
Rotfleckenfieber
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Im ganzen Reich
hatte es in den letzten Jahren mehrere Fälle von Seuchen gegeben und
die neueste, das Rotfleckenfieber, griff besonders gierig um sich.
Nach der großen
Seuche 1907 wurden jährliche Kontrollen aufgegeben und Jonathan
Kain, seines Zeichens Beauftragter der Seuchenkontrollbehörde, war
vor ein paar Tagen mit dem Zug in Grettdorf angekommen, welches auf
halber Strecke zu Weißfurt lag, um mögliche Gefahrenquellen zu
untersuchen.
Grettdorf war ein
einfaches Städtchen; nicht so einfach, dass es keinen Bahnhof
gegeben hätte, aber so einfach, dass nur dreimal am Tag ein Zug über
die Schienen rollte. Zwei kleine Personenzüge und ein Güterzug, der
etwaige Rohstoffe lieferte und gefertigtes weggebrachte. Die Stadt
verdiente ihren Unterhalt insbesondere durch die Produktion von
Waffen, zumindest nach den Informationen die Jonathan hatte. Ganz im
Sinne des Staates.
Die Fahrt war
nicht einfach gewesen, das Städtchen lag etwas weiter entfernt vom
Zentrum des Reiches, sodass es fast sechs Stunden gedauert hatte
herzukommen.
Erst war Jonathan
von Heidelberg nach Leipzig gefahren, dann weiter mit einem Fahrer in
Markbach; ein Dörfchen mit gerade einmal vier Häusern.
Er konnte mit
einem der Besitzer für die Nacht ein kleines Quartier telefonisch
vereinbaren und wurde am nächsten Tag nach Bismund gebracht, wo er
mit dem Zug in Grettdorf ankam.
Nun hatte er sich
in einem Gasthaus in Grettdorf einquartiert und wollte diesen Morgen
direkt zum Bürgermeister gehen, das Unterfangen erklären.
Man hatte ihm wie
gewünscht das Frühstück mit einem Klopfen vor das Zimmer gestellt
und er plante den ungefähren Tag. Sein Auftrag bestand darin die
üblichen Vorgehensweisen zu erklären, die getroffen werden mussten,
wenn es tatsächlich zu einem Fall von Rotfleckenfieber kommen würde
und zu kontrollieren, wie die Wasserversorgung funktionierte.
Ebenfalls wollte er weitere mögliche problematische Teile der Stadt
kontrollieren.
Er ging nach
draußen und machte sich auf den Weg zum Bürgermeister. Das Holz aus
den Öfen und der Qualm aus den Fabrikschloten gemischt mit der Kälte
des Winters machten das Atmen anstrengend.
Das Rathaus war
nur einige Minuten entfernt und als er eintrat, sah er direkt eine
Empfangsdame, die kurze Zeit später mit ihm einige Einzelheiten
besprach.
„Guten Tag, mein
Name ist Jonathan Kain. Ich bin von der Seuchenkontrollbehörde
geschickt worden und soll eine Kontrolle sowie Unterweisung
durchführen.“ „Warten Sie einen Moment, ich muss das mit dem
Bürgermeister besprechen“, sagte die Frau und wirkte etwas
unsicher. Sie lief zur Tür gegenüber von Jonathan und öffnete sie,
schloss sie hinter sich und kurz hörte man zwei Stimmen; einen
Moment später trat sie wieder heraus.
„Sie können
hereinkommen.“ Jonathan nickte und ließ die Tür hinter sich.
„Setzen Sie sich
bitte“, sagte eine kratzige Stimme. Der Stuhl war von seinem
Schreibtisch etwas weit entfernt, Jonathan wollte ihn schon
heranrücken.
„Bleiben Sie
bitte dort, ich habe eine leichte Grippe, ich möchte Sie nicht
anstecken.“
„Natürlich, in
Ordnung, in Ordnung“, sagte Jonathan und setzte sich.
