
The Scar Queen
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
● The Scar Prince ●
„Ach, deine Ästhetik ist wahrlich atemberaubend, da fallen einem keine Worte mehr zu ein. Wie würde es dir gefallen, mit mir zusammen zu verschwinden, weit weg, sich irgendwo niederzulassen und das Leben schweifen lassen, wie wir es nie zuvor getan haben? Nicht in den Urlaub zu fahren, nein, dies wäre zu sehr von einer Frist belastet, die uns all die Zeit über das Gefühl gibt, bald in den grauen Alltag zurückzukehren, in den Streit, den wir schon viel zu oft einander als elende Form von Leid zugefügt haben. Stell es dir doch vor, mein Engel! Alle Träume werden erfüllt sein, wir werden traumlos schweben, in einer Ewigkeit! Stimme mir zu bitte, du musst es tun!“
„Bitte… das können wir nicht einfach tun, wir können das alles nicht zurücklassen“, wieder dieser Blick, als würde sie befürchten, dass ich in Kürze in Rage verfalle. Bin ich so angsteinflößend? Keinesfalls, es ist doch nur Liebe. Reagieren tatsächlich so viele Personen derart panisch, wenn es sich um Liebe handelt? Ist sie so furchterregend?
„Was soll das denn heißen? Darum geht es doch bei dem Gedanken – Alles zurücklassen, dass uns niemand etwas kann! Sie werden uns suchen, doch niemals finden, weil wir beide miteinander ein neues, ein besseres Leben beginnen werden!“
Oh, dieser Blick ist widerwärtig. Ich hasse es, wenn sie das tut, ich habe es schon bei all den Personen vor ihr gehasst. Was sie jetzt wohl antwortet? Bestimmt wird sie mir irgendwelche Vorwürfe machen, wo doch meine Feinfühligkeit geblieben sei. Es könnte weit schlimmer aussehen.
„… wie wäre es, wenn wir uns mal eine Pause gönnen und ein wenig Abstand nehmen?“ – Das wagt sie nicht.
„Wiederhole dies.“ – Erstaunlich, wie schnell das Feuer aus manch einem Gedankenfluss entschwinden kann, der soeben noch in lodernder Hitze einen Knoten um uns schuf. Aufgelockert, als würde dieser sich sofort lösen, nur, dass eine Flamme auf eine Person überspringt, die fortan mit Verbrennungen leben muss.
„Nun, einfach wegfahren, mal an die See, an einen schönen Strand, und uns ein wenig Ruhe verschaffen von all dem Stress, der dir die Nerven zu rauben scheint“, schlägt sie mir mit einer herzhaft warmen Stimme vor, die mir schon damals jegliche Vernunft raubte. Ich lächle ausdruckslos: „Gerne, mein Engel.“
„Du wirkst so nachdenklich“, flüstert sie mir während der Fahrt zu; ich halte kaum den Lenker fest und starre vielmehr auf den Himmel anstatt auf die Straße. Schon einige Male musste sie mich darauf hinweisen, dass wir von der Straße abkommen, es ist beeindruckend, dass sie so ruhig bleibt. Beeindruckend… vielleicht hat sie es nur deswegen so lange mit mir ausgehalten. Vielleicht geht sie davon aus, ich wäre ein Irrer, könnte mich nicht unter Kontrolle behalten? Sie will mich verspotten, all die Zeit über.
Schließlich kann ich mich noch fangen, packe das Lenkrad und fahre unbehelligt weiter. Besorgt erklingen diese weiblichen Töne: „Hey… bist du mit den Gedanken wieder bei der Klinik?“- Ach, die Klinik, als wäre sie jemals von Relevanz gewesen. Wie naiv sie doch manchmal ist, beinahe liebreizend.
„Nein, es ist alles in bester Ordnung. Der Urlaub, das ist eine hervorragende Idee. Sag, wie lange ist es bereits her, dass wir zusammen weggefahren sind?“ – Als ob ich das nicht wüsste, doch nun wird sie erst einmal wieder reden und mich mit meinen Gedanken in Ruhe lassen. Vor zwei Jahren, genau genommen dann, als wir uns soeben erst kennengelernt haben, waren wir über ein Wochenende unterwegs, sind mal durch das ganze Land gefahren. Nichts, das einer Erwähnung wert wäre, von daher lohnt es sich nicht einmal, vor sich hin zu faseln, wie schön es doch ist, „mal wieder“ wegzufahren. Naives Stück. Freizeit gilt es zu genießen, man muss auch mal in sich kehren, ungeachtet der Prämissen, die einen immerzu im Alltag belasten.
„Vorsicht!!“, brüllt sie von der Seite los und reißt mich aus der Konzentration. Ich trete auf die Bremse. Der Gurt presst auf meine Brust, sie knallt mit dem Kopf gegen die Lehne. Wenige Meter vor uns fährt ein hupender Wagen. Panische Atemnot, bei ihr.
Langsam erhöht sich der Abstand wieder, ich fahre weiter, wenn auch langsamer. Fängt sie gerade wieder an zu weinen? Bestimmt.
„Du kannst doch nicht… mit 290…“, stottert sie im Schock, „lass mich fahren, bitte…“
„Wir sind doch schon fast da“, beruhige ich sie, „keine Sorge, ich passe schon auf, es ist doch nichts passiert.“ – Ihre Blicke wandern hastig umher, als würde sie vergebens einen Notausgang suchen bei einem Flugzeug, welches soeben abstürzt. Als wäre sie in einem solchen Zustand fahrtüchtig. Jetzt schwafelt sie schon wieder herum, ich warte kurz darauf, dass sie zu reden aufhört, und lege anschließend diese Wärme in meine Stimme, von der sie meint, dass sie stets schön zu hören wäre: „Meine Schöne, du weißt doch, dass nichts Schlimmes geschehen wird, solange ich dich an meiner Seite habe.“ – Ah, da ist ihr Lächeln, diese hübschen Mundwinkel, die an die schönste Stelle gezogen sind. Spektakulär, da fange ich schon selbst an zu glauben, dass nichts passieren kann.
Es dämmert bereits, langsam wird es dunkel. Mit einem Koffer und ihrer Handtasche betritt sie das Häuschen, ich muss natürlich den Großteil schleppen. Hübsches Klischee, wenngleich es eine Lappalie ist, gut nur, dass ich mich daran gewöhnt habe.
Das Haus ist von der Größe her sehr überschaubar, es gibt gerade zwei Räume, eine kleine Küche und ein Bad, ein klassischer Bungalow eben, der direkt an einen Felsen gebaut ist. Der Ausblick wiederum ist nur schwer zu überbieten – das Gebäude ist direkt am Strand in einer kleinen Bucht gebaut worden, das nächste Dorf ist über 30 Kilometer weit weg und die Straße auf den letzten zwei Dutzend ist nur Feldweg, bei dem man nicht erwartet, dass dieser irgendwohin führt. Hier hat man seine Ruhe, starrt auf das unbegrenzte Meer hinaus und schläft inmitten der wundervollen Natur. Meine Partnerin schmilzt schon bei der bloßen Vorstellung dahin, hier nun eine Woche verbringen zu können, und ich bin es, der ihr diesen Wunsch erfüllt.
„Kaum zu glauben, dass wir hier jetzt stehen, nicht wahr?“, frage ich sie gutmütig, womöglich, um mich ihrer Freude zu vergewissern und mir demnach sicher sein zu können, etwas Gutes getan zu haben. Ihre Augen strahlen förmlich: „Das ist so toll!!“ – Mit einem Kuss auf meine Wange stürmt sie in das Gebäude, wirft ihre Sachen in die Ecke und schaut sich begeistert um, seufzend folge ich ihr. Irgendwie habe ich eine bessere Reaktion erwartet.
„Schau dir dieses Bad an“, fordert sie mich auf, während ich mich eines möglichst ehrlich aussehenden Lächelns bemühe, um ihrer Bitte nachzugehen. Die Räumlichkeiten sind tatsächlich sehr hübsch, die Wände sind aus Holz, die Decke aus Stein, während allerlei Pflanzen das Innenhaus zieren. Da kommt das Gefühl auf, ich stünde in einem Gewächshaus.
Das Bad hingegen ist wahrlich schön gestaltet, die Dusche liegt direkt im Felsen, als sei sie eine kleine Höhle, dessen Wasser direkt aus den Steinen der Decke fließt. Wirklich schick…
„Ich werde dann mal duschen“, lächelt sie mich an. Bestimmt möchte sie den Gestank der Fahrt loswerden und sich erst einmal beruhigen, das Haus alleine reicht ihr nicht aus. Soll sie mal. Wobei, wenn ich jetzt wortkarg verschwinde, wird sie sich bestimmt aufregen, allem voran, wenn ich jetzt schlafen gehe. Oder? Nein, es war eine andere, die sich darüber permanent aufgeregt hat. Tollkühn wage ich einen Vorschlag zu machen: „Tu das. Was hältst du davon, gleich zusammen schwimmen zu gehen? Das Wetter ist wundervoll und das Meer liegt direkt vor uns… da könnte man sich von der Autofahrt erholen.“
Sie scheint von der Idee angetan zu sein und wirft mich anschließend erst einmal aus dem Bad. Schnaubend, doch mit halbwegs guter Laune krame ich in den Klamotten nach ihrem Bikini, wobei mir einfällt, dass dies gut der Grund sein könnte, weshalb ich noch bei ihr bleibe. Gleichwohl sie vom Charakter her schrecklich austauschbar ist, ist sie doch eine attraktive, anziehende junge Dame.
Ich lege ihre Schwimmsachen vor das Bad auf einen kleinen Stuhl, um mich anschließend selbst umzukleiden und nach draußen zu begeben. Wie beruhigend die Abendbrise sich doch auf der Haut anfühlt, dazu noch der Duft des Meeres. Ein wenig kommt bei mir die Vermutung auf, dass sie sogar Recht haben könnte und mir diese Auszeit wirklich gut tut. Mit den Füßen taste ich mich ein wenig an das Wasser, es ist angenehm kühl. Hier könnte ich gewiss mein ganzes Leben verbringen.
Hin und wieder schaue ich zum beleuchteten Haus, warte die halbe Stunde ab, die sie immer zum Duschen benötigt. Ich ziehe den Rest meiner Klamotten aus, um mich in den Sand zu legen, das Wasser schwappt bis zu meiner Hüfte und wieder zurück an meine Füße, als würde ich in einem reinigenden Bett liegen, das alle Sorgen bis zum Horizont zu spülen versucht. Wie gerne ich jetzt eine Zigarre hätte, das würde hervorragend in diesen Moment passen.
Die Müdigkeit schlägt in der Trance beinahe abrupt zu, mit der angenehmen Gewissheit, dass morgen in der Frühe die Straßen um uns herum leer sein werden, genau wie am Tag darauf. Und wiederum auf den darauffolgenden Tag. Ich könnte hier mein gesamtes Leben verbringen und niemand würde mich je wiederfinden. Ist dies nicht der Traum?
Einfach ganz für sich in der Glückseligkeit herabsinken, alleine, ohne, dass irgendjemand einem Vorwürfe macht, ohne, dass man streitet, ohne irgendwelche Lappalien, die es sich ohnehin nicht auszudiskutieren lohnt.
Ich lasse meine Gedanken bis über den Horizont hinaus streifen und waten.
„Hast du mich vermisst?“, fragt mich eine sanfte Stimme, die dennoch wirkt, als würde sie mich aus einer Meditation mit donnerndem Gewitter herausreißen. Ich schätze, an dieser Stelle wäre es angebrachter zu lügen: „Natürlich habe ich das.“ – Es wäre wohl überaus nützlich, wenn ich mich darum bemühe, keinerlei Anstalten zu machen. Zugegeben, hier die Zeit zu verbringen wird mich glücklich verstimmen, und ich bezweifle, dass sie mir diese erfüllte Hoffnung zerstören könnte, egal, wie sehr sie mich fertigzumachen versucht. Sie hat all dies doch bloß arrangiert, um mich zu kontrollieren; als sei dies notwendig, als könnte ich mich nicht selbst beherrschen. Jetzt steht sie dort in einem knallig roten Bademantel, darunter der braune Zweiteiler, mit hübschen, goldenen Pailletten verziert: „Na, wollen wir ins Wasser springen?“ – Welch ein anziehendes Lächeln, da bekommt man gewiss Lust. Wo man schon hier ist, muss man die Zeit auch genießen.
Wie wir uns vergnügen, gestern musste ich doch tatsächlich in die nächste, weit entfernt liegende Stadt fahren, um ihr einen neuen Bikini zu holen, zumal ihrer von den Wellen fortgespült wurde. Wenn wir doch unter uns sind, ist es doch gar nicht notwendig, sich einen Neuen zuzulegen, doch diese Art von zweisamer Freiheit passt ihr wieder nicht – es könnten ja fremde Leute auftauchen. Garantiert. Hier, in der Prärie. Komische Denkart, ich verstehe sie nicht, generell scheint das meiste Handeln und Denken gänzlich unverständlich zu sein, und Personen wie ich, die darüber urteilen, es „sogar wagen“, dies gerechtfertigt zu verspotten, werden als krank bezeichnet. Als wäre ich nur deswegen krank, weil ich den Durchblick besitze, weil ich genauestens verstehe, wie all die anderen denken und ebenjene schlichtweg viel zu sehr in der Mentalität eines Primaten gefangen sind, um meinen Verstand zu erfassen in der Lage zu sein.
Der Urlaub ist bereits zur Hälfte verstrichen, wie konnte das derart zügig geschehen? Wie entsetzlich es ist, dass man sich in wohliger Stimmung kaum an der Zeit festhalten kann – sie rast schier davon. Wäre es doch immer so unkompliziert, würde dies doch ewig andauern.
Gerne genießen wir die Tage, in denen wir schwimmen, uns miteinander ausnahmsweise sinnhaltig unterhalten, spazieren gehen oder nur der Umgebung lauschen; ebenso schön sehen die Abende aus, wo wir uns in allem Genuss betrinken, entsprechend nochmal schwimmen und uns im Antlitz des Sonnenuntergangs einander die Begierden befriedigen. Oh, wie dies in die Nacht übertritt. Tatsächlich kann ich mich nicht beklagen, so fantastisch ist es hier, es scheint, als würde sich das gemeinsame Glück und diese Art des Lebens ergänzen und vervielfältigen.
„Wieso kann es nicht immer so sein?“ – Wie sehr diese Frage auf der Zunge brennt und unbeschreibliche Schmerzen verursacht. Als würde sie Narben hinterlassen.
„Ich weiß es nicht“, antwortet sie, wobei ich nicht exakt zu bestimmen weiß, ob sie nun ehrlich ist oder nicht, mit Sicherheit allerdings, dass sie diese Zeit genießt und mich als denjenigen normalen Menschen erachtet, der ich eigentlich bin. Vielleicht ist diese Frage auch nicht angemessen für den frühen Morgen, friedfertig erhebe ich mich und stolziere spielerisch in die Küche: „Wünschen Mademoiselle etwas Rührei, zusammen mit deliziösem Toast und Käse?“ – Lächelnd stimmt sie dem zu und beugt sich dabei verführerisch nach vorne. So sollte es mal die ganze Zeit über laufen.
Den Tag der Abreise haben wir beide im Rausch des Glücks gänzlich ausgeblendet – gleichermaßen sind wir scheinbar gewillt, dieses gemeinsame Gefühl noch über einen längeren Zeitraum zu genießen. Nun fällt es nicht schwierig, der Skepsis zu entsagen, wo ich doch vorher bereits die Intention hatte, gar nicht erst zurückzukehren. Natürlich ist es nun sie, die ankommt und unbedingt ihren Zwiespalt zur Sprache bringen muss.
„Du packst ja nicht mal deine Sachen ein“, stellt sie völlig sinnlos fest, tut sogar so, als wäre sie überrascht. Tatsächlich ist es nicht gerade leicht, die eigene Entspannung zur Sprache zu bringen, ohne in eine völlig desinteressierte Gleichgültigkeit abzudriften. Möglichst sanftmütig erkläre ich es ihr, während ich ihre üppige Hüfte umgreife und mit ihr beieinander stehend etwas umherschwelge: „Weißt du, mein Engel, uns geht es hier so gut, und in gerade einer Woche ist es kaum möglich, vernünftig zu entspannen. Daher habe ich mir als Überraschung einfallen lassen, den Urlaub einfach zu verlängern, ich habe ohnehin noch eine Menge Tage übrig, genau wie du. Meine Hübsche, schau dir doch diesen Ausblick an, das Meer, die idyllische Landschaft. So gut, wie wir uns hier verstehen – So lange möchte ich es auch beibehalten. Komm, legen wir noch ein, zwei Wochen drauf…“ – Meine Stimme wechselt immer mehr zu einem Flüsterton, ihr darauffolgendes, wenngleich besorgtes Lächeln entgeht mir keineswegs; zu meiner Überraschung stimmt sie der Idee allerdings zu.
„Ja, mir gefällt es auch hier“, antwortet sie knapp, gänzlich entgeistert, es ist offenkundig, dass sie dessen sehr viel abgeneigter ist, als sie zuzugeben bereit ist. Angst, ich wittere ihre Furcht vor mir, als sei ich ein Raubvogel, der seine Beute ins Visier genommen hat. Vielleicht bin ich dies sogar, doch jene für sie besorgniserregenden Eigenschaften sind in meinen Augen ein tiefes Streben danach, das gemeinsame Glück beizubehalten, Ziele, die für viele Menschen scheinbar zu hoch sind. Oh, sie wird es eines Tages verstehen, erkennen, wie großartig dieses Ziel doch tatsächlich ist, wie weit der eigene Horizont doch reichen kann.
„Ich werde dich nicht loslassen, ich werde immer bei dir bleiben und so gut für dich sorgen, wie es mir möglich ist, mein Engel. Das verspreche ich dir.“ – Sie muss endlich einsehen, dass es keinen Grund zur Furcht gibt, nicht hier in dieser kleinen Utopie, die wir für uns entdeckt haben.
„Ich liebe dich“, sagt sie im leichten Ton eines Wimmerns. Ja, dies bereitet ihr Schmerzen, sie verabscheut mich und kann sich nicht von mir lösen. Sie wird eines Tages verschwinden, mich alleine lassen, mein soeben gegebenes Versprechen ruinieren. Wie kann sie dabei so schamlos sein? Beeindruckend, wie sie doch damit zurechtkommt.
„Ach, ich dich doch auch“, erwidere ich, mir in den Sinn rufend, dass ich wenigstens Ehrlichkeit an den Tag lege, offen zur Sprache bringe, wenn ich etwas fühle oder mich etwas belastet. Nicht irgendwelche inhaltslosen Vorwürfe wegen ihres Verhaltens, wie sie es doch allzu gerne bei mir zu tun pflegt. Ob sie dazu auch in der Lage ist? Ich werde es ihr wohl oder übel beibringen müssen.
Einen Moment halten wir zeitgleich inne, anschließend gebe ich ihr einen Kuss mit meiner von seelischen Brandwunden überzogenen Zunge, um ihr zu verdeutlichen, dass dieses Versprechen durchaus von Bedeutung für mich ist. Dies sollte jenes gewisse, heimische Gefühl sein, wonach man sich doch andauernd sehnt. Weshalb möchte sie es nicht festhalten? Weshalb ist sie so zwanghaft darauf fixiert, wieder in den Alltag zurückzukehren, der unsere Beziehung erst so schwierig macht?
Nahtlos setzt sich unsere, ja, man könnte es fast Trance nennen, fort, und wie es scheint, ist es mir doch möglich, sie zu erreichen, dass sie sich derart darauf einlässt. Hier ist sie irgendwie anders, nicht so stur oder dickköpfig. Knapp anderthalb Wochen sind wir mittlerweile hier, die Hälfte der Zeit, von der zumindest sie momentan ausgeht. Den Gedanken halte ich immer noch fest – ihr nahezulegen, dass es wichtig ist, über die eigenen Empfindungen zu reden. Irgendwann wird sie mir sagen, dass sie gleichermaßen ewig hier bleiben möchte, abgehauen von der Welt, im Wohlstand verweilen und friedlich in den Armen voneinander den Tod finden.
