MittelMord

Kunst

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Wofür arbeitet ein Künstler?
Für seine Zuschauer, Anhänger und Bewunderer? Nein!
Für das Geld, was er für Gemälde, Konzerte und Stücke bekommt? Nein!
Für Ruhm, Anerkennung, Bewunderung? Nein! Nein! NEIN!
Wofür arbeitet er dann? Für Perfektion! Um seine Arbeiten zu perfektionieren!
Um besser zu werden und besser zu sein! Perfektion! Perfektion! PERFEKTION!

Ich laufe abends durch den prasselnden Regen. Die Straße ist leer, und unter
meinem Regenschirm bin ich das einzige Lebewesen, was die dunkle Straße belebt.
Die Lichter der Reklametafeln blinken hell und beleuchten schwächlich die
Gasse. Ich pfeife vor mich hin, während die Enden meiner Hosenbeine vom Wasser
auf dem Asphalt nass werden. Der Regen wird stärker. Als ich in einem
überdachten Türeingang stehen bleibe und aufhöre zu pfeifen, bemerke ich etwas:
Die Musik geht weiter. Ich horche auf, als sich mein starrer Blick vom fallenden Regen löst und ich aus meinen Gedanken gerissen werde. Hinter meinem
Rücken dringt diese Musik an mein Ohr. Verwundert wende ich mich zu der Stahltür, aus dessen Ritzen die Töne entweichen. Schaurig schöne Melodien
erklingen im nächtlichen Regen. Stumm vor Begeisterung drücke ich gegen die Tür,
und verwundert und ungläubig trete ich ein, als sie nachgibt und sich öffnet.
Ich stehe in einem dunklen Korridor, der von einer einsamen Lampe an der Seite beleuchtet wird. Die Musik wird lauter. Neugierig gehe ich den Flur entlang,
auf den Ausgang zu… hin zu dieser Musik. Sie zieht mich an.

Ich erreiche einen helleren Raum. Das Holzparkett klackert bei jedem Schritt. Eine Seite des Raumes ist dunkel.  So schwarz, dass man
die Wand kaum erkennt. Das Licht ist hier zwar etwas stärker, doch nur in der
Mitte des Raumes. Die anderen Wände sind auch nur leicht zu erkennen. Sie sind
grau und voll mit seltsamen Gemälden. Mit ungewöhnlich viel roter Farbe hat
jemand hier Augen, Nasen, Münder und andere Körperteile gemalt. In der Mitte
des Raumes stehen mehrere Staffeleien in einem Halbkreis. Hinter ihnen ertönen
die Töne, die in meinem Ohr zu einer geisterhaften Melodie verschmelzen und mir
durch ihre Schönheit einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Vorsichtig,
fast ängstlich, trete ich im Dämmerlicht auf die Wand aus Staffeleien zu. Ein
Mann sitzt dahinter: klein, gebeugt, alt und in seine Musik vertieft. Seine
Augen sind geschlossen und Falten liegen in seiner Stirn. Seine Haare sind
lang, doch verlieren sie bereits ihre Farbe. Er hält eine Geige in der einen
Hand, in der anderen einen Bogen. Beide sehen seltsam aus. Nicht holzfarben,
sondern weiß. Die Form der Violine ist unüblich. Sie sieht aus, als wäre sie
aus vielen unförmigen Stücken zusammen geleimt worden. Der Künstler spielt
weiter. Offenbar hat er mich nicht bemerkt. Kein Wunder: Auf sein musikalisches
Spiel konzentriert und ganz in den Noten versunken, die auf dem Notenständer
vor ihm liegen, sitzt er auf seinem Stuhl und spielt. Die Staffeleien kreisen
ihn ein. Wie ein Raum in einem Raum, in dem seine Kunst
fließt und seine Inspiration Werke schafft.