„Warum sind Sie
hier? Meine Sekretärin sagte mir, dass Sie vom Reich geschickt
worden sind. Ich hoffe, die Abgaben sind zur vollsten Zufriedenheit.“
„Ich bin nicht
von der Steuerbehörde – keine Sorge. Haben Sie keinen Brief von
der Seuchenkontrollbehörde erhalten?“
„Nein, leider
nicht, ein derartiges Schreiben ist hier nie angekommen.“
Jonathan runzelte
die Stirn. Das war unangenehm, aber durchaus vertretbar.
„Ich bin hier,
um zu kontrollieren, ob es in dieser Stadt Fälle von
Rotfleckenfieber gibt. Kennen Sie diese Krankheit?“
„Nein, tut mir
Leid.“
„Besser so. Eine
widerliche Krankheit, die in letzter Zeit im Reich um sich greift und
schon einige hundert Leute dahingerafft hat. Nach der großen Seuche
1907 wurde meine Behörde ins Leben gerufen. Ich kontrolliere, ob es
Krankheitsfälle gibt, gewisse Akten in den örtlichen
Krankenhäusern, die Wasserversorgung.“
„Ich werde Ihnen
Einsicht geben. Alles was Sie brauchen.“
„In den nächsten
Tagen erhalten Sie einige Unterlagen, damit sie wissen, wie im Falle
einer Erkrankung zu verfahren ist.“
„Danke.. nun,
was möchten Sie sich alles konkret ansehen?“
„Ich brauche
alle Unterlagen des örtlichen Krankenhauses, Zugang zur
Wasserversorgung, ebenso Einsicht in alle weiteren Akten, die
relevant sein könnten.“ Der Bürgermeister runzelte die Stirn.
„Ich werde
morgen mit dem Leiter des Krankenhauses reden, ich denke übermorgen
sollten Sie die Akten bekommen. Weitere Akten fallen mir nur bedingt
ein. Höchstens eine Kopie aus dem etwas entfernten Nachbardorf
bezüglich der Seuche 1907. Dann noch bezüglich der Wasser- und
Abwasserversorgung, dort laufen momentan gewisse Arbeiten, das sollte
erst in drei Tagen wieder zugänglich sein.“
„Ich werde mich
übermorgen bezüglich der Akten des Krankenhauses hier noch einmal
melden.“
„Ich lasse Sie
Ihnen zuschicken. Was die Kosten Ihrer Unterkunft betrifft –
übernimmt das die Stadt?“
„Nein, das Reich
hat mir genügend Mittel zur Verfügung gestellt.“
„Gut, dann danke
für Ihre Bemühungen. Sagen Sie der Sekretärin, dass Sie den
Seuchenbericht für das Nachbardorf brauchen.“
„Werde ich,
schönen Abend noch und danke für Ihre Hilfe.“ Der Bürgermeister
nickte.
Jonathan trat
heraus und es stimmte ihn fröhlich auf keinerlei Hindernisse
gestoßen zu sein.
Er hoffte, dass
die anderen Städte auch so umgänglich sein werden würden.
„Ich bräuchte
den Seuchenbericht des Nachbardorfes aus dem Jahre 1907.“
„Einen
Moment, warten Sie kurz“, sagte die Frau, ging zu einer
anderen Tür und kam wenig später mit ein paar Blättern zurück.
„Hier, ich glaube das müsste alles sein.“ „Danke.“
Er ließ sich ein
kleines Abendessen bringen und ging nach dem Studium des Berichtes
früh schlafen. Der Bericht war wenig aufschlussreich gewesen.
Als er aufwachte,
stand vor der Tür ein Frühstückstablett und er aß gemütlich.
Heute würde er
sich die gesamte Stadt genauer ansehen. Es gab immer Faktoren durch
die Seuchen auftreten konnten – genau wusste man ja auch immer noch
nicht wie das Rotfleckenfieber übertragen wurde.