Wir liegen zusammen im Bett, der Sonnenschein hat uns geweckt wie an jedem anderen, wundervollen Tag auch. Lächelnd wünscht sie mir einen guten Morgen, gefolgt von einem Kuss. Hmpf. So lassen sich völlig belanglose Trivialitäten ebenfalls vertuschen, einfach durch den Austausch von Speichel etwas so darstellen, als sei es besonders, viele sind wohl naiv genug, ihre Gefühle dabei als das einzig Wahre zu bezeichnen, sie verfehlen den Wahrheitswert damit gar nicht mal, nichtsdestoweniger ist es umso wichtiger, einigermaßen zu wissen, weshalb dies so brillant ist.
„Hah, ist dir denn bewusst, wie gut ein solcher Morgen tatsächlich ist, und dies schon seit dem Zeitpunkt, wo wir hier angelangt sind und du mit sprießender Begeisterung die Dusche in Angriff genommen hast?“ – Ihr Blick ist mit bloßen Worten nicht zu beschreiben, ich weiß nicht, ob es nun angemessener wäre, zu lachen oder zu weinen.
„Sag es mir“, fordert sie mich auf, um ihre eigene, grenzenlose Dummheit zu verdecken. Das Seufzen meinerseits sollte zufrieden und gedankenversunken genug klingen, dass sie sich nicht darum kümmert oder nicht einmal richtig begreift, wie sehr ich mich ihrer teilweise schäme. Nun gut, man muss auch Risiken eingehen bei hohen Zielen.
„Nun“, setze ich an, die Kunst ausübend, meine Erschütterung ob des Charakters dummer Menschen zu verbergen, „das Glück kennzeichnet sich in verschiedenen Weisen, ob es vorhanden ist oder eben nicht. In diesem Fall, recht eindeutig und viel zu offensichtlich, äußert es sich darüber, dass ich nicht mehr träume. Ansonsten kreisen sich Träume um schöne Dinge, die ich gerne erleben möchte, doch momentan gibt es dort nichts, demnach kann ich zurecht behaupten, wunschlos glücklich zu sein. Verstehst du das?“
Sofort fällt sie um mich und scheint mir bereitwillig ihren Körper anzubieten, nur einen stumpfen Kommentar von sich gebend: „Du ahnst ja nicht, wie sehr es mich freut, das von dir zu hören…“ – Oh, und wie ich es weiß. Du erwiderst es nicht im geringsten, vermutlich hasst du mich sogar zutiefst. Wie widerwärtig. Dumme Personen sind halt wortkarg, geben nichts außer sinnlosem Müll von sich und von sich preis aufgrund ihrer schändlichen Überzeugung, dass es vermutlich nicht mal etwas gäbe, worüber sie reden könnten.
Nun befindet sie sich wieder inmitten ihrer Lust, darauf liegt wohl ebenso ein Fokus. Eindrucksvoll, wie schwer es mir doch fällt, dem zu widerstehen. Männer sind kaum besser. Womöglich möchte ich auch einfach keinen Stress haben. Vielleicht irre ich mich bezüglich der Glückseligkeit. Woran sie wohl bei all dem denkt? Vermutlich an nichts, möglicherweise hat sie sogar erkannt, wie weit sie nun unter mir steht.
Das Verlangen zur Produktivität ist zur Gänze erloschen, kein Wunder, wo doch jedes Zeichen darauf hinweist, wie einen das Leben als Zahnrad auf den Weg der Selbsterfüllung im Wege steht. Schwierig, diese beiden Aspekte miteinander zu vereinen, allem voran in Fällen, wo man einsieht, wie hinfällig doch das ist, was man tagtäglich zu tun pflegt. Man vollbringt nichts Großes, nichts Bedeutsames. Und hier liegen wir beieinander, genießen das Nichtstun zwei Tagedieben gleich. Plötzlich ist alles angenehmer, weshalb erwähnt sie dann nicht ihre Freude und spricht nur von Heimkehr? Nun, es braucht wohl etwas Zeit, bis sie versteht, dass die anderen Kontakte nunmehr irrelevant sind, wenn sich das eigene Befinden trotz bestehender Distanz verbessert. Ich habe auch nur sie und kann mich nicht beschweren.
„Wie lange sind wir eigentlich schon hier?“, fragt sie mich verwirrt, „so der Moment, dass man nicht merkt, wie die Zeit verfliegt, hah.“ – Mit einem verlegenen Kichern wartet sie auf eine Antwort, wird gewissermaßen ungeduldig.
Eigentlich sollte es sich mit einem schnellen Abtun der Thematik geklärt haben: „Alles gut, schließlich haben wir alle Zeit der Welt!“ – Anstelle dessen schwärmt sie nur davon, wie sehr sie sich darauf freut, die eine Freundin wiederzusehen und mit dem anderen Bekannten von der Arbeit wieder einen Kaffee zu trinken. Ich genüge ihr wahrscheinlich nicht mehr. Dies geht ihr durch den Kopf, das Schöne war ihr zu viel, und nun regt sie sich darüber auf, über mein Geschenk, dessen sie eigentlich unwürdig ist.
Ich bleibe allerdings gelassen, so leicht schafft sie es nicht, sich von der Ästhetik zu lösen. Ihre sogenannten Freunde würden mir zudem beistehen, ihr etwas Gutes zu tun.
„Gehen wir doch nochmal ins Meer, wenn du erst wieder das erfrischende Wasser an deinem Körper spürst, wirst du nicht so schnell verschwinden wollen“, versuche ich sie ermutigend zu überzeugen, doch auch dort lehnt sie desinteressiert ab: „Nee. Mir ist etwas schlecht.“ – Eine bessere Ausrede fällt ihr wohl nicht ein. Sich krank zu stellen, um schnell wieder zurück zu fahren, „nach Hause“, wie sie es nennen würde. Allerdings sind wir bereits daheim.
Wie konnte es bloß passieren, dass wir nun so abgeneigt voneinander sind? Das letzte Mal, als wir uns mehrere Tage, oder waren es Wochen, nicht sehen konnten und gewissermaßen getrennt waren, sind wir beim Wiedersehen aufeinander zugerannt und haben uns fest in die Arme geschlossen, gelacht, uns geküsst und die hellste Freude erfahren. Sollte man sich nicht eben darauf besinnen, wenn man den Schritt wagt, gemeinsam den Rest des Lebens miteinander zu verbringen? Widerwärtig, wie man die Wertschätzung doch zu verlernen in der Lage ist.
Oh, nein, einen Moment. Sie glaubt ja immer noch, dass wir wieder abfahren werden. Da ist es ja beinahe verständlich, dass sie falsche Erwartungen annimmt. Sie wird sich schon daran gewöhnen, ja, die ersten beiden Wochen ging es ihr schließlich gleichermaßen großartig.
Ihre immer stärker abfallende Stimmung hat auch mit der voranschreitenden Zeit eine ansteckende Wirkung. Immer häufiger schleudert sie mir Vorwürfe an den Kopf: „Wir wollten bereits vor vier Tagen abfahren! Wir können das doch nicht noch weiter verlängern! Unzähliges Potential, so viel zu erreichen, stattdessen willst du hier verfaulen!“ – Wie furios sie dabei wird, ist gewiss eindrucksvoll, doch sie war ohnehin schon immer die Besitzerin eines umwerfenden Temperaments. Ganz schön nervig, beizeiten.
„Meine Sachen sind schon fertig, räum‘ jetzt dein Zeug zusammen und fahren wir!“ – Stolz kippe ich mir vor ihren Augen noch zwei Schnäpse und mache ihr das dekorative Angebot, die letzten Tage nochmal richtig zu genießen, mir bereits einen angenehmen Vortrag darüber überlegend, dass die Vier schließlich die dekorative Zahl des Todes sein würde und man demnach ganz und gar nicht nach einem solchen Zeitraum fahren dürfe. Anstatt sich in irgendeiner konstruktiven Argumentation zu äußern, fordert sie mich stumpf auf: „Morgen. Sonst nehme ich mir dein Auto. Gute Nacht.“ – Dem Anmut eines aufgekratzten Eichhörnchens gleich hämmert sie die Tür hinter sich zu, während ich sämtlichen Alkohol auf einmal mehr zu würdigen weiß, so sehr, wie sie nichts in diesem Monat zu würdigen wusste. Gewiss wird es nicht leicht sein, sie beizubehalten, doch sie wird sich zweifelsohne damit anfreunden. Schließlich hat sie keine andere Wahl.
In das Bett hat sie mich gestern gar nicht erst gelassen. Kaum wollte ich mich hinlegen, wurde mir erneut der vorwurfsvolle Tonfall entgegen gefeuert: „Wage es ja nicht.“ – Dort lässt sich im Nachhinein wenig dran ändern, solche Abende gab es vorher schon zu Genüge, gleichwohl ich den reizvollen Drang verspürte, sie zum Glück zu zwingen. Ich weiß noch, dass ich mich irgendwann dann doch hingelegt habe, auf der Couch, doch langsam werde ich wach – nur von einem Schluchzen und Wimmern. Gänzlich aufgelöst sitzt sie mir gegenüber, mit komplett verheulten Augen, irgendwie sieht sie dabei auf eine obskure Weise wunderschön aus, so verletzlich, als würde sie endlich ihr wahres Ich aufzeigen. Ihre Gefühle nach außen scheinen lassen, so, wie ich es von ihr erhofft hatte. Könnte sie doch immer so bleiben.
„Wir müssen fahren…“, fordert sie mich zum wiederholten Mal auf, ihre Stimme ist gebrochen. Allmählich bin ich dieses ewige Flehen leid, ich schlage mit der Faust plötzlich auf die Tischplatte, sodass die Vase hinunterfällt und in Einzelteile zersplittert, während die hübsche, dümmliche, junge Frau verschreckt in sich zusammenzuckt. Ich brülle lautstark los: „Halt doch endlich deine Fresse! Ständig dieses Gejammer. Ohh, ohh, wir müssen nach Hause. Ohh, ohh, die Arbeit. Wer schert sich denn bitte darum? Wir haben es hier so gut, und du willst das alles kaputtmachen – aus irgendwelchen an den Haaren herbeigezogenen Gründen, die nicht mal du selbst glaubst. Bist du etwa nicht glücklich?“ – Ihr Gesicht ist im Weinkrampf erstarrt. – „Bist du nicht glücklich?!“
Da bricht sie natürlich wieder in Tränen aus. Kümmerliches Mädel. Irgendwelche Worte versucht sie noch aus sich selbst herauszuquälen: „Du verstehst nicht… bitte… lass uns fahren… ich…“
Bemitleidenswert ist sie ja schon. Womöglich habe ich auch geringfügig überreagiert, allerdings ist ihr bewusst, wie ich mich verhalte, wenn ich ein wenig genervt bin. Es kann halt nicht immer Frieden geben, und diese ständigen Trivialitäten hält ja niemand aus.
„Hey, mein Engel“, spreche ich sie beruhigend an und umfasse zärtlich ihre Hände, „worüber machst du dir denn noch Sorgen? Irgendwas anderes bedrückt dich doch.“ – Nicht lange hält sie inne und sinkt schnell wieder in meine Arme: „Wir müssen heimfahren, bitte.“ – Gleich trete ich ihr ins Gesicht.
„Warum denn, was ist so dringend?“, frage ich subtil gereizt weiter nach, mich selbst in Zaum haltend.
„Ich… seit einer Woche, also… ich weiß es nicht, ich…“, stottert sie komplett desorientiert, während ich sie weiterhin zu ermutigen versuche: „Was ist denn seit einer Woche?“
„Ich denke…“, fängt sie wieder einen Satz an, ohne ihn zu Ende zu bringen. Meine Hand ballt sich zu einer Faust, beinahe hole ich schon aus.
„Ich bin schwanger.“
● The Scar Lord ●
Sämtliche Gedankengänge versiegen, das mühselig aufgebaute Konstrukt bricht in sich zusammen. „Du bist was?“, frage ich nach, ohne ihr Glauben schenken zu können – oder zu wollen.
„Ja, ich weiß es nicht“, schluchzt sie nach wie vor, auf einmal kann ich sie verstehen, gleichwohl es keine plausiblen Gründe dafür gibt, dies nicht als Anlass zur Freude zu bezeichnen. Meine Mundwinkel wollen zeitgleich in unerreichte Höhen steigen und bodenlose Tiefen sinken. Hilfesuchend spricht sie zu mir: „Was sollen wir denn jetzt nur machen?“
Ich sinke auf die Knie und streiche über ihren Bauch, mir ausmalend, welche Zukunft uns jetzt erwarten könnte. Mein Kind… das Lächeln setzt sich über mein Gesicht durch: „Wir bekommen ein Baby. Wow…“
Wieder muss sie sich fassen und schüttelt wild den Kopf: „Wie sollen wir das denn großziehen? Mit der Arbeit, dem andauernden Streit. Das können wir doch keinem Kind antun, wie sollen wir bitte Eltern werden?“ – Leicht den Kopf zur Seite neigend schnürt sich ein Stück Zorn, beeindruckend, wie sie diesen stets zu entflammen schafft: „Du möchtest doch nicht etwa in Erwägung ziehen, es zu… du weißt?“
„Nein, ich weiß es nicht!“, brüllt sie mich frustriert an, mich als den Einzigen darstellend, der die Schuld trägt. Ihr gelingt es kaum zu atmen, schlägt hin und wieder auf ihren eigenen Bauch. Sie scheint ernsthaft unser Kind umbringen zu wollen… Wie krank dieses Weib doch ist.
„Das darfst du doch nicht tun, bislang warst du doch auch gegen Abtreibungen“, weise ich sie auf ihre paradoxe Intention hin.
„Das ist doch vollkommen anders, wenn man selbst schwanger ist! Wir dürfen das Kind nicht bekommen, versteh das doch!“, weist sie mich stur zurecht, als sei ich selbst ein Kleinkind, das nur so vor Unwissenheit und Naivität überläuft. Subtile Beleidigungen sind ihr Spezialgebiet, sie nähert sich mir mit belehrenden Worten: „Und jetzt begreifst du auch, weshalb wir umgehend losfahren müssen.“
Gezwungenermaßen starre ich auf den Boden und möchte widersprechen, doch fällt es mir schwer, sie nun noch zu einer anderen Handlungsweise zu überreden. Das Kind steht uns jetzt schon im Weg, dennoch ist es das meinige. Wird es ein Junge, oder doch ein Mädchen?
„Du wärst eine fabelhafte Mutter“, gestehe ich ihr, doch sie blockt das Kompliment gänzlich ab und wiederholt ihre Aufforderung zum neusten Mal. „Bedaure“, entschuldige ich mich im aufrichtigst möglichen Tonfall, „ich kann jetzt unmöglich fahren, ich stehe zu sehr neben mir.“ – Sie schmunzelt fassungslos, sie hat mit einer solchen Antwort bereits gerechnet. Wobei, sie glaubt ohnehin nichts, gibt mir nur ironisch zu wissen, dass ich mich ja so sehr darauf freue. Überraschenderweise tue ich dies sogar, umso mehr sträubt sich alles in mir auf, wenn ich mir vorstelle, dass sie ein hilfloses Kind ermorden möchte. Ihr eigenes Kind, und zudem das meine.
„Ich… ich werde die Tage meine Sachen packen“, sage ich ihr in der Hoffnung, dass sie mir glaubt, allerdings ziehe ich nur einen unmerkbar kurzen Moment in Erwägung, dies wirklich zu tun.
„Heute“, setzt sie ihr letztes Statement, ohne eine weitere Diskussion zu dulden. Anschließend zieht sie von dannen, während ich mich am Schnaps vergehe.
Je weiter der Tag voranschreitet, desto mehr magische Flüssigkeit fließt in mich hinein, desto mehr wird mir bewusst, dass ich ihre Handlung unmöglich zulassen kann. Sie stand in den vergangenen Stunden schon mehrere Male vor mir, hat mich angeschrien, weshalb ich denn nur dasitze und saufe. Beim Versuch, die Flasche zu ergreifen, riss ich sie umso schneller an mich, denn sie würde dem Kind nur damit schaden wollen.
Einen Moment bitte, was ist gerade passiert? Ach, keine Ahnung. Sie möchte mein Fleisch und Blut umbringen, und ich unternehme nichts dagegen. Seit wann ist es so dunkel draußen? Wie spät es wohl ist? Irrelevant, ein Blick zum Schlafzimmer genügt – die Tür ist verschlossen, vermutlich schläft sie bereits, eine Mörderin, friedlich vor sich hin.
Im Delirium erhebe ich mich und begebe mich auf wackeligem Fuß in die Küche, ein wenig in den Schubladen kramen, ein bisschen… was wollte ich noch gleich tun? Ach, ich nehme einfach mal das Panzerband und Nudelholz mit, das sollte vorerst reichen. Leise schleiche ich mich in das Schlafzimmer, höre bereits ihr Schnarchen. Dieses nervige Schnarchen. Vor der Bettkante verweilend hole ich in einem sauberen, abrupten Schlag fest aus.
Rot. Etwas Feuchtes läuft an meiner Wange hinab, ihre Schläfe ist leicht aufgeplatzt. Vier, fünf Stiche sollten es sein, ach, die wird wieder. Gut, vier Stiche reichen definitiv. Schon lustig, gerade haben wir uns noch über diese schöne Zahl unterhalten, dabei mag ich die Sieben doch lieber. Nun, egal. Sie atmet noch. Mit einem Ruck rolle ich einen Meter vom Panzerband ab, kneble ihre Hände, fahre noch einmal um ihren Hals herum, um den Halt zu garantieren. Nun gut, das ist nur eine vorübergehende Lösung. Einige Seile wären nützlich, am idealsten natürlich Handschellen. Sind hier nicht noch irgendwelche Spielzeuge, die man dazu verwenden kann?
„Du wirst unser Kind niemals töten“, flüstere ich vor mich hin, während ich ihren bewusstlosen Körper aus dem Schlafzimmer trage, „dafür werde ich schon sorgen.“
Als des Nachts die Schreie begannen, fasste ich die Theorie, dass sie aus ihrer Ohnmacht erwacht ist, doch schien es mir angemessen, die letzte Stunde zu warten und nichts zu tun, um mich nicht in umständliche Erklärungen flüchten zu müssen, denn sie wird schon verstanden haben, dass sie kaum einen Ausweg finden wird. Ich habe sogar noch Handschellen gefunden, noch aus den Zeiten, wo es gut zwischen uns beiden lief. Erotikshop. Im Grunde eher unspektakulär, doch hätte ich nicht erwartet, dass die Schellen einmal nützlich sein würden. Ich war schon so häufig hier, in meinem fernen Haus, dass mir die Einsamkeit irgendwann so sehr auf die Nerven ging, dass es selbst so weit kommen musste, eine solche Person mit herzunehmen. Furchtbar. Gut, dass alles hier ist, womit ich es zu brauchen schon gerechnet habe. Nichtsdestoweniger ist es möglich, dass sie sich zu befreien versucht, eine Idee wäre, ihre Beine zu brechen, und diese habe ich noch nicht verworfen. Dieser Schritt bleibt allerdings situationsabhängig. Am besten wäre eine Zelle, in der sie sich nichts antun könnte, bedauerlicherweise habe ich bei der Planung des Hauses keine Gummizelle in Erwägung gezogen. Welch kurzsichtiges Denken.
Leider lohnt es sich momentan nicht mehr, sie freizulassen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Verzeihen würde sie mir ohnehin nicht, sie verübelt mir sowieso noch jede Kleinigkeit, die ich mal verbrochen habe. Nun stehe ich hingegen am längeren Hebel, sie wird sich meiner nicht wehren können.
Ermüdet und von ihrem Kreischen entnervt stehe ich auf, um mich in das Bad zu begeben, dabei klopfe ich mir selbst ob der guten Idee auf die Schulter, sie mit den Handschellen direkt am Heizkörper zu fesseln. Ein Lob für die eigene Kreativität, ja, das tut gut, doch diese weiß sie höchstwahrscheinlich nicht zu würdigen. Nichts weiß sie zu würdigen.
