
Mr. Dingles
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Mom? Wird Grandpa sich wieder ausgraben können und eines Tages nach Hause zurückkehren?“, fragte der kleine Jacob seine in schwarz gekleidete Mutter. Während zeitgleich ein Sarg vorsichtig in eine ausgehobene Grube hinabgelassen wurde sowie ein Geistlicher seine Worte der Trauerzeremonie beitrug. „Nein mein Schatz. Grandpa ist jetzt an einem anderen Ort, einem besseren Ort, so ist nun mal der Lauf der Dinge.“, antwortete Jacobs Mom. Eine einsame Träne suchte sich ihren Weg von der Wange der Mutter, dabei zog sie den kleinen Jacob etwas an sich. Verträumt und sich im kindlichen Dasein noch nicht ganz bewusst, wohin die Reise von Grandpa nun gehen würde, starrte Jacob auf den kleinen, heranfahrenden Bagger, der für das endgültige Zuschütten des Grabes zuständig war und letztlich auch tat.
Nachdem die Beerdigung vorüber gewesen war und alle Angehörigen dem Ort der letzten Ruhestätte den Rücken zuwendeten, begann sich das zuvor trübe Wetter nun – in fast schon symbolischer Weise – in aufkommenden Regen zu verwandeln. Mom zückte sofort den Regenschirm hervor, nahm mich an der Hand und auch wir verließen schließlich im prasselnden Regen den Friedhof.
Einen aller letzten Blick warf der kleine Jacob nochmal zurück, in die trübe Ferne, in der sich Grandpa’s Begräbnisstätte nun befand. Sein, dem Regen lauschender Grabstein, wurde somit zum Teil dieses Ortes. Mach es gut, Grandpa.
…
Und nun, lassen Sie mich ihnen diese eine Geschichte erzählen. Meine Geschichte.
Ich war damals am Tage von Grandpa’s Beerdigung sieben Jahre alt und ich erinnere mich noch sehr genau an den Bestattungstag. Der Tag an dem Grandpa’s Abschied auf der Türschwelle stand, der Tod sozusagen an der Tür klopfte, kam damals völlig unerwartet über uns herein, wie es wohl in den meisten Abtretungen der Fall ist. Er besuchte zuvor wie immer seine Lieblingsbar, um sich ein paar Drinks zu gönnen. Dann, als er schließlich wieder Zuhause war, kippte er tot um, einfach so. Dabei riss er noch eine der Gardinen heraus. Eine von den pinken Gardinen, welche immer so grässlich aussahen, um genau zu sein. So nahm es nun mal seinen Lauf. Am selben Abend bekamen wir einen Anruf von der völlig aufgelösten Grandma.
Grandpa läge im Krankenhaus. Er hätte eine Herzattacke. Der Arzt könne nichts mehr tun. Danach wurde er klinisch für tot erklärt.
Ich persönlich hatte bedauerlicher weiße nie den sonderlichen Bezug, rund um Grandpa’s Person. Ich war damals wohl einfach zu jung. Und bekam ihn, ehrlich gesagt, kaum zu Gesicht. Er war eher ein Eigenbrötler und zurückgezogener Eremit. Was mir auch oft zu Ohren kam: Er hatte wohl ein kleines Alkoholproblem. Das war leider alles, was Grandpa mir hinterlassen hat. Ein paar wenige Erinnerungen eines Mannes, der des öfteren an der Flasche hing sowie mich selten besuchen kam.
Zumindest war es, was ich vorerst zu glauben schien.
Es erfolgte eine längere Zeitspanne. Etwa fünf Jahre waren zum damaligen Zeitpunkt vergangen und eines Tages passierte etwas sehr merkwürdiges. Eines Tages klingelte es unerwartet an der Haustür. Mom machte auf. Dort stand ein seltsamer Typ mit altmodischer Melone und einem Trenchcoat. In den Händen hielt er einen seltsam aussehenden, schwarz-rot gestreiften Koffer. Er drückte diesen, mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre dies seine täglich abzuarbeitende Arbeitsroutine, meiner verwunderten Mutter direkt in die Hände. Der unbekannte Mann erläuterte mit fremdländischen Akzent: „Ich bin ein alter Bekannter deines, bedauerlicher Weiße, von uns gegangen Vaters. Mir wurde aufgetragen, euch, beziehungsweise Jacob, diesen geheimen Nachlass, in Form dieses ‚Tragekoffers‘, auszuhändigen. Ganz im Sinne der Koordinierung ihres Vater. Leben Sie wohl, Ma’am.“ Einzig mit diesen Worten plus einer Hut zückenden Geste ließ er Mom mit verwundertem Gesichtsausdruck an der Türschwelle zurück. Er war genauso schnell weg gewesen, wie er erschienen war. Mit skeptischen Blick auf den Koffer gerichtet, trat Mom zurück in den Eingangsflur.
Sie rief mich zu sich: „Jacob? Schatz, kommst du mal kurz her?“
Ich stürmte heran. Meine erste Frage, die aus mir herausschoss war: „Was ist das da für ein Koffer?“
Sich den Koffer skeptisch in den Händen umher drehend sowie diesen genau begutachtend, fragte mich Mom, meiner Frage vorerst keine Beachtung schenkend: „Jacob… Hast du in letzter Zeit draußen beim Spielen irgendwo einen seltsamen Mann mit Anzug und Hut bemerkt?“
Einen komischen Mann hatte ich draußen und auch sonst wo nie bemerkt, also verneinte ich die Frage. Auch hatten wir diesen Koffer nie zuvor schon mal irgendwo gesehen, geschweige denn den unbekannten Inhalt. Was sich darin wohl befinden mochte?
„Jacob, ich hoffe mal sehr, dass darin keine Bombe versteckt ist und niemand einen Anschlag auf uns geplant hat.“, sagte Mom mit einem sarkastischem Unterton, während sie ihre Finger schon am Verschluss ansetzte, unter dem Vorhaben; den Koffer gleich zu öffnen. Während der Verschluss des Koffers bereits einmal zu knacken begann, suchte ich mir Deckung und warf mich, während ich mir die Ohren zuhielt, Schutz suchend zu Boden. Um im Falle – einer tatsächlichen Bombe -, gewappnet zu sein, was bei einer echten Explosion selbstverständlich auch nichts mehr bringen würde.
Nach dem weiteren Knacken, sprang der Oberdeckel schließlich auf. Kein Anschlag. Keine Explosion. Glück gehabt. Voller Neugierde wollte ich wissen, was sich in dem Koffer nur befinden würde, den mir Grandpa vermacht hatte.
Mom griff in den Koffer. Sie holte etwas heraus, ich sah es noch nicht. In dem Koffer befand sich ein sorgsam platziertes Stofftier. Um ehrlich zu sein, sah es nicht sonderlich schön aus. Es sah sehr bizarr aus. Es sah aus wie ein „Hund“ – nur ohne Ohren. Über dessen Gesicht, zog sich ein komisch breiter Grinse-Mund, der schon fast bis nach hinten ragte. Das Design des Stofftieres wirkte so, als wären die Erschaffer mit der Intention vorangegangen, etwas besonders kinderfreundliches erschaffen zu wollen, doch die Art des „Endergebnisses“, war wohl zu viel des Guten. So dass es eher gruselig wirkte, nicht kinderfreundlich. Mom hob es mit fragwürdig angewidertem Gesichtsausdruck in die Höhe. Sie sah es sich etwas genauer an. Sie entdeckte einen Eingang am Plüsch und schob die Hand rein. Das ohrenlose Stofftier stellte sich als eine Handpuppe heraus. Mom begann damit, ein paar Handbewegungen mit ihr zu machen, was das Maul des Dings auf und zu schnappen ließ. Die Bewegungen verliehen der Puppe eine noch bizarrere, noch mehr verstörende Note.
„Was für ein scheußliches Ding! Ich werde es wohl eher gleich entsorgen.“, diesen Entschluss fasste Mom. Doch mein damaliges ich protestierte dagegen.
„Ich finde die Puppe aber cool, bitte lass mich sie behalten!“, Mom wunderte sich über meinen Geschmack. Sie bot mir als Alternative sogar an, eine bessere Puppe, eine schönere Puppe, zu kaufen. Doch genau diese seltsame Handpuppe gefiel mir und ich wollte sie behalten. Was Mom schließlich einwilligen ließ. Sie drückte mir den Koffer als auch die Handpuppe entgegen, zauste mir durchs Haar und wünschte mir viel Spaß mit der Puppe. Jene Handpuppe, welche angeblich auf mysteriöse Weise von Grandpa stammen und mir überbracht werden sollte. Keiner wusste, aus welchem Grund Grandpa mir angeblich diese Handpuppe vermacht hatte, geschweige denn, wer dieser seltsame Mann mit Hut gewesen sein mochte. Es ergab alles keinen wirklichen Sinn.
Es war nun später am Abend. Ich betrachtete ich mich selbst im Spiegelbild und war gerade dabei, mir die Zähne zu putzen. Die Schlafenszeit war nun hereingebrochen. Die Handpuppe oder besser gesagt „den komischen Hund mit rundem Kopf und fehlenden Ohren“, lag ich zuvor am Rande des Waschbeckens ab, wobei seine schwarzen Perlen artigen Knopfaugen mir entgegen schielten. In monotoner, steriler Weise und irgendetwas… Irgendetwas faszinierte mich damals ganz besonders – in diesem einen Augenblick -, am dümmlichen Gesichtsausdruck der Puppe. Ich stülpte mir „Mr. Dingles“ über den Arm. Das war der Name, der auf der Innenseite des Koffers stand. Diesen Namen gab der Puppe und ich starrte ihr, für einen kleinen, anhaltenden Augenblick, tief in die Augen. Ich verlor mich dabei selbst in Gedanken.
Ja. In tief fern liegende Gedanken…
Dunkle Gedanken…
Wie in Trance…
Der Fernseher flimmerte und brabbelte im Wohnzimmer vor sich hin. Mom lag auf dem Sofa. Die Aufmerksamkeit ganz auf den Röhrenfernseher gerichtet. Auf einmal schoss etwas hervor: „HAAHR HUAAARR! Duu wiiiirst jeeetzt GEEFRESSEN!“
Mom erschrak, als ich hinter ihr, hinter dem Sofa versteckt, plötzlich nach oben sprang und Mr. Dingles an ihr herum knabbern ließ. Mit einem darauffolgenden Lächeln sagte sie: „Jacob! Es ist längst Schlafenszeit! Ab ins Bett mit dir! Du kannst Morgen weiterspielen.“
Nach diesen Worten, rannte ich mit meinem neuen Freund „Mr. Dingles“ – der immer noch meinen Arm „bekleidete“ -, zurück in mein Zimmer und flog förmlich, letztlich ins Bett. Dabei gab ich noch paar kindische, verbale Laute von mir, zusammen mit der übergestülpten Puppe.
Bevor ich zu Bett ging, verstaute ich meinen neuen Kumpel wieder in seinem Koffer. Es dauerte nicht lange, ehe ich einschlief.
Leider begannen für mich damals die Dinge von nun an unheimlich zu werden. Denn wissen Sie, „Kinderaugen“ sehen die Dinge oftmals noch ziemlich klar und haben noch den Zugang zu anderen, manchmal auch düstereren Welten. Transzendente Welten, welche ihre Mauern und Tore für Erwachsene verschlossen halten und sich gleichzeitig wiederum bei den Kindern eines Tages verschließen werden, sobald sie zu Erwachsenen geworden sind.
Zumindest ist dies meine Theorie.
Doch nun weiter im Text.
Es erfolgte Stille. Egal ob Flur, Wohnzimmer, Badezimmer, Keller, Dachboden oder meinem Kinderzimmer, alle Räumlichkeiten waren nun in nächtliche Ruhe getränkt worden. Einzig das Ticken der alten Kaminuhr im Flur war zuhören. So hielt es sich eine Zeit lang in der nächtlichen Stille bis… Bis ein seltsames Geräusch zu hören war: Erst kaum hörbar. Dann immer etwas lauter. Nach einer Weile, war es klar zu hören. Da war etwas…
Versteckt, in der Dunkeln des Hauses.
„Auf und zu.“ „Auf und zu.“ „Auf und zu.“ „Klick, wumms.“ „Klick, wumms.“ „Klick, wumms.“ „Näher.“ „Näher.“
„Noch näher.“
Es ist hier: „Wumms!!!“
Ich wurde von seltsamen Geräuschen wach. Sie hörten sich an, als würde etwas gegen die Wand im Kinderzimmer stoßen, immer wieder. Vielleicht waren es nur die Restlaute eines Traumes. Vielleicht aber auch nicht. Mit halb schläfrigen Augen machte ich das Nachtlicht an. Ich starrte hinüber, zum Koffer, der als Schlafplatz für Mr. Dingles diente.
Der geschlossene Koffer lag unberührt, nach wie vor verharrend, im hinteren Teil der Kommode am selbigen Fleck. Ich wunderte mich, rieb mir die verschlafenen Augen, doch schien alles in meinem Zimmer normal wie immer zu sein. Da ich nichts vorfand, schlüpfte ich langsam wieder zurück ins Bett, zog die Decke über die Schultern und dreht mich auf die Seite.
Als ich dies tat, erschrak ich. Denn, als ich mich herumdrehte, trat plötzlich Mr. Dingles Grinse-Gesicht Millimeter nah an mein Gesichtsfeld. Seine künstlichen Perlenaugen starrten mich wie immer an, mit dümmlichen Ausdruck. Abermals schlug ich die Bettdecke bei Seite und schaltete diesmal das große Licht an, was das ganze Zimmer nun hell werden ließ.
„Ich hab‘ dich doch eben erst im Koffer verstaut, Mr. Dingles! Was machst du plötzlich hier?“ Ich wunderte mich, während ich die gräuliche, flauschige Handpuppe herübertrug und wieder zurücklegte.
Der Mittag des nächsten Tages war hereingebrochen. Die Sonne schien. Ich saß gerade am Mittagstisch und hatte einen Teller Gemüsesuppe vor mir stehen und – wie sollte es auch anders sein – befand sich der gute Mr. Dingles bei mir, mein treuer Begleiter. In der Brühe zogen diverse Kartoffel und Gemüse-Stücke langsam ihre Bahnen. Die frische Suppe dampfte und es roch sehr gut.
„Mom! Mr. Dingles hätte gern auch was zu Essen! Das hat er mir gerade gesagt!“ Brachte ich energisch zu Sprache. Mit mehrfachen Handbewegungen fuchtelte ich mit der dümmlich blickenden Hundepuppe am Esstisch herum. Mr. Dingles Maul schnappte dabei wie wild auf und zu. Mom saß währenddessen am anderen Tischende und beobachtete, mit anwachsend genervtem Blick, das „Puppentheater“, welches von mir dirigiert wurde. Ich war als Kind sehr Energiegeladen. Hatte oftmals meine euphorischen Ausbrüche. Und ein solcher Moment schien auch jetzt gekommen zu sein. Weiterhin gab ich am Esstisch nervtötende Geräusche von mir und gautschte auf dem Stuhl vor und zurück, was ein metallisches Quietschen am Boden erzeugte. Zwischen all den Faxen, versuchten die Worte meiner Mutter, zu mir durchzudringen.
„Jacob, leg jetzt endlich die Puppe bei Seite und iss!“
Ich zappelte fast schon wie ein Fisch im Netz und als einzige Antwort, als kindische Antwort, kam nur ein: „Haaahr! Nein, nein! Ich will nicht! Mr. Dingles und ich wollen nicht! Huuuarr! Haaaaaahhhr! Du wiiiirst geeefreseeen!!“
Meine Theatralik ging so weit, bis ich schließlich unbeabsichtigt den ganzen Suppenteller mit einem Wisch vom Tisch fegte. Der Suppenteller schlug am Boden auf, zerbrach in seine Einzelteile. Die Brühe dehnte sich langsam über den Boden aus. Abrupt hielt ich dabei mit dem Gezappel inne. Ich starrte nur wie ein Dummkopf oder „dumm wie ein Auto“, auf die am Boden liegenden Scherben des Tellers. Mom bekam vor Zorn einen hochroten Kopf und posaunte: „Jacob! Es reicht!“ Sie nahm mir Mr. Dingles weg und schickte mich auf mein Zimmer. Dort sollte ich über mein Fehlverhalten nachdenken.
Ich saß auf meiner Bettkante, in einer nach Vorn geneigten Haltung. Die Ellbogen auf dem Schoss abgestützt und mein grübelndes Gesicht in den Händen abgelegt. So saß ich etwa zwanzig Minuten. Bis mich ein spontaner Impuls auf meine Matratze starren ließ, deren Bettdecke noch ungemachten und lose darüber lag
„Die dumme alte Hexe. Jetzt hat sie mir Mr. Dingles weggenommen.“, dachte ich und strich dabei ,abermals in Gedanken versunken, über die unordentliche Bettdecke, die sich neben mir befand. An einer Stelle der Decke blieb meine Hand jedoch stehen. Denn eine seltsame, feste Wölbung oder Widerstand, machte sich darunter bemerkbar, die meine Aufmerksamkeit ergriff. Etwas war unter der Decke. Also zog ich, mich fragend, was da sein würde, die Bettdecke mit schnellem Handgriff zur Seite. Dort lag… Ich konnte es nicht glauben. Dort lag seelenruhig Mr. Dingles, meine geliebte Handpuppe.
Ich kann Ihnen wirklich sagen, ich hatte damals zu Einhundert Prozent gesehen, wie Mom Mr. Dingles an jenem Tag in Gewahrsam nahm. Ihn in den Küchenschrank steckte. Wie kam er also in so kurzer Zeit zurück unter die Decke? Wie war das möglich? Über all jene Fragen machte ich mir damals keinerlei Gedanken. Für mich zählte in diesem Moment nur eines: Den guten, alten Mr. Dingles wieder bei mir zu haben und in den Arm nehmen zu können. Oder auch, in anderen Worten „über“ den Arm.
Mit überraschten, großen Augen rief ich: „Mr. Dingles! Da bist du ja wieder! Ich habe dich schon vermisst!“
Ohne großartig Zeit zu verlieren, stülpte ich mir meine geliebte Handpuppe über. Doch…
Etwas war diesmal komisch… Etwas war anders… Etwas fühlte sich nicht richtig an. Und dies nicht nur rein intuitiv. Auch im wahrsten Sinne „physisch“.
Denn, im inneren der Sprechpuppe fühlte es sich so… So schleimig, nass an und in meinem Zimmer roch es auf einmal nach nassem Hund. Ich lies mit mulmig aufkommenden, als auch mit einem erdrückenden Gefühl der Beklemmung, meinen Blick übers Zimmer streichen, ehe ich wieder skeptisch hinunter auf die über meinen Arm gezogene Handpuppe blickte. Jedoch war Mr. Dingles Gesichtsausdruck der gleiche wie immer: Dümmlich und steril. Ein dümmlicher Blick, welcher zugehörig war, zu einem breiten und quer über das Gesicht gezogene Grinsen, des Mischwesens aus Hund und einfach irgendwas seltsames – beide Ohren nicht vorhanden. Wie immer wollte ich die Sprechpuppe unter dem Antrieb meiner Hand zum „reden“ bringen, was mich immer so zum lächeln brachte. Also öffnete ich langsam das Mundwerk jener Puppe. Ich war so froh, Mr. Dingles wieder bei mir haben zu können, dass mir jenes schleimige Gefühl, im Inneren der Puppe, in jenem Augenblick nichts auszumachen schien.
Auf einmal, als ich das Maul der Puppe aufschnappen lies, blitzte etwas, – innerhalb des grinsenden Maules von Mr. Dingles – unerwartet hervor. Mit Entsetzen betrachtete ich eine Reihe messerscharfer, spitzer und langer sowie furchteinflößender Reißzähne. Wie aus dem Nichts. Diese spickten, aneinandergereiht das gesamte Innenleben des Maules. Ich erschrak und mit geweiteten Augen donnerte ich, im einschlagende Schockmoment, Mr. Dingles an die Zimmerwand. Er lag nun regungslos am Boden. Mit der Rückseite zu mir geneigt. So dass sein Gesicht nicht mehr sichtbar, sondern gen toter Winkel neigte und sich von mir – als wäre er beleidigt – abwandte. Ungläubig saß ich wie versteinert auf der Bettkante und starrte, wie gebannt, auf die dort liegende Handpuppe. Als die Schockstarre nach und nach abließ und ich langsam wieder zu klarem Verstand zurückfand, erhob ich mich und bewegte mich schleichend, langsam in Richtung der seltsamen Hundepuppe. Furcht und Neugierde befanden sich dabei im Schwitzkasten. Wobei die Neugierde als Sieger hervor ging. So näherte ich mich in langsamen Schrittes weiter Mr. Dingles. Bis dieser sich schließlich vor meinen Füßen befand und sich nun in greifbarer Nähe befand. Ich stupste ihn vorsichtig mit den Zehenspitzen an. Dabei machte ich so ein ernstes Gesicht, dass die Falten zwischen meinen Augenbrauen zusammentrafen.
Ein weiteres mal stupste ich die am Boden liegende Handpuppe an. Sie rollte dadurch willkürlich auf den Rücken. Das dümmlich sterile Gesicht aus Stoff glotzte mich an. Ich wunderte mich. Denn von den Reißzähnen, die eben noch aufgekommen waren, war jetzt absolut nichts mehr zu sehen. Ich hob ihn auf und nahm ihn wieder an mich. Im einen Moment war mir noch etwas Mulmig zu mute, im anderen tat ich dieses Erlebnis einfach als Einbildung ab. Ich schlüpfte mit der Hand wieder in die Puppe. Es fühlte sich auch nichts mehr, anders als vor wenigen Momenten noch, nass und schleimig an. Alles war wieder wie vorher. Weich und plüschig.
Im späteren Tagesverlauf hob Mom den Arrest wieder auf. Dass ich Mr. Dingles vor wenigen Stunden seltsamerweise in meinem Zimmer wiederfand, statt, dass er sich doch eigentlich im hohen Küchenschrank hätte befinden müssen, worin ihn Mom steckte, behielt ich besser für mich.
Doch ich kann ihnen versichern: Ich wusste damals nicht einmal ansatzweise, welches Schreckensszenario mir noch bevorstehen und welches Grauen mich noch erwarten würde.
„Schatz, ich habe den Stubenarrest zwar wieder aufgehoben, aber das scheußliche Ding bleibt vorerst noch im Küchenschrank verschlossen. Denn über den zerbrochenen Teller bin ich immer noch wütend, es war ein wertvolles Erinnerungsstück.“, gab Mom zur Ansprache, während wir zu Abend am Tische saßen. Während ich in Gedanken versunken war und mit dem Besteck in den Makkaroni mit Käse herumstocherte, gingen mir abermals die Bilder von vorhin durch den Kopf. Diese grauenerregenden Reißzähne. Die sich plötzlich in Mr. Dingles Maul mehrfach aneinanderreihten spickten und mir bedrohlich entgegen funkelten… Hatte ich mir das Ganze wirklich nur eingebildet? Aber die Erinnerung daran… Sie waren so frisch… So klar und greifbar…
Und so… So real.
„Was war das nur gewesen? War es Einbildung oder nicht?“ Solche Fragen gingen mir gerade einzig durch den Kopf.
„Fressen…werde dich…“
„Eine Stimme aus ferner Distanz… Es spricht etwas aus ferner Distanz zu mir… Kaum hörbar… Doch. Ich höre sie. Sehen Sie nur… All die umherfliegenden Schmetterlinge. Überall. Sie sind die Überbringer der Botschaft.
Schon seit jeher. Nein, schon immer.
Ja, schreiben Sie es bitte auf.
Notieren Sie alles“
„Jaco…“
„Jacob…?“
„Jacob! Hörst du mir zu?“, fragte mich Mom mit Nachdruck. Was mich wieder aus den Gedanken zurück in die Gegenwart riss. Ich antwortete genervt: „Ja, hab’s verstanden.“ Hatte ich zwar durch meine ‚Gedankenabwesenheit‘ nicht wirklich, doch was es denn nun schon wieder zu beanstanden gab, interessierte mich gerade nicht. Na ja, bis ich hörte um was es ging. Dann interessierte es mich doch. Sogar sehr.
„Fressen… werde sie… im Weg…“
Mom lächelte und sagte: „Gut. Denn da du so ein trauriges Gesicht ziehst, und ich dies nicht ertragen kann, werde ich dir Mr. Dingles wieder zurückgeben. Aber keine Faxen mehr mit ihm am Tisch… Verstanden?“ Nach dieser Aussage blieben mir fast die Makkaroni im Halse stecken und kaum dass ich mit den um mich werfenden Worten: „Warte Mom!“ vom Stuhl hervor preschen konnte – um zu verhindern, dass sie den leeren Schrank vorfinden werden würde – war sie schon vor dem Schrank und tat genau dies, was ich eben noch zu verhindern versuchte: Den Küchenschrank öffnen und diesen leer vorfinden.