Erst sah er sich
das große Fabrikgelände an, aber konnte dort keine problematischen
Stellen entdecken. In der Innenstadt war das meiste ebenfalls
akzeptabel.
Er wollte sich
auch die Kornspeicher ansehen, doch war dort der Zugang versperrt, er
würde den Bürgermeister wohl noch einmal fragen müssen.
Schließlich
beschloss er zu den Feldern zu gehen, die Kornspeicher waren
verschlossen, die Akten bekäme er erst morgen und die
Wasserversorgung konnte er erst übermorgen in Augenschein nehmen.
Die weitläufigen Felder lagen brach und auf ihnen standen dürre
Kühe.
Ein großes
Landhaus stach aus der kargen Landschaft heraus. Jonathan marschierte
darauf zu und klopfte. Er wollte ein paar Informationen, darüber wie
alles hier funktionierte, welchen Standards alles entsprach.
Nach einiger Zeit
öffnete ein Mann in den besten Jahren. „Guten Abend“, sagte er
stirnrunzelnd. „Kann ich mit dem Herrn des Hauses reden? Oder sind
Sie…“ „Nein, nein – ich bin sein Schwager. Was wollen Sie
hier?“ „Ich bin Beauftragter im Namen der Seuchenkontrollbehörde,
ich bin hier, um einige Städte zu kontrollieren.“ Der alte Mann
runzelte ein weiteres Mal die Stirn. „Vom Reich? Sie sehen jung
aus.“ „Höchstpersönlich. Ich bin noch nicht lange bei der
Behörde.“ Kopfschüttelnd trat der Mann zur Seite und ließ
Jonathan herein. „Ich hole ihn.“ „In Ordnung.“
Nach einigen
Minuten kam er mit einem pausbäckigen Mann zurück. „Ein Mann vom
Reich? Ich hoffe doch, es gibt keine Probleme? Die Abgaben sind doch
angekommen, oder? Gregor? Hast du die Abgaben gezahlt?“
„Der Mann kommt
nicht von der Steuerbehörde, sondern von der
Seuchenkontrollbehörde.“ „In der Tat. Mein Name ist Jonathan
Kain. Ich bin vom Reich beauftragt worden einige Städte zu
kontrollieren.“ „Gibt es ein Problem?“ „Machen Sie sich keine
Sorgen, das nur eine Kontrolle um dafür zu sorgen, dass so etwas wie
1907 nicht wieder passiert.“
Der Blick des
Mannes verdüsterte sich.
„1907… Hat
zwei meiner Brüder hingerafft, die weggezogen waren. Ich werde Ihnen
helfen so gut ich kann. Was brauchen Sie?“ „Ich müsste wissen,
wie das hier abläuft, das Gelände ein wenig ansehen, auch bezüglich
des Kornspeichers bräuchte ich die ein oder andere Information.“
Knapp vier Stunden
erzählte der Besitzer über die Felder und den Ablauf. Auch der
Kornspeicher wurde beschrieben und sogar ein älterer Plan wurde
vorgelegt. Jonathan würde darauf bestehen, einen weiteren
Kornspeicher zu errichten und die Wände zu verstärken. Es lief
immer noch recht unproblematisch ab; das freute ihn.
„Ein Lüftchen
zieht herauf“, sagte der Besitzer, als sie gerade die Pflüge
genauer ansahen.
„Es wird
stürmen.“
„Stürmen?“
„Ja, es sieht
nach Sturm aus. Nun, wir sollten den Rundgang langsam beenden.
Brauchen Sie noch etwas?
„Momentan nicht.
Falls es noch etwas gibt, werde ich mich natürlich melden, aber es
sieht gut aus.“
Zu Fuß ging er
zurück zur Stadt und nahm ein frühes Abendessen zu sich. Trotz des
heftiger werdenden Sturms, konnte er gut schlafen. Morgen würde er
weitere Informationen von dem Krankenhaus bekommen.
