier wirklich tot ist, wirst du dich um den Kadaver kümmern müssen. Es kommt dir gerade recht, deine Vorräte an Hundefett werden langsam knapp.
Vor dir sitzt eine der reichsten Quellen für deine Finanzen: Örtliche Verletzte oder anderweitig leicht erkrankte, deren Versorgung du übernimmst. Aufgrund deiner Ausbildung und deiner steten Arbeit mit Menschen, die gefoltert oder gerichtet werden sollen, hast du umfassende Kenntnisse über die Anatomie des Körpers erlangt. Sie reichen vielleicht nicht an die eines studierten Arztes heran, sind häufig genug aber bereits umfassender als die eines Baders, weswegen nicht selten die Leute lieber zu dir kommen.
Da fällt dir ein, die letzte Klage der hiesigen Ärzte ist schon wieder eine ganze Weile her. Haben sie etwa aufgegeben? Wohl kaum, sicherlich werden sie schon sehr bald wieder vorstellig, um dich darüber zu unterrichten, dass du deine medizinischen Arbeiten einstellen oder zumindest stark einschränken sollst. Das würdest du sogar, wenn der Strom an solchen, die behandelt werden wollen und dafür an deine Tür klopfen jemals versiegen sollte. Bisher deutet jedoch nichts darauf hin, dass dies in näherer Zeit geschieht; ganz im Gegenteil, der Strom wird aufgrund positiver Mundpropaganda eher noch größer.
Bei der ärgsten Verletzung des Mannes handelt sich, wie erwartet um eine Bisswunde. Sie ist nicht tief genug und vor allem falsch positioniert, um lebensgefährlich zu sein, könnte sich allerdings entzünden und somit schnell zu einem kritischen Zustand des Opfers führen. Deswegen reinigst du sie noch einmal ausgiebig, auch wenn dies bereits erledigt worden ist und versorgst sie so weit, dass sie nicht wieder aufreißen sollte.
Du empfiehlst dem Patienten, den Arm zu schonen und rätst ihm, bei Anzeichen einer Verschlechterung schnellstmöglich wieder zu dir zu kommen. Damit schickst du ihn hinfort, nur um kurz nach ihm das Haus erneut zu verlassen und nach an der beschriebenen Stelle nach dem Kadaver Ausschau zu halten.
Tatsächlich findest du ihn unweit von deinem Haus entfernt in einer Seitengasse. Den Spuren nach zu urteilen, hat er sich nach dem Kampf noch einige Meter weiter geschleppt und ist dann verendet. Sein Schädel weist eine klaffende Wunde auf, durch die Teile von blankem Knochen zu erkennen sind. Einen blutigen Stein findest du zwar nicht, aber Hinweise darauf, dass es sich anders als von dem Mann beschrieben abgespielt hat, entdeckst du ebenso wenig. Nicht, dass es dich etwas angehen würde, wenn er gelogen hätte.
Der restliche Körper des Tieres macht keinen viel besseren Eindruck. Er ist abgemagert, wie die meisten Streuner und zeigt neben der Wunde, die ihn erlegt hat, noch diverse weitere offene Stellen. Vermutlich wäre er so oder so demnächst dahingerafft worden und sein Angriff hat nur ein letztes Aufbegehren gegen sein unausweichliches Schicksal dargestellt.
Dir soll es recht sein. Du nimmst dich seiner sterblichen Überreste an, um alles Verwertbare zu entnehmen und Produkte herzustellen, die unter anderem medizinischen Zwecken dienen, wie zum Beispiel Salben. Den restlichen Tag verbringst du mit der Verarbeitung, die dich bis zum Abend beschäftigt hält, vor allem auch, da die nicht verwertbaren Reste entsorgt werden müssen.
Als auf zum Abend hin deine Söhne nach Hause kommen, machst du dich auch schon wieder auf den Weg hinaus in die anbrechende Nacht, um noch ein oder zwei Stunden im nahegelegenen Wirtshaus zu verbringen, so wie fast jeden Tag.
Beim Betreten der Gaststäte beachtet man dich kaum. Die meisten regelmäßigen Wiederkehrer dieses Ortes, kennen auch deinen Rhythmus, sie haben sich an deine Präsenz gewöhnt, was nicht heißt, dass ihnen sonderlich wohl dabei ist. Die wenigen, die nur selten herkommen und dich womöglich noch nie gesehen haben, wissen spätestens dann, welcher Berufsklasse du angehörst, wenn du dich zu deinem angestammten Platz begibst.
Als Scharfrichter ist dir ein besonderer Platz vorbehalten, damit die anderen Gäste sich so wenig wie möglich von dem Mann gestört fühlen, der einen Nachbarn, Freund oder ein Familienmitglied einen Kopf kürzer gemacht hat. Gleiches gilt auch für die Kirche.
Diesem, aber auch anderen Umständen ist es zu verdanken, dass deine sozialen Kontakte sich auf ein Minimum begrenzen. Eigentlich hast du aktiv entweder nur mit deiner Familie oder mit anderen Beamten zu tun. Freunde im klassischen Sinn besitzt du nicht, lose Bekanntschaften entwickeln sich nur so lange, wie der- oder diejenige nicht weiß, wer oder was du bist.
Bekümmern tut dich das nicht. Auch wenn du die meiste Zeit gewissen- und leidenschaftslos Leben nimmst, möchtest du dir nicht vorstellen, wie es wäre eines Tages einen guten Bekannten auf deiner Bank festschnallen zu müssen, weil dieser sich nicht hat zusammenreißen können und eine Dummheit begehen musste.
Nein, dann lieber ein Leben in trauter Einsamkeit. Es ist schon so schwer genug, obgleich du nicht jeden Abend trinkst, um diese Bürde tragen zu können, sondern schlichtweg, weil du sonst nichts Besseres zu tun hast, weil es zur Gewohnheit geworden ist, ein Automatismus, so wie der Rest deines Lebens auch.
Also verbringst du ein oder vielleicht auch zwei Stunden – so genau weißt du das im Nachhinein nie – in dem Wirtshaus, ganz allein für dich und machst dich danach auf den Rückweg ins traute Heim. Der neue Tag voller Leichname, tierischer und auch menschlicher Natur wartet bereits am Horizont darauf, hervorzubrechen und das Land mit seinem brennend warmen Schein zu umarmen, der Verwesungsprozesse beschleunigt, körperliche Arbeit unerträglich macht und im krassen Kontrast zu der Finsternis der Welt steht.
Wieso geht die Sonne über einem Ort auf, der von Verbrechen gezeichnet ist? Wieso braucht es überhaupt einen Mann wie dich, der die Städte vom Unrat der Bevölkerung befreit? Wenn Sünde die Menschheit fest im Griff hält, warum dann nicht einfach alles niederbrennen?