Sie reagierte auf das Abhandenkommen von Mr. Dingles mit einem: „Nanu? Wo ist denn die Puppe hin? Ich hab‘ sie doch ganz sicher in den Schrank gelegt.“ Statt der Puppe war darin nur noch gähnende Leere. Als Mom darin nichts fand, schwang sie die Küchenschranktür, voller Verwunderung, wieder zu. In Sicherstellung, die Puppe vielleicht nicht doch in ein anderes Fach verlegt haben zu können, zog Mom zwei bis drei weitere Küchenschubladen hervor. Doch auch darin war weit und breit kein Mr. Dingles versteckt. Natürlich war er das nicht. Ich wusste ja selbst nicht wie er einfach so, aus dem Nichts, in mein Zimmer gelangen konnte, in welchem er sich nun seit vorhin befand. Mom stemmte die Hände in die Hüften und stand dabei völlig ratlos vor dem Küchenschrank, mit dem Rücken zu mir gerichtet. „Es gibt schlechte Nachrichten Jaco…“ Ich wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen, als sie es schon waren, also fuhr ich Mom während ihres Satzes, über das Wort, indem ich plötzlich selbst ein einschneidenden Geständnis hinausposaunte: „Mom, ich war’s! Ich habe mir Mr. Dingles eben schon dort heraus geholt! Kurz nachdem du mein Zimmer wieder aufgeschlossen und den Arrest aufgehoben hast. Du hast es nur nicht mitbekommen. Ich stürmte vorhin schon, vor wenigen Momenten an den Küchenschrank, kletterte über die Ablage und nahm mir Mr. Dingles aus dem Schrank. Mr. Dingles liegt jetzt in seinem Koffer. Schuldig im Sinne der Anklage!“
Log ich in kurzer Not und kratzte mich dabei am Ohr. Mom drehte sich mit einem überraschendem Ausdruck wieder zu mir um und sagte: „Ach so ist das! Mensch! So leise und schnell… Erstaunlich! Wie ein kleiner James Bond! Aber gut, dass du ehrlich zu mir bist. Und nun iss deine restlichen Makkaroni, wird sonst kalt.“ Da sie die Notlüge ohne Probleme annahm, atmete ich in Erleichterung noch einmal tief durch. Ich aß den Teller leer, stellte diesen auf die Spülmaschine, zum dreckigen Geschirr und verließ schließlich die Küche. Ich schritt in Richtung meines Zimmers, in dem eine einsame Sprechpuppe auf ihren Besitzer wartete und still und leise ausharrte.
„Töten… Blut… Sie muss sterben Jacob…“
Es war nun wieder mitten in der Nacht. Die Wohnung in Dunkelheit gehüllt und auch die Straßenlaternen waren inzwischen aus. Ich schlief seelenruhig und lag im Schlummer im Bett meines Kinderzimmers. Doch irgendwann später… Wurde ich wieder von seltsamen Geräuschen aufgeweckt. Es waren die selben Geräusche, wie ich sie schon kürzlich in der Nacht vernehmen konnte. Es war ein sich wiederholendes Klicken und ein dumpf folgender Schlag.
Ein „Klick…Wumm!“ „Klick…Wumm!“ „Klick…Wumm!“ und es kam deutlich zu hören, aus der dunklen Ecke meines Zimmers, in der Mr. Dingles Koffer lag. Ich kam aus meiner Schlaftrunkenheit langsam zu mir und saß aufgerichtet in meinem Bett. Die Bettdecke dicht an mich gezogen. Ich wollte das kleine Nachtlicht anschalten um nachzusehen, woher dieses Geräusch kam…
Doch das Licht ging seltsamerweise nicht mehr an. Auch nach mehreren Versuchen nicht.
Klick…Wumm!“ „Klick…Wumm!“ „Klick…Wumm!“
Meine Augen gewöhnten sich nach und nach an die Lichtverhältnisse. Das Mondlicht, welches durch die Rollos schien, sorgte zusätzlich für Helligkeit. Was mir eine einigermaßen klare Sicht im Dunkeln der Nacht ermöglichte. Dieses Geräusch, welches mich eben noch aus dem Schlaf geweckt hatte, war wieder erloschen. Die Ruhe überzog das Zimmer wieder mit Stille. Doch irgendetwas beunruhigte mich. Etwas, was im verborgenen lag… Eine düstere Entität… Nichts greif oder fassbares. Ich ließ meinen Blick durch das stille Zimmer schweifen. Mein Puls beschleunigte sich leicht, meine Atmung wurde schneller und ich zog meine Knie schützend näher zu mir heran. Mein Blick schweifte so lange durch den Raum, bis dieser in der Ecke des Zimmers – in der sich jener Tragekoffer von Mr. Dingles befand –, stehen geblieben war und diesen Punkt fest fixierte.
Meine Atmung wurde schneller und schneller.
Etwas unbekanntes ging von diesem Koffer aus. Etwas unendlich böses und grausames. Zumindest weiß ich Heute, dass es dies tat.
Ich erschrak, denn mit einem unerwarteten „Klick“ und einem schnell schwingendem „Wumm!“ öffnete sich schlagartig der Koffer. Wobei der Oberdeckel deutlich aufschwang und gegen die Zimmerwand stieß. Mein Atmen schlug schon fast in ein Luftringen über und ich bekam es langsam richtig mit der Angst zu tun. Erst recht als ich sah, wie sich etwas innerhalb des Koffers langsam aufrichtete und es sich daraus langsam erhob. Wie ein Vampir in der Gruft.
Dieses „Etwas“ war deutlich zu erkennen… Mr. Dingles gewesen. Mein Herzschlag raste und drohte fast schon meinen Brustkorb förmlich zu zerreißen. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte, also blieb ich einfach still sitzen und starrte voller Angst auf jenes Szenario, welches sich gerade direkt vor meinen Augen abspielte. Alles in mir bebte. Und als ich sah, wie Mr. Dingles nun völlig still und regungslos aufrecht, innerhalb des weit offenen Koffers stand und mich direkt anstarrte, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Er starrte still und regungslos aus der Dunkelheit zu mir rüber, im hinteren Eck meines Zimmers. Wobei seine schwarzen Perl-Augen wie zwei funkelnde Punkte die Dunkelheit durchstachen. Wenn das absolut Böse, Satan, die Hölle und damit alles Unheil und Finstere der Welt existieren sollte – dann würde sich dies, in diesem einen Moment, in den Augen und Blickes dieses unendlich boshaften und grausamen Wesens manifestiert haben. Einzig und allein würde es, nur darin lauernd, zu finden sein. Das was diese Kreatur, und anders als das, konnte ich Mr. Dingles nicht mehr bezeichnen, als nächstes tat, musste wohl für jeden Menschen im Trauma des Grauens enden.
Einfach in Ohnmacht zu fallen zu dürfen, wäre bei dem was folgte, ein reiner Akt der Gnade gewesen.
Die dämonische Handpuppe öffnete ihr grinsendes Maul. Ganz sacht und ganz langsam. Es riss sein Maul auf eine derart widerlich perverse Weiße soweit auf, dass sich von Oben herab Mr. Dingles Fell schon von selbst abzuziehen begann und sich schließlich nach und nach vollständig vom Kopf herunter schob. Wo sich bis eben noch ein plüschiges Hundegesicht befunden hatte, war jetzt nichts weiteres mehr, als rötliche, nasse Fleischmasse. Wobei man nicht genau sagen konnte, ob es sich nun um Zahn oder Gesichtsfleisch handelte. Es war nur noch eine Scheußlichkeit sonders gleichen. Mir schossen Tränen in die Augen und als ich sah, wie sich diesmal die langen, spitzen Zähne, nicht nur aneinandergereiht in Mr. Dingles Maul herausragten, sondern sich – wie bei einem grauenerregenden, deformierten Seeigel, komplett um Mr. Dingles Schädel, oder das was noch von ihm übrig gewesen war, herum spickten – konnte ich mich nur noch übergeben.
Durch diesen grauenvollen und albtraumhaften Anblick, fiel ich gnädiger Weise schließlich in Ohnmacht.
Wo der ganze Albtraum für mich nun endlich endete.
Gott sei Dank.
„Bevor es schwarz vor meinen Augen wurde, kurz vor meiner Ohnmacht, sah ich noch, wie Mr. Dingles aus dem Koffer heraussprang und in der Dunkelheit verschwand. Dann dieser Markerschütternde Schrei von Mom. Kein gewöhnliches Schreien… Es war ein Schreien aus tiefster Seele… Ein Schreien des sich ankündigen Todes. Des unausweichlichen Todes. Arme Mom. Mr. Dingles mochte sie wohl einfach nicht.“
Sagt ein Mann, der im Schatten sitzt und sich bis jetzt nicht ganz zu erkennen gibt.
Jener verborgene Mann, lehnt sich nun, auf einem Stuhl oder dergleichen, gemütlich nach hinten und lässt den Ausklang seiner Geschichte mit den finalen Worten abrunden: „Tja, so hatte sich das Ganze damals bedauerlicherweise zugetragen.“
Die trüb ergraute Wolkendichte klärt auf und ein heller Lichteinfall strahlt durch das hoch oben verbaute Gitterfenster. Was die Gesichter nicht nur einer, sondern zweier Personen aus dem sich erhellenden Schatten heraus, nun erkennbar macht als auch gänzlich den gesamten kleinen Raum – in dem sie sich gegenüber sitzen – mit Licht durchflutet. Gegenüber sitzt ein Mann mit weit sichtbaren Geheimratsecken und Brille, der sich mit aufmerksam musternden Blick und deutlichen Falten auf der Stirn, etwas auf den Notizblock notiert. Er trägt ein Hemd mit Namensschild: „Doktor Granmiller“. Gegenüber sitzt ein etwas jüngerer Mann. Er trägt einen weißen Overall und hat etwa schulterlange, ungepflegte Haare.
Der jüngere Mann betrachtet mit einer Mischung aus süffisanten Ausdruck und einem Blick der gefühlt in alle und doch in keine Richtungen geht, eine Handpuppe – welche über dessen Arm gestülpt ist. Sie erinnert an eine Art Hund mit dümmlichen Gesichtsausdruck, einem sehr breit lächelnden Mund und nicht vorhandenen Ohren. Hinten auf der Puppe ist in klein „Mr. Dingles“ aufgedruckt. Der junge, erwachsene Mann fängt an seine Handpuppe sorgsam zu streicheln und lächelt eigenartig.