Da hockt sie, eingekauert, mitsamt der Verletzlichkeit eines Embryos, oder zwei. Ihr toxischer Blick gleitet nach oben, sie ist sich meines gerissenen Geduldsstrangs gewiss, so sehen wir uns nur an. Hass erfüllt ihr hübsches, ja atemberaubendes Gesicht, ebenso wie die Leere ihrer Gedanken. Sie hat geschrien, doch nun ist sie still, hat wohl nicht im geringsten darüber nachgedacht, was sie mir sagen soll. „Guten Morgen, mein Engel“, begrüße ich sie, es scheint angemessen, eine womöglich katastrophale Reaktion ihrerseits mit etwas freudigerer Stimmung zu beginnen. Eine befremdliche Situation ist dies allemal, doch wenigstens wird sie sich nun meiner nicht mehr wehren können, meinem guten Willen, das eigene Fleisch und Blut zu beschützen. „Ich bin nicht schwanger“, flüstert sie, doch nach unzähligen Lügen gibt es auch dieses Mal keinen Anlass, ihr Glauben zu schenken, „ich habe meine Regel bekommen… lass mich frei, bitte.“ Andauerndes Betteln und Flehen. Vermutlich denkt sie, dass ich dann eher gewillt wäre, sie freizulassen, zumindest eher, als wenn sie schreien würde. Törichte Dame.
Stürmisch begebe ich mich zu ihr, reiße die Hose herunter. Sie zuckt zusammen, versucht sich schwächlich zu wehren, kaum anzumerken. „Kein Blut“, weise ich sie auf ihren Fehlversuch hin. Selbst wenn es wahr gewesen wäre, so habe ich mich so sehr auf ein Baby eingestellt, dass ich dieses auch dann auf jeden Fall bekommen hätte. Ich frage sie entspannt, wieso sie mich denn erneut anlügt. Keine Antwort, doch man sieht ihr an, dass sie mich beleidigen möchte. Mich, der nur das Beste für alle möchte.
Eines lässt mich wiederum nicht mehr los: „Warum hast du es nur so weit kommen lassen?“ „Hör mir mal zu“, fängt sie lauthals an zu wimmern, doch ehe sie fortfahren konnte – „Nein! Du hörst jetzt zu, denn deine falsche Art ist es, die alles ruiniert hat! Mehr als lügen kannst du wohl nicht, hm? Das ist vorbei! Du wirst dem Kind nichts antun! Niemals, hast du verstanden?“ – Wie wund der Kehlkopf in so kurzer Zeit werden kann, interessant. Dass mir nun selbst eine Träne ins Auge steigt… ich wusste es doch schon die ganze Zeit über, weshalb scheint es mich nun so fertigzumachen? „Wir waren doch so glücklich miteinander“, erinnere ich sie, gleichwohl es auch aus ihrem Munde hätte kommen können. Welch ein schlechtes Gewissen ich hätte, wäre es meine Schuld.
Sie schweigt erneut, zittert so stark, dass die Schellen an ihren Armen rasseln und gegen die Heizung klimpern. „Wieso tust du nur so etwas…“, weint sie vor sich hin. „Weil du es verdient hast. Nun solltest du dich erst einmal ausruhen, ich komme später wieder. Vielleicht solltest du mal etwas darüber nachdenken, wie es nun weitergehen soll, für eine Zicke habe ich keine Geduld“, warne ich sie im Voraus. Ohne sie weiter zu beachten, verlasse ich das Bad, sie flucht mir nur einfallslos hinterher. Hoffentlich stirbt sie qualvoll, sie hätte es verdient. Jetzt muss sie ein wenig hungern, schließlich soll sie aus ihrem Verhalten lernen!
Einige wenige Stunden später fange ich an, Essen zuzubereiten, Wasser auf Vorrat mit Strohhalmen zu versehen, sodass sie etwas zu trinken hat, wenn sie durstig wird. Wie sich dies über die nächsten Tage ergeben wird, das wird keine Überraschung werden, ewig kann sie die Nahrung allerdings nicht verweigern. „Hier, du musst bei Kräften bleiben, wir haben noch einige Monate vor uns“, erkläre ich ihr, mit dem Teller voll Lasagne in der Hand. Ich stelle diesen direkt neben sie und trage den Wasserbehälter rein, den länglichen Halm sollte sie mit ihrem Gesicht erreichen können: „Versuch mal, etwas zu trinken, ich würde sehr gerne schauen, ob es denn auch anständig funktioniert.“ Wieder diese giftige Miene. Schon gut, dass sie sauer ist, kann man ihr nicht vorwerfen. Einige Minuten verweilen wir so, es passiert nichts. „Komm, trink“, befehle ich ihr etwas zorniger und balle für den Fall meine Faust. Diese Sprache versteht sie anscheinend noch und neigt ihren Kopf, füllt ihren Mund mit dem frischen Getränk. „Es geht doch, das ist schon mal…“, setze ich an, bis mich ein kühler Strahl im Gesicht unterbricht. Ruhig wische ich mich mit einem Handtuch ab, während ich eine vorwurfsvolle, erzieherische Stimme auflege: „Dies war ein einmaliger Fehler. Du solltest wissen, dass das falsch war, beim nächsten Mal musst du mit Konsequenzen rechnen.“ Sie nippt nochmal am Strohhalm, spuckt mir daraufhin den gesamten Inhalt jedoch wieder ins Gesicht.
Lächelnd greife ich zum Teller, halte ihren Kopf fest und presse diesen in das kochend heiße Essen, sodass sie vor Schmerzen aufzuschreien beginnt. Kein Wunder, doch sie wird garantiert noch lernen, dass sie sich nicht so bockig verhalten kann.
Beruhigend nickend führe ich den Teller langsam wieder zurück, ihre Bluse ist mit Mett und Soße bedeckt. Ich erläutere ihr sogar ihren Fauxpas insofern, dass sie damit hätte rechnen sollen. Anstatt sich nochmal eine derartige Dummheit zu trauen, nippt sie erneut hastig und irrwitzig zuckend am Wasser, versucht dieses allerdings über ihr noch dampfendes Gesicht zu spritzen. Es tat wohl sehr weh.
Sie lässt ihren Kopf kraftlos nach vorne fallen, die Tränen vermischen sich mit der, um es kurzzeitig hervorzuheben, hervorragend gelungenen Tomatensoße, und laufen süffig an ihrem Kinn entlang.
„Um fair zu bleiben“, merke ich subtil an, „es ist deine Schuld. Sicher, deine Reaktion ist verständlich, nichtsdestoweniger solltest du dich bemühen, angesichts einer recht eindeutigen Situation nicht unvernünftig zu werden. Das wird sich alles ändern, sobald unser Kind erst einmal da ist.“
„Fick dich“, keucht sie mir erschöpft entgegen, „du weißt, dass ich das Baby nicht kriegen darf. Du weißt, dass es eine furchtbare Idee ist. Du bist krank… du bist einfach nur krank…“
Wow. Sie hat es tatsächlich gesagt, nach so unendlich langer Zeit hat sie sich endlich getraut, mir das mitzuteilen, was ihr stets durch den Kopf ging. Jetzt bin ich darauf komplett unvorbereitet und muss einfach nur grinsen, ja, beinahe lachen… Es kommt immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Dabei habe ich mich gerade heute so verhalten, wie es jeder normale Mensch tun würde.
„Das hat ja eine gute Weile gedauert“, spreche ich meine Gedanken laut aus, woraufhin sie nur furioser wird: „Bitte? Es war doch alles in Ordnung, bis… bis du dich…“
Mit Schwung gebe ich ihr eine Schelle, das Geräusch eines angenehmen Aufpralls auf ihrer Wange hallt im leichten Echo durch das Haus, erfüllt diese unbehagliche Stille. Sie merkt es wirklich nicht, wieder ist sie nur dabei, mir völlig inhaltslose Vorwürfe zu machen. Dreckiges Stück.
„Natürlich war alles in Ordnung! Wieso wolltest du dann nicht, dass es so weitergeht? Es hätte funktionieren können, es hätte doch so wundervoll sein können, du, du hast es gerade gesagt, du weißt es also ganz genau! Warum also? Warum willst du unser Glück sabotieren, wofür wir so lange gearbeitet haben? Du bist doch kein Kind mehr“, motze ich sie lauthals an, betrachte ihr verzogenes Gesicht, wie es sich krümmt bei den ganzen Spritzern meines Speichels. Mein Atem klingt fast wie ein Grunzen, beinahe komme ich auf den Gedanken, dass ich selbst die Bestie sein könnte, dabei ist es doch sie, die es zu zähmen gilt.
Vielleicht funktioniert es, wenn ich ihr zeige, was ihr alles entgeht, oder vielmehr, welche Freuden sie wieder erwarten könnten? Gleichwohl dies eine schwierige Zeit ist, so hält dies doch einen gewissen Reiz bereit.
Kaum möchte ich allerdings ihre Beine spreizen, beginnt sie entsetzt loszukreischen: „Fass mich nicht an! Verschwinde! Hilfe!“ – Hilfeschreie, kommt es denn nun schon so weit? Unglaublich. Ich versuche sie an ihren Schenkeln zu berühren, ihr noch einige Küsse auf gewissen Stellen zu schenken, doch sie strampelt nur wild herum, tritt mich teilweise direkt in den Bauch. Ordentliche Tritte sind es.
Ich stoße zurück, während sie sich wieder in ihrer eingeschränkten Haltung einkauert. Gut, wenn sie derart verzogen reagiert, kann ich das gleichermaßen: „So siehst du aus? Verweigerst dich selbst den Almosen, die man dir gewähren möchte, den wenigen Momenten an Glück, die du jetzt haben konntest? Das war ein Fehler, ein überaus schwerwiegender Fehler. Du bist ganz alleine, dummer Engel. Vergiss nicht, wo du stehst.“
Mühselig richte ich meine Klamotten, die noch von dem Wasser durchtränkt sind, während ich still zu mir schwöre, nicht zuzulassen, dass die gnädigen Besuche immer einen solchen Verlauf annehmen. Welch ein Ärger, man möchte einmal gänzlich unvoreingenommen eine Beziehung mit einer sympathischen Person beginnen, und ehe man sich versieht, kommt ein solches Kindergartentheater dabei heraus. Welch eine Schande, die das menschliche Verhalten nur allzu stark repräsentiert.
Einige Tage sind vergangen, ohne, dass sich sonderlich viel verändert hat. Die wohl am meisten erwähnenswerte Entdeckung war jene, dass sie augenscheinlich vom Wasser trinkt, sie hat es auch nicht mal 12 Stunden durchgehalten, nichts zu trinken. Für mich stellt dies einen kleinen Lichtblick dar, es hätte durchaus problematisch werden können, hätte sie tatsächlich ihren wohl wenig durchdachten Plan verfolgt.
„Wie geht es dir heute?“, frage ich aufmerksam, wie es ein guter Vater stets tun sollte, eine Antwort wird mir hingegen immer noch nicht gewährt. Sie muss etwas essen, dies ist momentan das Wichtigste. Mit einer kleinen Portion Nudeln versuche ich ihren Appetit wieder zu erwecken, an ihrem Blick kann man deutlich sehen, dass der Hunger sie schleichend ereilt.
„Iss schon, das wird dir gut tun“, rede ich ihr optimistisch zu, daraufhin schließt sie erneut ihre Augen und dreht ihren Kopf zur Seite. So gekränkt kann sie doch gar nicht sein?
„Du wirst das Kind auf jeden Fall bekommen, tu ihm nicht weh, solange du es noch in dir trägst. Solltest du es tun, werde ich dir gleichermaßen wehtun.“ – Und schon reißen sich ihre Augen wie von selbst auf, wie berechenbar die Gute doch ist. Sie hat Angst, das ist gut, Angst hilft einem, die vernünftigeren Entscheidungen zu treffen. Ich gönne mir ein Drittel der Schnapsflasche, um mich etwas zu fassen und nicht wieder in Situationen abzudriften, die jedem Fortschritt im Wege stehen.
Aah, wie das brennt, es ist angenehm! Eine Gabel bereite ich ihr bereits vor, während ich ihr weiterhin erläutere, worauf sie sich einzustellen hat: „Sorge dich nicht, dass du gefoltert wirst, dies geschieht nur, wenn du auf die Idee kommst, Widerstand zu leisten. Mir tut es selbst in der Seele weh, wenn ich dir Schaden zufügen muss, demnach wäre es wohl am besten, wenn diese Tortur uns beiden erspart bleibt. Sicher, man kann mich als launisch bezeichnen, daher werde ich wohl auch Tage haben, an denen mir vielleicht danach ist, dir einen Finger abzuschneiden. Oder eventuell zu überprüfen, wie gut deine Haare brennen können, doch laufe ich dabei Gefahr, das Baby zu verletzen, somit werde ich nicht zu leichtfertig agieren. Drum bitte ich dich, mich nicht dazu zu zwingen, dies ist nach wie vor eine Zeit, die wir gemeinsam erleben. Wir werden Eltern, kannst du das glauben?“ – Beim letzten Satz muss ich unkontrolliert lächeln. Ich werde tatsächlich Vater, es scheint mir immer noch so befremdlich. Vielleicht kann ich mir die kommenden Monate mit Schreinerei vertreiben, schon einmal das Kinderbettchen aufbauen, all solche Aktivitäten, die noch vorbereitet werden müssten. Das wird wundervoll werden…
„Da du weiterhin diskret zu bleiben gedenkst, werde ich mal deine Antwort vorwegnehmen“, fahre ich fort, „womöglich bist du gerade versucht, mich schon wieder zu verfluchen für mein Handeln, eventuell zu schreien. Ich bin froh, dass du dir dies so zügig abgewöhnt hast, dies macht den Anfang dieser großartigen Phase sehr angenehm. Doch für den Fall, dass du darauf beharren möchtest, wie ungerecht all dies ist und wie krank ich doch sei – behalte im Hinterkopf, dass es auf dieser Welt ohnehin keine Gerechtigkeit gibt, das haben bereits sehr viele Menschen zu spüren bekommen. Lass uns zusammen ein Zeichen setzen mit unserem Kind, und wir werden die Gerechtigkeit als Familie zu unserem Alltag machen! Oh, große Visionen, an denen ich weiterarbeiten sollte. Du kannst es doch gleichermaßen tun, schließlich hast du nun Unmengen an Zeit!“
Ich halte ihr die Gabel vor den Mund, sie zögert vorerst, doch ringt sich anschließend dazu durch, einige Bissen zu nehmen. Sie isst. Endlich. Freundlich nicke ich ihr zu, ich fühle mich schon beinahe wie ein richtiger Vater.
Nach den ersten beiden Gabeln schlingt sie die gesamte Mahlzeit in gefühlt einem Zug weg, so schnell kann ich nicht mal trinken. Wir verweilen beieinander, es ist schon nahezu harmonisch, während ich sie behutsam füttere, als wäre sie ein junges, hilfebedürftiges Vögelchen, das sich einen Flügel gebrochen hat.
„Hast du gut geschlafen?“, begrüße ich sie an jedem Morgen, wobei sie stets diese Frage fauchend zu verneinen pflegt. Ihre Hände sind am Heizkörper gefesselt, sodass sie kaum vernünftig liegen kann. Eine Decke und einige Kissen sollten es ein Stück angenehmer machen, doch kann ich bereits erkennen, dass ihre Handgelenke wund sind, ihr Rücken wird immer gekrümmter. Etwas Salbe sollte der Haut an den Unterarmen gut tun, zumindest vorerst. Noch eben die Bettpfanne vor dem Frühstück ausleeren, dann hat sich die Routine auch erledigt. Es kommt mir wie gestern vor, als sie mir noch unterstellte, wie unwürdig diese Behandlung sei, doch es gibt bedauerlicherweise keine Alternative, schließlich hat sie bereits bewiesen, dass ich ihr nicht vertrauen kann.
Immer wieder seltsam, über ihren Bauch zu streichen und mir vor Augen zu halten, dass sich darin etwas entwickelt. Sanft küsse ich ihr auf die Stirn und streichle ihr über ihre Haare, sie sind etwas fettig, vielleicht sollte ich sie mal wieder waschen.
„Anderthalb Monate, die Zeit verrennt derart zügig, wenn man glücklich ist, nicht wahr? Weißt du noch, wie wir vor knapp drei Monaten hier angekommen sind und du dich hier im Bad voller Freude umgesehen hast? Das war ein schöner Moment, ich würde dich gerne wieder mit diesem Lächeln sehen. Meinst du, dies ließe sich vielleicht mal wieder einrichten? Du schaust andauernd so betrübt, da mache ich mir ja Vorwürfe“, spreche ich meine Gedanken laut aus und kichere hin und wieder ob der bittersüßen Erinnerungen, die schon mit diesem Häuschen verbunden sind. Und da kommen die Kulleraugen wieder, die Tränen, das möglichst stille Jammern.
„Nein, nein, bitte wein doch nicht, kleiner Engel. Es funktioniert doch so gut, worum sorgst du dich denn?“, muntere ich sie schnell auf, doch kaum habe ich zu Ende gesprochen, brüllt sie kräftig los, sie schreit mich direkt an, muss hingegen zwischendurch immer wieder Luft holen und schluchzen: „Du verdammtes Arschloch! Ich hasse dich, ich hoffe du stirbst! Stirb! Psycho!“ – Unmittelbar danach hole ich aus und gebe ihr eine Ohrfeige. Das war nicht nett von ihr.
„Pass bloß auf, was du sagst“, verwarne ich sie. Im Grunde stört es mich eher wenig, es ist nur etwas bitter, dass sie sich so lange Zeit damit gelassen hat. Hätte sie das nicht schon sagen können, bevor wir überhaupt hierher gefahren sind? Ach, das wiederholt sich stets bei ihren Aussagen, doch mehr kann sie anscheinend nicht auf einmal loswerden. Natürlich hasst sie mich, nichtsdestoweniger geziemt es sich nicht, dies einem Erwachsenen einfach so ins Gesicht zu schleudern: „Wörter können wehtun, das weißt du doch.“
Sie fängt an, etwas zu zappeln, versucht mich mit ihren Füßen wegzudrücken. Oh man, wie kindisch sie doch ist. Ich rücke wieder zu ihr und packe ihr Kinn, richte ihren verheulten und dennoch verhassten Blick direkt auf mich: „Gefällt dir, was du dort siehst? Das sollte es dir lieber, denn ich rette nicht nur dein Leben, sondern auch das unseres Kindes. Zeig gefälligst ein bisschen mehr Respekt, wenn du es komfortabel zu haben vorziehst.“ – Ich gewähre ihr einige aufmunternde Blicke, die ich auch früher stets aufgesetzt habe, sobald sie traurig wurde. Seltsamerweise hat sich die Wirkung mit der Zeit verändert, nun trägt sie mit ihren Augen ein Balsam aus Hass auf meinem Gesicht auf. Ah, wie wohltuend es doch brennt, umso schöner ist der Gedanke, dass all ihre Gefühle mir gegenüber nun gänzlich gleichgültig sind.
„Verdammter geisteskranker Irrer“, flüstert sie in einer dermaßen gehässigen Flüsterstimme, dass sie wohl fälschlicherweise glaubt, ich könne sie nicht hören. In aller Seelenruhe erhebe ich mich und gehe eben im Haus auf die Suche nach etwas Handfestem, womit man einige ordentliche Schläge verteilen kann. Oh, da kommt mir doch in den Sinn, dass ich immer noch das Nudelholz mitsamt der kleinen, roten Trophäen habe, die immer noch nicht weggewischt sind. Grinsend nehme ich es in die Hand und kehre in das Bad zurück, ihre Augen weiten sich eines Tieres gleich, das in Kürze von den Reißzähnen des Wolfes zerfleischt wird und möglicherweise grauenvolle Schmerzen über sich ergehen lassen muss.
