MittelTraum

Versunken

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Es ist ein seltsames Gefühl, als ich nach Allem die Main Street von Spring Valley hinabgehe.

Meiner Heimat. Es fühlt sich immer noch an wie meine Heimat, auch wenn durch das Wasser alle Farben gedämpft wirken und ich kaum weiter als ein paar Meter sehen kann, bevor das allgegenwärtige Blau-grün mir die Sicht nimmt.

Überall um mich her schwimmen kleine Partikel auf und ab, hier und da steigen Luftblasen auf.

Ein Fischschwarm passiert mich, während ich mir im Vorbeigehen links und rechts der Straße die Vorgärten meiner früheren Nachbarn und Bekannten anschaue.

Einige sehe ich förmlich noch vor mir; Mister Smithers auf seinem alten Rasentrecker, den kleinen Terrier von Miss Mills, der aufgeregt bellend an den Palisadenzaun springt.

Natürlich sind sie nicht wirklich da, es ist alles leer und still; der Zaun ist zum Großteil vermodert und an den Überresten haben sich Algen angeheftet.

Ich gehe weiter, bis ich an der Kreuzung Main Street und Spring Street auf ein Auto treffe.

Es steht schief, mitten auf der Kreuzung, fast als wollte es gerade noch um die Kurve biegen. Doch bei näherer Betrachtung merkt man, dass es schon länger hier stehen muss. Die Fenster des mittelgroßen Wagens sind zerbrochen und die frühere Farbe ist durch all den Rost kaum noch auszumachen.

Erstaunlicherweise hat sich ein einziges, kleines Detail jedoch gehalten. Am Rückspiegel hängt ein kleines Herz aus Bügelperlen. Es ist rot mit einem blauen „M“. Ich vermute, dass es für Mama steht, aber es kann natürlich auch ein Name sein.

Ich lasse das Auto hinter mir, ich muss weiter. Ich gehe die Spring Street hinab bis auf der linken Seite „Adams‘ Groceries“ auftaucht.

Als Kinder haben wir hier oft unser halbes Taschengeld für Lutscher, Bonbons und Zeitschriften ausgegeben. Wie wertvoll diese Dinge mir und meinen Freunden zu dieser Zeit erschienen sind, damals als ich noch Freunde hatte und das Leben einfach war.

Ich zögere kurz, als ich neben der zerbrochenen Glastür das Blechschild mit der Aufschrift „Closed“ lese. Ich erinnere mich, wie oft ich damals enttäuscht vor diesem Schild gestanden habe; wie aufgeregt ich jedes Mal war, wenn der alte Adams langsam zu dem Schild hinkte, um es umzudrehen.

Letztlich siegt doch meine Neugier und ich trete ein, schließlich kann es Mister Adams jetzt auch nicht mehr stören.

Einen Moment erwarte ich die Wärme zu fühlen, wenn man im Winter von draußen in den Laden kam, oder die frische Brise vom Ventilator im Sommer.

Doch sind sie ebensowenig da, wie all die Leute, die den Laden sonst bevölkerten; die aufgeregten Kinder, die nach neuen Comicheften suchten, ein paar Säufer, die immer noch einige wahllose Lebensmittel kauften, als könnten sie damit über die vier bis fünf Schnapsflaschen hinwegtäuschen, die übliche Gruppe tratschender Damen und natürlich der alte Adams selbst, der mit mürrischem Gesicht über eine Zeitung hinweg seine Kunden beobachtete und dabei stets Kaffee trank, der so stark roch, dass sich mir als Kind selbst von dem Geruch das Gesicht zusammenzog.

Ohne die Menschen ist der Laden kaum wiederzuerkennen, auch wenn der Tresen und die Regale noch immer da sind. Ich steige über ein umgestürztes Regal, wate durch die Berge herumliegender Waren. Wie ein einsamer Luftballon treibt langsam eine Dose an mir vorbei. Das Etikett ist kaum noch lesbar, doch von dem, was noch sichtbar ist, scheint es sich um eine Dose Erbsen zu handeln. Elegant schwebt sie durch den Raum, bis sie durch das nicht mehr vorhandene Schaufenster verschwindet.

Ich gehe ihr nach, lasse den Laden hinter mir, habe ich mein Ziel doch immer noch nicht erreicht.

Die Spring Street führt mich weiter, vorbei an vertrauten Häusern und Geschäften, an Orten vorbei, die teils vollkommen zerstört und mit Schmutz bedeckt sind und anderen, die wirken, als hielten sie nur ein kurzes Nickerchen.

Die St.George’s Church hat sich kaum verändert. Den massiven Mauern und Türen der Kirche konnten die Wassermassen kaum etwas anhaben und in der großen Glocke spiegelt sich noch immer das Licht der Sonne, wenn es auch durch die Wasseroberfläche gedämpft wird.

Selbst die Bäume auf dem Hof stehen zum Großteil noch, nur dass sie ihr ehemals dichtes Laub gegen Algen eingetauscht haben, die an den Ästen hängen und sanft auf und ab schaukeln.