Am nächsten
Morgen lagen neben dem Frühstück die versprochenen Akten. Den Rest
des Tages verbrachte er damit sie konkreter zu studieren. Zwischen
den ganzen Blättern konnte er allerdings nicht wirklich etwas
nützliches finden.
Um die
Informationen zu verarbeiten und seinen Bericht besser schreiben zu
können, beschloss er gegen Abend noch einmal kurz spazieren zu
gehen. Ein wenig die Gedanken freibekommen.
Der Sturm hatte
ein wenig auf den Straßen gewütet, außerhalb der Innenstadt sollte
es laut dem ein oder anderen Gesprächsfetzen noch schlimmer
aussehen.
Nach einer guten
halben Stunde ging er zurück ins Zimmer und aß das bereitgestellte
Abendbrot. Morgen wäre die Wasserversorgung dran, wenn alle Arbeiten
erledigt wären, könnte er endlich alles kontrollieren.
Er schrieb lange
an seinem Bericht, merkte insbesondere die Kornspeicherüberlegungen
an, aber auch, dass es bislang keine Probleme oder Hinweise auf eine
Seuche gab.
Wenn man endlich
ein Heilmittel finden oder zumindest die Herkunft und Übertragung
bestimmen könnte, dachte er und runzelte die Stirn. Das Reich hätte
eine Sorge weniger.
Am nächsten Tag
machte er sich nach dem Frühstück auf zum Rathaus, um die
Wasserversorgung zu kontrollieren. Auf der Straße wurde heftig über
die Folgen des Sturms diskutiert, insbesondere schien der Bauer
außerhalb schweren Schaden davongetragen zu haben. Genaues bekam er
allerdings nicht mit.
Er ging weiter zum
Rathaus und man ließ ihn direkt zum Bürgermeister. Der Stuhl war
immer noch etwas entfernt. „Die Grippe. Hoffentlich geht’s bald
besser.“ „Gute Besserung.“ „Danke, danke. Sie kommen wegen
der Wasserversorgung?“ „Ja, ich dachte heute könnte man das in
Angriff nehmen.“ „Ich werde jemanden suchen, der sich darum
kümmert – ich denke in einer Stunde können Sie alles in
Augenschein nehmen. Haben Sie das mit dem Bauern mitbekommen? Die
ganze Herde, einfach tot. Schlimme Sache.“ „Was ist überhaupt
passiert?“ „Der Sturm. Heute morgen hat er wohl die Kühe
gefunden, überall kleine Verletzungen, das hat sie wohl umgebracht.“
„Wie? Inwiefern?“, fragte Jonathan irritiert und stockte.
„Überall rote Punkte, vielleicht von umherfliegendem Schutt. Hat
mir die Sekretärin erzählt.“
„Das
Rotfleckenfieber, zuerst sterben immer die Kühe“, sagte Jonathan
mehr zu sich selbst.
„Die Seuche?“
Der Bürgermeister stockte. „Die Seuche. Wir müssen handeln.“
„Wie kann es denn ausgebrochen sein?“ „Ich…“ Kurz
zögerte er, er überlegte, dann klärte sich sein Blick auf. Der
Sturm! „Der Sturm muss der Auslöser sein. Bisher waren wir
uns nicht hundertprozentig sicher, wie es übertragen wird, aber es
muss der Sturm sein. Alles andere macht keinen Sinn.“
„Gut. Was müssen
wir tun?“ Jonathan machte eine Pause. „Wir müssen Maßnahmen
ergreifen.“ Er zögerte. Es war für das Reich, es war die einzige
Möglichkeit. „Was für Maßnahmen?“ „Wir müssen…“ Er
zögerte noch einmal. „Wir müssen zum Wohle vieler einige…
entfernen.“ „Was meinen Sie?“ „Wir müssen alle vom Land
erschießen und das Haus sowie die Felder mit den Leichen abbrennen.“
„Sie sind doch…“ „Es ist die einzige Möglichkeit. Alles
andere würde die Stadt niederraffen – verstehen Sie? Zum Wohle
aller müssen einige eben sterben; sonst sterben wir alle.“
Der Bürgermeister
zitterte ein wenig. „Nein.“ „Es geht nicht anders.“ „Es
muss doch irgendwie…“ „Wir müssen jetzt handeln, sonst bringen
Sie Ihre gesamte Stadt um!“ Der Bürgermeister stand auf und ging
nach draußen. „Silke“, rief er. Sie trat herein. „Ja, was kann
ich tun?“ „Hol den Polizeichef.“
Wenig später kam
auch der Polizeichef herein und man erklärte die Lage.
„Wir können die
Leute doch nicht einfach töten? Das ist doch verrückt!“, sagte
der Polizeichef und schüttelte den Kopf.
„Es ist die
einzige Möglichkeit. Wir müssen uns beeilen, bevor es zu spät
ist.“ „Er hat Recht“, stimmte der Bürgermeister zu.
Nachdem noch
einige Zeit diskutiert wurde, entschied man sich dann alles in die
Wege zu leiten.
Die gesamte
Polizei wurde zusammengetrommelt und mit Benzin, Feuerzeugen und
Pistolen ausgerüstet. Zusammen ging der Machtapparat zu dem Landhaus
und alles wurde in Benzin getränkt. Es schmerzte Jonathan natürlich,
aber es war die einzige Möglichkeit und jetzt war endlich klar
wodurch die Seuche übertragen wurde.
Sein Bericht und
dieser Fall würden wertvoll sein und das Opfer der Bauern würde dem
ganzen Reich helfen.
Man sagte den
Leuten, dass sie im Haus bleiben sollten. Jeder Bewohner, der
versuchte herauszukommen würde direkt vom Polizeikommando erschossen
werden. Das konnte er nicht mitansehen. Selbst als er schon fast
wieder bei der Stadt war, konnte er noch die Schreie hören.
Mehrere Leute im
Städtchen kamen auf Jonathan zu, der völlig verstört jedwede
Anfrage ablehnte, aber mehrmals wurde er angefasst und gefragt, was
los wäre. Er konnte nur den Kopf schütteln. Inständig hoffte er,
dass der Bürgermeister die Leute aufklären würde.
Am nächsten Tag
hatte sich alles schon etwas beruhigt, aber trotzdem war es immer
noch das eheste Gesprächsthema. Mittlerweile wusste man von dem Fall
und man sah mehr Leute mit einem Taschentuch vor dem Mund
umherlaufen. Auch Jonathan selbst trug die meiste Zeit ein
Taschentuch. Im Rathaus informierte er die Sekretärin, dass er nun
die Wasserversorgung begutachten wollte.
„Ich werde kurz
mit dem Bürgermeister sprechen.“ Nach einigen Minuten kam sie
wieder heraus und nannte ihm den Mann mit dem er sprechen sollte.
Hugo hieß er und müsste in dieser Zeit wohl im
Gasthaus zu finden sein, in dem Jonathan auch lebte.
Stirnrunzelnd ging
Jonathan zurück zum Gasthaus und fand in den unteren Räumen
tatsächlich einen mittelalten Mann, rot im Gesicht und vor sich ein
Krug Bier. Er mochte den Anblick von Menschen, die so früh tranken
nicht; es hatte etwas unangenehmes. „Entschuldigen Sie?“ „Ja?
Was gibt’s?“, gab er zurück. „Sie sollen mir die
Wasserversorgung zeigen.“ „Ach, stimmt – wurde mir ja gesagt.
Also – gehen wir los?“ Jonathan nickte und nachdem Hugo in einem
Zug seinen Krug leerte und zahlte, gingen sie heraus und am Rand der
Stadt passierten sie ein eisernes Gitter und liefen über abgetretene
Stufen nach unten, um die Wasserversorgung genauer zu begutachten.
Viele Teile waren
rostig und müssten ausgebessert werden, auch die Filter waren schon
seit langer Zeit nicht mehr ordnungsgemäß gewechselt worden. Es
dauerte ein paar Stunden bis er alle Informationen hatte, ging dann
zurück und schrieb müde seinen Bericht.
Den Vorfall vom
Tag zuvor notierte er ebenfalls. Immer wieder holten ihn die Bilder
ein. Am nächsten Morgen wurde er durch heftiges Klopfen an der Tür
geweckt. Es hatte einen weiteren Zwischenfall gegeben. „Der
Bürgermeister muss Sie sprechen!“ „Was… was ist denn?“ „Ein
neuer Fall. Wieder ist jemand erkrankt“ „Ein neuer…“
Plötzlich war Jonathan hellwach. Was war passiert? War jemand vom
verdammten Landhaus geflohen?
Als er unten
ankam, stand dort schon die Polizeidirektion und der Bürgermeister.
„Einer der
Arbeiter in der Fabrik ist betroffen.“ Jonathan zögerte, aber es
gab keine andere Möglichkeit, auch wenn es ihm schwerfiel. „Wir
müssen wie beim Bauernhaus verfahren“, sagte er trocken. „Das
geht nicht.“ „Wir müssen.“ „Es geht nicht. Das Pulver in
der Fabrik, wir können es nicht niederbrennen. Und die Arbeiter
lassen sich sicher nicht einfach erschießen.“ „Wir müssen“,
wiederholte Jonathan. „Nein – es ist nicht möglich. Welche
Optionen haben wir noch?“ Jonathan überlegte, darauf war er nicht
vorbereitet gewesen. Es war nicht die beste Lösung, aber wohl das
einzige was übrig blieb.
„Quarantäne –
niemand darf die Fabrik verlassen, sonst wird er direkt erschossen.
Die Fenster müssen verschlossen bleiben, die Türen ebenfalls. Der
Bahnhof muss gesperrt werden. Sorgen Sie dafür.“ Der Bürgermeister
nickte.
Er sah zu, wie die
Fabrik abgesperrt wurde und die Polizei anfing zu patrouillieren. Zum
Wohle aller. Der Gedanke durchzog ihn wieder.
Die Stadt hatte
sich verändert und man merkte den Leuten die Angst an.
Jeder trug ein
Taschentuch vor dem Mund. Jonathan schloss sich ein und schrieb
seinen Bericht weiter. Einfach nur, um seinen Aufgaben nachzukommen.
Das
Rotfleckenfieber hatte in kürzester Zeit ein ganz anderes Ausmaß
angenommen.
Erst bemerkte er
nur halb, dass es klopfte. Das Abendessen. Doch dann hörte er ein
Husten. Erschrocken stand er direkt auf, ging mit dem Taschentuch vor
dem Mund nach draußen und sah noch einer der Angestellten hinterher,
ein paar Punkte auf ihrer Hand.
Auch sie war
krank. Er musste hier weg. Eilig zog er sich an und verließ das
Haus. Da ihm nicht einfiel, wo er sonst hinkönnte, ging er zu dem
Rathaus. Es war schon spät und die Tür war verschlossen. Mehrmals
klopfte er, bis ihm schließlich der Bürgermeister öffnete.
„Die Leute im
Gasthaus sind ebenfalls krank.“ „Sind Sie…?“ „Nein –
keine roten Punkte – sehen Sie?“ Er schob die Ärmel etwas nach
oben und zeigte seine Haut. Der Bürgermeister nickte kopfschüttelnd
und ließ ihn herein. „Kann ich bei Ihnen ein paar Nächte
unterkommen?“ „Natürlich – ohne Sie wäre sicher schon die
ganze Stadt erkrankt. Ich werde mich um das Gasthaus kümmern. Lassen
Sie sich von meinem Sohn bedienen.“ Er drehte sich um und sagte
etwas lauter: „David, komm bitte mal her!“ Aus dem Nebenraum kam
ein junger Mann. „Mach unserem Gast eine Suppe – ich muss noch
einmal los.“ „Wieder ein Fall?“ „Ja. Bitte, bleib einfach bei
Herrn Kain.“ „Vater – ich werde mich um alles kümmern.“ Er
führte Jonathan zum Esstisch und stellte sich danach selbst in die
Küche. Durch das Fenster konnte Jonathan das brennende Gasthaus
sehen. Es schmerzte ihn zwar, als er draußen den sich spiegelnden
Feuerschein sah, aber es war zum Wohle aller. „Wird es die Stadt
schaffen?“, fragte der Sohn des Bürgermeisters, als er die Suppe
brachte. Jonathan konnte nicht antworten.