Als würde ein lautes Piepen im Ohr verstummen und ein bestimmter Strang an Nerven reißen, schreie ich mir all meine Frustration aus der Seele. Hure. Unwissende Hure. Der Raum ertönt in einer Harmonie aus klirrendem Glas, zerschmetterten Gegenständen und knackendem Holz. Ich prügle auf alles ein, was in meine Sicht kommt. Die Duschtür eingetreten. Der Seifenspender in glamouröser Manier gegen das Fenster gepfeffert, dass eigentlich ein Homerun ausstünde. Ich kann nicht aufhören zu schreien, stehe schon beinahe neben mir selbst – sehe eine wahnsinnige Persönlichkeit, die jegliche Kontrolle verloren hat. Wie verletzt er doch sein muss, ihm müssen viele schlimme Dinge widerfahren sein.
„Irrer? Wie kannst ausgerechnet du es wagen, mich einen Irren zu nennen“, brülle ich beinahe unverständlich hervor, alle paar Wörter wird erneut etwas zertrümmert, Klopapierhalter, kleine Figuren, Zahnbürsten, alles liegt kreuz und quer herum, während ich nicht zu schreien aufhöre, „wie oft willst du es noch hören? Du bist hier die Irre, du bist die Mörderin, alles ist nur wegen dir passiert! Wieso musst du mein Fleisch in die Welt tragen, wieso willst du es unbedingt mit deinem Dasein verderben? Warum führst du dich so auf! Bist du nicht glücklich? Ist es nicht wunderschön, so, wie du es dir als Kind immer erträumt hast?“ – Ich halte inne, über den Begriff des Kindes nachdenkend. Merkwürdig, wie zügig man doch wieder auf dem Boden steht, auf dem Boden eines völlig ruinierten Badezimmers. Sie ist sogar unversehrt geblieben, ein wenig habe ich das Gefühl, dass sie geschrumpft ist. Kann es sein, dass sie so schnell zittert, dass man es nicht mal mehr erkennen kann? Respekt.
Also, Respekt an mich selbst, dass ich so etwas bewirken kann; tatsächlich muss ich eine Macht besitzen, die mich über solche Primaten stellt, Primaten, die ihre eigenen Kinder umzubringen gedenken. Widerwärtige Geschöpfe, die man ausradieren sollte, doch würde dies den Prioritäten zuwider stehen. Ich lasse das Nudelholz fallen, welches mit Dellen und Rissen übersät auf dem Boden aufprallt, anschließend knie ich nieder und versuche, ihr Gesicht mit einer erotischen Zärtlichkeit in meine Hände zu nehmen. Beinahe leblos fällt ihr Kopf in meine Hände, ich erhasche einen Blick auf ihr zerbrochenes Antlitz, durchnässt, gerötet, als hätte sie gerade ein Trauma erlitten. Dabei habe ich doch nur etwas Dampf abgelassen, nicht einmal viel.
„Hast du mich vermisst?“, fragt sie eine sanfte Stimme, die dennoch wirkt, als würde diese sie aus einer Meditation mit donnerndem Gewitter herausreißen. Wo sind die Zeiten geblieben, in denen wir uns nach solchen kleinen Disputen mit liebevollen Verzeihungen miteinander versöhnt haben? Mich ereilt das ungute Gefühl, dass sich etwas in unserer Beziehung verändert hat, doch ich will einfach nicht darauf kommen, was genau nun dafür die Schuld trägt. Das Kind? Nein, dieses kann doch nichts dafür. Oder?
Sie legt immer mehr zu, ich greife an ihr Oberteil und reiße es in einem Zug runter. Ihre Brüste sind ebenfalls gewachsen, doch darauf reagiert sie ebenfalls nicht. Nicht mehr. Nun gut, das macht es ein wenig unkomplizierter, die Klamotten mussten ohnehin mal gewechselt werden. Anstatt irgendeine Form von Protest zu zeigen dreht sie nur ihren Kopf von mir weg, na gut, wenn sie so möchte…
Ach, ich weiß es nicht. Es scheint vorerst ein guter Moment zu sein, um die gute Dame alleine zu lassen, die Hure möchte wahrscheinlich nachdenken, sitzt nackt da, als wolle sie mich sofort verführen. Friedlich verlasse ich den Raum.
„Du hast seit zwei Wochen nicht mehr geredet“, merke ich an, wobei ich die belebten Konversationen mit ihr zugegebenermaßen auch nicht vermisse, „woran liegt denn das?“ – Keine Antwort, sie schweigt weiterhin trübselig vor sich hin. Sie ist wohl überaus sensibel, was Streitereien angeht, früher konnte man noch ihre Entschlossenheit bewundern. Vielleicht bin ich tatsächlich etwas krank und habe sie nun in eine verstörte Phase gebracht? Nein, daran darf ich gar nicht erst denken, sonst bekommt sie genau das, was sie will! Oh, wie gewieft diese Bestie doch ist!
Forsch nehme ich mir die Genehmigung heraus, ihren Kopf festzuhalten, ihr Kinn zu packen und dieses gewaltsam nach links und rechts zu reißen: „Feige? Rede. Rede. Komm schon, früher hat dich dein vorlautes Mundwerk doch auch nie gestört.“ – Langweilig, so minderwertig muss man erst einmal sein, kein Wort von sich geben.
„Nun gut, dann werde ich den Part für dich übernehmen. Ich spiele mal den Erwachsenen und lege dir nahe, dass es nie eine Lösung ist, jemanden zu ignorieren. Wir sind doch beide mittlerweile an einen Punkt gelangt, wo wir über unsere Beziehung reden können, nachdem es beidseitig etwas gekracht hat, nicht wahr? – „Ja, mein Liebster, das finde ich auch! Ich bin schließlich naiv und dumm, ich wollte sogar mein Kind umbringen!“ – Tah tah, sei nicht so bescheiden, hübsches Ding; du hast hingegen etwas Wichtigeres vergessen – „Oh, natürlich. Es tut mir wirklich leid, ich schäme mich für mein Verhalten!“ – Vielen Dank. Siehst du, wie einfach es geht, und wie zügig man wieder eine angenehme Atmosphäre aufbauen kann? Das kann funktionieren, zweifelsohne. Nichtsdestoweniger solltest du im Kopf behalten, dass zahlreiche Menschen sich in glücklichen Beziehungen befinden, ohne sich andauernd an die Gurgel zu gehen, das wäre etwas, das man anstreben kann, sogar ohne sich irrwitzig zu verfälschen. Wir bekommen ein Kind und werden in einem halben Jahr Eltern sein, wir sollten es unserem Baby zuliebe versuchen“, erklärte ich aufrichtig, meine Stimme erhebend, sobald ich ihren Anteil des Dialogs übernehme, „ich bin zuversichtlich, was dieses Vorhaben betrifft. – „Ich auch, wir kriegen das hin.“ – Das wollte ich hören! Sicher werden wir auch eine Heilung für dich finden, sodass du nicht mehr diese gefährlichen Gedanken pflegst.“
Mit einem sicheren Lächeln strahle ich mein Selbstbewusstsein aus, erwarte ihre Anerkennung für mein reifes Verhalten. Allerdings antwortet sie immer noch nicht. Warum? Wie kann sie nach einer solchen Gelegenheit immer noch so spöttisch sein?
Empört schlage ich ihr auf die rechte Wange, ihr Kopf kippt zur Seite, die Heizung lässt ein leichtes Klirren ertönen, als dieser aufprallt. Unbehagliche Stille. Schweigende Münder, obwohl es keinen besseren Augenblick geben wird, sich einer schöneren Zukunft anzunehmen, sofern man dieser denn gewillt ist.
„Gut, es ist zwecklos“, verkünde ich, „eines solltest du dir hingegen gut merken. Ich bin niemals so nachtragend, ich besitze immerhin noch die Größe, dir dein kindisches, unvernünftiges Verhalten zu vergeben. Ich kann dich auch einfach sterben lassen oder dich noch schlimmer züchtigen, doch ich tue es nicht, weil es jemanden gibt, dem ich nicht wehtun möchte.“
Halbtot starrt sie auf den Boden, als habe sie alles verloren, was ihr jemals wichtig war. Vermutlich wird sie früh genug erkennen, dass die wirklich relevanten Lebensinhalte sich in unmittelbarer Nähe befinden, so erging es mir doch ebenfalls mal. Sie hat nicht einmal etwas, worum sie sich sorgen müsste, oh, wie gerne ich mit ihren Problemen tauschen möchte.
Weitere Wochen verstreichen, wir schweigen uns an, ohne uns auch nur in die Augen zu blicken, sie bewegt sich nicht, besitzt keine Kraft mehr. Sie zu ermutigen hat seltsamerweise keinen Zweck. Worin soll dies denn gipfeln?
„Dass du ja nicht so einen Eindruck machst, sobald unser Kind erst einmal da ist“, warne ich sie vor, doch auch darauf zeigt sie keinerlei Reaktionen. Wie sie so ein Desinteresse so schamlos vertreten kann, wo ihr Bauch bereits deutlich runder geworden ist… unfassbar, welche Tiefen sie mir doch immer wieder aufzeigt, doch ist dies keineswegs ein Grund, sich die Stimmung vermiesen zu lassen. Wie eine kuschelbedürftige Katze setze ich mich neben sie und hole einen Kalender heraus, ich gehe die einzelnen Monate durch, um sie etwas in die Realität zurückzulocken.
„Schau mal“, fange ich fröhlich an, „im Mai bist du schwanger geworden, ungefähr zum Monatsbeginn. Jetzt haben wir den September, gut, schauen wir mal… Januar, Februar… ich finde den Januar so schön, lass uns doch die Geburt am Monatsende durchziehen. Was hältst du vom 26.? Vielleicht doch einen Tag später? Die Sieben ist doch eine tolle Zahl! Sie erinnert doch so herzallerliebst an die sieben Todsünden, etwas wundervoll Abstraktes, das man auf überaus viele Weisen interpretieren kann. Das gefällt mir, allem voran, weil es dich so hervorragend personifiziert. Wir können es auch die Woche davor machen, dann können wir mit unserem Kind Weihnachten genau einen Monat später feiern, stell dir die ganzen Geschenke und Freuden innerhalb so kurzer Zeit vor! Hach, ich kann mich nicht entscheiden, das ist so aufregend!“ – Wie gerne ich jetzt Popcorn hätte, ich würde die Tüte in Ekstase hin und her schütteln, sodass der gesamte Inhalt quer über uns beide verstreut wird. Sie zeigt keine Reaktion. Irgendwie gefällt es mir auch, immerhin kann sie mir nicht widersprechen und nervt nicht, das macht manche Entscheidungen bedeutend einfacher, gleichwohl die Langeweile dadurch schier zu leben beginnt. Bei ihrem Anblick beginne ich, stutzig zu werden, ich fange an zu grübeln, exakt die Falle, in die ich die letzten Monate nicht hereintreten wollte, wie hält sie es nur durch, ihr Mundwerk zu halten? Wenn es etwas gibt, so lässt sie es mich mit Blicken wissen – Tristesse, Hass, Irrsinn. Sie bedarf keiner Worte mehr, um mich wissen zu lassen, wie es ihr ergeht; möglicherweise bin ich auch ob der langen Zeit miteinander geübt darin, ihre Stimmungen zu erkennen. Vielleicht stehen wir uns näher als ich bislang annahm.
Lächelnd schnappe ich mir einfach ihren Körper und nehme sie in den Arm: „Danke dir, jetzt verstehe ich endlich, wie wichtig diese Nähe doch ist!“ – All diese Zweifel haben von nun an endlich ein Ende, es ist fantastisch! So, wie sie schluchzt, verliert sie garantiert auch manche Freudentränen, da sollte es Zeit sein, die Hochzeit im Anschluss an die Geburt zu planen.
„Oder wollen wir vorher heiraten?“, rutschen mir meine Gedanken heraus, „oh, jetzt habe ich es schon gesagt! Damit wollte ich eigentlich noch etwas abwarten, doch funktioniert es gerade besser denn je, ich werde irgendwie schon eine Trauung organisieren, nachdem unser Baby gekommen ist. Unter diesen etwas unbehaglichen Umständen könnten andere verwirrt werden. Ach, was soll diese Schwadronade schon wieder – Bis der Tod uns scheidet bleiben wir zusammen, dessen bin ich mir sicher! Wer benötigt schon eine Hochzeit und einen Pfarrer, um sich dieses Versprechen zu geben? Damit es amtlich ist? Welch ein Irrsinn, dass das Wort eines Notars bedarf, als würde man sich selbst nicht daran halten. Nein, wir brauchen das nicht, unser Band ist jetzt schon stärker und diese wunderschöne Gabe in deinem Bauch wird dieses nur noch festigen. Die Geburt rückt näher und näher, oh, wie unsere Familie aussehen wird? Du stillst das Kind und ich werde euch Essen machen, du wirst mich anlächeln und die Haare des Kleinen streicheln. Man darf wohl träumen, und du freust dich bestimmt gleichermaßen darauf! Nun werde ich allerdings erst einmal schlafen gehen“, verabschiede ich mich und gebe ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange und auf den nackten, runden Bauch.
Ich stehe bereits am Türrahmen, als mir noch etwas in den Sinn kommt, das ihr nicht mitzuteilen unhöflich wäre: „Hör mal, mein Engel, du brauchst wirklich nicht traurig zu sein. Ein neues Leben wird stets zu Anfang etwas unbehaglich wirken. Aber wenn wir erst einmal Eltern sind, wird all dies halb so wild sein, wir können uns doch so sehr darauf freuen und alles vorbereiten. Es fühlt sich momentan nicht nur gut an, sondern auch richtig und, wie soll ich sagen, ich bin zuversichtlich, dass alles funktionieren wird. So, jetzt aber – schlaf gut! Dein Wasser ist übrigens auch aufgefüllt.“
Diese Kugel wird ja immer runder, ein fast ungewöhnlicher Anblick, da sie sonst doch so sehr auf ihre Figur achtete. Ob sie nicht schwanger werden wollte, um weiterhin schlank zu bleiben? Wie widerwärtig.
„Ich habe ein tolles Geschenk für dich“, überrasche ich sie freudig, hole dabei eine verpackte, kleine Schachtel raus, drücke sie ihr in die Hand und warte ungeduldig, bis sie es auspackt… „na, los doch! Pack es schon aus, ich möchte deinen Gesichtsausdruck sehen! Mach schon!“
Was für eine Spaßbremse. Muss ich das schon wieder übernehmen? Geht anscheinend nicht anders bei diesem faulen Stück. Ihren Kopf packend und auf das Geschenk richtend reiße ich es auseinander und öffne die Schachtel, das Papier in die Ecke werfend, die immer noch unaufgeräumt ist. Sollte ich vielleicht irgendwann mal das Zimmer auf Vordermann bringen? Nee, da gibt es Wichtigeres zu tun.
Ich hole ein Stück Stoff hervor und schlackere es vor ihr aus: „Tadaaa!“ – Einen winzigen Hauch von Verwirrung meine ich erkennen zu können, sodass sie mir einen Anlass gibt, mit der Erklärung fortzufahren, gleichwohl es recht offenkundig ist: „Ein Schwangerschaftsshirt! Den Platz wirst du brauchen, mittlerweile passt dir nichts mehr, und deine ganzen Klamotten sind auch zu eng geworden. Wobei, ich kann dich auch einfach die ganze Zeit nackt hier rumliegen lassen, doch dies wäre ein wenig pietätlos, nicht wahr? So, wenn du nun keine Faxen machst, löse ich mal deine Handschellen. Dir ist ja tatsächlich über ein halbes Jahr hinweg nicht aufgefallen, dass ich den Schlüssel auf die Fensterbank gelegt habe, hah. Dir muss es hier ja wirklich gut gehen!“
Ein kleines Klicken, schon sind ihre Arme frei und fallen kraftlos zu Boden. Ihre Handgelenke sehen fürchterlich aus, als seien sie übersät mit Rhagaden, die kurz davor sind, zu platzen. Endlich kann ich ihr aber mal wieder etwas überziehen, da hat es wenigstens einen Vorteil!
„Schau dir an, wie schön du doch aussiehst! Gut, von den Wunden an deinen Händen mal abgesehen, die sind natürlich grausig – aber dieses Shirt steht dir hervorragend“, schmeichle ich ihr, schließlich ist es allzeit wichtig, einer Frau ein gutes Gefühl zu geben, auch während der Schwangerschaft!
Wieder in die Küche verschwindend geht mir durch den Kopf, dass es ebenso toll sein wird, wenn diese Routine alsbald zum Ende kommt, gleichwohl es doch angenehm ist, für jemanden zu sorgen, der es augenscheinlich benötigt – irgendwann wird sie stolz von dannen ziehen können, mit einem Kind auf dem Arm und mir an ihrer Seite. Am besten in Richtung des Sonnenuntergangs, zwischen zwei großen Bäumen hindurch, von denen der Tau hinuntertropft, der Weg mit einer leichten Schneeschicht überdeckt, die allerdings nur im Schatten gefroren bleibt. Oh, wäre ich ein Künstler, so würde ich umgehend ein Bildnis von diesem fantastischen Anblick zeichnen! Noch besser wäre es nur, wenn das Kind tief und fest schläft und ich ein rostiges Beil in den Kopf der Hure ramme, die es geboren hat.
„Ein neues Jahr hat begonnen“, wecke ich sie eines Morgens auf, drifte mit den Gedanken beinahe wieder in eine Schwadronade ab, die sich damit beschäftigt, wie schnell die Zeit doch zu manchen Umständen verstreichen kann, stattdessen gehen mir sinnigere Themen durch den Kopf, „ist es nicht irre, dass schier die gesamte Welt völlig am Rad dreht, nur, weil ein Jahr vergangen ist? Man wacht ja auch nicht jeden Morgen auf und veranstaltet ein Feuerwerk, weil der nächste Solarzyklus beginnt, wozu auch? Neujahr ist quasi ein Tag wie jeder andere.“ – Übermüdet öffnet sie ihre Augen, daraufhin schließt sie diese wieder, als würde sie wollen, dass ich sofort zu reden aufhöre – „Ja, ich weiß schon, was du sagen möchtest. Ich werde mit dem Kind schon Silvester feiern, keine Sorge, du wirst auch bestimmt mal dabei sein. Dennoch, ich fasse es nicht, dass man das immer wieder platttreten muss.“
Ich bringe ihr das alltägliche Frühstück, Rührei mit Tost und Käse, an den Platz und setze mich gekrümmt neben sie: „Ah, meine Knochen machen mich fertig. Ich muss mich mal mehr bewegen, schließlich verbringe ich die ganze Zeit in der Wohnung. Kannst du dir das vorstellen, so ganz ohne Sport? Ich glaube, ich würde eingehen, wenn ich nicht zwischendurch mal frische Luft bekommen würde. Wie dem auch sei – Wir haben ein neues Jahr, also, Neues. Das „Frohe“ lasse ich mal weg, solange du mit dieser deprimierenden Stimmung um dich wirfst.“
Jetzt kommt das gängige Schweigen, ein paar Sekunden abwarten… Tag für Tag dieselbe Geschichte, ermüdend: „Na dann, das hätten wir geklärt. Bald wird es hingegen etwas geben, das sich jährlich zu zelebrieren lohnt, ja, du wirst dich vielleicht freuen!“ – Ein paar Male noch über den schönen, molligen Bauch streicheln, dann kann ich sie zu füttern beginnen.
Heute ist ein ganz besonderer Tag! Meine Hände zittern bereits, wenn ich mir den Abend bloß vorstelle, vor lauter Vorfreude kann ich mich kaum fassen!
