
Rübe die Vogelscheuche
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Mein Name ist Tom, und es gibt da jemanden, den ich jetzt schon so viele Jahre kenne und über den ich sprechen möchte. Ich war damals noch ein Kind, ungefähr im Grundschulalter, als ich ihm das erste Mal begegnete. Ich weiß nicht, ob ich ihn einen Freund nennen würde… vielleicht eher einen stillen Begleiter. Zuerst trat er ausschließlich als dunkler Fleck am Horizont in Erscheinung. Bevor ich genauer einschätzen konnte, um was es sich überhaupt handelte, war mir erst mal etwas mulmig zumute. Alles begann mit einer Silhouette, die ich am anderen Ende meines täglichen Schulwegs in weiter Entfernung erblicken konnte. Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, als ich bemerkte, dass jemand oder etwas dort stand und sich nicht bewegte.
Obwohl unser Gehirn in der Regel weit entfernte Dinge kaum wahrnimmt, fiel mir diese Gestalt, ich meinte zu erkennen, dass sie einen Hut trug, relativ schnell ins Auge. Der neugierige Teil in mir schob den ängstlichen Teil vermehrt beiseite, sodass ich der Sache auf den Grund gehen wollte. Ich würde es sowieso herausfinden, weil mein Heimweg geradewegs in diese Richtung führte. Als sich dann herausstellte, was dort am Wegesrand herumstand, war ich dann doch etwas enttäuscht. Es handelte sich bloß um eine einsame Vogelscheuche. Der vom Bauernhut geworfene Schatten verlieh dem Gesicht irgendwie etwas Besorgtes, so empfand ich es zumindest. „Rübe“ (wie ich ihn aufgrund seines breiten Schädels später noch nennen würde) hatte aufgenähte Kreuzaugen, einen geradlinigen Mund und trug außerdem eine zerschlissene Latzhose, aus deren Enden Strohfetzen herausragten.
Ich dachte zuerst, dass ihn jemand nur zum Spaß hier aufgestellt hatte, doch versank diese Einschätzung bereits am nächsten Nachmittag, nachdem die Schulglocke geläutet hatte, im Nebel, da dahinter wohl noch mehr stecken musste.
Meine Schultasche klapperte fröhlich auf meinem Rücken, als ich mich am Folgetag gerade auf dem Weg befand, um noch einmal nach der Vogelscheuche zu sehen. Doch als ich ankam, war Rübe verschwunden, bis ich ihn plötzlich auf einem Hügel entdeckte; aus der Richtung, von der ich hergelaufen war, vielleicht einen halben Kilometer von mir entfernt. Ich musste ihn im Vorbeigehen übersehen haben. Verdutzt überlegte ich, extra nochmal umzukehren, wo er zu diesem Zeitpunkt stand, doch war ich bereits spät dran, war hungrig und ging deshalb lieber nach Hause.
Es mag surreal klingen, aber in den folgenden Wochen und Monaten hörte es nicht auf. Jeden Tag stand Rübe mit seinem Stab an einem anderen Ort in meiner ländlichen Gegend, an Spielplätzen, Waldrändern, Bahnhöfen, Apfelplantagen, Feldern und zufälligen Gassen. Dabei blickte er stetig in meine Richtung, mal nah, mal fern. All dies geschah während meiner Kindheit. Natürlich ersuchte ich den Rat meiner Eltern, doch diese konnten ihn anscheinend nicht sehen, schauten bloß verwirrt um sich und schlossen auf Einbildung. Vor meinen Schulfreunden verschwieg ich es erst recht, damit sie mich nicht als Spinner mit Fantasiefreund abstempelten. Und somit nahm ich es einfach hin. Ändern daran, konnte ich ohnehin nichts.
In den folgenden Jahren begann ich, die Erscheinung der Strohfigur wie ein Spiel zu betrachten. Es war fast so, als ob er eine Art Beobachter in meinem Leben geworden wäre, der mich zwar nicht auf exakt jeden Schritt und Tritt verfolgte, dafür jedoch immer wieder zu verschiedenen Zeitabschnitten auftauchte. Statt der Sache zu misstrauen, ließ ich mich von dem Rätsel faszinieren, das er darstellte. Ich fragte mich, was der Grund für sein Erscheinen war und ob es eine tiefere Bedeutung hatte. So wurde Rübe zu einem festen Bestandteil meines Lebens. Rübe begleitete mich durch meine gesamte Schulzeit bis zum Abschluss. Er war da, als wir zum ersten Mal mit unserer Fußballmannschaft einen Pokal gewannen und als ich das Fahrradfahren lernte. An herrlichen Sommertagen lag ich im hohen Gras und lauschte den Liedern der Insekten, und auch dann war Rübe stets da. Er begleitete mich an Weihnachten, als ich zum ersten Mal rauchte, ich zum ersten Mal Alkohol trank, ich mich zum ersten Mal verliebte oder mir zum ersten Mal das Herz gebrochen wurde. Rübe war immer bei mir, an seinem Stock befestigt und wachte über mich mit seiner Puppenmimik, die an manchen Tagen diese leichte Note von Besorgnis vermittelte .
Später entwickelte ich einen Hang für urbane Legenden und Creepypastas aus dem Internet. Ich recherchierte nach Gestalten wie dem Slenderman, der anscheinend bis ins Mittelalter – damals als „Großmann“ unter den einfachen Leuten gefürchtet – zurückreicht, damit die Kinder ja artig waren und nicht alleine in den Wald gingen. Oder befasste ich mich mit Erzählungen über den furchteinflößenden Rake, das Lavandia-Syndrom, Mr. Widemouth oder die Geschichte von Ben Drowned. Zum einen fand ich darin etwas, womit ich mich mit dem mysteriösen Phänomen in meinem eigenen Leben identifizieren konnte, und zum anderen erhoffte ich mir, als ich älter wurde, im Internet auf mögliche Antworten zu stoßen.
Einen der wichtigsten Schlüsse über Rübe zog ich in der Jahreszeit, in der das Laub von den Bäumen fällt und sich alles golden verfärbt. Wir feierten unseren Schulabschluss in einer Waldhütte und ich hatte zu viel Alkohol getrunken, sodass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Am Ende irrte ich alleine im dunklen Wald umher, bis ich zwischen zwei Birken einen natürlichen Unterschlupf fand und mich vor Müdigkeit auf den Boden fallen ließ. Ich wusste nicht, ob es an meinem alkoholisierten Dämmerzustand lag, doch hörte ich etwas durch das raschelnde Laub auf mich zukommen und es blieb neben mir stehen. Es zog mich dann an den Füßen voran aus dem Wald. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, stand Rübe vor mir, sein Stab ragte tief in den Grasboden, während sein wankender Hut den Vollmond verdeckte. Er wirkte direkt vor mir aufgebaut besonders groß. Ich wusste von diesem Moment an, dass ich mich auf ihn verlassen konnte.
Im weiteren Verlauf meines Lebens verschlug es mich in die Großstadt, wo ich als Erzieher arbeitete. Eines Tages lernte ich Mia kennen, und wir verlobten uns, während Rübe weiterhin an meiner Seite blieb. Wenn wir einen Kaffee trinken gingen oder mit der Straßenbahn fuhren, sah ich ihn manchmal auf der anderen Straßenseite stehen.
Doch dann ereigneten sich einige Vorfälle, die mich nächtelang weinend im Bett zurückließen. Meine Eltern waren beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Drei Monate später gestand mir Mia unter Tränen, mich mit einem anderen betrogen zu haben. Sie wollte es mir schon früher sagen, doch wollte sie mich nicht verletzen und schwieg deshalb zuerst. Noch am selben Abend zog sie aus unserem gemeinsamen Appartement.