Keine Fragen, die zu stellen du das Recht hast, Antworten auf sie zu finden oder sie zu fordern, erst recht nicht. Du bist nur ein Rad im Getriebe, dass sich unermüdlich dreht. Genau wie die Generation vor die und wie die nach dir. So war es immer, so wird es immer sein.
Einige Jahre wie alle anderen
Die Jahre vergingen und nichts änderte sich. Nun, das stimmte natürlich nicht ganz, eine Menge geschah und eine Menge änderte sich, doch nichts davon hatte für dich eine übergeordnete Bedeutung. Es gab Kriege, Revolutionen, Herrscherwechsel, vor allem aber Hinrichtungen und diese nicht zu knapp. Das Aufkommen war zeitweise so hoch, dass du kaum mit deinen weiteren Aufgaben hinterhergekommen bist, weswegen sich manch ein Patient, der auf deine Fähigkeiten vertraute, anderen Männern ihres Fachs zugewandt hat.
Ausgerechnet in dieser Zeit hat zudem einer deiner Söhne entschieden, einem schweren Fieber zu erliegen, dass ihn über mehrere Tage hinweg erst immer schwächer hat werden lassen, bis es ihm die kalte Hand des Todes reichte, die ihn endgültig mit sich hinab in den tiefen Schlaf zog, aus dem er nie mehr erwachte.
Der zweite Sohn hingegen, hat sich bereits vor über einem Jahr auf Wanderschaft begeben, um andernorts sein Können zu verfeinern, sein Wissen zu mehren und irgendwann seinen Meister zu machen. Tag für Tag wartest du auf seine Heimkehr, nicht etwa, weil er dir persönlich fehlt, sondern weil du seine Hilfskraft vermisst. Zwar wurden dir unter anderem aufgrund deines Verlustes andere Assistenten gestellt, doch erreichen diese bei Weitem nicht das Niveau deines Fleisch und Blutes, die du selbst für diese Arbeiten geschult hast.
Abgesehen von diesen einschneidenden Veränderungen, gleicht ein Tag dem anderen.
Morgens stehst du auf und nimmst das Mahl zu dir, dass deine Frau dir zubereitet hat, bevor sie sich ihrer eigenen Arbeit widmet. Danach verlässt du das Haus und machst dich in der Regel direkt auf den Weg zum Schafott, an dem ein Beamter sich bereits auf die kommenden Fälle vorbereitet. Was folgt ist ein nicht enden wollender Tag von ewig langen Urteilsverkündungen, die darin münden, dass eine Bank in Position gebracht und ein Kopf von seinem Träger getrennt wird. Die Gründe für ihre Hinrichtungen sind so mannigfaltig, dass du noch weniger Interesse an ihnen hegst als ohnehin schon.
Die Rehen vor dem Schafott sind fast jederzeit gefüllt. Die Menschenmassen bekommen nicht genug von rollenden Köpfen, den meisten dienen sie mittlerweile als netter Zeitvertreib, wenn sie sich eine Pause von ihrer eigenen Arbeit gönnen.
Trotz der astronomischen Zahlen führst du gedanklich weiterhin deine Liste, reihst penibel einen Strich an den anderen.
Wenn mal keine oder nur wenige Enthauptungen an der Tagesordnung stehen, findest du keineswegs Zeit, dich abwechslungsreicheren Bereichen deiner täglichen Routine zu widmen, da diese meist durch das Erlangen von Geständnissen durch Folter ersetzt werden, welche häufig in was enden? Richtig: Hinrichtung durch die Guillotine.
Diesem meisterhaften Gerät der Lebensauslöschung bist du zu ewigem Dank verpflichtet. Das Vergehen der Tage, Wochen und Monate hat seinen Tribut gefordert, dein Körper altert zusehends. Aufgaben die dir früher ein Leichtes waren, wie das Entfernen von Tierkadavern oder das Transportieren von Leichnamen, werden dir mehr und mehr zur Last.
Aus diesem Grund sind die vielen täglichen Enthauptungen ein zweischneidiges Schwert – ein Wortwitz, über den du nicht lachen kannst –, zum einen unterbinden sie, dass du dich mit weiteren, beschwerlichen Verpflichtungen plagen musst, zum anderen türmen sich die Leichen, deren Entsorgung auch erledigt werden will. Wenn du dir aber vorstellst, all diese Tötungen zusätzlich mit dem Schwert vollbringen zu müssen, wird dir ein wenig mulmig zumute. Gesegnet sei der Erfinder der Guillotine.
Nachdem das Beil einige Male heruntergesaust und wieder hoch gezogen worden ist und die unverdiente Sonne langsam am Horizont verschwindet, machst du dir erst gar nicht die Mühe nach Hause zu gehen, sondern kehrst direkt in deinem Wirtshaus ein, um von dort aus erst spät in der Nacht nach Hause zu kommen. Am nächsten Tag wiederholt sich dieser Ablauf auf beinahe identische Art. Genauso am darauffolgenden und am darauffolgendem und so immerfort.
Nun, zumindest fühlt es sich so für dich an, doch die Jahre ziehen weiter und Veränderungen halten erneut Einzug. Dein Sohn kehrt von seinen Wanderungen zurück, er ist an ihnen gewachsen und gereift, besteht seine Meisterprüfung mit Bravour und findet endlich wieder die Gelegenheit, dir bei deinen täglichen Arbeiten unter die Arme zu greifen. Das geht so weit, dass du ihm bald schon einen Großteil der schweren Arbeit überlässt und selbst zum Assistenten wirst.
Gleichwohl erlaubt es dir dieser Umstand dich wieder vermehrt deinen medizinischen Projekten zu widmen. Das Vertrauen deiner Patienten gewinnst du schnell zurück und dein geschundener Körper dankt dir die Entlastung.
Lange wärt diese allerdings nicht, da mit den Veränderungen auch die Zahl der Aufträge zu schwinden beginnt. Bald schon fühlt sich dein Sohn unterfordert, seine Anwesenheit wird kaum noch benötigt, er zieht immer häufiger weit hinaus, da seine Dienste andernorts benötigt werden, wodurch das örtliche Aufkommen wieder dir zufällt.
Da du dieses bei Weitem nicht mehr so schnell und effizient wie zuvor stemmen kannst, fällt dein Lohn entsprechend geringer aus, als du es gewohnt bist, während zeitgleich die Kosten kontinuierlich steigen. Ihr kommt nicht ernsthaft in die Bredouille, doch du erwischst dich häufiger dabei, dir Sorgen um die finanzielle Lage zu machen.
Im Nachhinein wirst du dich häufiger fragen, ob die folgenden Ereignisse ein Wink des Schicksals waren. Ist es die Art, wie du deinen Beruf durchführst, die dich qualifiziert hat? Trugen die gesellschaftlichen und historischen Umstände ihren Teil dazu bei? War am Ende alles nur ein einziger großer Zufall? Oder hat eine höhere Macht ein Urteil gesprochen, hat entschieden, dass ein Eingriff in die Geschicke der Welt erforderlich wird?