Mit diesem nicht kontrollierbaren Lächeln betrete ich das Bad, werfe einen Blick auf die eingekauerte Dame, die sich scheinbar alle Mühe gibt, meine Stimmung zu trüben, aber nein nein, heute gelingt ihr dies garantiert nicht! „Es ist soweit“, platzt es mir grinsend heraus, „der 24. Januar! Heute bekommen wir unser Baby, ist das zu glauben? Wie zügig die Zeit verstrichen ist, beinahe gruselig! Mach es dir erst einmal gemütlich und versuch die Wunden an deinen Armen zu ignorieren – heute Abend bist du aus den Fesseln raus! Ich hole nur noch ein Messer und dann fange ich mit dem Kaiserschnitt an. Mach dir keine Sorgen, ich bin zwar etwas aus der Übung, aber das stehen wir doch durch, oder?“ „Nein…“, flüstert sie, in einer Stimme, als stünde sie kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
„Wie, ne?“, gehe ich ungläubig auf ihre bockige Ader ein, „Klar stehen wir das durch, die letzten Monate haben wir gleichermaßen gepackt! Selbstverständlich hatten wir unsere Differenzen, doch diese sind in einer Beziehung doch völlig normal.“ – Ihr Flehen gekonnt ignorierend stolziere ich in die Küche, um das passende Werkzeug zu suchen. Als sollte man sich jetzt die Laune verderben, dann könnte es ja zu Komplikationen während des Eingriffs kommen. Hm. Die meisten Messer sind ja noch dreckig, ich hätte häufiger abwaschen sollen. Nun gut, kurz unter das Wasser halten, dann passt es schon irgendwie. Da gibt sie einmal nach Monaten einen Ton von sich und… nein, nicht aufregen! Dafür ist der Tag wahrlich zu schön.
Nachdem ich über den ganzen Müll und die zerbrochene Einrichtung steige, beuge ich mich vor ihr nieder und ziehe ihr hübsches Shirt hoch, das ich ihr wohlgemerkt gekauft habe und wofür sie sich nicht mal bedankt hat. Sicherheitshalber ist es notwendig, sie wieder mit den Fesseln zu fixieren, obgleich sie ein wenig abgeneigt zu sein scheint, weil ihr vermutlich das Datum nicht so gut gefällt, leistet sie keinen Widerstand. Zufrieden merke ich an: „Anscheinend hast du schlussendlich deine Furcht vor der Liebe besiegt. Jetzt ist alles gut, so, wie wir es uns immer gewünscht haben. Bald sind wir noch vermählt und wir haben ein wundervolles Kind.“ – Genau genommen nur einen Bastard, doch es muss ja nicht dabei bleiben. Ich streiche das Messer sanft über ihren Bauch und versuche eine gute Stelle für den Schnitt zu finden, doch plötzlich gibt es einen Tritt aus dem Inneren.
„Hey, das Baby hat mich getreten! Da scheint es doch fit zu sein“, kichere ich vor mich hin, bevor ich die Klinge ansetze, „Kaiserschnitte, das ist schon ordentlich lange her. Da ich schon ob der Aufregung ein, zwei Schlückchen getrunken habe, fühlt es sich doch gewiss nach einem simplen Eingriff an. Aufmachen und das Balg nehmen, nicht wahr?“ – Sie beißt die Zähne zusammen und grunzt leicht, sobald ich das Messer in ihre Haut steche. Die Klinge ist bedauerlicherweise etwas stumpf, ich muss wohl ein wenig sägen. Da ist er ja! Der panische Aufschrei! Ich habe mich schon gewundert, wann sie mal ein wenig Lebhaftigkeit zeigt. Diese Schreierei könnte hingegen etwas stören… Zügig greife ich zu einem abgebrochenen Holzstück von der kleinen Diskrepanz, als ich das Badezimmer zerlegt habe, und drücke es ihr in den kläffenden Mund. Das Messer lasse ich währenddessen einfach stecken, es hält schließlich gut.
„Beiß drauf, dafür ist es gemacht worden. Keine Sorge, ich schätze, nach etwa vier Einschnitten sollte alles vorübergehen. Aber halt still“, befehle ich ihr und fahre mit dem Eingriff fort, während der noch runde Bauch von Blut benetzt wird. Sie bewegt sich ganz schön viel, ich schneide andauernd in die falsche Richtung, nicht, dass ich das Baby noch verletze. Ist das bereits Fruchtwasser? Hmm, so schnell wollte ich nicht schneiden, oder vielmehr sägen.
Ah, dieses Gekreische erschüttert das Knochenmark! Ich meine sogar, Beleidigungen heraushören zu können, dafür werde ich sie wohl danach züchtigen. Reicht das von der Größe her? Ach, was bin ich eigentlich so zärtlich, die verliert ein bisschen Blut und dann wird das schon, wenn sie genug getrunken hat. Mit einem Ruck ziehe ich das Messer quer über den gesamten Bauch, die Klinge nur leicht versenkt, sodass ich auch nur die Haut durchschneide. Wie viel Blut ein Mensch verlieren kann, das habe ich schon beinahe vergessen, vielleicht hätte ich mir einen Bademantel überziehen sollen, oder so etwas.
Allmählich werden die Schreie etwas leiser und erschöpfter, das hätte sie eigentlich auch gleich machen können. Dumme Hure.
Überanstrengt zerre ich die Haut, die mittlerweile eher Fetzen ähnelt, auseinander und greife in ihren Bauch rein – es bewegt sich etwas! Oh, gleich werde ich Vater! Nein, warte, zügle deine Vorfreude, du hast gleich genügend Zeit dazu…
Ein bisschen Wühlen, das war doch damals schon normal, glaube ich. Vorsichtig setze ich die Klinge nochmal an, um noch einige Schnitte an der Fruchtblase vorzunehmen. Ein wenig aggressiver schmeiße ich das Messer zur Seite und begutachte den sezierten Torso, bis ich mit den Unterarmen die Öffnung aufhalte und das Baby mit meinen Händen packe, um es vorsichtig aus ihrem Leibe herauszuziehen. Die Mutter ist bereits verstummt, doch nun erfüllt ein anderes Geschrei den Raum Ich halte es. In diesem Moment! Oh, die Schreie, das Weinen, mein Kind!
Die Nabelschnur, die hätte ich schon beinahe vergessen. Nochmal zum Messer greifend und das Baby kurz auf meine Beine setzend durchtrenne ich sie, lasse noch ein beachtliches Stück als Erinnerung am Kind hängen.
Aufgeregt schaue ich zu der stolzen Mutter und richte den Blick des Babys auf den ihren: „Schau nur! Es ist ein Mädchen! Wir haben ein kleines Mädchen!“ – Wie versteinert beobachtet sie das Kleine, dessen Haut mit Blut befleckt ist. Man erwartet es von dem Anblick erst nicht, doch es ist das Baby, das munter und lebendig Schreie hervorstößt und die Mutter, die vor Freude kein Wort von sich geben kann.
„Ein Mädchen, hörst du? Wir haben ein Mädchen“, erinnere ich sie und wiege meine Tochter im Arm, „gleich werden wir dich erst einmal sauber machen, was sagst du dazu? Oh, mein Geschenk des Himmels!“
Sie zeigt nicht einmal jetzt eine Reaktion. Sogar die Geburt ihres eigenen Kindes kann sie nicht mehr zu Emotionen locken, nein, bei der Hälfte des Kaiserschnitts verstummte sie gar komplett! Widerwärtig, wie sie das nicht einmal durchzuhalten vermochte! Oder meine Gebete wurden einfach erhört, das kann natürlich auch sein. Gibt es womöglich tatsächlich einen Gott, der diejenigen bestraft und ausrottet, die es verdient haben? Das wäre eine fantastische Vorstellung.
Wie lange ich wohl bereits auf ihren toten Körper starre? Das Baby schläft in aller Seelenruhe, ich knie in der Blutpfütze vor der bleichen Leiche und trage eine seltsam nachdenkliche Miene. Ich spüre keinerlei Reue, gleichwohl ich das bin, was ich stets verabscheute – ein Mörder. Doch nichts fühlt sich anders oder moralisch verwerflich an, es scheint das natürlichste Gefühl auf der Welt zu sein. Ach, ich habe sie doch nicht umgebracht, einige Mütter versterben bei der Geburt. Rückblickend kann ich ihr nicht verübeln, dass sie das Balg beseitigen wollte, es ist ja nur ein Tod. Ein völlig unbedeutendes Ableben. Armer Engel, hätte sie es mir doch früher erklärt. Die Alte kann später schön schwimmen gehen, ich helfe ihr dann auch, ins Wasser zu kommen.
Ich spaziere mit meinem kleinen Meisterwerk auf dem Arm nach draußen, beobachte liebevoll den klarsten Himmel, den ich bislang meine gesehen zu haben, und gelange dabei zu einer bedeutenden Erkenntnis. Gerechtigkeit. Dass die widerwärtige Ausgeburt nun dahingeschieden ist, es erfüllt mich mit einem Frieden, der die Nerven nach viel zu vielen Frustrationen endlich mal entspannt. Diese Ruhe, sie ist so harmonisch, es fühlt sich beinahe so an, als gäbe es nichts mehr, das mich belasten könnte. Es muss einen Gott geben, der diesen Missstand beobachtet und beseitigt hat, der durch mich sein Werk vollbracht und mir ein Mädchen geschenkt hat, das zu einer besseren Person werden soll als ihre Mutter es jemals hätte sein können.
Meine Tochter in den Armen hin- und herschaukelnd lasse ich mich von der Ausgeglichenheit erfüllen, flüstere die Worte, die auf meiner glückseligen Seele tanzen: „Ein Albtraum endet für etwas Schönes. Ja, ich rede von dir, du bist etwas Besonderes. Ob du es glaubst oder nicht, doch habe ich deine Mutter niemals geliebt, anders als bei dir. Du wirst eine fantastische Persönlichkeit werden und ich werde bei dir sein. Die Zukunft hält so vieles für dich bereit, das würdest du nicht glauben.“
Lächelnd schaue ich in die Ferne. Es wird langsam Zeit, diesen Ort zu verlassen und in eine neue Umgebung zu verreisen, ohne jemals wieder einen Gedanken hieran zu verschwenden.
● The Scar Maid ●
Etwa 7 Jahre später
Die Kleine ist im Tiefschlaf. Gut, dass ich ihr beigebracht habe, sich selbst Frühstück zu machen, so gibt es viel mehr Tage, an denen ich gewissenhaft ausschlafen kann. Dieser Tropfen brennt angenehm im Hals, entfaltet seine Wirkung nach einem wunderbaren Zeitrahmen und hat akzeptable Kosten.
Tatsächlich ist die Zeit in schier einem Zug verstrichen, sie hat bald schon wieder Geburtstag. Sieben Jahre, es kommt mir wie gestern vor, dass ich sie auf die Welt gebracht habe. Es ist wohl etwas dran, wenn die ganzen Elternteile behaupten, dass Kinder verflucht schnell groß werden, zwar konnte ich es mir immer vorstellen, doch nun kann ich es zudem selbst nachempfinden. Welch ein überbewerteter Aspekt, dass man erst mit Ahnung prahlen kann, sobald man selbst etwas erlebt hat, empirischer Schwachsinn. Wie diese lächerlichen Rückblenden, bei denen scheinbar alles nochmal an einem vorbeizieht, als würde man es gerade erst erlebt haben, oder in diesem Augenblick erleben, und man sich plötzlich in der Gegenwart wiederfindet. Wie dem auch sei, nun ist es geschehen.
Wie spät ist es noch gleich? Wenn man in seinem eigenen Biorhythmus ist und sich von all den irdischen Gegebenheiten abgrenzt, verliert man irgendwann das Zeitgefühl. Draußen ist es hell, ich meine, dass es gerade hell wird. Deswegen schläft sie auch, das würde Sinn ergeben. Sie besucht keine Schule, ich unterrichte sie tagtäglich selbst, somit muss ich mich nicht mit irgendwelchen Personen stressen, die meiner Tochter schmerzen wollen. Freunde oder derartiges. Das wurde schon immer völlig überbewertet, in den wenigen Jahren hat sich der Umstand wohl kaum geändert. Garantiert wären dort draußen zahlreiche Personen, die sich die Unverschämtheit herausnehmen würden, meine Handlungsweise zu kritisieren, allerdings ist diese nach einer derart langen Zeit nicht im geringsten gerechtfertigt. So machen es die meisten Leute am liebsten, in aller naiven Leichtsinnigkeit behaupten, von allem eine Ahnung zu haben, während sie niemals das erreichen würden, was man selbst meisterhaft handzuhaben lernt. Voreilige Aasgeier dort draußen, ich werde mein Ein und Alles vor ihnen beschützen, hier, in unserer kleinen Villa, abgeschieden von der Welt, die nur von einer boshaften Menschheit bevölkert wird. Voll von Mördern und Verbrechern. Psychopathen. Diese Gesellschaft bedürfe echt einer Reinigung, doch wie sollte man dies umsetzen? Da ist es wohl die einzige Alternative, sich von ebendieser abzuschotten, sich zu isolieren und dem Leben so einen Sinn zu verleihen, der nicht vom Rest der Welt verschleiert wird.
Still in mich hineinkichernd lehne ich mich zurück, genieße den Verlauf der Vergangenheit, und wie sich dieser in die jetzige, sorglose Gegenwart entwickelt hat. Ein wunderschönes junges Mädchen, das einzig meiner Erziehung folgt, zudem Unmengen an Köstlichkeiten, die mir die Tage und Jahre erleichtern. Was wünscht man sich schon mehr?
Müde steht das Kind auf und steht verschlafen in ihrem Pyjama in der Küche, sie ruft mir einen guten Morgen hinzu, während ich schlaflos auf dem Sofa vegetiere. Der Alkohol wirkt so entspannend, wie es auch eine Nacht tut, in der man jegliche Besinnung verliert und das Gefühl der Zeit versagt, wozu schlafen, wenn ich auch trinken kann?
Taumelnd erhebe ich mich und stolpere in die Küche. Aus Gewohnheit heraus zücke ich eine Schüssel, einen Löffel, bereite ihr schnell ein simples Frühstück zu. Müsli. Keine Ahnung, wie man diese Plörre jeden Tag in sich hineinschaufeln kann. Kinder, die möchte man verstehen. Sie empfängt ihre, nennen wir es gnädig „Mahlzeit“ allerdings mit Kusshand und eilt geschwind zum Fernseher. Ich muss erst einmal gedanklich rekonstruieren, was ich gerade überhaupt gemacht habe. Sie bekommt das gar nicht mit, scheinbar freut sie sich über alles, was ich tue, und sei es noch so eine verwirrte Aktion. Womöglich lacht sie deswegen, weil sie es lustig findet, wenn ich mir wehtue. Kinder sind solche Sadisten, das möchte man sich ja gar nicht vorstellen.
„Die wichtigste Mahlzeit des Tages!“, ruft mir meine Tochter eifrig hinzu. Kopfschüttelnd schleppe ich mich zu dem Brot, bemühe mich, ein Messer in den Griff zu kriegen, um mir eine Scheibe abzuschneiden. Ein Blick nach rechts – auf einmal steht die Kleine direkt vor mir. Ich hätte mich beinahe erschreckt, dann hält sie mir den Käse entgegen, genau der Gouda, den ich Tag für Tag esse, der mir schon fast aus dem Hals raushängt. Lächelnd nehme ich diesen entgegen: „Wie lieb von dir! Vielen Dank!“ – Es wäre unverantwortlich, ein Kind dafür anzuschnauzen, dass sie nicht merkt, wie sehr mich das Essen nerven muss.
Das Brot ist bereits zubereitet und liegt auf dem Brett, als ich ein tiefes, schockiertes Einatmen höre. Besorgt fahre ich um, frage sie sofort, ob denn alles in Ordnung sei. Verdammt, hat sie Angst? Sie hebt sofort ihren Finger und zeigt direkt auf mich. Was will sie… oh. Ich blute. Na so was.
„Anscheinend habe ich mich geschnitten“, merke ich an. Vielleicht behält sie dies in Erinnerung und macht das nächste Mal kein Theater, wenn sie sich irgendwo wehtut. An einer Scherbe, oder so. Ich putze das Blut gelassen mit einem Küchentuch ab und wische kurz über die Küchenzeile.
„Siehst du? Alles in bester Ordnung“, sage ich munter. Immerhin habe ich jetzt einen plausiblen Grund, nicht erneut diesen widerwärtigen Käse herunterzuwürgen.
Friedlich sitzt die Kleine dort und starrt in den Fernseher, kichert und schmunzelt zwischendurch, so, wie ein jeder das Leben genießen sollte. Aufmerksam setze ich mich zu ihr: „Na, was guckst du dir dort an?“ – Sie erzählt etwas, doch ich bezweifle, dass ich unbedingt zuhören muss. Irgendeine Kinderserie. Schwachsinn. Zwischendurch meine ich die Frage zu verstehen, ob es denn meinem Finger besser ginge.
„Besser, vielen Dank. Soll ich dir mal etwas Aufregendes zeigen?“, frage ich sie mit einer begeisterten Stimmlage, sodass sie selbstverständlich genauso aufgeregt bejaht. Ich hole einen kleinen Acrylblock, frage sie daraufhin, ob sie denn wüsste, was darin eingeschweißt ist. Verwirrt hält sie den Klotz in ihren zärtlichen Händen, schüttelt den Kopf. Amüsiert erkläre ich es ihr: „Das ist deine Nabelschnur.“
„Meine Nabelschnur?“, fragt sie, zwingt mich dazu, scheinbar jede Einzelheit genau zu erläutern: „Nun, als deine Mutter schwanger war, da warst du in ihrem Bauch. Über die Nabelschnur wurdest du ernährt, bekamst dein Essen. Du verstehst?“
Sie neigt ihren Kopf in alle möglichen Richtungen: „Äh. Mama?“ – Ich nicke nachdenklich. – „Du sagst doch immer, dass sie tot ist?“
Mit falschem Bedauern stimme ich ihr zu: „Ja, sie ist leider bei deiner Geburt verschieden. Wenn du wüsstest, sie hat so unerträgliche Schmerzen erlitten, um dich zur Welt zu bringen. Ich bin mir sicher, dass sie stolz auf dich wäre, hätte sie es überstanden.“ – Spätestens drei Monate danach hätte ich ihr wahrscheinlich schon den Hals umgedreht.
„Okay?“, sagt sie eingeschüchtert und gibt mir den Block zurück. Scheint ihr nicht so sehr zu behagen, nun, vielleicht kann sie das noch nicht komplett verstehen. Die Sendung, die sie sich angeschaut hat, ist auch zu Ende, mit einem Enthusiasmus quiekt sie mich voll, dass sie sich ja darauf freue, sie am nächsten Tag wieder zu gucken.
„Das kannst du machen. Geh dir die Zähne putzen, ich sage dir gleich nochmal „gute Nacht“, wenn du schläfst, sitzt du viel schneller wieder vor dem Fernseher. Los, geh“, fordere ich sie auf, und munter zieht sie von dannen. So leicht sollte es doch immer sein, dies ist weitaus angenehmer als ständig in irgendwelche Diskussionen flüchten zu müssen. Geht doch ganz leicht, womöglich liegt es auch daran, dass ich irgendwann mit ihr schimpfe, wenn sie sich unvernünftig verhält. Bei ihr zeigt es immerhin eine langfristige Wirkung.
Kaum habe ich mich wieder hingesetzt, ist es schon dunkel draußen. Wie schnell das ging, und ich habe nichts mehr zu trinken. Hat das jemand weggegossen? Das ist ja schon beinahe unheimlich. Kann es sein, dass ich vergessen habe, der Kleinen eine gute Nacht zu wünschen?
Mit dem Glas in der linken Hand bewaffnet gilt es, das magische Elixier nachzufüllen.
Plötzlich steht das Kind in erstarrter Pose am anderen Ende des Raumes und schaut mich mit großen, verwirrten Augen an: „Warum bist du noch wach, Papa? Du stehst immer vor diesen Flaschen.“ – Vielleicht sind doch ein paar mehrere Stunden verstrichen.
Wie liebreizend sie doch ist, ich muss schon beinahe schmunzeln. Halb in Gedanken versunken flüstere ich vor mich hin, in der Hoffnung, dass sie mich nicht verstehen kann: „Kleiner Engel, du bist deiner Mutter so ähnlich.“ – Ich habe sie umgebracht. Wie wundervoll ihre Schreie klangen. Du hättest es geliebt.
