
Altersschwäche
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich schreckte hoch. Auf dem alten Röhrenfernseher flimmerte irgendeine Serie im Ersten. Der Griff nach der Fernbedienung fiel mir schwer, da mir wie so oft mein Rücken Probleme machte, und stieß aus Versehen ein Bild von meiner Tochter Maya um. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich irgendwann einer von den Alten und Gebrechlichen werde. Ich schaltete die Flimmerkiste aus, die sich mit einem unangenehmen Knistern verabschiedete. Schwerlich erhob ich mich von dem klobigen Sessel und streckte mich, so gut es ging. Meine Knie knackten laut, und ich zuckte vor Schmerzen kurz zusammen.
Mir fiel ein, dass ich irgendetwas machen wollte. Irgendwas, das ich durch eine Fernsehpause und ein ungewolltes Nickerchen unterbrochen hatte. Ich blickte mich im Wohnzimmer um. Meine Lesebrille lag unberührt auf der zusammengefalteten Zeitung. Lesen konnte es also nicht sein. Ich ging ins Badezimmer, um zu kontrollieren, ob ich etwas putzen wollte, jedoch hörte ich auf einmal ein Weinen in weiter Ferne. Hörte ich das wirklich, oder bildete ich mir das nur ein? Und dann traf mich die Erkenntnis.
Ich knallte die Badezimmertür hinter mir zu und hechtete zur Treppe. Die Schmerzen und die Altersschwäche waren vollkommen vergessen. Ich hechtete die Treppe nach oben, nahm zwei, sogar drei Stufen auf einmal und riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Dort war das Weinen am lautesten. Völlig außer Atem und kurz vor einem Hustenanfall schaltete ich das Licht ein. Erleichterung erfüllte mich. Mein Enkel lag unbeschadet in seinem Kinderbett und weinte kläglich. Maya hätte mir niemals verziehen, wenn ihrem Sohn irgendetwas passiert wäre.
Als mich der Kleine sah, hörte er langsam auf zu weinen. Er brabbelte ein bisschen vor sich hin, als ich ihn auf den Arm nahm. »Na, hast du Hunger?«, fragte ich, als ich ihm sanft über seinen Rücken streichelte. Der Zweijährige, der mich wohl verstand, aber noch nicht richtig sprechen konnte, brabbelte einfach weiter. Vorsichtig stieg ich die Treppe wieder hinunter und ging in die Küche. Dort setzte ich den Knirps auf einen Kinderstuhl, band ihm ein Lätzchen um und holte ein Glas Babybrei aus dem Schrank. Es war das letzte Glas. Ich nahm mir vor, gleich nach der Fütterungszeit neue Gläser zu kaufen; so ein Baby verschlingt wirklich Massen.
»Hier kommt das Flugzeug – Brumm…« Mit einem Schmatzen verschwand der Plastiklöffel im Mund des Kleinkindes. »Tja, das war die letzte Portion, Kleiner.« Mein Enkel blickte mich fragend an. »Alles alle. Opi muss einkaufen gehen. Halt die Stellung, ich bin gleich wieder zurück« Mit diesen Worten drückte ich meinem Enkel eine Barbiepuppe in die Hand und ging in den Flur. Dort packte ich meine Geldbörse ein und hing die Schürze auf einen Haken.
Draußen war es kalt, jedoch tat die frische Luft gut. Tief sog ich sie ein und bereute es direkt danach wieder. Meine Lunge meldete sich zu Wort, die nach lebenslangen Rauchen nicht mehr so tüchtig war, wie sie hätte sein können. Nachdem sich der Hustenanfall gelegt hatte, spürte ich ein leichtes Stechen in der Herzgegend. Ich sollte mal wieder zum Arzt gehen.
Am Supermarkt angekommen, stopfte ich den Babybrei in meine Tasche, bezahlte den jungen Kassierer mit Münzgeld und war wenig später wieder auf dem Weg nach Hause. Die Altersschwäche meldete sich und wollte mir zeigen, dass ich zu alt wäre, eine Tasche zu tragen. Eine Gruppe Jugendlicher blickte tuschelnd zu mir und lachten. Ich baute mich auf, ignorierte die Schmerzen und marschierte einfach weiter, so wie ich es bereits seit Jahren handhabte. Ich wurde ein wenig melancholisch.
Weshalb wurde mein Körper immer schwächer? Wer hat etwas davon? Warum vergesse ich ständig Dinge? Die Vergänglichkeit ist ein Thema, über das ich mir schon oft Gedanken gemacht habe. Eine Antwort hatte ich noch nie bekommen.
Mein Magen knurrte. Ich hatte Hunger. Ich sollte mir etwas zu Essen kochen. Meine Tasche prallte auf den Boden. Gläser zerbarsten, Brei floss auf den gefrorenen Gehweg. Ich nahm die Umgebung nur noch verschwommen war. Angst stieg in mir hoch. Menschen starrten mich an. Ich rannte. Rannte den ganzen Weg nach Hause. Meine Lungen wollten explodieren, meine Gelenke zersplittern. Ich konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Vor der Wohnung brach ich atemlos zusammen.
Rhythmisches blaues Licht strahlte in meine Augen. Beißender Gestank zog in meine Nase. Menschen in roten Anzügen spritzten das abgebrannte Haus ab. Ich wusste nun, was ich machen wollte. Ich wusste nun, warum ich mich auf den Sessel gesetzt hatte. Ich wusste nun, warum ich eine Pause gebraucht hatte. Ich hätte den Herd ausstellen sollen.