Fast scheint es, als wären die Bäume lebendig geworden um im Rhythmus des Wassers einen eigenartigen Tanz zu tanzen, ein wehmütiger Tanz, der an Dinge erinnert, die lange im Wasser wie in der Vergessenheit versunken sind.

Am liebsten will ich mich auf die kleine Bank neben dem Eingangstor setzen und ihnen zusehen, nur einen Moment, doch ich habe keine Zeit und außerdem ist es nur noch ein kleines Stück bis ich ihn endlich erreiche, den Ort, den ich suche.

Es ist mein Haus. Das Haus meiner Familie.

Der Gartenzaun ist schief, verbogen und verrostet; Blumen und Rasen sind schlammigem Boden gewichen. Dafür ist der gepflasterte Weg zur Tür noch immer da , zwar teils mit Schmutz und Wasserpflanzen bedeckt, aber doch sichtbar.

Als ich die Tür erreiche, greife ich instinktiv an meine Tasche, um den Schlüssel zu suchen, wie so oft wenn ich von der Schule nach Hause kam. Doch heute brauche ich keinen Schlüssel.

Ich trete in den Flur, in dem wild verstreut unsere Schuhe liegen, meine, die meiner Eltern und auch die größeren von meinem Bruder Chadwick. Die Jacken hängen zum Teil noch immer an den Haken und bewegen sich gespenstisch auf und ab.

Durch die Küche komme ich ins Wohnzimmer. Mein Blick fällt auf das Sofa, das nun schief im Raum steht. Der Bezug ist zum Teil aufgerissen. Ein Krebs blickt kurz darunter hervor nur um sich gleich darauf wieder zu verkriechen. Er muss durch das Fenster hereingekommen sein und hat diesen Ort wohl als sicheres Versteck erachtet.

Wenn meine Eltern nicht arbeiteten, verbrachten sie fast ihre ganze Zeit auf diesem Sofa, sahen fern oder spielten Brettspiele. Ich sehe einige kleine Scheiben an der Decke treiben,schwarze und weiße, und muss schmunzeln als ich erkenne, dass es Dame-Steine sind. Sie müssen mitten in einem Spiel gewesen sein an dem Tag. Einen Moment suche ich nach dem Spielbrett, doch es scheint sich nach all der Zeit im Wasser vollständig aufgelöst zu haben.

Ich gehe durch die Küche, werfe nur einen kurzen Blick auf die Kochzeile, auf der noch immer schmutziges Geschirr steht, bevor ich die Treppe nach oben hinaufsteige.

Aus Gewohnheit gehe ich vorsichtig, so oft wie Chadwick aus einer Ecke sprang um mich zu erschrecken, sobald ich oben war. Das heißt damals, als er sich noch für mich interessierte, bevor er anfing, immer mehr mit seinen Freunden zu unternehmen statt mit mir, der keine hatte.

Ich rüttle kurz am Henkel seiner Zimmertür, doch sie ist verschlossen. Chadwick hatte wohl gehofft, sich mit der verschlossenen Tür vor dem Wasser schützen zu können. Die Tür hielt auch. Das Fenster hielt nicht.

Meine Zimmertür ist offen. Da ist mein Regal, umgestürzt auf dem Boden. Die vielen Bücher liegen überall verstreut – von den meisten ist nicht viel mehr als der Einband übrig- und zwischen ihnen die Scherben des zerborstenen Fensters. Mein Schreibtisch und mein Bett stehen noch an gewohnter Stelle, wenn auch an ihnen ebenfalls deutlich der Einfluss des Wassers zu sehen ist.

Ich trete an mein Bett, stütze mich mit einer Hand auf das vom Rost braune verfärbte Bettgestell, lege die andere vorsichtig auf die noch immer schief darauf liegende Decke.

Dies ist der Ort.

Hier würde ich sein. Ich würde mich nicht verstecken, ich würde keinen Schutz suchen. Ich würde-

„Alles in Ordnung?“, fragt Chadwick. Ich öffne die Augen. Ich sitze auf der Bank vor St.George’s, spüre den kühlen Wind, höre Vogelgezwitscher und in der Ferne die Stimmen von Leuten und vorbeifahrende Autos. Irritiert blicke ich Chadwick an und nicke. Ich schaue mich um, sehe Miss Mills mit ihrem Terrier vorbeigehen, die Menschentraube vor „Adams´ Groceries“ und dann – an ihnen allen vorbei.

Filme und Bücher stellen Menschen wie mich gern als tragische Helden dar, verzweifelte, missverstandene Figuren, die sinnlos versuchen, andere vor kommendem Unheil zu schützen, von dem sie allein wissen.

Für mich gibt es niemanden mehr, den ich schützen wollen würde.

Ich sitze ruhig auf meiner Bank, lächle und schaue auf den Staudamm, der nur kurz hinter der Dorfgrenze liegt.

Ich bin der einzige, der von den Rissen im Inneren weiß.

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