Hastig wende ich mich dem Kind zu, die Erinnerungen aus meinem Kopf schüttelnd: „Du sollst doch nicht so spät noch wach sein, du brauchst Schlaf. Geh ins Bett.“
„Du brauchst auch Schlaf. Dann gehen die Ringe auch weg“, protestiert sie bockig, woraufhin ich nur mit einer Stimme entgegnen konnte, die keinerlei Widerworte duldet: „Ich bin schon erwachsen. Los, geh.“
Solche Reaktionen sind stets nervig, doch in solch jungen Jahren ist es wahrscheinlich geringfügig effizienter, noch behutsam vorzugehen, sie ist ja schließlich nicht mal neun Jahre alt. Hah, da muss ich wieder herzhaft kichern, es brennt sich schon beinahe in mir selbst ein, wenn ich daran denke, wie ich eventuell ein stringenterer Vater sein könnte. Moment, das Kichern kommt ja gar nicht von mir. Doch da kichert etwas… kichert dort etwas?
Leicht gereizt stehe ich auf und versuche, den Rausch, der in meinen Ohren tobt, zu überwinden, um dieses Geräusch zu finden. Es scheint aus dem Schrank zu kommen. Wenn dieses Mädchen sich im Schrank versteckt hat… dies wäre ein geeigneter Anlass für eine etwas andere Erziehungsmaßnahme.
Wütend bewege ich mich und trete mit bewusst lauten Schritten dem Schrank näher, das Kichern wird lauter. Ich sehe es schon kommen, gleich öffne ich die Tür und sie springt mir entgegen, um mich zu erschrecken, oh, sie vergisst, dass ich noch eine Flasche in der Hand halte. Jetzt kann sie etwas erleben. Ich packe den Griff. Sie schreit. Ohrenbetäubend. Reiße die Schranktür auf. Adern quellen an meiner Stirn hervor. Es knarrt. Es wird immer lauter. Der Schrank bewegt sich plötzlich. Immer näher auf mich zu. Verwirrt schaue ich mich schnell um, nicht schnell genug. Ich liege. Es kracht laut. Der Spiegel an der Schranktür zersplittert. Glas bohrt sich in mich. Schmerz durchfährt meine Schultern und Rippen, daraufhin meinen ganzen Körper. Was? Was ist passiert?
Ich schlage wütend gegen den Schrankrücken, das gesamte Ding ist auf mich gestürzt! Hat sie das mit Absicht gemacht? Will sie mich etwa umbringen?
Das Kichern, es ist plötzlich direkt neben mir, es lächelt direkt in meine Ohren. Brüllend fuchtele ich um mich, schlage gegen all die Kleidung, doch niemand ist hier drin.
„Papa?“, höre ich plötzlich eine besorgte, zärtliche Stimme außerhalb des Schrankes, „Was ist los? Geht es dir gut?“
Erschöpft hieve ich das gesamte Möbelstück hoch und kämpfe mich darunter hervor. Entspannt tue ich ihre Sorgen ab: „Einige blaue Flecken, nichts Wildes.“ – Was für große Augen sie macht, als würde sie nicht wissen, dass sie daran schuld war. Oder war sie das tatsächlich nicht? Welch ein irrsinniger Gedanke, es war sonst niemand hier, niemals ist irgendjemand hier, abgesehen von uns beiden. Dahinter steht irgendein gewiefter Streich, für den sie nicht die Raffinesse besitzt.
„Geh ins Bett, habe ich dir das nicht deutlich genug gesagt?“ – Entgeistert schlendert sie von dannen und lässt mich mit schier völligem Desinteresse zurück. Vielleicht hat sie das tatsächlich arrangiert.
Süßes, unschuldiges Kinderlachen, das schafft es doch stets, einem das Herz zu erwärmen. Gleichwohl es ein wenig merkwürdig ist, in was für einen Lachkrampf sie sich verstrickt, dabei hätte sie doch bereits vor einer Stunde schlafen sollen.
Einen weiteren Schluck runterkippend raffe ich mich auf und gehe in ihr Zimmer, stürme regelrecht hinein. Da liegt sie in ihrem Bett und kugelt sich, kichert wild. Ich mache das Licht an und schaue grinsend zu ihr: „Na, was ist denn so lustig?“
Sofort hört sie auf und schaut mich strahlend an, zwischendurch rutschen ihr stets weitere Lacher heraus: „Mach das nochmal, Papa!“
„Was soll ich nochmal machen?“, frage ich amüsiert nach und zwicke spielerisch ihren Bauch, woraufhin sie wieder vor Freude nach Luft ringt. Ich bin erleichtert, dass sie nicht nachtragend ist wegen vorhin.
„Genau das! Kitzeln!“ – „Aber ich habe dich doch gar nicht durchgekitzelt, Kind“, kläre ich sie auf, wahrscheinlich spielt sie mir wieder mal einen Streich.
„Doch, hast du! Vor fünf Minuten bist du reingekommen und hast mich sofort gekitzelt! Mach weiter“, fordert sie mich spielerisch auf, ich decke sie wieder zu und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Auf einmal poltert es leicht im Wohnzimmer, die Kleine kuschelt sich wieder ein, als habe sie nichts gehört.
Verwirrt stehe ich auf und schaue nach, verfolge das Geräusch durch den Flur hindurch. Etwas klirrt, und es kommt nicht von ihr. Skeptisch versuche ich dem nachzugehen…
Was ist das? Wie konnte das Glas umkippen? Alles liegt auf dem Fußboden, läuft quer in alle Richtungen, die Splitter, sie sind alle gleich groß. Was soll das denn für ein schlechter Witz sein? Wie konnte überhaupt dieser verdammte Schrank umkippen?
Entnervt gehe ich zur Kommode, wo sämtliche andere Gläser und Schnapsflaschen aufgestellt sind. Vielleicht habe ich etwas zu viel getrunken, doch es gibt wahrlich genügend Gründe dafür, es immer wieder zu tun. Gerade, als ich zum Rum greife, rutscht mir die Flasche aus der Hand und fällt zu Boden, als sei sie soeben gezogen worden. Übermüdet reibe ich mir meine Augen, schaue nochmal auf den Fleck, wo die Flasche hingefallen ist. Zersplittert, in alle möglichen Teile. Alles läuft aus.
Ja, es wird langsam gewiss allerhöchste Zeit, um sich schlafen zu legen. Das ist doch Irrsinn, jetzt bilde ich mir schon skurrile Sachen ein. Wo kommen diese Kopfschmerzen schon wieder her… langsam wird es kostspielig, dem die ganze Zeit mit Schnaps entgegenzuwirken, allem voran, wenn mir ständig die Flaschen aus der Hand rutschen. Ich könnte bestimmt aufhören zu trinken, dies würde vielleicht auch ein wenig gegen die Erinnerungslücken helfen, doch dieser Weg wäre bestimmt ein überaus anstrengender, der nicht viel Spaß in sich hält. Irgendwie muss ich mich ja auch um meine Tochter kümmern.
Och, sie ist ja ein vorsichtiges Mädchen, die Scherben kann ich auch später entsorgen. Hier geht irgendetwas Skurriles vor sich, irgendein brillanter, böser Genius. Vielleicht ist sie es, vielleicht auch nicht, doch irgendwas geht hier vor. Ich bin doch kein Idiot, ich weiß, dass hier etwas faul ist.
Verdammt, wie sie kichert und nicht aufhören möchte! Wo versteckt sich dieses Geräusch, was möchte es denn von mir, ausgerechnet von mir? Oder meine Tochter, vielleicht hat sie jemandem den Weg hierher gezeigt? Quatsch, sie kennt doch niemanden, sie ist zu bescheuert, um irgendetwas Derartiges zu bewirken. Nein, auf irgendwas hat es das abgesehen, ich weiß nur noch nicht, worauf es so mühselig hinaus möchte.
Das Licht im Flur geht an, sie hat sich also wieder nicht ins Bett gelegt, nein, sofort muss sie aufstehen und sich meinen Anforderungen widersetzen. Die kann etwas erleben, sie hat sich einen überaus ungünstigen Moment ausgesucht, um mich zu quälen.
Das Licht in der Küche geht an. Etwas zu trinken holen, hm? Oh, weil du auch nichts hast, immer steht die Wasserflasche an deinem Bett, nicht einmal deine bescheuerte Mutter ist in die Küche gegangen, weil sie wusste, dass sie in ihrem Käfig etwas zu trinken hat. Ein Nager verschwindet auch nicht, um sich sein Fressen zu holen, so gerne er es würde, er ist nur ein niederträchtiges Tier, beinahe ein Parasit.
Das Licht im Bad geht an. Geisterst du jetzt schon herum und tust, was dir gefällt, ohne die Lichter wieder auszuschalten? Jetzt reicht es mir, du wirst hier nicht einfach tun, was dir gefällt, Mädchen.
Sämtliche Lichter gehen an, direkt danach erlöschen sie, im sekündigen Wechsel. „Wie kriegst du das hin?“, brülle ich überfordert nach ihr, bereit, ihr etwas ganz Schlimmes anzutun. Dann kommt sie raus und steht an der Tür, rennt auf mich zu, umarmt mein Bein. Gerade wollte ich sie wegtreten, als ich ihre Tränen bemerke, ihr Wimmern: „Mach, dass das aufhört!“
In Ekstase fährt das Spektakel mit den Lichtern fort, ich drücke meine Tochter nur leicht an mich, während das Kichern aus allen Richtungen zu kommen scheint. Wenn sie es auch sieht, dann bilde ich mir das nicht nur ein, dann ist hier wirklich irgendein Vieh, das unser Glück behindern möchte. Immer möchte irgendeine Hure mein Glück sabotieren, bestimmt ist es eine Hure. Vielleicht sogar jene, die jetzt noch ihrer Tochter alles verderben möchte, und wieder war ich es, der alles mühselig aufgebaut hat.
Die Lichter springen immer noch an und aus, es ist schon beinahe langweilig, welche Methoden sie sich überlegt hat, um mich aus dem Konzept zu bringen. Klar, bei dem Mädchen funktioniert es problemlos, doch interessiert es mich unter diesen Umständen doch nicht, wie es ihr ergeht. Warum auch?
„Billiger Einfall“, rufe ich durch das gesamte Haus, und sofort tritt eine wohlige Dunkelheit ein. Hah, anscheinend habe ich mich doch wieder selbst unterschätzt, so leicht kann sie mich nicht verrückt machen. Die Kleine heult ja immer noch. Na gut, wenn ich sie tröste, nervt sie weniger.
„Hey“, flüstere ich ruhig und entspannt, wie es sich schon früher bewährt hat, „mach dir keine Sorgen, es ist ja schon vorbei.“ – Ihre Wangen sind ja komplett feucht, als hätte sie nichts Besseres zu tun als möglichst viele Tränen loszuwerden. Jede Gelegenheit zum Heulen ergreifen, oh, wie armselig. Jetzt fragt sie mich tatsächlich noch, ob sie denn bei mir schlafen dürfe. Eine solche Dreistigkeit muss man erst einmal haben, mich zu nerven, mir meine Hose vollzuflennen und anschließend nicht mal in ihr eigenes Bett gehen zu wollen, weil das Kissen ja durch die ganzen Tränen versaut wird.
„Jetzt hat es doch aufgehört, du kannst dich wieder ins Bett legen. Dort ist niemand“, lüge ich sie an, in der Hoffnung, dass sie mich in aller Ruhe nachdenken lässt. Es ist dunkel. Schrecklich finster, doch das wird sie hinbekommen. Beleidigt verschwindet sie. Natürlich, alles ist wieder meine Schuld. Ich muss mich hinsetzen. Nachdenken. Runterkommen.
Nun weigern sich die Geräusche aufzuhören, mitten in der Nacht, keine Änderung in Sicht. Etwas will mich mit dem Wahnsinn infizieren, man könne beinahe behaupten, es gelingt, doch ich bin ganz gelassen. Nichts kann mich derart aus der Fassung bringen, dass ich vor irgendeiner Hure auf die Knie falle. Niemand wird dies bewirken. Dessen verweigere ich mich gleichermaßen.
Im seichten Mondschein, der den Raum mit Licht füllt, erkenne ich, wie die Glasscherben auf dem Boden schimmern. Einige Fusseln fliegen umher, werden beleuchtet, wie beim Sonnenschein. Man möchte es anfassen, es würde verdammt schön aussehen, wäre dort nicht dieses immerzu kratzende Knistern und Kichern in meinen Ohren. Gut, dass ich nicht dazu neige, diesem Irrsinn zu verfallen. Was ist das denn jetzt? Ist gerade ein Stück Stoff am Türrahmen vorbeigeflogen?
Hat sie jetzt den Bademantel in den Flur geworfen? Hat sie einen Knall, nur, weil ich einmal einen schlechten Tag habe? Zornig stürme ich um die Ecke, da schwebt er. Der Bademantel, knallrot, schwebt einfach, als würde ihn jemand tragen, der mir den Rücken zuwendet. Aber ich kann niemanden sehen, keine Füße, keinen Kopf. Was soll dieser Hokuspokus denn jetzt? Ganz langsam dreht sich der Bademantel, unten schlägt der Stoff etwas aus, als würden sich Beine darunter bewegen. Jetzt, jetzt starrt es mich direkt an. Das ist ein Scherz, definitiv. Irgendwas. Der Ärmel, er bewegt sich nach oben. Will es mich nun ergreifen und umbringen?
„Komm schon“, flüstere ich, dieselbe Hand ausstreckend, um ihren unsichtbaren Griff zu ertasten, „sag schon, was hat dieser ach so gruselige Spuk zu bedeuten?“ – Gerade spüre ich, wie meine Fingerkuppen zu vereisen beginnen, schon verschwimmt meine gesamte Sicht. Der Mantel bauscht sich auf, die rote Farbe verläuft, Blut tropft auf den Boden. ich kippe vor Schwindel nach hinten. Ein lautstarkes Poltern ertönt. Tiefes Raunen. Ich komme zu mir. Kann kaum atmen. Bestie. Eine bösartige Bestie, sie will mir schaden. Langsam klärt sich die Sicht, während ein stechend salziger Gestank in meine Nase steigt. Da liegt etwas. Genau dort, wo eben noch dieser Geist stand. Versiffte, braune Bikinifetzen, Seegras, Sand, völlig durchnässt. Ich kenne doch diesen hässlichen Aufzug, der kommt doch von ihr! Wie kann der Schrott bitte in mein Haus kommen? Es sollte in unendlicher Tiefe verfaulen, wo niemand mehr hinkommt!
Splitterndes Glas, wo kommt dieses Geräusch nun her? „Na? Was hast du dir nun überlegt? Komm, zeig es mir schon, vielleicht schaffst du es ja, einem Kind Angst zu bereiten, doch bei mir wirst du kläglich scheitern, das weißt du selbst“, provoziere ich den Schatten, der durch mein Eigentum wandert. Ich richte mich auf, starre direkt nach vorne. Das Fenster hat Risse, dahinter kann ich kaum etwas erkennen, nicht einmal den Mondschein, der vorhin noch so klar war. Dunkelheit? Wie aufregend.
Der Druck erhöht sich auf dem Glas, anschließend erkenne ich es. Kleine Bläschen, die direkt vor der Scheibe nach oben steigen. Wasser, alles hinter dem Fenster ist Wasser. Es zerbricht, strömt hinein, durchflutet den Flur, reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Wasser füllt meinen Mund, ich möchte Schlimm, doch meine Gelenke können sich kein Stück rühren. Will sie mich nun ertränken? Ach, als würde es hier enden. Noch lange nicht. Mit den Händen greife ich nach oben, versuche zu schwimmen, während ich mich kaum bewegen kann, als würde ich immer tiefer nach unten gezogen werden.
Moment… ich bin unten, ich liege auf dem nassen Boden. Greife ich nach oben, versuche zu atmen, dabei ist doch alles gut.
„Soll ich mich lächerlich machen, ist dies dein Plan?“, lache ich vor mich hin und stehe selbstsicher auf, „Welch ein guter Einfall, zunächst kommen Türen, die von alleine aufgehen, Räume, in die ich hineintreten soll. Nein, dies kannst du gewiss vergessen. Schlaf gut, Erzengel, vielleicht sehen wir uns ja morgen!“ – Mit demselben Kichern begebe ich mich in mein Bett. Natürlich habe ich ein Bett gekauft, wie konnte ich das auch vergessen? Was für ein Tag. Ich möchte nur noch ein wenig Schlaf finden.
Langsam reißt mein Geduldsfaden. Wo kommt dieses Knistern her? Die letzten Jahre habe ich es nicht gehört, es hat mich einfach in Ruhe gelassen, und nun kommt es wieder zurück. Weil ich ihr von ihrer Mutter erzählt habe, mich erinnert habe? Welch ein törichter Gedanke. Dieses Rascheln, diese zerbrechenden Äste, dabei sind alle Fenster verschlossen. Und es ist laut. Es ist viel zu laut.
Wieso musste ich auch ein derart großes Bett kaufen? Wann immer ich mich umdrehe, befürchte ich, dass sie mich plötzlich anstarrt. Sie ist hier, ja, ich bin mir ganz sicher. Warte, warte, das ist doch albern.
Ich drehe mich um. Nichts.
Schmunzelnd richte ich mich auf, greife nach den Streichhölzern neben der Pfeife auf dem Nachtschrank, zünde die dort stehenden Kerzen an. Im Hellen ist es doch angenehmer, generell ist Kerzenschein das wohl angenehmste Licht. Wäre vielleicht angebracht gewesen, hier auch irgendwo Uhren hinzustellen. Es wird nachts sein, so dunkel, wie es draußen ist. Verdammte Hütte.
Schlaf? Schlaf wird jetzt garantiert nichts mehr. Mühselig schleppe ich mich aus dem Bett, suche nach einer gedanklichen Zuflucht. Zwecklos, das Rascheln ist immer noch da, es hört sich beinahe an, als käme es näher. Ich weiß, wer mich in die Irre führen möchte. Zweifelsohne.
Hastig eile ich in das Zimmer meiner Tochter, versuche nichtsdestoweniger, möglichst wenige Geräusche von mir zu geben, nur um sicher zu gehen, dass niemand mich verfolgt. Doch dieses Knistern… ist es ein Kichern? Ich weiß es nicht…
Die Tür öffnend erblicke ich das wohltuende Nachtlicht des jungen Mädchens, sie schläft bereits tief und fest.
„Bist du wach?“, frage ich sie flüsternd, in der Hoffnung, dass sie sich regt und das, was mich irgendwie verfolgen will, vor dem Kind Halt macht. Als sie sich nicht rührt, frage ich noch ein paar Male nach, bis sie verschlafen nach oben blickt.
„Oh, du hast geschlafen? Ich wollte dich nicht wecken, ich meine nur etwas aus deinem Zimmer gehört zu haben“, entschuldige ich mich lächelnd. Sie starrt mich nach wie vor total bedröppelt an. Vielleicht bekommt sie Angst? Merkwürdig, es ist doch nichts vorgefallen.
„Glaubst du an Monster, kleiner Engel?“, frage ich sie sicherheitshalber, doch sie verneint müde, weist mich darauf hin, dass ich ihr stets sage, es gäbe keine. Ich lächle und schaue mich in ihrem Zimmer um, öffne die Schranktür, schaue unter das Bett, um ihr zu bestätigen, dass auch wirklich nichts da ist.
„Aber es gibt doch keine Monster, warum schaust du dann nach?“
„Man kann nie vorsichtig genug sein“, lehre ich sie, bevor ich ihr eine gute Nacht wünsche und die Tür wieder verschließe.
Mein Kopf fühlt sich aus irgendeinem Grund überaus schwer an, als wolle er in Kürze von meinem Hals rollen und zu Boden stürzen, er würde zerbrechen wie Glas, es wäre etwas Edles, das kaputtgehen würde. Ich halte mir die Hand ans Kinn, reibe mir meine Augen, versuche den Reiz zum Kopfschütteln zu unterdrücken. Womöglich wäre es besser, wenn ich schlafen gehen würde… wo ist noch gleich mein Schlafzimmer? Habe ich überhaupt ein Bett? Anscheinend habe ich zu häufig auf dieser klapprigen Couch gepennt, oh, wie elendig. Immerzu neige ich dazu, mein Potential zu verschenken, diesen Schwachsinn hat schon damals ihre Mutter gefaselt.