Allzu viel Gelegenheit über diese Dinge zu sinnieren, sollst du nicht bekommen. Zum einen bist du im Allgemeinen kein großer Denker, sondern nur ein ausführendes Objekt, ein Werkzeug und zum anderen… nun, weitreichende Veränderungen treffen eben manchmal selbst das kleinste aller Zahnräder.
Außergewöhnliche Tage
Es war ein Tag wie jeder andere, bis es zu einem Tag wurde, der nicht war, wie alle anderen.
Nach verrichteter Arbeit bist du einmal mehr an deinem Stammplatz eingekehrt. Von Jahr zu Jahr wird die Zeit, die du abends in dem Wirtshaus verbringst, länger. Gab es schon früher kaum einen Grund dein Leben zu Hause zu verbringen, findest du dieser Tage immer weniger Motivation dazu. Dein Geist und dein Körper kennen nur noch Arbeit. Das Zertrennen von Hälsen, das Wegkarren von leblosen Hüllen, das Versorgen oberflächlicher – und manchmal auch tiefergehender – Verletzungen, all diese Dinge nehmen dich vollständig ein.
Du bist nicht länger nur ein Teil der Maschine, der sich nach getaner Verpflichtung von ihr löst, sondern wirst voll und ganz von ihr eingenommen. Selbst wenn du nachts schläfst, träumst du von fallenden oder rollenden Häuptern, von Tod und Verwesung. Du riechst ihn förmlich, zu jeder Gelegenheit, als ob der Gestank des Grabes sich an dich gehaftet hätte.
Hier sitzt du also, an deinem Platz, du trinkst, du stierst vor dich hin, überall um dich herum siehst du nur Leichen. Noch mögen sie sich regen, noch mögen sie über die Erde wandeln, doch schon bald sind die Madenfutter. Auf die eine oder andere Weise holt es sie alle ein: das schwarzummantelte Gerippe; für manche von ihnen, wirst du dieses Knochengestell sein.
Am heutigen Tage jedoch ist etwas anders. Eine winzige Abweichung von der Routine, an die du dich so sehr gewöhnt hast, die dich zwar nicht glücklich macht, aber wenigstens nicht mit unangenehmen Überraschungen aufwartet.
Ob die folgende Erfahrung unangenehm wird oder nicht, kannst du noch nicht beurteilen. Allein dass ein Fremder auf dich zukommt und sich neben dich setzt, ist jedenfalls schon seltsam genug, so seltsam, dass es augenblicklich auch anderen Gästen auffällt, die sich teils irritiert, teils misstrauisch umdrehen, um das Geschehen zu beobachten. Für dich fühlt es sich an, als ob ein gutes Dutzend toter Augen sich auf dich richten, nicht mahnend oder anklagend, nur starrend, was die Empfindung fast noch schlimmer macht.
Der Fremde fackelt nicht lange, sondern kommt direkt zum Punkt. Er erklärt, dass er einen Auftrag für dich hätte, nennt dir eine exakte Wegbeschreibung, einen Tag und eine Zeit und macht gleich darauf Anstalten, gehen zu wollen.
Da du seit Ewigkeiten kaum mehr sprachliche Kommunikation pflegst, ist der erste Laut der über deine Lippen kommt, ein unartikulierter Ton, der als alles Mögliche interpretiert werden kann: Als ein Aufruf zum Bleiben, genauso gut aber auch als das gutturale Grölen eines Wahnsinnigen. Da die kalten Leichenaugen noch immer auf dir ruhen, fragst du dich zum ersten Mal in deinem Leben, ob du vielleicht wirklich dabei bist, den Verstand zu verlieren. Dass dich dieser Gedanke nicht im Geringsten beunruhigt, macht die Sache nicht besser.
Jedenfalls scheint dein angeblicher Auftraggeber dich trotzdem verstanden zu haben. Er verharrt mitten in der Bewegung, schaut sich nüchtern um und beugt sich dann zu dir rüber, wobei er so auffällig wie nur irgend möglich flüstert, dass dies nicht der rechte Ort für weitere Fragen sei. Du sollst einfach zu dem Termin erscheinen, dort würde man dir alles erklären, dann könntest du immer noch entscheiden zu gehen, aber du sollst ihm vertrauen, wenn er sagt, dass es sich für dich lohnen wird. Damit wendet er sich erneut ab und verschwindet in die tiefe Nacht hinaus.
Du sitzt noch eine Weile lang reglos da, blickst starr zu der Tür hin, durch die der mysteriöse Fremde entschwunden ist. Seiner Kleidung nach zu urteilen, schien er gut situiert zu sein, was wohl in direktem Zusammenhang zu seiner Aussage stand, dass es sich für dich „lohnen“ würde.
Du hast dich immer für einen ehrbaren Mann gehalten, der zwar nicht zwingend eine ehrbarer Arbeit ausübt, sondern schlichtweg seiner Berufung nachkommt, aus diesem Grund ist dir nicht ganz wohl bei der Sache. Ihr haftet etwas Verruchtes an, etwas Ungesetzliches. Andererseits wirst du nicht jünger und es schadet ja niemanden, sich das Angebot zumindest einmal anzuhören, oder?
Den restlichen Abend verbringst du damit, über diese Misere nachzudenken. Dass du dich mittlerweile selbst ohne deine Maske nicht mehr als Mensch bekennst, ist die eine Seite der Medaille, niemals jedoch wäre es dir in den Sinn gekommen, dich über das Gesetz zu stellen. Vermutlich liegt es daran, dass eine derartige Handlung in direktem Kontrast zu deinem Berufsweg stehen würde.
Du führst Urteile aus, du bist ein Werkzeug, kein Richter. Du entscheidest nicht über falsch oder richtig, diesen Teil der Justiz überlässt du anderen. Wenn du jetzt also aufgefordert wirst, etwas zu tun, dass von Rechtswegen her als falsch definiert wird, stellst du dich über die Ordnung, der du dich verschrieben hast, über die einzige Logik, die du bis dahin kanntest, die dein Leben bestimmt hat.
Erschreckenderweise überzeugt dieser Gedanke dich fast mehr, den Termin wahrzunehmen als ihn abzulehnen. Was hat dein bisheriges Leben dir bisher gebracht, außer Wahnvorstellungen? Vielleicht ist dieser kleine Ausrutscher genau das, was du brauchst, um wieder auf die rechte Bahn zu finden…
Rede dir das nur ein, flüstert eine leise, höhnische Stimme dir in deinem Inneren zu. Du bringst sie zum Schweigen. Plötzlich hast du es sehr eilig nach Hause zu kommen, etwas in dir ist angeregt worden, was dir einen kleinen Motivationsschub beschert, der hoffentlich bis zu dem Termin anhält, da die nächsten Tage sonst unsagbar anstrengend werden könnten.
