
Last
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der Mond erleuchtete fahl den Dampf, der stoßweise die Lippen des Mannes verließ.
Seine Zunge war trocken. Speichel, der bald schon wie Schaum auszusehen begann, rann seine Mundwinkel hinab.
Schweißbenetzt klebte sein schütteres Haar an seinem bleichen Schädel, als er gehetzt in alle Richtungen starrte. Seine weit aufgerissenen Augen quollen beinahe aus ihren Höhlen und seine Nasenflügel bebten.
Angestrengt setzte er einen Fuß vor den anderen.
Aufwärts. Immer weiter aufwärts.
Er durfte nicht nach hinten schauen, musste das geisterhafte Scharren zu seinen Fersen ignorieren und einfach weiterlaufen.
Wie lange er wohl schon lief?
Egal, wie lange es war, es war nicht lange genug. Nicht weit genug.
Ein Knacken erklang. Heftig zuckte der Mann zusammen, erstarrte für einen Augenblick in seiner Bewegung und wagte es kaum, zu atmen. Doch das Knacken war nur eines von vielen, das ihn auf seinem Weg begleitete. Die trockenen, toten Zweige unter seinen Füßen zerbrachen mit beinahe jedem seiner zittrigen Schritte.
Träge richtete sich sein Blick nach oben. Er starrte hinauf, zum Gipfel des kleinen Berges, der unter der Last des Waldes, der ihn bewuchs, kaum atmen zu können schien. Nicht ein einziger Windhauch ließ das Blätterdach rascheln, nicht eine einzige Briese wagte es, die erhitzten Wangen des Mannes zu kühlen.
Hagere Figuren umgaben den Mann. Krumm, zerfurcht und alt. Sie trugen die Last jahrhundertealter Leben. Trugen ebenjene mit Stolz. Sie berührten den Himmel, streckten sich zu den Sterne und griffen nach dem Mond. Und gleichzeitig starrten sie hinab zu dem Mann, dessen faltiges Gesicht in den Schatten der Nacht wie eine bizarre Maske wirkte, die mehr als nur das Äußere eines Menschen widerzuspiegeln wusste.
Unter den klagenden Blicken des Waldes atmete der Mann rasselnd. Zwischen den Haaren seines ungepflegten Bartes glänzten Speicheltropfen wie falsche Kristalle. Sein gesamter Körper brannte, erfror und war dennoch schmerzlich taub.
Weiter, immer weiter.
Der Gipfel musste irgendwann näherkommen, egal, wie sehr er sich mit jedem Schritt in seine Richtung immer mehr zu entfernen schien. Die Sicht des Mannes verschwamm, gewann an Klarheit und drohte dann, wieder zu verschwimmen. Bunte Punkte tanzten wie Irrlichter vor seinen Augen, die versuchten, ihn von seinem Ziel wegzulocken.
Der Mann biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Er durfte jetzt nicht anhalten. Auch wenn sein Körper danach schrie, ihn anflehte, sich doch nur einen kurzen Augenblick der Ruhe zu erlauben.
Doch bis das Scharren hinter ihm ein Ende fand, sollte er nicht aufhören, zu laufen.
Erstickend warm war die Luft, die den Mann umgab. Weder die Nacht, noch der Wald vermochten es, dem Einhalt zu gebieten. Nicht der Hitze. Nicht der Last des modrigen Gestanks, dem der Mann seit Beginn seiner Reise ausgesetzt war.
Seine Finger umschlossen verkrampft ein Seil, bis seine Knöchel weiß hervortraten, während seine Fingerspitzen verräterisch rot im Licht- und Schattenspiel der Nacht glänzten.
Röchelnd schleppte sich der Mann weiter.
Er wusste schon gar nicht mehr, ob nun er oder das, was er mit sich trug moderte und faulte. Es kam ihm vor, als sei sein Körper schon lange dabei, zu verwesen und zu zerfallen.
Weiter. Immer weiter.
Endlich schien der Gipfel näher zu kommen. Ein keuchendes Lachen stieg in der Kehle des alten Mannes auf, dessen Beine ihn kaum noch tragen konnten.
Er würde es schaffen, würde das Scharren hinter sich lassen. Diesmal würde es klappen.
Seine Füße sanken mit jedem Schritt ein Stück tiefer in den weichen, humosen Boden, doch es störte ihn kaum noch.
Sein Herz flatterte, seine Brust brannte und seine Finger kribbelten vor Aufregung. Bald war es soweit.
Das Scharren hinter ihm wurde lauter. Er hielt den Atem an, ließ sich davon aber nicht in seinem Tun behindern. Er musste vorwärts. Immer nur vorwärts. Weiter, weiter, weiter.
Die Last, die hinter ihm, in schmutzigen, einst weißen Laken gehüllt über den Boden schleifte, schien mit jedem Schritt schwerer zu werden. Beinahe war es, als würde der Boden nach ihr greifen, zu sich ziehen, um sie dem Alten zu entreißen.
Er umfasste das dicke Seil nur fester und zog es mit sich, bis der Gipfel zu seinen Füßen lag.
Die Luft war trotz des dichten Waldes dünn, es war kaum genug, um seine Lungen zu füllen, und doch war es die Euphorie, die seinen Kopf schwerelos werden ließ.
Er hatte es geschafft! Endlich würde er die Last und das endlose Scharren hinter sich lassen können!
Erleichterung wallte in ihm auf und er fiel auf die Knie. Seine knochigen, grauen Finger gruben sich tief in die weiche, fruchtbare Erde des Waldes und schaufelten unter dem milchigen Licht des Mondes ein Loch, das bereits unzählige Male gegraben wurde.
Der alte Mann räumte dieselben Steine beiseite, durchbrach dieselben Wurzeln und riss dieselben jungen Pflanzen aus, wie immer.
Schnaufend und doch unermüdlich grub er. Tiefer und tiefer, weiter und weiter, bis das Loch schließlich groß genug für seine eingewickelte Last war.
Zittrig zog er das Laken zu sich, dessen leidvoller Inhalt hier seine ewigen Ruhe finden und ihm somit auch seine ermöglichen sollte. Immerhin war sie es, die ihn fesselte. Sie schlang ihre lodernden Ketten um seinen Körper und zwang ihn, zu bleiben, bis er es geschafft hatte.
Mit brennenden Armen und pochenden Fingerspitzen hievte er also die unreine Last in die Kuhle, nur um sie sofort wieder mit Erde zu bedecken.
Doch als der dunkle Humus das Laken traf, gab es keinen Widerstand. Formlos fiel es in sich zusammen, sodass es nur noch die Umrisse des Körpers darstellte, der eigentlich in diesem Loch begraben werden sollte.
Der alte Mann begann, stark zu zittern und sah hinauf zum Himmel, der nicht zum ersten Mal Zeuge dieser Tat geworden war.
Ein weiteres Mal hatte er es nicht geschafft.
Röchelnd und schnaufend zog der Mann seine Last wieder aus dem Loch und machte sich daran, den Berg hinabzusteigen.
Er musste sie loswerden.
Egal, bis wann das stetige Scharren hinter ihm anhalten würde.
Egal, wie lange seine Hände mit ihrem Blut bedeckt sein würden.
Egal, wie oft er ihre längst zur Erde gehörenden Knochen aus dem Boden heben musste, um an deren Stelle die in Laken gewickelte Last zu legen.