Panisch werfe ich alles um, was mir im Weg steht – Tische, Stühle, Schränke, gleichwohl der eine Schrank immer noch auf dem Boden liegt. Die Wohnung sieht in der Tat furchtbar aus, weil sich auch niemand mal erbarmen kann, den ganzen Schrott aufzuräumen. Als wäre ich hier der einzige Mensch mit Verantwortung. Gläser zerbrechen, Flaschen laufen aus und ich brülle durch das ganze Haus: „Bleib auf deinem Zimmer!“ – Wie gerne ich jetzt nachsehen würde, ob bei ihr alles gut ist, das tut ja auch sonst niemand. Doch ich würde das Monster direkt zu ihr locken.
Weshalb in der Nacht? Wieso nur, wieso muss es so dunkel sein? Mein Kopf dröhnt, er wird immer schwerer, doch ich kann ihn nicht halten. Ich muss weg. Es verfolgt mich, es möchte mich vernichten. Ist sie es? Nein.
Wo bin ich gerade, wo renne ich überhaupt hin? Küche. Hier ist eine Besenkammer. Ich gehe. Ich stehe drin, schließe die Tür. Bin ich in Sicherheit? Ich weiß es nicht. Dieses Zittern, ich habe es schon einmal erlebt, doch wo? Diese Angst, sie ist fremd. Ein Zittern, als befürchte man, in Kürze zerrissen zu werden. Als würde Unheil nahen, sich an mir laben wollen. Welche Bestie würde anderen eine derart grauenhafte Furcht zufügen? Widerwärtig, die Menschen sind doch von Grund auf verdorben, Monster, die anderen schaden wollen. Ich habe meine Tochter gerettet, und dies soll der Dank sein.
„Hast du mich vermisst?“, fragt mich eine sanfte Stimme, die dennoch wirkt, als würde sie mich aus einer Meditation mit donnerndem Gewitter herausreißen. Daher kenne ich die Angst, dieses Zittern. Ich habe es in ihrem Gesicht erblickt. Hah… sie ist es tatsächlich…
● The Scar Queen ●
„Lass mich ehrlich sein“, beginne ich in der feinfühligen Manier, die man allgemein mit mir als Person verbindet, „jeden Tag, den wir nicht gemeinsam verbringen, ist grundlegend ein wahrlich schöner Tag. Doch als die Hure, die du nun einmal bist, musst du mir auch dieses wohlige Vergnügen, ja, dieses schier endgültig erreichte Glück, natürlich verderben. Augenscheinlich liegt es dir in deinem dickflüssigen, bösartigen Blut, jede Gutmütigkeit auszubrennen, dabei ist es paradox, zumal dein Sarg aus Wasser, Pisse und Seegras bestand. Was möchtest du also hier? Du hast hier nichts verloren außer deinem Lebenssinn. Oh, warte… du bist ja schon tot. Welch ein Jammer.“
Diese widerwärtig rauen Geräusche, gemischt aus Lachen und Wimmern, bohren sich auf direktem Wege in meinen Kopf, scheinen derart darauf verkrampft zu sein, tiefe Narben zu hinterlassen, als gäbe es jedwede Rechtfertigung für billige Selbstjustiz. Soll ich etwas bereuen? Ich bereue rein gar nichts – wieso denn auch? Es ließe sich auf keine Weise rechtfertigen, dass ich etwas Verwerfliches getan hätte.
Wo auch immer es ist, ich weiß genau, dass es im Moment ein schiefes Grinsen auf das Gesicht gestochen hat. Ein tiefes Raunen, das an ein zorniges Grunzen anmutet, hüllt die gesamte Umgebung in eine schwer zu beschreibende Dissonanz. Sie murmelt irgendetwas Unverständliches vor sich hin, mir ist völlig egal, was sie nun zu sagen hätte, dies läuft ohnehin auf leere Beleidigungen heraus, die keinerlei Gründe besitzen. Stets wollte ich das Beste für sie, ich habe all meine Kraft dafür geopfert, doch dass sie mich dafür hasst, ist eines der größten Anzeichen für Unreife und kindisches Verhalten. Da ist ihr sogar ihre… unsere siebenjährige Tochter bei weitem voraus.
Dennoch meine ich den Schmerz zu spüren, diese Pein, als würde sich eine Säge durch meine Knochen arbeiten; so setzt sich ihre Präsenz in mir fest und versucht zwanghaft, mich zu brechen. Sie möchte mich brandmarken, dabei hat sie nicht die geringste Ahnung, wie sich dies anfühlen würde. Weshalb begeht sie also diesen Fehler, dies zu versuchen? Och, wie banal das Böse heutzutage doch wirkt, bedauerlicherweise hat der Sinn für Gerechtigkeit, Geduld, Tapferkeit, ja, all derlei in diesem Leben gesiegt, keine finstere Aura kann sich mit dem Guten messen. Dieser Tatsache bin ich mir sicher, ich muss es sein. Ich habe schon einmal Gott gesehen, als er die Hure von mir nahm. Er wird vielleicht wiederkommen und mich für meine Treue und mein gutes Handeln gerecht entlohnen.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag! Meine Hände zittern bereits, wenn ich mir den Abend bloß vorstelle, vor lauter Vorfreude kann ich mich kaum fassen!“, flüstert die Stimme aus dem Nirgendwo zu mir zu. Aus irgendeiner Leere, wahrscheinlich jener, aus der sie erst stammt. Sie rezitiert meine Gedanken, jeden Einzelnen, hält ihn mir vor Augen wie bei einer Klage vor dem Gericht des Teufels. Was soll der Vergleich, dies ist das Gericht des Teufels, und ich bin derjenige, der sich zu verantworten hat, doch welch eine Chance soll das rechtschaffene Gute schon vor dem Antlitz des Bösen haben?
Stürmisch renne ich los und suche nach Dingen, die mir helfen, diesen Wahn zu überstehen. Ich hatte dies schon so einige Male, doch in diesem Moment scheinen sämtliche Erfahrungen hinfällig, beinahe, als seien sie niemals geschehen. Was ist früher nochmal vorgefallen? Wie fiel die Zeit aus, bevor die Hure wieder auftauchen musste? Ich weiß es tatsächlich nicht. Jetzt ist nur relevant, sie loszuwerden.
Ungeduldig verharre ich hinter dem Türrahmen, in meinem Griff eine Handaxt, im Flur ein flüsterndes Geräusch, welches langsam näher kommt. Gleich erwische ich sie, die wird Augen machen, ich werde sie noch schlimmer leiden lassen als bei der Geburt! Vorsichtig halte ich die Axt über meinem Kopf, bereit, jederzeit auszuholen.
Sobald die Schritte in unmittelbarer Nähe sind, breche ich hervor, ja, dann werde ich dieses Monstrum beseitigen. So schnell wird mich niemand mehr verfolgen, das wird jedem eine Lehre sein, jedem. Da ist es!
Aufstoßen. Schnappatmung. Ich lasse die Axt nach hinten fallen, meine Tochter schaut mich verschlafen an, mit großen Augen. Gewieft, ob sie mich wohl erschrecken wollte? Ihre Schritte gelenkt wurden? Überaus gerissen, mein Engel.
„Ach, du bist es“, entschuldige ich mich verlegen, während ich für einen kurzen Augenblick beinahe erneut nach der Axt greifen wollte. Verwirrt und beunruhigt fragt sie, was denn los sei, warum ich nass sei, wo die Wunden an meinen Fingern herkommen, sie scheint völlig erstarrt, nicht ahnend, welcher Spuk in diesem Haus vor sich geht, dabei sind es doch Kinder, die dies am ehesten wahrnehmen. Möglicherweise möchte auch sie mich täuschen?
„Nichts, ich stand nur etwas neben mir“, erkläre ich, woraufhin sie fragt, wie man denn neben sich stehen könne. Die Hellste ist sie ja nicht – „Das erkläre ich dir ein andermal. Nichts für ungut, allerdings solltest du dich irgendwo verstecken, ich hätte dir ja gerade fast den… ich hätte dir wehtun können, das ist gefährlich. Und pass auf den Flur auf, dort liegen überall Scherben, das Fenster ist kaputt.“ – Dass man bei Kindern immer ruhig sein muss, weil sie sonst jegliche Aufmerksamkeit auf sich locken. Verzieh dich, du blödes Balg, sonst spalte ich eben deinen Schädel in zwei Hälften.
„Das Fenster hat doch nur Risse“, stottert sie, erst dann nimmt sie meine Aufforderung zur Kenntnis und verschwindet von der Bildfläche. Keine Ahnung, wo sie sich verstecken möchte, solange sie mir und meiner Beute nicht im Weg steht, wird das schon passen. Erleichtert bin ich ja schon, dass ich nicht die Fassung verloren habe, irgendwie habe ich das kleine Ding doch ganz lieb. Sieben Jahre habe ich schon beobachtet, wie sie größer wird. Ich habe sie zur Welt gebracht, das bedeutet schon etwas. Doch die Wunden an den Fingern, sie kommen von Glasscherben. Wann habe ich auf Glas eingeprügelt? Auf das Fenster, das eindeutig zerbrochen ist und mich mit Wasser überströmt hat? Hah, ist klar.
Jetzt, wo ich die Axt habe, kann ich mit der toten Ollen auch das Bildnis verwirklichen, das ich im Sinn hatte – daran habe ich ja noch gar nicht gedacht! Ein gegebener Anlass zur Vorfreude! Wobei, so ein kleines Beil ließe sich nicht wirklich als eine qualitativ hochwertige Axt bezeichnen, da wäre mir ein schöner Spalter lieber, dessen Klinge mühelos einen menschlichen Körper längs durchtrennen kann, eine ordentliche Größe, sodass ich sie mit zwei Händen halten muss. Dann wird mir nicht ein Geist etwas können, doch für solch geringe Huren wird das Handbeil hinhalten, sonst würde ich mir meine großartige Spaltaxt völlig versauen. Ich habe eine Axt.
Hmm, ich meine etwas zu hören. Wo kommt das her? So ein irres Lachen. Hmm… Bestimmt erachtet sie nicht einmal den Tod als Anlass für Pietät. Oh, vielleicht ist es auch nur meine innere Stimme. Hah, wie peinlich. Doch das hat sie beabsichtigt! Ja, sie möchte mit mir spielen. Oh, wenn sie doch endlich mit diesen nervenaufreibenden Geräuschen aufhören würde! Wenn ich es nur höre, nur daran denke, würde ich mir am liebsten die verdammte Haut vom Gesicht reißen und ihr vorlautes Mundwerk damit stopfen! Dann lacht sie nicht mehr! Dieses Mal werde ich mich nicht zurückhalten, nein, so leicht kann sie mein aufgebautes Leben nicht sabotieren, elende Hure!
Herablassend vollziehe ich meinen Spaziergang durch das gesamte Gebäude, weiche dabei gekonnt jeglichen Scherben aus, die sich über die Jahre hinweg angesammelt haben. Auf gewisse Weise fühlt sich dies unbeschwert an, richtig, gutmütig, ein Gefühl, welches sich weitaus mehr Leute mal abgucken sollten. Das eigene Heim zu genießen ist eine Kunst, gerade, wenn einen die abstoßende Vergangenheit einzuholen versucht; umso schöner ist es natürlich, wenn ihr dies nicht gelingt.
Schmunzelnd halte ich einen amüsanten Plausch mit mir selbst, die Person, die am ehesten meinen, ja, manche würden dies als einen etwas speziellen Humor bezeichnen, versteht. Immerzu muss ich doch bei all den hübschen Sachen lächeln, die mir durch den Kopf gehen! Oh, schau doch, die tollen Schlüssel eines früheren Bungalows, ich glaube, ich bin dort mal mit einer Ex gewesen. Hey, was liegt dort? Schade… beinahe war ich der Meinung, einen Schatz erblickt zu haben, dabei sind es doch nur die Glasscherben der Flaschen – mit keinerlei Nostalgie verbunden. Allerdings, wo ich diese schon sehe, ist garantiert nichts gegen einen kleinen Schluck einzuwenden, immerhin heitert dieser nur die Stimmung auf, ungeachtet dessen, auf welcher Talfahrt sie doch gerade sein mag. Siehe da! Die Flasche möchte mir nicht einmal aus der Hand rutschen! Na? Ist der Geist bereits müde geworden, traut sich nicht mehr, sich in meine Nähe zu begeben? Das passt gewiss zu ihr, letztlich hat sie nichts anderes gemacht als sich zu verkriechen wie ein verwundetes, wildes Tier, das vom natürlichen Kreis des Lebens zum Tode verurteilt wird.
Menschen jammern und jammern, wann immer es irgendwas im Leben gibt, das nicht gerade nach der idealen Vorstellung oder irgendwelchen eingetrichterten Normen verläuft, da muss das Gemecker losgehen. Brüllend, furios, wie man es von den Weibern doch kennt! Oh, die Männer dort draußen, niemand weiß, dass ich existiere, doch jeder von ihnen wird mich verstehen, wie die Frauenbilder doch den Verstand verlieren können! Oh ja, so beschweren sich Menschen jederzeit, und scheinbar sind sie auch noch stolz darauf! Schließlich wollen sie noch ihre funktionierenden Beziehungen lobpreisen, die nicht mehr als Statusgefüge sind, ohne jeglichen Sinn! Ich hatte mir stets die größte Mühe gegeben, was ist der Dank dafür? Paranoia, Wahn, der nicht einmal einen triftigen Grund besitzt, weil alles, aber auch absolut alles, was ich jemals getan habe, der völligen Richtigkeit entsprach, und möge ich noch am heutigen Tage niedergestreckt und all mein Geld, meinen Einfluss, mein Hab und Gut, einfach alles verlieren, das jemals von Relevanz für mein Leben gewesen ist.
Nun, ich muss gar zugeben, ein wenig kann ich diesen Reiz, unbefugt in jemandes Wohnung oder Haus herumzugeistern, durchaus nachvollziehen; auf eine skurrile Weise erfüllt dies einen schon mit Freude, ich sollte mir diese Geste eventuell aneignen und in der Zukunft mal ein paar solche lustigen Aktionen vollführen. Vielleicht verkleidet sich meine Tochter mit mir, möchte mal die wahren Freuden des Lebens entdecken, nämlich jene, wenn jemand schreit und verängstigt ist, wenn ihm sein eigenes Blut vor Augen gehalten wird und er einen qualvollen Tod erleidet. Ich habe es bereits gesehen und es war fantastisch, wieso sollte man dies nicht wiederholen? Als angeblich toter Geist Personen heimzusuchen, die den Tod verdient haben, dies ist doch eine brillante Idee! So haben schließlich auch die anderen Poltergeister irgendeine Art der Berühmtheit erlangen können, wenn ich doch eine Popularität wäre!
Oh, fröne man diesen Vorstellungen, so erkennt man gewiss sein eigenes Potential in dieser verkorksten Welt, die auf schrecklich vielen Ebenen verbesserungswürdig ist; ich hingegen bin stolz auf mein Lebenswerk, stets gewillt, ein Meisterwerk zu formen, das seinesgleichen sucht, niemand wird mich davon abhalten können, nicht einmal, wenn ich meinen Tod finde, denn erst dann wird die Bedeutung meines Daseins vollendet zur Geltung kommen. Dessen bin ich mir sicher.
Die Träume, ja, die Träume werden alsbald aufhören, sowohl die Guten als auch die Schlechten. Meine Knochen verraten mir diese unumstößliche Wahrheit. Kennzeichnet sich so etwa ebenso das Glück? Indem ich meiner körperlichen Sicherheit entnehme, wie sich mein Geist zu entwickeln gedenkt? Oh, er fühlt sich stärker an als jeder Spuk, pah, ich habe beinahe vergessen, was in diesem alten Gemäuer vor sich geht, nur fühlt es sich so stark an, die Träume entfernen sich und die Glückseligkeit erfüllt mich!
Womöglich ist es endlich vorüber? Habe ich es nun überstanden, diese Eskapade an Irrsinn und, ich wage nicht einmal, diese Worte über meine Lippen kommen zu lassen, Schuldgefühlen?
Oh, ich hoffe es doch sehr, denn wenn ich mir nur noch ein einziges Mal diesen erniedrigenden Gedanken der Reue auferlege, wie ich ihn ganz kurz nach der Geburt verspürt habe, so gibt es nicht mehr den geringsten Grund, weiterzuleben. Dann wird es gänzlich zwecklos sein, doch wird es nicht dazu kommen. Niemals. Ich stehe so kurz vor dem Glück, demnach lasse ich es mir nicht nehmen, meine Überzeugung von einem Schatten der Vergangenheit umstoßen zu lassen! Nicht eine einzige Person sollte derart töricht sein, sich auf diese Finte des Lebens einzulassen.
„Und doch hast du es getan“, zischt sie bedrohlich, doch ich erkenne nach wie vor ein Wimmern in dieser Stimme, die früher so liebreizend gewesen ist, von dieser Frau, die früher eine solch atemberaubende Ästhetik besaß, „welch ein grauer Alltag, in den du dich zurückziehst. Streitereien. Banalitäten. Diese elende Form des Leides, die du verdient hast, mehr als jeder andere Mensch.“ – Pah! Wie leichtfertig sich doch mit Worten umgehen lässt, jene, die mich heimsucht, redet von verdientem Leid, nachdem ihr exakt dieses widerfahren ist. Jeder Mensch hätte ein solches Leid einmal nötig, wie viel sich doch verändern würde! Eine wahrliche Utopie aus Erkenntnis, ohne Sturheit, ohne Naivität! Menschen, welch widerwärtige Wesen, da bringt die Hure mich doch auf den reizvollen Gedanken, wie schön es wäre, eine monumentale Säuberung durchzuführen. Sie ist gestorben, ohne nur ein Wort von sich zu geben. Schwäche. Einzig und allein die Schwäche hat dich hierher gebracht.
Stiche. Herzrasen. Kraft reißt meinen Körper zu Boden, ich kann sie nicht einordnen, diese unnatürlichen Stärken, dennoch sind sie derart billig, dass ich mich im Grabe umdrehen würde! Doch, oh, Moment, ich bin ja immer noch derjenige, der am Leben ist. Welch ein Akt der Gerechtigkeit, wie möchte man dies wohl sonst nennen?
Schmerz, Schweiß und Zittern. Es schafft mich, unkontrollierte Gefühle. Nicht zu bändigende Mächte, rein aus Leichtsinnigkeit und Dummheit entzogen, das Werkzeug der idiotischen Menschen; daher nehmen sie diese Fehleinschätzungen, so vieles leisten zu können. Doch sie sind unterlegen, sie werden immer unterlegen sein.
Kann mir jemand diesen verdammten Kopf abnehmen; sie ist doch nicht hier, sie kann nicht hier sein! Bloß nicht schreien, sie darf sich nicht ihrer Überlegenheit gewiss sein… Rede ich schon wieder davon? Nein, Unfug! Sie ist schon seit jeher niedriger gestellt, nichts wird diesen Umstand ändern!
„Als ob“, dröhnt ihre verseuchte Stimme durch mich, ich höre auf zu atmen. Starre nach oben. Die Wohnung ist düster. Doch ein Schatten – dort hinten steht ein Schatten. Direkt an der Tür. Sie kichert. Oder ist das ein Wimmern? Bestie. Verfluchte Bestie.
„Du bereust nichts, hm?“, fragt sie, gerade sie, die die Antwort bereits am besten weiß. Ich lache in mich hinein. Wie verkrümmt sie dort steht die Beine in X-Form, die Hände zitternd vor ihren Bauch haltend. Ich kann nichts erkennen, denke mir nur, wie fürchterlich sie aussehen muss. Ihr Kopf hängt zur Seite, besitzt keinen Halt mehr, doch ihren Kiefer kann ich sogar von hier deutlich erkennen, er reißt sich von alleine nach links und rechts, ekelhaftes Knacken ihrer Knochen ertönt. Immer schneller. Immerzu renkt sie diesen aus, faucht und zischt lediglich vor sich hin, kaum verständlich: „Feige? Rede. Rede. Komm schon, früher hat dich dein vorlautes Mundwerk doch auch nie gestört. Rede schon. Langweilig, so minderwertig muss man erst einmal sein, kein Wort von sich geben. Rede. Rede. Rede, rede, rede, rede, rede, rede, rede, rede, rede!“ – Meine eigenen Gedanken strömen aus ihrem verwelkten Mund. Versuche zu reagieren, zu antworten, doch kommt es mir vor, als sei ich gelähmt.