—
Fortuna ist dir hold, denn die Zeit bis zu deinem Arrangement vergeht wie im Flug. Gleichsam geht dir deine Arbeit spielend leicht von der Hand. Die Guillotine, die über die Jahre schwergängig in der Bedienung geworden ist, verrichtet ihre Mechanismen tadellos und ohne Zicken zu machen – es gibt innerhalb dieser Tage allerdings auch nur einen Fall, bei dem sie zu bedienen ist, die Zahl der erforderlichen Hinrichtungen haben weiter rapide abgenommen. Die schwersten reglosen Körper, lassen sich mühelos wegschaffen und selbst die komplexesten medizinischen Fragen, lassen sich problemlos lösen.
Dann ist es endlich so weit. Ein Tag wie jeder andere, wird zu einem Tag, an dem du von deinem gewohnten Pfaden abweichst. Statt wie jeden Abend in das Wirtshaus zu gehen, folgst du der Wegbeschreibung, die der Fremde dir mitgeteilt hat. Sie führt dich zu einem gewöhnlichen Haus, dass sich kaum von den anderen unterscheidet.
Kurz fragst du dich, ob du dich verlaufen hast, doch dann öffnet sich auch schon die Tür, ohne dass du angeklopft hättest und der gleiche Mann von zuvor kommt zum Vorschein. Er grüßt nicht, sondern tritt nur beiseite, damit du eintreten kannst, was du sogleich tust.
Im Inneren herrschen gedämmte Lichtverhältnisse und eine Stille, die dir direkt unheimlich ist. Dennoch folgst du dem Fremden weiter in das Gebäude hinein, besser gesagt, die erstbeste Treppe hinab in den Keller. Damit gesellt sich zu der schummrigen, ruhigen Atmosphäre auch noch eine schauderhafte Kälte hinzu. Kurzzeitig überlegst du, die Beine in die Hand zu nehmen und rückwärts hinauszumarschieren, verwirfst den Gedanken jedoch gleich wieder. Noch hast du ja nicht erfahren, worum es hierbei geht.
Wenige Augenblicke später bekommst du eine ungefähre Ahnung davon. Du wirst in einen großen Raum geleitet, der spärlich ausgestattet ist. Ein einfacher Stuhl und dazu passender Tisch links von dir, sind alles was du an Mobiliar identifizieren kannst. Dann ist da noch diese eiserne Monstrosität am anderen Ende, von deren Art du noch nie eine gesehen hast.
Dein Führer bittet dich einen Moment zu warten, dein Auftraggeber würde sogleich eintreffen. Also wartet ihr, schweigend. Für gewöhnlich bereitet dir das keine Schwierigkeiten, immerhin verbringst du einen nicht zu verachtenden Teil deiner Lebenszeit mit Warten, bis du dann aktiv wirst, in diesem Fall jedoch, macht es dich nervös, weil du anders als sonst den Ausgang der Geduld nicht mit Sicherheit bestimmen kannst. Für gewöhnlich fällt dann ein schweres Beil, hier kannst du allerdings nichts dergleichen ausmachen.
Stattdessen steht da nur dieses Ungetüm, dessen Zweck sich dir nicht erschließt. Es ist größer und breiter als du, wenn auch nicht viel, was nichts zu bedeuten hat, da du schon immer ein recht stämmiger Kerl warst. Für einen normal großen Menschen muss das Ding ehrfurchtgebietend wirken. Die Front des Geräts ist gestaltet wie ein weiblicher Körper, mit vor der Brust verschränkten Armen und einem ernst dreinblickenden Gesicht. Dank deines mechanischen Verständnisses erkennst du schnell, dass sie sich durch die seitlichen Scharniere wie eine zweiflüglige Tür öffnen lässt, was den erschreckenden Vergleich mit einem Sarg zulässt.
Da das Foltern neben dem Richten ebenfalls zu deinem beruflichen Repertoire gehört, kennst du diverse Methoden Verbrecher zum Reden zu zwingen oder sie, in Ausnahmefällen im Verlaufe dieses Prozesses gar zu töten. Ausgeführt hast du jedoch nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, die dir bekannt sind. Häufig genug reicht es schon, ein paar Finger auszurenken – nur um diese nach dem Geständnis wieder einzurenken und je nach Schwere des Verbrechens, nach der Urteilsverkündung, ein paar Tage später abzutrennen, was den zweiten Teil dieser Ablaufs völlig überflüssig macht, aber dafür auch umso einschüchternder auf andere wirkt.
In jedem Fall ist es dir unmöglich, diese Apparatur zuzuordnen oder ihren Zweck zu bestimmen, solange du ihr Innenleben nicht erkundet hast. Noch bist du dir nicht im Klaren, ob du das überhaupt willst.
Die Entscheidung wird dir abgenommen, als Bewegung in den Keller gerät. Drei weitere Männer betreten den Raum, wodurch es doch langsam ein wenig eng wird. Die drei unterscheiden sich deutlich voneinander.
Einer, ein älterer Herr mit noch feinerer Kleidung als dein bisheriger Kontaktmann, begutachtet dich seit dem Eintreten mit prüfendem Blick. Der zweite, ein muskulöser Kerl, besitzt eine erschreckende Ähnlichkeit mit dir. Seine Augen sind ausdruckslos, ebenso wie seine Miene. Er ist eindeutig nur hier, um sein Geld damit zu verdienen, möglichst wenig Fragen zu stellen. Und dann wäre da noch Nummer drei, der von Nummer zwei unentwegt taxiert wird. Falls er planen sollte sich davonzuschleichen, wird er jedenfalls nicht weit kommen. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er sich in seiner Haut nicht wohl fühlt, aber wem ginge das schon so mit am Rücken gefesselten Händen und geknebelten Mund?
Der feine Herr teilt sich eine Eigenschaft mit dem ersten Fremden: Er hält nicht viel von langen Vorreden. Stattdessen fragt er dich direkt, ob du wüsstest, was du da vor dir siehst und wartet erst gar keine Antwort ab, sondern erklärt es dir sogleich.
Er bezeichnet das Gerät als neuartige Erfindung, es hieße eiserne Jungfrau und wäre noch relativ unbekannt unter Scharfrichtern. Die Funktionsweise sei denkbar simpel, führt er weiter aus: Die Flügel der vorderen Front lassen sich durch einen Mechanismus öffnen. Auf der Innenseite erwarten einen dann eine Reihe von Spitzen oder Nägeln, die dazu gedacht sind, das Opfer beim Schließen aufzuspießen.
Allein bei dieser Ausführung bemerkst du, wie der Gefangene große Augen bekommt, zu schwitzen beginnt und blass im Gesicht wird. Gleichzeitig wird dir bewusst, dass diese Präsentation nicht allein dir zur Erklärung dient, sondern gerade dazu gedacht ist, den Dritten im Bund, gleich von Anfang an in Angst und Schrecken zu versetzen. Eine klassische Methode, die du selbst schon häufig bei Verhören benutzt hast: Allein das Erklären der Funktionsweise eines Geräts, sorgt nicht selten dafür, dass sie zu reden beginnen. Nur, dass dieser hier mit dem Knebel nicht reden kann und dergleichen von ihm wohl auch nicht erwartet wird.
Nach einer kurzen Kunstpause führt der Alte weiter aus, dass es sich bei seinem Exemplar, um eine Sonderanfertigung handle. Sie sei nach einer gewissen Apega nachempfunden, einem Jahrhunderte altem Vorgängermodell, dem nachgesagt wird, seine Nägel wären nicht lang genug gewesen, das Opfer direkt zu töten, sehr wohl aber es schwer genug zu verletzen, damit es langsam verblutete.
Die Farbe weicht nun restlos aus dem Gesicht des Gefangenen. Er macht den Eindruck jeden Moment einzuknicken, hält sich aber noch aufrecht.
Der Redner unternimmt den Versuch, ihn zu beruhigen, in dem er erklärt, dass sein Modell keineswegs zum Töten gedacht sei, weder schnell noch langsam. Um zu demonstrieren, was er damit meint, tritt er an die eiserne Jungfrau heran und betätigt einen Mechanismus auf ihrer Rückseite, wodurch die Front sich schwungvoll öffnet. Sogleich erkennst du, was er meint.
Unzählige Nägel reihen sich im Inneren aneinander, jedoch ist keiner davon lang genug, um ein Opfer beim Schließen direkt zu berühren – sofern dieses, schlank genug ist. Es wäre also möglich, in dem Gerät zu stehen, ohne verletzt zu werden. Eine falsche Regung jedoch und…
Du bekommst nicht die Gelegenheit, dir die Bilder, die auf dich einströmen, näher anzusehen, da der Edelmann Feuer gefangen hat und darauf zu brennen scheint, die nächsten Schritte kundzutun.
Es ist ganz einfach, meint er, der Delinquent habe vor seinem Transport hierher gut gespeist und getrunken. Für Verfehlungen, die hier nicht weiter ausgeführt werden wollen, solle er in die eiserne Jungfrau gesteckt werden und ganze drei Tage darin verharren. Wenn er am Ende dieser Frist noch lebe, wäre er frei. Deine Aufgabe soll es hierbei sein, in dieser Zeit bei ihm zu bleiben. Man würde dir genügend Vorräte stellen und bezahlt werden würdest du in jedem Fall, ganz gleich, wie die Sache ausging.
Bevor du zu- oder absagst, kommen dir direkt zwei Fragen in den Sinn. Zum einen, wie hoch die Bezahlung ausfällt – eine Frage, die du trocken und ohne groß drum herumzureden stellst – und zum anderen, was mit deiner Gattin sei, die sich sicher über dein Fernbleiben wundern würde.
Die zweite Frage beantwortet man dir zuerst: Sie würde von einem Boten über deinen Verbleib unterrichtet und was den finanziellen Aspekt anbelangt, nennt man dir ebenso nüchtern eine Summe, die dich kurzzeitig ins Taumeln bringt. Stattlich ist das erste Wort, dass dir dazu in den Sinn kommt. Unangemessen, das zweite. Für das bloße Rumsitzen und Beobachten, ist der Betrag viel zu hoch, da muss mehr dahinterstecken.
Entgegen deiner gesunden Zweifel, handelt dein Körper, wie all die Jahre zuvor, vollkommen automatisch. Er ringt dir ein Nicken ab, mit dem der Vertrag besiegelt wird.
Du hast soeben deine Prinzipien mit Füßen getreten. Mit Argumenten, dass du nicht wirklich das Ausführende Werkzeug seist, kannst du dich kaum selbst von deiner Unschuld überzeugen, denn im Zweifel leistest du immer noch Beihilfe zum Mord.
Mord, ein solch schweres Wort, dass sich schal auf deiner Zunge anfühlt. Du hast in deinem ganzen Leben noch nicht gemordet, nur Leben im Auftrag der Justiz genommen, nur als Teil der Maschine gedient, nicht aber selbst diese bedient. Nun lenkst du selbst, gibst den Weg vor, entscheidest über Recht und Unrecht, über Leben und Tod. Es fühlt sich falsch an, doch die Verlockung der finanziellen Unabhängigkeit ist einfach zu groß.
Dein Auftraggeber meint, dass damit ja alles geklärt wäre. Er bedeutet dem zweiten Mann, die Fesseln des Gefangenen zu lösen und ihm den Knebel zu nehmen. Wenn dieser vorhabe zu schreien oder sonst etwas Dummes anzustellen, würde man ihn geradewegs in die Jungfrau werfen, er solle es sich also gut überlegen.
Du erkennst, dass der Mann viel zu viel Angst hat, um irgendetwas anzustellen. Er ist gelähmt, sein Geist vor Schock förmlich benebelt. Dass man ihm die Fesseln nimmt, scheint er nicht einmal richtig zu registrieren.
Als ihm zusätzlich die Kleider vom Leib gerissen werden, beginnt er dann aber doch langsam zu begreifen, in welch missliche Lage er da geraten war. Schwach unternimmt er ein paar Versuche sich zu wehren, was aussichtlos ist, da er gegen die gewaltige Statur seines Peinigers nichts auszurichten vermag. Am Ende ergibt er sich gar in sein Schicksal und entkleidet sich selbst vollständig, wonach er mit gesenktem Haupt, am ganzen Leibe zitternd, nur noch versucht seine Scham zu bedecken. Die Demütigung stellt den ersten Teil der Folter dar.
Man bedeutet ihm in die eiserne Jungfrau zu steigen, er regt sich nicht. Ein kleiner Schubser, der ihn bedrohlich nah an die Nägel bringt, überzeugt ihn davon doch lieber selbst hineinzusteigen. Mit dem Rücken ist er nah genug an den Spitzen, dass diese bereits sehnsüchtig seine nackte Haut kitzeln. Er fürchtet wohl, beim Schließen der Front, zu nah an dieser zu stehen und direkt verletzt zu werden.
Dir wird nun aufgetragen, zum rückwärtigen Teil der Gerätschaft zu kommen. Im Vorbeigehen wirfst du einen letzten Blick auf das Gesicht des Mannes, er ist völlig aufgelöst, den Tränen nah. Vermutlich wird er nicht einmal die erste Stunde überleben. Du empfindest einen Funken Reue, der so schnell erlischt, wie er aufglimmt. Sicherlich, wird er es verdient haben, warum sonst sollte ihm eine solche Behandlung zuteilwerden? Was unterscheidet ihn, von den hunderten Menschen, die du zuvor gerichtet hast? Nichts, außer dem Umstand, dass das Urteil von einer anderen Partei gesprochen worden ist. Außerdem hat er im Gegensatz zu deinen bisherigen Opfern, immerhin noch die Möglichkeit lebend aus der Sache rauszukommen. Er muss nur lange genug durchhalten.
Auf der anderen Seite angelangt, erkennst du, dass sich hier ein kleiner Hebel befindet, den zu betätigen dazu führt, dass die Flügel sich wieder schließen. Eine Aufgabe, die dir nun übertragen wird, womit du mit dem Tod des Mannes schlussendlich doch, direkt in Verbindung stehst. Statt nur zuzusehen, wirst du aktiv daran teilnehmen, ihm sein Leben streitig zu machen.
Du tust es, ohne zu zögern.
Beinahe geräuschlos schließt die Jungfrau sich, nur ganz am Ende gibt es einen leisen Rumms. Jetzt ist es amtlich, die Vollstreckung hat begonnen.
Die verbleibenden drei Personen machen sich sogleich daran, den Keller zu verlassen. Lediglich der Auftraggeber dreht sich noch einmal zu dir um, um dir zu erklären, dass, solltest du auf die Idee kommen, den Delinquenten vor Ablauf seiner Frist freizulassen, du an seiner statt die vollen drei Tage wirst darin verbringen müssen. Die Botschaft ist eindeutig, du nimmst sie ohne eine erkennbare Regung hin.
Nachdem die drei das Haus verlassen haben und endlose Stille in die Räumlichkeiten einkehrt, fällt dir auf, dass dir eine Kiste dagelassen und in der einen Ecke des Raums abgestellt worden ist. Nach kurzer Inspektion stellst du fest, dass sich darin ein großer Krug mit Wasser befindet, so wie einiges an Lebensmitteln. Genug Vorräte, um bequem drei Tage damit auszukommen, mehr, wenn es nötig wäre.
Statt dich an ihnen gütig zu tun, lässt du sie erst einmal stehen und begibst dich stattdessen zu dem Stuhl, auf den du dich gleich darauf setzt. Drei Tage hier unten hocken und warten, wird dir wie eine Ewigkeit vorkommen, das weißt du jetzt schon, aber am Ende wird es sich gelohnt haben.
Schon kurze Zeit nach dem Verschwinden der Drei, vernimmst du ein leises Schluchzen. Es kommt aus der eisernen Jungfrau und wird durch ihr metallenes Gehäuse und den Widerhall noch verstärkt. Es klingt grässlich, ist aber trotzdem dazu fähig, dich langsam in den Schlaf zu wiegen. Müde bist du ohnehin, weswegen es nicht lange braucht, bis du in der gnädigen Dunkelheit der Träume versinkst.
Tage des Wartens
Als du am nächsten Morgen erwachst – sofern es wirklich morgens ist, so genau kannst du das hier unten nicht sagen –, ist die erste Frage, die dir durch den Kopf schießt, was du unternehmen sollst, wenn der Gefangene vor Ablauf der Frist das Zeitliche segnet.
Gar nichts, vermutlich. Die Drei oder ausgewählte Personen von ihnen, werden nach dem dritten Tag erneut im Keller eintreffen, um sich das Ergebnis anzusehen. Wenn ihr Opfer bereits zwei Tage zuvor gestorben ist, hat er seine gerechte Strafe eben erhalten.
Ob diese vielleicht sogar schon erfolgt ist, während du geschlafen hast? Nein, dass glaubst du nicht, besser gesagt, du bist dir ziemlich sicher, dass in diesem Fall Blut durch die unteren Ritzen der Jungfrau treten würde und du schon viel früher geplagten Schreien aus deinem Schlaf gerissen worden wärst.
Automatisch beginnst du dir vorzustellen, wie es wohl ist, in diesem eisernen Gefängnis zu stecken. Stocksteif stehen zu müssen, stundenlang, während die Glieder anfangen zu schmerzen, Hunger, Durst und Müdigkeit einen einholen und die stete Angst vor einer falschen Bewegung oder einem unkontrollierten Zucken, einen in den Wahnsinn treibt.
Die erste Stunde kann man es vermutlich noch ertragen. Klar, da ist die Angst, die klaustrophobische Enge, die Dunkelheit, die Ungewissheit wo die drohenden Dornen beginnen, aber auch der feste Glaube daran, es schon irgendwie zu schaffen.
Dann kommt irgendwann der Bewegungsdrang. Die Beine, die langsam taub werden, der Rücken, der zu schmerzen beginnt oder ganz banal, die Nase, die juckt und die man kratzen möchte. Vielleicht kommt es sogar zu einem unbedachten Heben des Armes, der darin mündet, dass einem ein fieser Stich durch den Handrücken fährt. Das Herz pocht laut und schnell aufgrund dieses Fehlers, der einem leicht das Leben hätte kosten können.
Denn es ist doch so: Auf Aktion folgt immer Reaktion. Sticht das Opfer sich die Hand, will es womöglich automatisch mit der anderen nach einer Verletzung abtasten, wodurch ein erneuter Schmerz es zusammenzucken lässt. Hierbei gelangt womöglich ein Knie oder das nackte Gesäß in eine Spitze, was noch intensivere Schmerzen und noch unkontrolliertere Bewegungen zur Folge hat, bis es sich in einem irren Tanz aus Sticheleien wieder findet, der es so sehr peinigt, dass es schon nicht mehr in der Lage ist nachzuvollziehen, woher denn nun die Qualen kommen und darin endet, dass es vollends einen falschen Schritt macht, der ihm einen oder mehrere Dornen durch die Brust oder das Auge jagen. Schlimmstenfalls sticht es sich die Sehorgane dabei nur an, ohne das Hirn zu durchdringen und stirbt deswegen langsam und qualvoll durch Verbluten aufgrund der unzähligen Wunden.
Dir läuft es kalt den Rücken runter. Du hast schon so manche Gräueltat am Menschen begangen, dabei jedoch immer versucht so präzise und effizient wie möglich zu sein. Nicht aus Mitgefühl, sondern zur Erfüllung der Quote zwar, aber dennoch. Unnötig grausame Folter, die nur der Mehrung der Schmerzen, nicht aber einem übergeordneten Zweck dient, war dir schon immer zuwider gewesen.
Um auf andere Gedanken zu kommen, stehst du auf und gehst zu deiner Kiste herüber. Ein Becher Wasser und Stück Brot, werden dich hoffentlich lange genug auf Trab halten, um die schrecklichen Bilder eine Weile lang zu vertreiben.
Du solltest dich irren. Das Genießen deines Mahls, macht es nur schlimmer, da du dir dadurch darüber bewusst wirst, wie gering die Chancen stehen, dass das Opfer überlebt. Wenn nicht aufgrund einer hektischen Bewegung, dann weil entweder Durst und Hunger oder zuvor der Schlafmangel, ihn in die Knie zwingen. Sprichwörtlich. Und diese werden dann sogleich von zwei Spitzen begrüßt, die nur darauf warten sich durch Haut, Sehnen, Muskeln und zwischen Knochen zu bohren.
Auf einmal ist dir der Appetit vergangen, weswegen du das Brot wieder zurücklegst, das Wasser jedoch bei dir behältst, was die zusätzliche Folter in dem stillen Raum ein wenig mindert, da deine mahlenden Kiefer oder das Plätschern fließenden Wassers, die Situation des Gefangenen wohl nur noch unerträglicher macht.
Den restlichen Tag sitzt du die meiste Zeit nur da, starrst die eiserne Jungfrau an und gehst den Bildern nach, die dich ja doch nicht in Frieden lassen. Irgendwann überkommt dich die Müdigkeit und du verbringst einige Stunden zwischen Schlaf und Wachsein, was die albtraumhaften Visionen nur noch verschlimmert und sie mit anderen vermengt.
Du träumst von herabfallenden Schädeln, von Gesichtern, die sich dir zuwenden und dir ein letztes Mal zublinzeln, von Torsos, die kopflos durch die Straßen wandeln, von leichenhaften leeren Fratzen, die in Wirtshäusern sitzen und ihr Bier in vertrocknete Kehlen gießen.
Irgendwann, mitten in der Nacht schreckst du hoch. Du bist schweißgebadet, dein Atem geht sockend, dein Herz pocht wild. Dir steigt ein fauliger Geruch in die Nase. Im Dämmerlicht siehst du dank deines überreizten Geistes, eine riesenhafte Horrorgestalt vor dir stehen, die anklagend auf dich herabblickt. Erst mit Verzögerung registrierst du, dass es sich dabei um die Jungfrau handelt, die keineswegs anklagt, sondern mit starrem, eisenharten Blick in die Ferne schaut, zu einem Ort hin, den allein sie sehen kann. Womöglich zum Reich der Toten.
Weiterhin erkennst du jetzt, da du langsam etwas klarer wirst, dass es sich bei dem Geruch um Fäkalien handelt. Der Gefangene hat sich erleichtern müssen. Ein Umstand, den du bisher nicht bedacht hast. Jetzt steht er in seinem eigenen Unrat und muss achtgeben, aufgrund dessen nicht auszurutschen.
Obgleich du einen nagenden Hunger spürst und einen sehnsüchtigen Blick auf deine Vorratskiste wirfst, entscheidest du dich dagegen. Stattdessen bleibst du noch eine Weile lang sitzen, versuchst zur Ruhe zu kommen.
Irgendwann erträgst du es allerdings nicht mehr, das ständige Sitzen schmerzt in deinen Gliedern, vor allem da der Stuhl alles andere als bequem ist. Nicht, dass du Grund hättest dich zu beklagen, immerhin stehst du nicht in einer Todesfalle, die es dir nicht erlaubt, mal eben ein paar Schritte zu gehen, um die tauben Exkremente wiederzubeleben.
Genau das machst du jetzt, läufst ein paar Mal auf und ab, was für eine Wohltat! Doch die Geräusche deiner Schritte, die von den Wänden widerhallen, machen dich schon bald nervös, weil sie die einzige Klangkulisse sind, die die Stille durchdringt und weil sie dir überdies bewusst machen, wie sehr es deinen Gefangenen wieder zusätzlich foltern muss, zu wissen, dass du dich frei bewegen kannst, während er stillstehen muss. Also setzt du dich bald wieder hin, leidest wenigstens ansatzweise mit dem Mann mit und wartest.
Der eiserne Vorhang
Die Stunden vergehen und nichts geschieht. Die Stunden vergehen und du driftest immer häufiger ab, in einen Zustand irgendwo zwischen Visionen einer höllischen Dimension und dem Albtraum, in dem du tatsächlich gefangen bist.
Es sind keine Schuldgefühle, die dich plagen, sondern das Gefühl, selbst ein Gefangener zu sein. Du kannst nicht weg, da du nicht weißt, ob das Haus beobachtet wird. Dir bleibt nur hier zu sitzen und zu warten und darauf zu warten, dass der Delinquent endlich stirbt und dann noch länger zu warten.
Es sind keine Stunden, die vergehen, sondern Minuten und diese ziehen sich ewig in die Länge, so dass das Vergehen einer einzelnen Sekunde bereits eine Woche zu dauern scheint. Du verlierst vollständig dein Zeitgefühl, hast keine Ahnung, ob es noch Tag eins oder schon zwei oder dreihundert oder ob das Jüngste Gericht bereits über die Welt gekommen ist und es nur deinen kleinen Kellerraum noch nicht erreicht hat.
Und immerzu siehst du sie: Die Leichen. Wie sich türmen, wie sie umherwandeln, wie sie dich aus leeren Augenhöhlen anstarren, wie sie brennen, wie sie ausgeweidet werden, wie ihr Fett verarbeitet wird, wie Klingen ihnen durch Mark und Bein fahren, wie ihre Knochen brechen, sie verwesen, sie baumeln und die Pestilenz über die Länder bringen. Eine Heerschar von ihnen umringt dich, sie heben ihre grotesken, verformten und vermoderten Arme, sie zeigen auf dich, anklagend, und sie zerfallen, zerfallen in ihre Einzelteile. Augäpfel kullern aus den Schädeln, Haut löst sich von Fleisch, Muskeln faulen von ihren Knochen und bleiche, grinsende Grimassen verhöhnen dich, lachen über dich, ehe die Köpfe reihum herabfallen und in einem endlosen Getöse auf den Boden prallen. Es sind viele, so unendlich viele. Du befindest dich in ihrem Zentrum und wirst unter ihrer Last begraben.
Mittlerweile bist du dir nicht mehr sicher, ob du wach bist oder schläfst. Es spielt auch keine Rolle, da du sie überall um dich herum erblickst. Am schlimmsten jedoch wiegt sie. Wie sie über ihnen allen thront, in die endlose Weite schaut, als ob das Alles sie nichts angehen würde und doch spürst du nur zu genau, dass ihr Blick dich und nur dich allein durchbohrt.
Irgendwann, du befindest dich gerade in einem besonders schrecklichen Albtraum, hörst du Schritte. Mehrere paar Stiefel, die schnell näher kommen. Augenblicklich springst du von deinem Stuhl hoch, der polternd zu Boden geht, stürmst rückwärts zum anderen Ende des Raumes und erstarrst als du kalten Stahl in deinem Rücken spürst.
Sie ist direkt hinter dir. Gleich wird sie ihre Arme öffnen, um dich in Empfang zu nehmen, dich in ihre liebevolle Umarmung schließen und langsam das Leben aus dir herausquetschen. Vorher jedoch wirst du noch einen letzten Blick auf die Leichen erhaschen, die soeben in einer infernalischen Armee die Treppe hinabsteigen.
Als du den ersten von ihnen erblickst, schließt du hastig die Augen. Du willst sie nicht sehen müssen, es reicht, du hast genug.