Eines späten Abends, es waren ein paar Wochen vergangen, hatte ich frische Luft benötigt und wanderte gedankenlos im Stadtpark umher, wobei ich letztlich am Ufer des idyllischen Sees verharrte, um meinen Blick übers Wasser schweifen zu lassen. Nach etwa fünf Minuten fielen mir plötzlich Bewegungen im Wasser auf… Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog, als ich etwas aus dem Wasser kriechen sah. Im selben Moment vernahm ich eine Stimme, welche aus der Nacht selbst stammen konnte, – es musste die Stimme von Rübe gewesen sein, da ich den nachtschwarzen Umriss einer Vogelscheuche oberhalb der Böschung erkennen konnte. Er hatte noch nie zuvor gesprochen, doch war mir seine warme Stimme sofort vertraut, mit der er mir warnend zurief: »Lauf! Lauf so schnell du kannst!«
Statt dem Rat Folge zu leisten, beobachtete ich weiter das Wasser, wobei ein menschlicher Körper an die Oberfläche stieg. Zunächst dachte ich, es sei nur ein Stück Treibholz, doch je weiter sich das Wesen aus dem Wasser erhob, umso mehr erkannte ich die bleiche, erstarrte Gestalt von Mia. Ungläubig, was hier gerade geschieht, schaute ich auf sie hinab, als sie aus dem See kroch. Sie hatte keine Augen mehr, nur tiefe, dunkle Löcher. Ihre Kiefer waren weit aufgerissen und ihr Mund war voller schlammiger Algen und Wasser. Sie starrte mich an und als sie sich mir näherte, erkannte ich, dass sie keine Kleidung trug und ihr abgemagerter Körper bereits von Kleingetier angefressen war. Doch es war nicht nur ihr Aussehen, das mich erschreckte, sondern auch wie sie fortbewegte; humpelnd, kriechend, kriechend und humpelnd. Dabei wirkten ihre Glieder verdreht und sie zuckte merkwürdig. Aber bevor ich auch einen Fuß in Bewegung setzen konnte, hörte er ein seltsames Geräusch, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war das Geräusch von Fleisch, das sich von Knochen löste, als Mia mit einem Ruck ihren eigenen Kopf vom Hals riss. Vor Entsetzen stieß ich einen Schrei aus.
Das schmatzende Geräusch, als ihr Kopf zu Boden fiel und in die trübe Schilfbrühe aus Schlamm und Wasser tauchte, brannte sich für immer in mein Gedächtnis. Plötzlich stürzte sich Rübe, ich sah ihn bloß als peripheren Schatten an mir vorbeifliegen, auf jene nun kopflose Mia-Gestalt und rang sie nieder. Dann rannte ich, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Doch selbst zu Hause angekommen, hatte ich das Gefühl, dass ich nie wieder sicher sein würde und dass diese schreckliche Begegnung mich für immer verfolgen würde.
Noch in derselben Nacht zog ein pfeifender Sturm herauf. Ich blickte aus dem Fenster und erkannte ein weiteres Mal Rübe, der jetzt unter der Dachlaterne im Kleingarten des Innenhofs stand. Sein sonst geradliniger Mund hatte sich in ein breites Grinsen verwandelt und sein langer Stock klapperte im Wind, was einen unheimlichen Klang erzeugte, der mir einen ungewohnten Schauer über den Rücken jagte. Er stand so da, als ob er auf mich warten würde. Als ich mich kurz umdrehte, um meine Augen zu reiben, war er wieder verschwunden.
Ich schüttelte den Kopf, mir nichts Weiteres dabei denkend und beschloss, mich schlafen zu legen. Ich versuchte, die unheimlichen Ereignisse von heute zu verdrängen. Doch als ich im Bett lag, vernahm ich auf einmal Schritte, die die Treppe hochkamen… Es waren keine normalen Schritte. Es waren Sprünge von Stufe zu Stufe, begleitet von dem hölzernen Klappern eines Stockes.
Der Klang wurde immer lauter und unheimlicher, bis er fast wie das Hämmern eines Totengräbers klang, der an einer Tür klopfte. Mein Herz pochte in meiner Brust und ein Frösteln durchzog meinen gesamten Körper, nachdem sich die Tür langsam öffnete und ich meinen langwierigen Begleiter erkannte, der durch den Türspalt zu mir schaute.
»Es ist nicht meine Schuld…«, begann ich mit zittriger Stimme.
Ich stieg wieder aus dem Bett. Wie ein Zombie hin und her schwankend ging ich auf Rübe zu, holte ihn zu mir ins Zimmer und lehnte ihn an die Wand. Ein Verwesungsgeruch ging von seinem Kopf aus. „Es war ein Unfall… Sie hätte mich nicht hintergehen sollen!“
»ES IST NICHT MEINE SCHULD, WAS GESCHEHEN IST!!«, schrie ich Rübe an.
Dann zog ich das Gesicht der Vogelscheuche ab, das aus einem schlichten Stoffsack bestand. Darunter verbarg sich ein zweites Gesicht mit blass-zerfallener Haut, teils von Maden zerfressen. Mias regloses Gesicht. Ihre Augen waren wie glasige Perlen und starrten ins Nichts.
Reumütig sackte vor der Vogelscheuche auf die Knie.
habe mir auch mal die Mühe gemacht und es vertont schöne creepypasta