Am nächsten Tag
ging Jonathan mit einem Taschentuch nach draußen. Er musste sehen,
was passiert war. Das ganze Stadtbild war nur noch eine Karikatur.
Das ehemalige Gasthaus ein verbrannter Rest. Überall liefen
Polizisten mit geladenen Waffen umher. Es wurde kritisch.
Er fand
schließlich auch den Ort, bei dem er zu der Wasserversorgung
gekommen war und ihm wurde klar, dass das bald ebenfalls ein Problem
werden würde. Eilig ließ er die Städter informieren, alles
abzukochen. Er ging dann zurück, blieb stundenlang in seinem Zimmer
und schrieb seinen Bericht. Danach kontrollierte er sich. Jeden
Zentimeter seines Körpers und hoffte bloß nichts zu finden. Und
tatsächlich – bisher hatte es nicht auf ihn übergegriffen.
Am nächsten
Morgen stand er früh auf. Er hoffte, dass sich mittlerweile alles
erholt hatte. Der Bürgermeister saß am Frühstückstisch und aß,
doch als Jonathan sah, dass auf seiner Hand ein paar kleine rote
Punkte waren, machte er einen Schritt zurück.
Selbst der
Bürgermeister war krank, das Wasser musste nicht anständig
abgekocht sein. Vorsichtig ging er hin, mit dem Taschentuch vor dem
Mund.
„Sie müssen
sich ausliefern lassen.“ „Bitte was?“ „Die Punkte auf Ihrer
Haut.“ „Ich hab mich gekratzt oder so – ich bin nicht krank“,
sagte er. „Gehen Sie zur Polizei.“ „Ich bin nicht krank.“ Er
sprach es mehr zu sich selbst als zu Jonathan. „Ich bin nicht
krank“, wiederholte er. „Sie sind krank. Sie müssen zur Polizei
gehen, Sie müssen.“ Es irritierte den Bürgermeister, diesem wurde
klar, dass das sein Todesurteil war, aber er wollte es nicht
wahrhaben. Er stand dann auf, ging langsam auf Jonathan zu. „Ich.
Bin. Nicht. Krank. Diese ganze Stadt – Sie haben alles zerstört!“
„Die Krankheit spricht aus Ihnen – bitte, lassen Sie uns das so
schmerzlos wie möglich regeln.“ Das Gesicht des Bürgermeisters
wandelte sich zu Entsetzen und er griff zur Kommode, riss sie auf und
holte eine Pistole hervor. „Sie wollen mich tot sehen – Sie sind
der Kranke! SIE!“ Er schoss Jonathan in seine linke Hand. In halben
Sekunden durchzuckte ihn ein unglaublicher Schmerz. Jonathan schrie
auf.
Wohl durch die
Lautstärke aufgescheucht, kam sein Sohn aus einem anderen Zimmer.
„Was ist los – was ist…“ Und nun legte sich für einen Moment
eine Totenstille über den ganzen Raum. Die Haut seines Sohnes war
übersät von kleinen, roten Punkten, noch viel stärker, als beim
Bürgermeister selbst.