„Entschuldigung… ich… ich habe ihre Musik gehört“, beginne ich ruhig, „draußen
auf der Straße. Es regnet und mir gefiel ihre Musik so gut, dass ich dachte,
ich trete kurz ein.“ Ein letzter hoher Ton erklingt und wird ausgehalten. Mit
einer beendenden Geste schließt er sein Stück ab. Er öffnet seine Augen. Sie
sind eisblau und haben etwas Durchdringendes. „Ein Fremder…“ Seine Stimme ist
kratzig und klingt wie ein steinernes Tor einer Gruft, welches sich langsam
öffnet. „Ich hab die Musik gehört und draußen regnet es und da dachte ich, dass
ich vielleicht hier drinnen etwas hören könnte.“ wiederhole ich. „Sind sie
hereingekommen, weil es regnet, oder…“, er macht eine kurze Pause, „hat sie die
Musik hergeführt?“ Sein alter Mund verzieht sich zu einem Lächeln. Ein
wissendes Lächeln, so als kenne er bereits die Antwort. Ich denke kurz nach,
doch eigentlich ist mir klar, dass er Recht hat. „Es… war die Musik.“, gebe ich
verblüfft zu. „Perfekt. Dann heiße ich sie Willkommen“ erwidert er freundlich
und erhebt den alten Körper von seinem Stuhl. Es wirkt, als würde sich ein
künstlerischer König von seinem musikalischen Thron erheben. „Kommen sie nur
herein.“, bittet er mich. „Das war wirklich schön. Was war das für ein Stück,
was sie da gespielt haben? Etwas von Mozart oder Beethoven? Bach?“ Er lacht
leicht auf. „Nun ich danke ihnen für diese Frage. Tatsächlich habe ich diese
Etüde selbst komponiert.“ Immer noch die weiße Violine und den Bogen in den
Händen deutet er auf eine Tür an der Seite. „Lassen sie uns doch etwas trinken:
Was kann ich ihnen anbieten? Vielleicht einen Tee?“ fragt er mich. „Ich trinke
eigentlich keinen Tee…“, beginne ich, doch er unterbricht mich: „Keinen Tee?!
Nun mein Freund“, er starrt mir direkt in die Augen und ich bekomme eine
Gänsehaut, „Tee ist das Getränk der Weisen und der Künstler. Er befreit den
Geist und beruhigt den Körper. Sie wären erstaunt, was für Teesorten es gibt
und welche Effekte diese haben.“, erklärt er mir. Er ist etwas merkwürdig, aber
Künstler sind ja meistens etwas exzentrisch. „Natürlich“,
beginnt er wieder, „gewöhnliche Bürger verstehen von solch erfrischenden
Genüssen nichts. Die Gesellschaft trinkt ja nur noch irgendwelche zuckerhaltige
Chemie. Aber meinetwegen, kein Tee.“ Mittlerweile bin ich verwundert, was
für einen alten und rückständigen Kauz ich da vor mir habe. Naja, viele alte
Leute können sich nicht an den Fortschritt der Zeit anpassen. Dennoch fühle ich
mich in der Gegenwart diesen alten Mannes etwas unwohl. Sein eindringlicher
Blick haftet schon eine ganze Weile auf mir. „Folgen Sie mir.“, fordert er mich
freundlich aber bestimmt auf. Er geht vor, und ich folge ihm. Mir ist mulmig,
doch ich möchte nicht unhöflich sein. Wahrscheinlich ist er ganz nett und nur
etwas sonderbar, wie alte verschrobene Künstler eben sind.

Wir durchqueren den
Raum, hinüber zu einer Tür. In der gegenüberliegenden Wand ist eine weitere Tür,
über der „Werkstatt“ steht. „Werkstatt?“ lese ich fragend. Er schmunzelt und
lacht leise auf. Sein Lachen ist merkwürdig. „Wissen Sie, ein Künstler braucht
Raum, damit sich seine Kreationen entfalten können. So ist der Raum in der
Mitte gleichzeitig mein Probenraum und gleichzeitig mein Atelier. Hier
vereinigen sich Musik und Malerei, Melodie und Zeichnung, Harmonie und
Farbkombination und Wohlklang und Schönheit zu…“, er macht eine dramatische
Pause, „Perfektion! Zu Kunst! Hier ist Raum wie im Universum, und in seiner
Mitte ist Energie, ist Licht, ist Leben, ist Perfektion, genau wie die
unendlichen Feuerbälle in der Mitte einer jeden Galaxie, die man Sonnen nennt. In
der Mitte liegt Perfektion, in der Mitte werde ich Perfektion erreichen, in der
Mitte werde ich Perfektion schaffen und meinen Werken Vollendung und
unglaubliche, nie dagewesene Kreativität verleihen.“ Er legt seine von
Krampfadern durchzogene, alte Hand auf meine Schulter und zieht mich etwas zu
ihm. Glucksend und etwas von dem Strom seiner emotionalen oder sogar
fanatischen Erklärung der Perfektion mitgerissen sagt er: „Verstehen Sie? Perfektion ist das Ziel eines jeden Künstlers! Perfektion!“ Er lacht.  Das Ganze wird mir langsam unangenehm. Was für ein komischer Kerl ist das? Perfektion? Was soll das überhaupt heißen? Ist er besessen oder so? Aber ich will nicht unhöflich sein, deshalb nicke ich. „Sagen Sie“, frage ich, als wir in dem kleinen Raum hinter der Tür sitzen, der sich als Küche entpuppt, „diese
Perfektion, von der Sie sprechen… was meinen Sie damit?“ „Was ich
damit meine?“, entgegnet er entrüstet. „Schauen Sie sich nur einmal
um! Sie befinden sich mitten in meinem Atelier und haben nicht die wunderbaren
Werke bemerkt, die überall sichtbar ausgestellt sind?“ Ich erschrecke wegen dieser etwas wütenden Antwort. Habe ich ihn zu sehr gereizt? „Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht kritisieren“ antworte ich
hastig. Der alte Mann nickt, schüttelt kurz den Kopf, dann ist wieder dieser
seltsam freundliche Ausdruck in seinem Gesicht erkennbar.