„Da du weiterhin diskret zu bleiben gedenkst, werde ich mal deine Antwort vorwegnehmen“, fährt sie rezitierend fort, „ich bin ein Stück Dreck. Abschaum. Widerwärtiges Gesindel, welches ausgemerzt werden muss. Ich bin nichts, ich verdiene es, gepfählt und geschändet zu werden, ich verdiene es, all jene Strafen zu erleiden, die ich in Form eines unerträglichen Leides meinen Mitmenschen angetan habe. Ich verantworte mich vor dem Gericht der Gerechtigkeit, bekenne mich schuldig und werde fortan als des Teufels Sklave fungieren. – Oh, fiel dir dies so schwer, mein guter, gutester Engel?“ – Was faselt die schon wieder, was gedenkt sie mit diesem Unsinn zu bezwecken? Oh, vielleicht soll dies der Grund für dieses gesamte Spektakel sein, dass ich all die Zeit log, indem ich sie als Engel bezeichnet hatte, wo sie doch offenkundig das Gegenteilige verkörpert. Pah, und wovon redet sie? Verantwortung, dass ich nicht lache! Wenn sie mich loslässt, werde ich sie vernichten. Dies soll sie erst einmal merken, diese niederträchtige Handlung, du bist selbst ein Dämon des Teufels, mindestens.
„Psychopath!“, schreit sie schallend über alle Horizonte hinweg. Das Echo wirft mich zurück, gefolgt von einem gebrochenen Weinen. Das Regal über mir bricht beim Aufprall zusammen. Sämtliche Figuren zersplittern auf meinem Schädel. Ihre kratzenden Laute befinden sich überall, ihr Hass auf mich. Scherben versuchen es mir aus den Gedanken zu schneiden. Vergebens. – „Wie niedlich du doch dort in deiner Ecke verweilst. Wie sehr mir doch diese Frage auf der Zunge brennt und unbeschreibliche Schmerzen verursacht, ja, als würde sie Narben hinterlassen, ich möchte dich fragen – wieso kann es nicht immer so sein?“
„Fass mich nicht an! Verschwinde“, versuche ich zu brüllen, bis mir meine eigene Niederträchtigkeit bewusst wird. Soll dies die Einschüchterung sein, die sie zu bewirken versucht? Wie liege ich denn hier? Zusammengekrümmt in der Ecke. Ein scheußlicher Anblick, der beinahe so schlimm sein muss wie der ihre. Die Blicke durchstechen mich, sie schreien nach Schuld, Selbstsucht, Scham und Abscheu. Furie, ruiniert mein Leben, immerzu, schon damals. Ich kann nichts sehen, was ist das? Wo ist sie jetzt? Kaum öffne ich die Augen, sehe ich es. Dieses Gesicht, dieses widerwärtige Antlitz, stechend gelbe Augen, verfaulte Haut, Risse, Hässlichkeit. „PSYCHOPATH!“
Mit geballten Fäusten schlage ich wild um mich, sie darf mich nicht holen. Sie schafft es nie. Wie kam es nur hierzu? Was habe ich denn Falsches getan? Ich verstehe es nicht. Liege ich hier etwa gekrümmt? Hah, wie lächerlich, dabei hat sie doch gar nichts getan.
Der Schatten ist weg. Ich blicke auf – er ist weg, muss wohl hämisch lachen. Amüsiert sich. Doch nun steht sie dort – meine Tochter, exakt an derselben Stelle. Genau die Mutter, diese Ähnlichkeit. Sie ist es. Sie ist das Monster.
„Papa…“, spricht sie mich verängstigt an, „ du blutest…“
Mit einem Handgriff an meinen Kopf stelle ich fest, dass sie richtig liegt. Wie amüsant dies doch ist. Beim Aufstehen knacken meine Knochen, die Glieder schmerzen gleich denen eines alten Greises, der sein Leben mit Minderwertigkeit verbracht hat. Gerade aufgerichtet sticht ein brennender Schmerz durch meinen gesamten Körper, jähzornig schaue ich nach unten. Glasscherben, von den Flaschen, die ich… nein, das war ja sie, die sie hat fallen lassen! Oh, teuflisches Weib, es tut ordentlich weh! Als würde mir das etwas ausmachen, oh, raffiniertes Stück. Sie flüstert erneut, direkt in meinen Kopf, möchte mich täuschen, mir zu denken geben, dass sie meiner Tochter nicht gezielt den Verstand vergiften will: „ ‚Keine Sorge, ich schätze nach etwa vier Einschnitten sollte alles vorübergehen. Aber halt still.“
Welch jämmerliche Methoden sie doch anwendet, einen auf Poltergeist machen, ein wenig Angst verbreiten. Die größten Stücke ziehe ich ruckartig aus meinem Fuß und donnere sie gegen das andere Ende des Raums, wo sie auf ein Neues zersplittern. Gewieft, wenngleich ich ihr überlegen bin, sie kann mir nichts antun, mich kann sie nicht manipulieren. Deswegen stand sie so krumm. Minderwertigkeit. Ich humple zu meiner Tochter, knie mich mühselig nieder. Sie sieht aus, als würde sie am liebsten sofort wegrennen wollen, genau wie jedes andere Weibsbild in meinem Leben. Wie ihre Mutter.
„Weißt du“, erkläre ich mit versagender Stimme, „manchmal muss man bluten, um seine Selbstgenügsamkeit zu erreichen.“
„Was heißt das?“, fragt sie mich so verwundert wie unbeholfen. Wie kann sie derartiges vergessen? Wir hatten doch stundenlang darüber geredet, nur wenige Wochen, bevor wir in den Urlaub gefahren sind. Bevor diese elenden Streitereien ihre Spitze erreicht haben. Und meine Tochter nervt fleißig, zu allem Überfluss. Wieder missachtet sie meinen Anforderungen, als würde sie irgendetwas dazu treiben.
„Was hältst du davon“, schlage ich ihr leise vor, um sie zu beruhigen, „wir machen ein Feuerwerk. Wie an Silvester, weißt du?“
„Haben wir schon das neue Jahr?“ – Wie liebreizend, kichernd korrigiere ich sie: „Besser. Wir fangen einen neuen Lebensabschnitt an und feiern diesen. Das ist weitaus bedeutsamer als der Jahreswechsel. Leg dich schon schlafen, wenn du das nächste Mal aufwachst, machen wir ein Feuerwerk!“
Verlegen blickt sie zur Seite, stellt die naive, kindliche Frage: „Essen wir auch Müsli?“
„Was du möchtest. Dann gibt es Müsli eben zur Mittagszeit. Doch erst musst du wieder ins Bett gehen, sonst ist es keine Überraschung.“
„Ja!“, freut sie sich lauthals und sprintet ungeduldig in ihr Zimmer. Naive Kinder, wie schnell und leicht sie sich doch aufheitern lassen, oh, im späteren Leben sieht dies alles komplett anders aus. Sie dreht sich kurz nochmal um: „Ich liebe dich, Papa.“
Ich lächle ihr stumm zu. Lügnerin.
Kaum ist sie verschwunden, nach der erneuten Störung, schon beginnt mein Bauch ein Brutzeln von sich zu geben, es riecht auf einmal verbrannt, das Feuer nährt sich von meiner Haut. Mit angespannten Beinen versuche ich aufrecht zu stehen, reiße gewaltsam das Hemd von meinem Oberkörper. Schwarze Spuren, direkt über meinem Bauch. Der Gestank verbrannten Fleisches sticht mir in die Nase, Schwindel und Übelkeit lassen nicht lange auf sich warten, und Asche fällt von meinem Torso, als sei es ein flammender Regen. Rauch steigt auf, meine Muskeln zittern mit jeder Faser. Ich trinke. Ich trinke alles, was ich finden kann, ich schütte den Schnaps auf meinen Körper und lasse die Flamme erneut entfachen, manisch lachend: „Mehr hast du nicht zu bieten? Ein wenig Feuer, ein kleiner Schrecken? Es war schön mit dir, doch ich muss zu größtem Bedauern zugeben, dass ich gerade etwas verhindert bin!“ – Praktisch, es liegen immer noch einige Klamotten auf dem Boden. Der Schrank, der umgefallen ist, erweist sich nun als überaus nützlich – würde er stehen, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mir neue Kleidung anzuziehen. Mein alter Kittel, oh, das waren noch Zeiten, wären die Umstände besser, könnte man beinahe nostalgisch werden. Lachhaft.
Den Wagen habe ich schon eine ganze Weile nicht benutzt, dennoch ist es überaus vorteilhaft, dass der Tank noch gefüllt ist. Somit sollte es leicht sein, einige Benzinkanister zu füllen, ach, die paar Dutzend Liter sollten ausreichen. Gardinen verbrennen doch leicht, oder? Ja, ich glaube schon, irgendwann habe ich mal ein Video vom Brandschutz gesehen, wo ein kleines Haus binnen fünf Minuten abgefackelt ist. Benzin sollte die Sache angenehmerweise beschleunigen.
Während der Kanister befüllt wird, krame ich noch ein wenig im Kofferraum herum. Viel zu viel Gerödel, aber man wird schon fündig, schließlich gibt es ja keinen Grund, sich zu stressen. Die Hure verfolgt mich nicht nach draußen. Vielleicht hätte ich hier auch einfach für den Rest meines Lebens kampieren können, dies wäre wiederum zu umständlich. Ah, da ist sie! Die Maske sollte ein wenig schützen, den Kittel habe ich auch schon an. Glaube nicht, dass der feuerfest ist, doch diese Haarspalterei muss auch nicht sein. Oh, die Kleine wird sich freuen, das wird ein gewaltiges Feuerwerk!
Mit mir die erste Fuge nach innen tragend horchen meine Ohren auf, irgendwo wird das Geflüster wieder ertönen. Dies nimmt mir die Arbeit ab, mich für die Orte zu entscheiden, die im Benzin ertränkt werden sollen.
Beiläufig kratze ich mich am Bauch, der Schmerz möchte nicht vorübergehen. Neugierig blicke ich unter den Mantel – Zeichen, dort sind eindeutige Symbole abgebildet. Warte, keine Symbole. Buchstaben. Dieses Wort. Ihr Name, ihr elender Name ist direkt auf mir niedergeschrieben. Eine Narbe. Sie will mich in meinen Erinnerungen quälen und verfolgen. Lasse ich mir diese verdammte Haut eben ausschaben. Kein Problem. Damit kriegt sie mich nicht, so leicht nicht, nein.
„Psychopath“, erklingt das Stichwort hinter mir. Schluss jetzt! Aaah, dieses wohltuende Geräusch aufprallender Flüssigkeit, die hübschen Wände werden an einigen Stellen dunkel gespritzt. Fast so, als wäre es Blut, nur, dass es besser brennt und weniger dekorativ ist.
„Hier, du magst doch warme Duschen“, flüstere ich feinfühlig zurück, während ich gemächlich durch das Wohnzimmer stolziere und den Boden bekleckere. Auf die Möbel, die Couch, überall dort hin, wo es sich denn gerade anbietet – und wieder zurück, um den nächsten Kanister zu holen.
Die Dinger sind wirklich schwer… nun, wie dem auch sei. Ich kann es nicht für mich behalten, das ist ja so aufregend! Dieses angenehme Gefühl der Erleichterung, noch bevor man diese denn wirklich empfinden darf, das hat etwas von schierer Vorfreude, unmittelbar vor dem atemberaubendsten Erlebnis des eigenen Lebens!
Komm schon, braves Hündchen, führe mich zum nächsten Anzünder. Wo steckst du? Ich werde dich ohnehin finden und ertränken, mach dir da mal keine Sorgen, ja, ich freue mich schon auf dein Gesicht, wenn du merkst, dass all deine Bemühungen nicht geholfen haben. Komm schon!
„Psychopath“, ertönt sie zum zweiten Mal, sodass ich es mir nicht verkneifen kann, still in mich hineinzukichern, so, wie sie es nur allzu häufig getan hat. Wer rennt denn hier durch eines fremden Mannes Haus und jagt ihm Schrecken ein, wer flüstert stets auf krankhafte Art in seinen Verstand? Mich einen Psychopathen zu nennen, das ist wirklich beeindruckend. Wie kann man derart krank sein?
Im Flur ist die Gute, das habe ich herausgehört! Kaum redet sie, schon stehe ich auf nassem Untergrund und habe diesen alkoholischen Geruch in der sich rümpfenden Nase. Kann man das eigentlich trinken?
Mmh, gar nicht schlecht, gleichwohl das köstliche Getränk ordentlich knallt. Da ist es ja schon beinahe eine Vergeudung, alles auszukippen.
„Du wirst leiden“, dröhnt sie mir in den Kopf, mit einer derart beunruhigenden Sicherheit, dass ich beinahe beginne, daran zu glauben, „dein Platz in der Hölle ist reserviert. Ertrinke im Blut deiner Schande. Die Sieben ist doch eine tolle Zahl! Sie erinnert doch so herzallerliebst an die sieben Todsünden, etwas wundervoll Abstraktes, das man auf überaus viele Weisen interpretieren kann. Das gefällt mir, allem voran, weil es dich so hervorragend personifiziert. Blut. Dickflüssiges Blut. Flüsse. Ertrinke. Ertrinke.“
Irres Weib. Dass sie mir derart leichtfertig Worte in den Mund zu legen versucht. Hah, haha. Angst. Wie amüsant. Der letzte Kanister, nur zur Hälfte gefüllt. Ich weiß, wo die Stimme herkommt, sie flüsterte schon häufiger, in Träumen. Ein schlechter Traum, weiter nichts. Kleiner Engel, schläft so tief und fest, weiß überhaupt nicht, was ihr bevorsteht. Ein Feuerwerk wie kein Zweites.
„Psychopath“, erinnert das Wesen mich, und ihre Stimme scheint direkt aus dem Inneren des schlafenden Kopfes zu entweichen, still und leiste gieße ich ein wenig Benzin auf den Boden und lege den Rest an ihr Fußende. Bald wird der Geist vertrieben sein, mach dir nur keine Sorgen, bald ist alles vorüber. Oh, dies könnte ich ihr auch direkt ins Gesicht sagen, wenngleich sie immerzu meinte, meine Gedanken lesen zu können: „Du denkst, du hättest stets die Weisheit mit Löffeln gefressen, nicht wahr? Ich will dir mal etwas sagen, kleine, liebreizende Hure, ich bin stets stärker als du gewesen. Derart leicht kannst du mich nicht beseitigen, konntest du noch nie. In der Hölle soll ich schmoren und ertrinken? Dass ich nicht lache, ich werde dich erst einmal in dieses Loch zurückverfrachten, aus dem du jüngst gekrochen bist. Dann werde ich all diese ach so hassenswerten Eigenschaften in einer Manier auskosten und perfektionieren, dass du vor Furcht erzittern wirst, sobald ich dir in Dutzenden von Jahren folgen werde und dich von deinem Höllenthron stoße. Der Teufel willst du sein? Welch eine lächerliche und armselige Darbietung für deine ach so große Schreckensschau.“
Sprunghafte Momente, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, welche Gedanken mir in den letzten Minuten durch den Kopf gingen, und davor. Ich weiß nicht einmal, was in den letzten Jahren alles geschehen ist.
Warte mal, ich glaube, ich habe eine Tochter. Ja, stimmt. Und sie hatte mal eine Mutter. Ich habe sie gefesselt, ja, und sie war eine kranke Irre. Wo bin ich hier? Ich halte ein Streichholz in der Hand, stehe an der Tür meines Hauses. Wie konnte ich mir das noch gleich leisten? Ich weiß es nicht. Och, dies ist auch nicht von Relevanz, wenn die Erinnerungen verflogen sind, werden sie wohl unwichtig sein.
Was soll gerade passieren? Ich halte eine Flamme in der Hand. Lasse das Streichholz fallen. Dies wollte ich also die ganze Zeit, sonst wäre ich nicht bis zu diesem Moment gekommen. Großartig.
Mein Mantel ist von einer Staubschicht überdeckt, oder ist es doch nur verbrannter Stoff? Ich weiß es nicht. Oh, ich weiß es wirklich nicht. Die Maske erdrückt mein Gesicht, alles beginnt sich zu drehen, und mit jedem Mal, wo es mir vergönnt ist, tief durchzuatmen, niste ich mich mehr in die Woge meines Deliriums ein. Schwermütig trage ich meinen Körper nach draußen, oder lasse ihn vielmehr von meiner verlorenen Hoffnung tragen. Nein, ich bin das nicht. Ich habe keine Kraft mehr. Wieso laufe ich eigentlich noch?
Links neben mir bricht das erste Stockwerk allmählich ein, als habe jemand die Zeit verlangsamt, genau wie so ein typischer Moment, wo ich kurz davor bin, einzuschlafen, unter der schrecklichen Hitze des Sommers. Die ganzen Bilder meiner Frau und meines Kindes verbrennen, und ich kann sie schreien hören: „Papa! Hilfe! Papa!“
Ausgeburt der Hölle, du willst mich doch nur an sie verfüttern. Nein, das wirst du nicht schaffen, bleib ruhig bei deiner Mutter, sie wird dich schon beschützen, ihr hingt doch die ganze Zeit unter einer Decke. Sie hat dir ebenso im Schlaf zugeflüstert, wie sie es bei mir getan hat, nur wenige Tage, und du hättest dir ein Messer gegriffen, um mich im Schlaf zu meucheln; und mich dann noch beschuldigen, ich sei das kranke Schwein. Ihr seid die Kranken, ihr alle! Oh, ich kenne ihre Tricks, sie sind doch so offenkundig, doch nun wirst du machtlos sein. Du hast niemanden mehr, der die Drecksarbeit für dich erledigen könnte. Wir hätten glücklich sein können, wir hätten eine solch glückliche Familie sein können. Schade nur, dass sie niemals auf mich gehört haben.
Oh, ich bin sogar schon an der Tür angelangt. Einen Spalt weit ist sie bereits geöffnet, ich ramme nur mein gesamtes Körpergewicht dagegen. Etwas zerbricht, das Geräusch nachgebender Holzbalken wird lauter, gefolgt von einer lärmenden Erschütterung. Ich liege bereits draußen auf dem Boden, krieche hinfort, höre die Schreie meiner Tochter selbst draußen noch. Wie die Mutter, so die Tochter, sie werden mich nie wieder mehr verfolgen. Ich bin frei. Endlich bin ich frei.
Schade, das Kind hatte sehr viel Potential, nur hat es sich vom Teufel höchstselbst manipulieren lassen. Oh, das fällt mir erst jetzt auf – nicht nur, dass es einen Gott gibt, der mich mit der Gerechtigkeit erfüllte, nein: Ich war sogar seinen Herausforderungen gewachsen, mit denen er meine Stärke auf die Probe stellen wollte, und ich habe bestanden! Ich habe es geschafft, ich habe das Böse mit eigener Faust beseitigt, und wer sonst besäße eine derartige Macht? Möglicherweise war dies auch nicht Gottes Werk, nicht direkt. Schließlich war ich es doch, der die Hure gefangen und gezüchtigt hat! Ich habe das Kind selbst großgezogen, es hat auch auf mich gehört, ich habe es geprägt! Doch sie war leichtgläubig, darin liegt der Fehler meiner Erziehung. Naives Stück, ganz wie ihre Mutter, dennoch habe ich sie erfolgreich beseitigt. Ich bin es. Ich bin Gott höchstselbst, ich besitze die unbegrenzte Macht über deren niederträchtiges Leben, und ich habe mich dazu entschieden, dieses zu beenden.
Schwerelos erhebe ich mich mit dieser Gewissheit als Stütze; ich richte meinen Arztmantel sowie meine schwarze Gasmaske, streife mir die hellgraue Kapuze über und spaziere gemächlich davon, mit
der absoluten Sicherheit, dass sich noch etwas weitaus Größeres annähern wird.
© , 2017
wow. ich habe tatsächlich lange noch nicht so einen kranken, und erschräckenden Karakter wie in deiner Geschichte gesehen. Hut ab. vorallem den umstand, dass er es immer noch schaft sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen.