
Der Tanzsaal
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich war auf der Heimfahrt von einer größeren Familienfeier in Norddeutschland als ich in den heftigsten Herbststurm meines bisherigen Lebens geriet.
Obwohl es erst später Nachmittag war, war es bereits stockfinster und meine Windschutzscheibe war ein einziger, großer Wasserfall.
Zu allem Überfluss hatte mein Navigationsgerät mich auf eine „Abkürzung“ über mehrere kleine Käffer geschickt, nur um dann auf halber Strecke wegen zu geringer Akkuleistung den Geist aufzugeben.
Ich war müde, sauer und orientierungslos und als ich das beleuchtete Schild mit der Aufschrift ‚Pension‘ sah, musste ich nicht lange überlegen.
Ich parkte dort, wo ich den Straßenrand vermutete (es war bei dem schlammigen Sandweg kaum auszumachen,) packte meinen Koffer und rannte durch den Regen in Richtung des Schildes. Auf halbem Weg stolperte ich, fiel mitsamt Koffer in eine riesige Pfütze, fluchte laut, stand wieder auf, erreichte schließlich die Tür und trat ein.
Der Mann hinter dem Empfangstresen sah nicht einmal von dem Boulevard-Blatt auf, das er gerade las, als ich hereinkam.
Ich stellte meinen Koffer ab, trat an den Tresen, und sagte laut und so höflich, wie es meine angespannten Nerven zuließen:
„Guten Tag!“
Statt den Kopf zu bewegen ließ er lediglich die Zeitung sinken und blickte mich aus müden, dunklen Augen an.
„N’Abend.“
Ich schätzte ihn auf Anfang fünfzig, mit ungepflegten, ehemals roten Haaren und einem Bart, bei denen beiden jedoch langsam aber sicher das Grau die Oberhand gewann. Er stank nach Schweiß und Alkohol.
„Hätten Sie vielleicht ein Zimmer für mich frei?“
Mit einer Mischung aus Zynismus und Bitterkeit lachte er auf.
„Wir hätten vielleicht sogar alle Zimmer für Sie frei.“
„Eins genügt mir“, sagte ich, „Wenn es geht nah, Sie sehen ja, wie ich aussehe.“
„Ich sehe, dass Sie mir die Bude volltropfen“, brummte er, dann holte er einen Schlüssel aus einer Schublade unter seinem Tisch hervor und deutete in Richtung der Treppe neben sich.
„Zimmer vier.“
Wortlos nahm ich den Schlüssel und anschließend meinen Koffer und schleppte ihn und mich die steile Treppe hinauf.
„Bad is auf’m Gang!“, brüllte er mir noch hinterher.
In meinem Zimmer roch es nach etwas zwischen Eintopf und Erbrochenem (zwei Gerüche die erschreckend nahe beieinander liegen dafür, dass eins von beiden von manchen als Nahrungsmittel angesehen wird).
Wand und Decke waren karg und weiß, der Boden mit einem fleckigen, beigen Teppichboden ausgelegt. Es gab ein Bett, einen Stuhl, eine Kommode mit einem Fernseher und einen Kleiderständer; ein Fenster mit zwei gelblichen Gardinen ging wohl in Richtung der Straße, doch außer Finsternis und Regen war nichts zu erkennen.
Als Erstes eilte ich ins Bad und reinigte meine Sachen notdürftig in dem kleinen Waschbecken, anschließend verteilte ich sie und den Inhalt meines Koffers zum Trocknen über den Heizungen und Gardinenstangen meines Zimmers.
Ich musste bald feststellen, dass es in der Pension keinerlei Empfang gab, nicht zum Telefonieren und schon gar kein Internet.
Auch der Fernseher hatte nur drei Programme, von denen mir keins besonders zusagte.
So las ich noch einige Seiten in einem Buch, das ich mir für die Reise eingepackt hatte und entschied mich schließlich, früh schlafen zu gehen.
Und wie der Regen mich erst gestört hatte, so beruhigte mich sein rhythmisches Klopfen nun und half mir, entspannt einzuschlafen.
Es muss irgendwann in der Nacht gewesen sein, als ich aufwachte. Ich weiß nicht ob es der Lärm war, der mich weckte oder das grelle Licht, das durch mein Fenster hineinschien.
Wütend stürmte ich zum Fenster, doch hielt inne, als ich die Quelle meiner nächtlichen Störung sah.
Das große Gebäude, das gegenüber der Pension lag und dessen dunkle Silhouette ich bei meinem Weg zur Pension nur im Augenwinkel wahrgenommen hatte, war nun hell erleuchtet und durch die großen Fenster konnte ich das Innere gut beobachten.
Offenbar handelte es sich um eine Art Festsaal, mit holzverkleideten Wänden und abgenutzten Parkettboden. Die Wände waren mit Girlanden aus Papier und geflochtenen Zweigen mit grünen Blättern geschmückt und von der Decke, kurz vor der zweiflügeligen Eingangstür, baumelte an einem recht dünnen Seil ein großer Kronleuchter mit echten Kerzen herab, der offenbar aus mehreren Hirschgeweihen gefertigt worden war.
Und dann waren da die Menschen.
Was ich sah musste irgendeine Art von Volksfest sein, denn fast alle anwesenden Männer trugen eine Art Tracht aus einer mit dunkler Hose, weißem Hemd und einer weißen Kappe sowie einer Schärpe um den Bauch. Lediglich einige ältere Herren, die an Tischen an der hinteren Wand saßen trugen offenbar ihre Anzüge von anno dazumal auf.
Die Frauen waren trugen Kleider die im Vergleich zu dem, was viele heutzutage zu Feierlichkeiten oder zur Disko trugen, angenehm schlicht und doch elegant wirkten.
Auf dem, was wohl die Tanzfläche war, herrschte reges Treiben; offenbar suchten sich Paare für anstehende Tänze zusammen; während die an den Tischen Sitzenden sich ruhiger, doch nicht weniger angeregt unterhielten.
Nur einige Ältere schienen bereits an fortschreitender Verwirrung zu leiden; sie unterhielten sich höchst interessiert mit den leeren Stühlen neben sich oder lachten schallend über Witze, die ihnen offenbar die Luft erzählte.
Und dann ging es los. Die Männer und Frauen hatten sich auf der Tanzfläche gruppiert und ein Zwei-Mann-Orchester aus einem korpulenten, älteren Herren am Klavier und einem noch älteren, noch korpulenten Herren am Akkordeon begann zu spielen und die Paare tanzten. Und wie sie tanzten!
Die wenigsten Tänze waren mir geläufig. Am Anfang meinte ich noch eine Polka und einen Walzer zu erkennen, doch dann später gab es andere Tänze, die fast schon die Komplexität einer Ballettaufführung zu haben schienen.
Die Paare drehten sich umeinander, miteinander, wechselten Partner und Positionen und jeder schien genau zu wissen, wann er wo zu sein hatte.
Die Begleitmusik war einfach, sowohl die Melodie als auch der Text, den die Sitzenden scheinbar auswendig kannten und teils laut und fröhlich mitsangen, während die jüngeren über das Parkett fegten. Auch hier fiel mir wieder ein junger Mann auf, der scheinbar ohne Partnerin aber doch in perfekter Tanzhaltung alle Choreographien mitmachte.
Er tauchte ab und zu aus der Menge aus Männern und Frauen auf, von denen ich hin und wieder das Gefühl hatte, sie würden mir persönlich zulächeln, auch wenn das auf die Entfernung und angesichts dessen, dass bei mir kein Licht brannte, unwahrscheinlich erschien.
Am liebsten wäre ich selbst aus dem Haus gestürmt und zu ihnen hinübergelaufen, hätte mitgetanzt oder mich zumindest an einen der Tische gesetzt, um die atemberaubenden Darbietungen aus der Nähe zu sehen. Doch da ich bis auf meine Unterhose keine trockenen Kleider mehr besaß, verwarf ich den Gedanken.
Mit der Zeit rückten die Älteren zusammen, selbst die, die zuvor mit sich selbst gesprochen hatten, schienen nun reale Gesprächspartner vorzuziehen. Auch der einzelne Tänzer hatte nun ein junges Mädchen aufgefordert, welches zuvor am Rand gesessen hatte.