„Ja. Natürlich.
Verzeihen Sie mir, ich geriet wohl etwas zu sehr in Rage. Wir sollten unsere
Gemüter beruhigen. Trinken Sie doch einen Tee mit mir.“ Er reicht mir eine
Tasse, zögerlich nehme ich sie an. Der Tee darin schwappt in der Tasse umher.
Langsam führe ich sie zum Mund und trinke. Erstaunlicherweise schmeckt er
besser, als ich erwartet hätte. Ich blicke wieder zurück zum Alten, und für
eine Sekunde meine ich eine gewisse Genugtuung in seinen Gesichtszügen zu
sehen. Diese Illusion ist aber genauso schnell vergangen, wie sie erschienen
war. „Ich sehe, es schmeckt Ihnen. Nun, ich bin eigentlich sehr beschäftigt,
aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen eine Demonstration meiner Kunst geben.“
Eigentlich will ich diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Hier mitten
zwischen all diesen so seltsamen „Kunstwerken“. Aber meine Neugierde ist
stärker. Ich will irgendwie doch wissen, was es damit auf sich hat. Als hätte
er meinen Gedanken gehört, lächelt der alte Mann wissend. „Ich sehe an Ihrem
Gesicht, dass Sie außerordentliche Neugierde hegen, wie sich meine Werke
gestalten. Mit Freuden werde ich Ihnen eine Demonstration geben.“ Er ist
aufgestanden und wendet sich zur Tür, durch welche wir gekommen sind. Zögernd
folge ich ihm, durch die kleine Küche, hinüber zu einer der Staffeleien in
seinem „Atelier“ und nimmt das darauf liegende Bild in die Hände. Er trägt es
zurück zu mir, und legt es auf einer bereits leeren Staffelei ab. Seine Hand
wandert zärtlich über den Rand der Leinwand. „Sehen Sie es sich ausgiebig an!“,
befiehlt er mir. Erst jetzt wende ich meine
Aufmerksamkeit dem Bild zu; der Alte hat mich, wie ich jetzt erst bemerke, ganz
in den Bann gezogen.