Jonathan nutzte
den Schockmoment, schlug dem Mann die Pistole aus der Hand. „Sie
haben alles zerstört. Sie!“ Er schüttelte nur den Kopf und ging
langsam auf Jonathan zu. Jonathan schoss. Blut spritzte aus dem
Schädel. Der Bürgermeister sackte in sich zusammen. Kurz darauf
richtete er die Waffe auf den Sohn, der angerannt kam, zu seinem
Vater wollte und schoss ein weiteres Mal. Wäre er näher gekommen,
hätte er Jonathan wahrscheinlich angesteckt. Entweder er starb jetzt
oder in den nächsten Tagen wären er und Jonathan gestorben. Er
musste ihn töten um zu überleben; es gab keine andere Möglichkeit.
Bewaffnet mit dem
Revolver, griff er seine Unterlagen, rannte aus dem Rathaus und bevor
irgendwer reagieren konnte, hatte er längst das Städtchen
verlassen. Niemand verfolgte ihn, vielleicht hatte ihn niemand
gesehen.
Der Weg führte
durch die Felder und er sah sich um. Die Kühe – da wo alles
begonnen hatte.
Dieser verdammte
Sturm.
Diese Stadt war
dem Untergang geweiht – aber die Informationen würden das ganze
Reich retten.
Die Rückreise zur
Reichsstadt war mehr als beschwerlich. Am Tag seiner Ankunft wurde er
befördert und sein Bericht wurde direkt entgegengenommen.
Man brachte ihn
direkt zu einer speziellen Praxis, da sich seine Schusswunde
entzündet hatte, weil er sie nur sehr grob hatte verarzten können.
Später würde er in eines der besten Hotels der Stadt kommen.
„Lassen Sie mal
sehen. Ein sauberer Durchschuss – ich werde eine Probe nehmen.“
„Machen Sie das.“ Der Arzt nahm die Probe und machte einige
Tests. „Ich denke mit ein paar Medikamenten kriegen wir sie wieder
hin.“ „Hole ich morgen die Ergebnisse ab?“ „Ja, kommen Sie
morgen wieder.“
Es tat gut in dem
Hotel zu schlafen und er würde am Ende der Woche für seinen Einsatz
ausgezeichnet werden. Doch alles ließ ihm keine Ruhe. Er hatte immer
noch den Revolver dabei, einfach nur um sich sicher zu fühlen, wenn
er ihn weglegte machte ihm alles noch mehr Angst.
Am nächsten Tag
ging er direkt wieder zum Arzt und man ließ ihn hereinkommen.
„Warten Sie, ich
hole kurz die Ergebnisse“, sagte der Arzt und verschwand kurz aus
dem Raum, dann kam er wieder setzte sich und klappt die Akte auf.
„Die Werte sind zum größten Teil normal, nur ein Wert, warten Sie
– Sie haben Rotfleckenfieber“, stotterte der Arzt. „Das kann
nicht sein. Ich habe keine Symptome heute oder die letzten Tage
gehabt.“ Das war unmöglich. Das war einfach nicht möglich. „Das
kann nicht sein“, sagte er noch einmal, um sich selbst zu
bekräftigen.
„Nein, der Wert
lässt darauf schließen, dass sie es schon seit ein paar Wochen
haben. Aber Sie scheinen keine Symptome zu haben. Sie geben den
Erreger nur weiter.“
Jonathans Welt
zersplitterte.
Er hatte diese
Stadt zerstört – er musste sich irgendwo angesteckt haben.
Er war für diese
ganzen Toten verantwortlich, wegen ihm, waren alle gestorben.
Er war schuld.
„Ich muss Sie
der Polizei übergeben“, sagte der Arzt.
Nein. Das würde
nicht das Ende sein. Ein Gedanke durchzuckte ihn. Zum Wohle aller? Es
ging jetzt um ihn. Er führte seine Gedanken nicht weiter, griff nach
seinem Revolver und beendete das Leben des Arztes mit zwei Schüssen.
Bevor irgendwer
reagieren konnte, floh er aus dem Gebäude und verschwand aus der
Stadt.
Zwei Tage später
las er – weit entfernt – dass die Seuche in der Hauptstadt des
Reiches ausgebrochen war.
Zuerst starben die
Kühe.