
Der Fänger von Nara
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich bin etwas pingelig, wenn es um Hotelzimmer geht. Nach dem Check-In nehme ich alles haargenau unter die Lupe. Ich durchwühle jede Schublade, gucke hinter Bilderrahmen und prüfe aufs Genaueste das Bett. Immer auf der Suche nach… ach, was weiß ich was. Eigentlich will ich ja auch gar nichts finden und mehr als ein paar Haare oder einen Kassenbon von einem vorherigen Bewohner habe ich auch noch nie gefunden. Doch bei meinem letzten Urlaub in Japan habe ich etwas gefunden worauf ich gerne verzichtet hätte.
In meinem Hotelzimmer in Nara gab es für die eigenen Wertsache einen kleinen Tresor mit elektronischem Schloss. Nur war dieser verschlossen. Ich dachte mir, dass die Putzkraft das wohl übersehen hat und das ließ mir einfach keine Ruhe. Deswegen habe ich einen vierstelligen Pin nach dem anderen eingegeben. Ich wollte zumindest die Geburtsjahre zwischen 1950 und 2000 ausprobieren. Und tatsächlich öffnete sich die Tür bei der Kombination 1-9-8-6.
In dem Tresor lag ein Notizbuch, welches ein deutsches Pärchen als Reisetagebuch genutzt hatte. Es beginnt wie erwartet mit Reisevorbereitungen, Flug, und so weiter… nichts Ungewöhnliches. Doch dann folgten Einträge die bei mir ein starkes Unwohlsein hervorgerufen haben:
20. August 2019 – 09:20 (Handschrift Markus)
Unser Hotelzimmer ist klein aber fein. Wir haben eher mittelmäßig geschlafen… Jetlag :/
Trotzdem sind wir voller Tatendrang und können es kaum erwarten die berühmten Hirsche von Nara streicheln zu gehen. Nicht umsonst starten wir unsere Reise hier.
…wenn Jenni sich mal im Bad beeilen würde…
20. August 2019 – 17:07 (Handschrift Jenni)
BEST. DAY. EVER!
Das war wirklich der Knaller. So viele freilaufende Hirsche auf einem Fleck habe ich noch nicht erlebt. Der Park ist wirklich schön und riesig groß. Wir haben lauter Selfies mit den Hirschen gemacht. Man kann denen so nahe kommen wie man will. Und wir haben bei einem der vielen Händler dort so Reiskekse oder sowas ähnliches gekauft. Da sind die ganz verrückt nach, warum auch immer… Markus hat einen probiert: Schmeckt wohl nach Zeitung 🙂
Wenn man den Keks hoch in die Luft hält verbeugen sich die Rehe für einen. Sehr höflich! Andere hingegen können aber auch ganz schön frech werden und einen rammen und beißen, wenn man nicht aufpasst. Und die laufen da wirklich ÜBERALL rum.
Da lief auch so ein älterer Mann rum, der wohl die Aufgabe hat, die ganz Frechen im Zaum zu halten. Der hatte so Glöckchen am Hosenbund und eine Art spitze Metallzange, mit denen er unaufmerksame Hirsche zwickt, wenn sie Blödsinn machen. Die meisten nehmen aber schon Reißaus, wenn sie nur die Glöckchen hören. Der hatte auch irgendwie was Unheimliches an sich mit seinem alten braunen Mantel. Von dem will ich jedenfalls auch keine gezwickt bekommen 😀
Wenn wir heute Abend wieder nicht schlafen können, wollen wir schauen was die Hirsche so am Abend oder noch besser in der Nacht so treiben… #Nachtwanderung
Jetzt gehen wir erstmal schön Sushi essen…
20. August 2019 – 23:14 (Handschrift Markus)
Jetlag nervt… Wir können wieder nicht schlafen… Obwohl ich bei Jenni eher das Gefühl habe, dass Sie unbedingt die Hirsche bei Nacht sehen will. Aber so ein Spaziergang hilft bestimmt. Auf geht’s!