Der Doktor legt den Notizblock bei Seite. Er nimmt die Brille herunter und massierte sich das Nasenbein, zwischen den Augen. Als wäre dies ein klein ergriffener Strohhalm an Erholung in Minimalform. Als der Doktor damit fertig ist, wie es scheint, erhebt er nun die Stimme und bricht folgendes zur Ansprache: „Jacob… Jedes mal, wenn wir hier sitzen und unsere Stunde abhalten, endet ihre Geschichte an der immer gleichen Stelle. Fast schon in obligatorischer Weise. Wir kommen erst dann eine Stufe weiter und können ihre Medikamentendosierung auch erst dann eine Stufe herabsetzen, wenn sie endlich verstehen, was sie ihrer Mutter angetan haben. Sie müssen die Tat akzeptieren und zur Einsicht gelangen. Sie müssen verstehen und begreifen. So lange sich bei ihnen diese Evidenz noch nicht abgezeichnet hat – sind sie noch Lichtjahre von einem möglichen Resozialisierungsprogramm entfernt. So leid es mir tut.“
Der Patient „Jacob Winston“, der dem Doktor am Tische gegenüber sitzt, nimmt die Worte von Doktor Granmiller kaum zur Kenntnis. Er streichelt weiter behutsam seine Handpuppe.
Dann antwortet er allerdings: „Aber Dok… Etwas anderes werden sie von mir nicht hören. Es war einzig Mr. Dingles Wille, weshalb es auf diese Weise enden musste. Er mochte sie nicht und wollte wohl lieber mit mir allein zusammen sein.“
Doktor Granmiller neigt sich mit ernster Mimik nach vorne, was den folgenden Worten mehr Gewichtung verleihen soll: „Jacob. Sie haben auf ihre eigene Mutter im Schlaf über dreißig mal eingestochen. Sie haben Teile des toten Leichnames abgeschnitten und das menschliche Fleisch wie ein verdammtes Steak verzerrt. Mit Messer und Gabel. Als wäre dies das normalste der Welt. Als die Polizei damals eintraf, lagen noch blutige Teller und Besteck auf der Ablage. Jener Anblick, was in diesem Haus geschehen war, war so grauenhaft, dass einer der Polizisten daraufhin den Dienst quittieren musste. Er musste sich in psychische Behandlung begeben. Die DNA Proben, die Bewertungen der Gerichtsmedizin… Alles wies unter empirischer Beweisgrundlage auf – Sie – als sicheren Täter hin. Deshalb sitzen sie doch all die Jahre bedauerlicherweise schon hier, in dieser speziellen Heilanstalt. Auch existieren keinerlei Hinweise eines fremden Mannes im Trenchcoat, der ihnen durch Koordinierung ihres Großvaters, dieses scheußliche Ding dort… auf ihrem Arm, je vermacht oder nachträglich zugesandt hätte. Es findet alles in ihrem Kopf statt. Begreifen Sie es doch bitte, Jacob.“ Der Doktor schnauft durch. Der Mann mit der Handpuppe schaut mit süffisant lächelnden Blick aufmerksam dabei zu. „Nun gut. Für Heute sind wir dann wieder einmal durch. Wenigstens machen sie ein klein wenig Fortschritte, das ist gut. Jacob, wir sehen uns wieder in drei Wochen. Auf wiedersehen.“
Daraufhin klemmt der Doktor seine Dokumente und Unterlagen unter den Arm und verlässt die weiße Sicherheitszelle. Zurück bleibt ein junger Mann namens „Jacob“, der mit seiner Handpuppe spricht und herumfuchtelte und wohl den Rest seines Lebens in den Vier Wänden eines Hochsicherheitstrakts der speziellen Nervenheilanstalt verbringen werden wird.
Der Arzt kommt wieder zurück in sein Office. Er schließt die Tür, setzt sich hin und trinkt erschöpft aus der Wasserflasche. Danach lehnt er sich, ausgelaugt von all den Sitzungen, in seinem Bürostuhl gemütlich nach hinten. Auf den einen Moment betätigt er den Knopf, um die Tonaufzeichnung nochmals abzuspielen und legt dabei den Kopf in den Nacken. Auf den anderen Moment schaut er wieder vor sich herunter, auf den schon älteren, verblichenen Zeitungsartikel, der auf seinem Schreibtisch liegt. Letztlich schließt er die Augen und faltete die Händen über dem Bauch, im Ansatz zu einem Nickerchen.
Auf dem Artikel steht groß in reißerischer Aufmachung: „Kleinstadt unter Schock! – Mutter bestialisch von zwölfjährigen Sohn erstochen – Von Dämonen besessener Kannibalismus?“
Der Doktor schläft nun tief und fest und gibt Schnarchgeräusche von sich. Und während draußen die Sonne scheint, läuft im Hintergrund das kratzige Geräusch des summenden Tonbands:
„Das ist Mr. Dingles. Und er ist mein bester Freund!“