Als ich merkte, wie mir Kopf und Beine langsam schwer wurden, nahm ich das Kopfkissen vom Bett und zog den Stuhl zum Fenster, dann setzte ich mich und lehnte mich mit dem Kissen unterm Kopf gegen den Fensterrahmen.
Im Gegensatz zu mir wurden die Tänzer scheinbar immer noch nicht müde, sie sprangen und drehten sie sich weiter, doch ich merkte wie ihre Silhouetten für meine müden Augen immer mehr verschwammen, wie ich mit der Zeit nur noch sich drehende Kreise ausmachen konnte, die auf mich wirkten wie die drehende Spirale eines Hypnotiseurs und mich erneut zum einschlafen brachten.
Als ich erwachte war es draußen bereits hell und bis auf einige Pfützen auf der Straße deutete nichts mehr auf den gestrigen Regen hin.
Mein Rücken schmerzte von der unbequemen Schlafposition und ich fror ohne Bettdecke oder warme Kleidung.
Ich musste mehrfach blinzeln um gegen die plötzliche Helligkeit an sehen zu können, doch als ich es konnte, erstarrte ich.
Vor mir war das Gebäude von gestern, ohne jeden Zweifel, doch etwas Furchtbares musste passiert sein, nachdem ich eingeschlafen war.
Sämtliche Fenster waren zerstört, an einigen gab es unregelmäßige, schwarze Ränder. Die Girlanden waren abgerissen und sahen verbrannt aus und der große Kronleuchter war abgestürzt und steckte zum Teil im Boden vor dem Eingang. Die Tische waren umgestürzt und die Tischdecken heruntergerissen. Menschen waren keine mehr zu sehen
So schnell ich konnte suchte ich mir Hemd und Hose, die noch immer nicht ganz trocken waren trocken waren, rannte barfuß die Treppe herab und zum Empfang.
Der bärtige Mann saß (schon wieder oder immer noch) hinter seinem Tresen und roch (schon wieder oder immer noch) nach Alkohol, was diesmal jedoch unangenehm vom Gestank des Fischbrötchens, das er gerade aß, übertroffen wurde.
Ich lief so schnell auf ihn zu, dass ich nur knapp vor dem Tresen zum Stehen kam, was dem Empfangsmann fast schon so etwas wie eine Reaktion abrang.
„Das Haus!“, japste ich außer Atem. „Das Gebäude gegenüber-“
„Der alte Tanzsaal?“, fragte der Mann.
„Ja“, sagte ich, „Was-, was ist passiert?“
„Abgebrannt“, antworte er knapp.
„Wie-“
„Der Kronleuchter ist abgestürzt. Das morsche Seil hat wohl nich‘ mehr gehalten. Ist genau vor dem Eingang gelandet und hat ihn versperrt. Das Feuer hat sich dann ausgebreitet.“
„Oh mein Gott…“
Ich wurde gleichzeitig verzweifelter und wütender angesichts der Gelassenheit mit der er sprach.
„Und wurde jemand verletzt?“, fragte ich weiter.
„Hat wohl die halbe Dorfjugend erwischt“, sagte er, „Paar Ältere auch. Schlimme Sache.“
Der Schock schnürte mir buchstäblich die Kehle zu.
Konnte die Leute, die ich gestern noch beobachtet hatte, wirklich solch eine Katastrophe ereignet haben? Und hatte ich am Fenster geschlafen, während sie ein Haus weiter in den Flammen um ihr Leben kämpften?
„Haben Sie es beobachtet?“, fragte ich, „Sie müssen doch etwas gesehen oder gehört haben!“
„Muss ich nicht.“
„Dann haben Sie es auch verschlafen?“, fragte ich. „Das Feuer letzte Nacht?“
Nun sah er doch etwas verwirrt aus.
„Ich weiß ja nicht, wovon Sie da sprechen“, sagte er sehr langsam, „Aber von dem Feuer im Tanzsaal habe ich nichts gesehen oder gehört, weil ich damals noch nicht geboren war.“
Und je länger ich über diese Worte nachdachte, hatte ich das Gefühl plötzlich alles und nichts mehr zu verstehen.