Das Bild ist mit hauptsächlich roter Farbe gemalt. Es sieht aus wie
verschiedene Kreisel und Formen, die sich ineinander verhaken, verschlingen und
vernetzen. Ich versuche, einer Spirale mit den Augen zu folgen, aber sie geht
fließend in zwei neue Spiralen über. Die Komplexität des Bildes strengt meine
Sinne an. Die Farben selbst scheinen aus allen möglichen Farbstufen von Rot zu bestehen.
Das Bild hat einen irgendwie hypnotischen Effekt; ich kann gar nicht mehr
wegschauen. Gierig sauge ich jedes Detail ein, versuche jede Farbstufe zu
erkennen, mein ganzes Dasein ist auf das Bild gerichtet. Irgendwo im
Hintergrund scheint der alte Mann zu stehen, doch ich nehme ihn nur
verschwommen wahr. Er scheint mir nicht von Belang. Überhaupt nichts scheint
mehr von Belang. Meine Sinne verschwinden in dem Strudel roter Farbe, während
mein Geist und meine Gedanken wie ein eingesperrter Tornado in meinem Kopf
herumwirbeln. Ein plötzlicher Ton reißt mich aus dieser Hypnose. Verwirrt
taumle ich ein paar Schritte zurück, mein Blickfeld ist seltsam verschwommen.
Ich kann vage den Alten erkennen, er hat wieder dieses seltsam weiße Instrument
in der Hand. „Gefällt es
Ihnen?“, fragt er freundlich. Doch da ist etwas anderes in seiner Stimme. Ein böse klingender Unterton, als wüsste er von meinem
Unwohl.  „J…Ja.“,
stammle ich, „Es ist…t…toll, f…fantastisch.“ Meine Gedanken kreisen. „Ich will
Ihnen noch etwas vorführen, drüben in der Werkstatt. Ich zeige ihnen, meine
Werkstatt und meine Werkzeuge, aus denen ich die Utensilien für meine
Perfektion kreiere.“ Ich blinzle perplex. „Folgen Sie mir, mein Freund“ fügt er
leise hinzu. Wie in Trance, hypnotisiert, ohne nachzudenken, tapse ich hinter
dem alten Künstler her. Bis wir vor der Tür mit der Aufschrift „Werkstatt“
stehen. Erst jetzt bemerke ich, wie schwindelig mir ist. „Sind Sie bereit?“
fragt er feierlich. Dann stößt er die Tür auf. Im selben Augenblick krümmt sich
mein Magen, meine Sinne sind merkwürdig gedämpft und ich fange an zu taumeln.
„Oh, ist Ihnen nicht gut?“, höre ich eine Stimme. „Das wird der spezielle
Verwirrungseffekt des Bildes sein. Nun ja, das Schlafmittel im Tee hat auch
seinen Teil dazu beigetragen.“ Die Stimme kichert. Schlafmittel? Ich verstehe
nicht. Wurde ich betäubt? Und wieso wackelt alles so sehr? Bin ich betrunken?
Da kommt auf einmal eine schwarze Fläche auf mich zu. Ich will meine Arme
hochreißen, aber die fühlen sich so schwer an. Bevor ich weiter denken kann,
umschließt mich die Dunkelheit, und das letzte, was ich fühle, ist ein dumpfer
Schmerz auf der Nase.

Was… was ist… los? Habe ich geschlafen? Ich fühle… mich so müde… Alles ist
verschwommen… und irgendwie kann ich mich nicht bewegen… Wo bin ich nur? Das
sieht… aus wie ein großer Raum… war ich nicht eben noch woanders? „Sie sind
also endlich wach“, höre ich etwas. „Die Nachwirkungen des Betäubungsmittels
sollten gleich verschwunden sein.“ Ich höre fast nichts. Alles ist so… seltsam.
Eben war ich noch in der Werkstatt mit dem alten Mann… Schlagartig durchfährt
es mich. Der alte Mann! Der Tee! Ich wurde betäubt! Meine Sicht wird klarer,
und ich sehe, dass ich an die Decke starre. Nun merke ich auch, dass ich mich
nicht bewegen kann. Ich liege auf einer Art Trage, und meine Gliedmaßen sind
mit Lederfesseln fixiert. Noch etwas benommen rüttle ich daran, aber es hilft
nichts. An meinem Blickrand sehe ich den Alten, er werkelt an irgendwas herum.
„Was haben Sie mit mir gemacht!?“, schreie ich ihn an. „Werden Sie nicht laut,
ich befinde mich in einem Status höchster Konzentration.“ „Lassen Sie mich
gefälligst frei!“, erwidere ich. Ich hätte es wissen müssen. Der alte Kauz hat
mich reingelegt. So merkwürdig, wie der die ganze Zeit gewesen ist, konnte der
nur Böses im Schilde führen. „Sie haben die Tür geöffnet!“, sprudelt es aus mir
heraus. „Und dann?“ fragt dieser Verrückte. Ich drehe meinen Kopf zu ihm. Er
hält eine Säge in der Hand. Und dann trifft mich die Erinnerung wie einen
Schlag. „Die Säge…Axt…Operationsbesteck…“ mir wird übel, als das Bild
zurückkommt. „Da waren Teile…von…Menschen! Haare, Knochen, menschliche
Überreste und all das Blut!“ Ich würge.  Zärtlich streicht
er über das Werkzeug. „Mit diesen Hilfsmitteln schaffe ich nie
Dagewesenes. Sie sind mir so lieb, dass ich sie fast als meine Kinder
bezeichnen möchte. Aber das ist nicht wahr. Sie sind eigentlich meine Finger,
durch die meine Gedanken fließen. Gesteuert von meinem einzigen Willen, meinem
Grund zu existieren: Die Perfektion zu erreichen.“ Er lacht. Ein
geisteskrankes, psychopathisches Lachen. Das Adrenalin rast durch meine Adern
und macht meinen Kopf wieder klar. „Lassen sie mich frei, Sie Verrückter! Sie
sind krank! Sie können doch nicht Menschen töten, nur um…um ihre kranken Werke
herzustellen!“, schreie ich ihn an. Angst und Wut vermischen sich in mir. Der
Mann ist still geworden. Erst nach ein paar Sekunden merke ich, dass er
schweigt. Ich wende meinen Kopf
wieder zu ihm und sehe, dass er mich anstarrt. Ein kalter Schauer läuft über
meinen fixierten Körper. In seinen Augen liegt ein böses, wahnsinniges Funkeln.
Sein Blick ist grade zu diabolisch und blutdürstig. „Sie ignoranter Tölpel. Sie
Kunstbanause, kommen hier herein, von meiner genialen Musik angezogen, wie eine
kleine wertlose Motte von der Sonne in Mitten der Finsternis, bewundern meine
Werke und stellen dann Regeln, REGELN, für meine Kunst auf! MIR?!“ Er schreit
unglaublich laut herum. Stärker in Rage als zuvor und mit unglaublichem Zorn brüllt
er vor sich hin: „Sie sollten gnädig sein, sie sollten mir huldigen, sie
sollten euphorisch sein, angesichts der Tatsache, dass Sie kleiner Wicht für
meine Kunst, für meine Genialität, für meine Perfektion verwendet werden! Es
ist eine unglaublich göttliche Destination und Sie, SIE, wollen mir Schranken
für meine  Perfektion aufzwingen.“ Sein
Gesicht ist verzogen vor blankem Zorn.

Er zieht eine Spritze hervor und schlägt
sie mit Wucht in meinen Arm. Ich schreie auf. „Ihr Blut wird mein nächstes
Gemälde zieren.“ kichert er wütend vor sich hin. Dann hält er die Spritze über
mich und entleert sie mit einem Ruck. Ein paar Tropfen des Blutes fallen auf
mein Gesicht. Ich versuche mich umzugucken. Ich bemerke, dass ich wieder im
Atelier bin. In der Mitte der Staffeleien. Dann drückt er mit einer Hand auf
meinen Kopf, mit der anderen fängt er an mein Gesicht mit einem Stift
einzukreisen. „Sie werden für immer in meinem Publikum sitzen! Genau wie die
anderen Motten, die zu mir geflogen sind!“ sagt er hastig und sich
überschlagend. „Was?! Wovon reden Sie? Lassen Sie mich frei!“ schreie ich
panisch den alten Psychopathen an. „Ich kann Sie doch jetzt nicht gehen
lassen.“ haucht er mir freundlich zu. Seine Stimmung scheint im Sekundentakkt
zu wechseln. „Sie müssen doch erst ihre Symphonie hören!“ fügt er hinzu. Meine
Symphonie? Als hätte er meine Gedanken gehört, zieht er etwas aus seinem Mantel
hervor und hält es über mein Gesicht. Auf dem Blatt sind Noten, gemalt mit
roter Farbe. Er gackert: „Eine Melodie die wie und aus ihrem Blut heraus und
durch den Teich meiner genialen Kreativität fließt.“ Dann richtet sich die
Trage, auf der ich gefesselt bin auf. Ich blicke auf die schwarze Wand.
„Vorhang auf!“ Die Wand teilt sich. Sein Atelier war die ganze Zeit
gleichzeitig eine Bühne! Licht strahlt mir entgegen und ich muss die Augen
schließen. Es ist zu grell und tut in meinen Augen weh. Als sich meine Augen
daran gewöhnt haben, bietet sich mir ein grauenvoller Anblick. Ich reiße meine
Augen in Panik weit auf. Überall stehen Stühle und auf den Stühlen sitzen
Menschen. Sie haben keine Augen, Ohren, Lippen oder Nasen. Nein. Das sind keine
Menschen. Es sind Schaufensterpuppen, denen man die Gesichtshaut von Menschen
auf den Kopf genäht hat. Alle in derselben Pose: Sie alle sitzen steif da,
gerader Rücken, die Hände auf den Knien, den Kopf auf die Bühne gerichtet. Sie
alle starren Ich würge noch ein Mal.

„Und nun“, beginnt der Künstler, „Ladys
and Gentlemen, die perfekte Symphonie Nummer 23!“ Er stellt sich vor mich und
hebt das weiße Instrument an die Schulter. Dann erklingt ein Ton. Dann noch
einer. Erst langsam, dann immer schneller. Seine Melodie kommt in Fahrt. Doch
sie ist nicht so schön wie vorher. Es klingt nicht wie eine normale Geige. Die
Töne klingen wie ein schrilles Kreischen, mit einem widerlichen Geräusch reibt
der Bogen über die Saiten. Die Knochen selbst reiben aneinander und knarzen im
Takt mit. Das Instrument scheint sich mit der Musik zu bewegen. Ich will mir
die Ohren zuhalten, doch ich kann es nicht. Diese…grauenhafte Musik tut in
meinem Gehör weh. Doch plötzlich bricht er ab: „Nein, Nein, NEIN! Das ist falsch!
Das klingt nicht gut! Das ist nicht…“ er holt mit der Violine aus und
schmettert sie mit einem Wort auf den Boden: „PERFEKT!“ Keuchend, gebuckelt und
zornig dreht er sich zu mir um. Noch nie habe ich so einen Hass auf
Unvollkommenheit und so eine Wut gesehen. „Sie! Ihr Blut ist nicht perfekt! Sie
sind es auch nicht!“ Plötzlich hellt sich seine Miene auf. Erlöst, ruhig und
verträumt schaut er auf, als hätte er eine Erleuchtung. Dann beginnt er wieder
entspannt zu reden: „Ja natürlich! Es konnte nicht gut klingen! Es waren nicht
sie die die Musik gespielt hat. Ihr Blut war es aber nicht ihr Körper.“
Grinsend nimmt er die Säge. „Ihr Körper muss die Musik machen.“ Scheiße, er
kommt immer näher! Ich rüttle an der Trage. „Hilfe! Hört mich denn niemand?“
schreie ich panisch. „Vergessen Sie es, hier kann Sie niemand hören!“ sagt er
ruhig. Selbst jetzt ist er vollkommen gefasst und präzise. Dann setzt er das
Sägeblatt an meiner Schulter an. Grauenvolle Schmerzen durchziehen meinen
Körper. Die Säge ist schon halb durch meinen Arm durch, als der Verrückte sagt:
„Oh, habe ich etwa vergessen Sie zu betäuben?“ Er grinst breit und schlägt mir
eine Spritze in den Bauch. Der Schmerz lässt mich ohnmächtig werden. Ich werde
immer wieder von Schmerzen geweckt. grausame Bilder bieten sich mir. Der Boden
ist voller Blut, über mich gebeugt steht immer noch dieser kranke Künstler, die
Säge oder ein anderes blutiges Werkzeug in der einen und ein Körperteil in der
anderen Hand, das Puppenpublikum, mit den aufgenähten Gesichtern, das mich
anstarrt, als wäre das Ganze eine bizarre Vorstellung, die merkwürdigen,
hypnotisierenden Bilder um mich herum und mein zerstörter Körper.

Irgendwann
spüre ich weder Schmerzen, noch Angst oder Ekel. Die Panik, die Übelkeit und
die Verstümmelungen haben mich abgestumpft. Immer wieder werde ich bewusstlos,
mal für wenige Sekunden, mal für kurze Zeit und mal für mehrere Stunden. Irgendwann
werde ich wach. Neben mir sitzt der alte Mann, mit einem feinen schwarzen
Anzug, wie die Musiker großer Philharmonien sie auf der Bühne tragen. „Sie sind
endlich aufgewacht“, beginnt er freudig, als hätte er schon lange gewartet,
„das Finale kann beginnen.“ Dann steht der Alte auf und bewegt sich an den Rand
der Bühne. Scheinwerfer leuchten auf ihn. Es scheint alles für ein großes
Konzert vorbereitet worden zu sein. Ich fühle, wie ich langsam wieder ganz zu
Bewusstsein komme. Und dann…fängt er an zu spielen. Die Schmerzen kehren
zurück. Ich schreie unglaublich laut auf. Ich krümme mich unter dem grausamen
Gefühl. Die Musik ist wunderschön. Vermischt sich mit meinen Schreien. Gesang
aus Schmerzen. So dissonant, so grausam, so…perfekt. Alptraummusik! Ende.
Erlösung.

Das letzte, was ich sehe, ist das Publikum. Mein letzter Luftzug entfährt. Der
letzte Ton erklingt.

Und das Publikum…applaudiert.

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