21. August 2019 – 01:56 (Handschrift Markus)
Ich muss das jetzt niederschreiben um meinen Kopf frei zu bekommen…
Wir waren gerade bei den Hirschen und der Park war menschenleer. Wir sind tief in den Park hineingelaufen. Als wir uns einer Gruppe schlafender Hirsche genähert haben, um ein Foto zu machen, sind diese plötzlich aufgesprungen und davongerannt. Wir dachten wir hätten sie erschreckt, aber die haben gar nicht in unsere Richtung geschaut. Jenni hörte dann als erstes ein seltsames Geräusch… klink klink… Ich habe dann genau hingehört und konnte es auch hören. Es wurde langsam lauter. Wir haben versucht uns nichts weiter dabei zu denken, aber es hörte nicht auf… Klink Klink… Nach und nach fiel uns auf, dass immer weniger Hirsche zu sehen waren. Wir bekamen ein ungutes Gefühl und machten uns auf den Rückweg. Das Geräusch wurde auf dem Rückweg immer lauter… KLINK KLINK… Und dann sahen wir nicht allzu weit von uns entfernt eine Gestalt stehen. Sie hatte eine Zange in der Hand, welche Sie immer wieder zusammendrückte… KLINK! KLINK!… Sie schien uns direkt anzustarren. Wir blieben kurz stehen und zögerten. Als wir zu einem Bogen um die Gestalt herum ansetzten, setze auch sie sich in Bewegung. Gerade auf uns zu! Bei jedem ihrer Schritte klingelten kleine Glöckchen. Sie kam näher und wir erkannten sie als den alten Mann, den wir tagsüber im Park gesehen hatten. Der Mann der auf die Hirsche „aufpasste“. Aufgrund der wachsenden Angst beschleunigten wir unseren Gang. Als ein Hirsch knapp seinen Weg kreuzte, schnappte er mit seiner Zange nach diesem und ich könnte schwören, dass er ihm dabei etwas rausgerissen hat… Ich hoffe es war nur ein Stück Fell… Zuerst rannte das Tier… dann der Mann… und dann wir! Ohne uns noch einmal umzudrehen rannten wir ohne Pause Richtung Hotel. Hinter uns hörten wir wild durcheinander klingelnde Glöckchen und immer wieder klink…Klink…KLINK…KLINK! Sobald wir aus dem Park raus waren verstummte alles. Wir hörten aber nicht auf zu rennen.
Der Typ wollte uns angreifen. Da sind wir uns ganz sicher. Jetlag hin oder her… heute bekommen wir bestimmt kein Auge mehr zu.
21. August 2019 – 6:50 (Handschrift Jenni)
Die gestrige Nacht war schrecklich. Ich finde wir müssen das irgendwo melden. Markus zögert noch. Wir werden gleich mal bei der Rezeption nachfragen was wir tun sollen.
21. August 2019 – 08:54 (Handschrift Jenni)
Wir bleiben hier nicht länger. Eigentlich hatten wir geplant erst in zwei Tagen weiterzureisen. Aber nicht nach dem was uns gerade erzählt wurde. Ich will hier so schnell wie möglich weg. Markus besorgt uns gerade Geld und Shinkansen-Tickets und ich habe schonmal die Koffer gepackt.
Wir haben dem Mann an der Rezeption auf Englisch alles so gut wie möglich erzählt. Er kannte den Mann… bzw. er hat von ihm gehört. Der Mann wurde vor vielen Jahren im Park überfallen, als er noch spät abends mit seiner Metallzange Müll aufgesammelt hat. Die Täter haben ihn schlimm zugerichtet und er verstarb noch an Ort und Stelle. Die Hirsche haben seinen Müllsack zerbissen, um nach Essensresten zu suchen. Ein paar weitere haben an seiner Kleidung und sogar seinem Körper gerissen. Laut Legende soll sein Geist seitdem nachts in diesem Park schlechte Menschen jagen. Wenn er einen erwischt, reißt er einem mit den Widerhaken seiner Zange Stück für Stück das Fleisch von den Knochen und lässt die Überreste anschließend spurlos verschwinden.
Richtig nervös wurde der Rezeptionist allerdings erst, als wir ihm gesagt haben, dass der Mann doch gestern Nachmittag ebenfalls im Park war und man ihn doch festnehmen könne. Danach wollte er nicht mehr mit uns reden und sagte nur noch „Das kann nicht sein, niemand sieht ihn tagsüber und selbst wenn, dann hat er euch zuerst gesehen.“
Sie nennen ihn den Fänger von Nara. Wenn er sich jemanden ausgesucht hat, lässt er sich nicht so einfach abschütteln… Gut, dass wir sofort weggerannt und ihm entkommen sind. Ich will trotzdem hier weg…
Wo bleibt Markus?
Darauf folgte kein Tagebucheintrag mehr. Der Zeitpunkt meines Check-Ins war übrigens der Nachmittag des 21. August 2019… der Check-Out ebenfalls.