Eine laute Stimme erfüllt den Raum und verlangt zu erfahren, was hier los sei. Du kannst sie wage zuordnen, öffnest vorsichtig blinzelnd deine Augen und erkennst, dass der Albtraum endlich eine Ende hat. Da steht er, dein Auftraggeber und betrachtet dich skeptisch.
Plötzlich wird dir alles wieder klar, du weißt wieder, wo du bist und vor allem, weswegen du hier bist. Du fühlst dich fiebrig, ausgelaugt und fragst dich, wann du zuletzt einen Schluck Wasser zu dir genommen hast. Egal, es ist vorbei, dass ist alles was zählt.
Der Alte ist in Begleitung seiner beiden Kameraden von vor drei Tagen. Er verlangt, dass du die eiserne Jungfrau öffnest. Du kommst dem ohne Erwiderung nach.
Als die Flügel aufschwingen und gleich darauf ein Poltern zu hören ist, wird dir klar, dass er es wohl nicht geschafft hat. Nicht, dass es dich überraschen würde. So eine Tortur hätte niemand überleben können.
Umso mehr irritiert dich das leise Zischen des Edelmanns und sein erstaunter, nein, fassungsloser Blick. Er fragt, wie das sein kann, ehe er sein Haupt hebt und dich fixiert. Du! Du hast ihm geholfen, du sollst es zugeben, sollst gestehen, dass du ihn zwischenzeitig freigelassen, Wasser und zu Essen gegeben hast.
Du begreifst überhaupt nichts, bis du vortrittst und das Opfer betrachtest. Es lebt und nicht nur dass, es ist auch noch vollkommen unverletzt, zumindest wenn man davon absieht, dass Dehydration und Schlafmangel deutlich ihren Tribut gefordert haben. Auf Knien hockt der junge Mann da, er atmet schwer, schaut aus leeren Augen auf den Boden herab, scheint noch nicht zu begreifen, dass er es geschafft hat, dass er frei ist und weiterleben darf.
Unfähig etwas zu sagen, kannst du ihn nur anstarren. Du versuchst zu begreifen, wie es sein kann, dass er so lange durchgehalten hat. Indes teilt der Fremde, dem du zuerst begegnet bist, dem Auftraggeber mit, dass es nicht sein kann, dass der Scharfrichter dem Delinquenten geholfen hätte: Die Nahrungsvorräte wären kaum angerührt worden.
Wie um diese Aussage zu unterstreichen, kommt plötzlich ein Lachen aus dem Mund des Überlebenden. Ein trockenes, schrecklich klingendes Lachen des Triumphs. Gewonnen, krächzt er, er habe gewonnen und sei nun frei. Der Groschen ist also doch noch gefallen.
Das Gesicht des Alten verzieht sich zu einer Maske des Zorns. Er wendet sich dem Stämmigen zu, der den Wink sofort versteht, sich an den Gürtel fasst und ein Messer hervorholt, mit dem er nun auf das Opfer zugeht, sich über im positioniert, mit der einen Hand seine Haare packt, sein Haupt emporzieht, so dass er dazu gezwungen wird ein letztes Mal in das Gesicht des Edelmanns zu blicken, ehe ihm mit einem Zug die Kehle durchgeschnitten wird und er jämmerlich in seinem eigenen Blut ertrinkt.
Ohne einzugreifen oder auch nur ein Anzeichen davon zu zeigen, hast du diesem Schauspiel beigewohnt, bist vom Ausführenden selbst zum Schaulustigen geworden, der vor dem Schafott steht und gebannt auf das große Finale wartet.
Es herrscht einen Moment lang Stille und Regungslosigkeit. Nur das Blut des Toten breitet sich langsam über dem Boden aus. Dann, ohne Vorwarnung wird dir ein schwerer Beutel gereicht. Automatisch nimmst du ihn, schaust nicht einmal hin, wer ihn dir übergibt. Er ist schwer, das Leben eines Mannes in Gold aufgewogen. Dir wird erklärt, dass man hier fertig sei und deine Dienste nicht länger gefordert werden.
Du nickst, gehst aus dem Keller raus, die Treppe hoch, wirfst keinen Blick zurück.
Zu Hause angekommen wirfst du den Beutel voll Geld achtlos auf einen Tisch, beantwortest keine einzige der Fragen deiner Frau, wo du gewesen wärst und was für einen Auftrag du durchgeführt hast, der eine solche Entlohnung nach sich zöge. Du gehst einfach nur ins Bett und schläfst die nächsten Stunden traumlos durch.
Der nächste Morgen, du brichst nicht zur Arbeit auf, sondern ziehst ziellos durch die Stadt. Um dich herum wandern Leichen auf ihren unbestimmten Pfaden entlang. Sie wissen es vielleicht nicht, aber sie haben ebenso wenig ein Ziel wie du. Nicht einmal der Tod, hält eine Haltestelle für sie bereit, er ist nur eine Zwischenstation, ein Übergang, was danach folgt ist die gleiche, endlose Monotonie, die schon das Leben für sie bereitgehalten hat.
Tag ein Tag aus das gleiche Spiel, es gibt keine Veränderung, nur eine Konstante, ein ewiger Weg, ein unendliches Verharren in einer Position, während eiserne Umhänge einen einengen und jeden Versuch aus ihnen auszubrechen hart bestrafen.
Am Abend gehst du nicht ins Wirtshaus, nicht auf deinen angestammten Platz. Er hält nichts mehr für dich bereit, außer einem faden Beigeschmack von Verwesung. Totes Fleisch, dass in der Sonne liegt und von Vögeln umkreist wird, sich seinem Schicksal aber nicht ergeben will und sich deswegen doch noch weiter den ausweglosen Pfad entlangschleppt.
Du hast genug davon, du willst dich selbst nicht mehr tragen und auch nicht ertragen. Die Leichen, so erkennst du, sind nicht nur die anderen, sondern allen voran du selbst. Du bist schon lange tot, warst nur nie bereit es dir einzugestehen. Es wird Zeit von der Bühne zu treten, den Vorhang zu schließen.
Die Maschine, der Automatismus, hat dich zu deiner persönlichen Haltestelle geführt, zu deinem Abstellgleis. Es ist das Haus, der Keller, die eiserne Dame. Du hast ein Seil dabei, nur keine Ahnung, woher du es genommen hast. Es ist dir dienlich, eine Konstruktion zu flechten, die es dir erlaubt, den Vorhang selbst zuzuziehen.
Als die Arme der gnädigen Dame, die sich für nichts und niemanden interessiert, um dich schließen und mit einem letzten Rumms sämtliche Geräusche sowie alles Licht verschlucken, fühlst du dich geborgen, fast schon friedlich. Wie ein Kind, dass von seiner Mutter in den Schlaf gewiegt wird, lässt du dich einfach fallen. Hinab in die Dunkelheit.
Ein letztes Aufbegehren, ein letzter Schrei, kreischende Schmerzen und dann: Nichts.
Dein Weg ist zu Ende.
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