KreaturenLangeMord

Jagdsaison

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

„Lerne aus der Vergangenheit, träume von der Zukunft, aber sterbe in der Gegenwart.“

“Unbekannter
Autor“

Es war wieder
Jagdsaison. Meine Freundin und ich beschlossen, ein entspanntes Jagdwochenende
zu bestreiten. Raus aus der Stadt. Einfach mal ein wenig abschalten vom
täglichen Stress des Alltags. Wir packten und fuhren los. Ich freute mich auf
das bevorstehende Vergnügen. Das Kribbeln in den Fingerspitzen, wenn man in
einem kurzen Moment die Kontrolle über Leben und Tod hat. Der sekundäre
Augenblick, wenn die Kugel fliegt und man betet und hofft. Und auf das
schlussendliche Gefühl des Sieges, wenn der noch warme Körper zusammenbricht.

Nach einigen
Stunden Fahrt durch schier endlose Bergketten kamen wir endlich an der
Jagdhütte an. Ich parkte den Jeep und ging zu der aus massivem Eichenholz
geschnitzten Tür. Ich fischte in meiner Tasche nach dem kunstvoll gearbeiteten
Silberschlüssel, steckte ihn ins Schloss und hielt kurz inne. So viele Erinnerungen
hafteten an diesem Haus.

Als ich noch
klein war, hatte mein Grossvater mich manchmal mitgenommen. Nur wir zwei. Das
war für mich immer das Grösste gewesen. Er war für mich Gott. Er wusste so viel
über die Pflanzen und Tiere, die es hier gab. Ich hatte ihn immer bewundert. Er
hatte mir immer Pfeife rauchend bis spät abends Geschichten erzählt. Nicht die
langweiligen Märchen, die ich von Mama schon hundertfach gehört hatte, nein.
Spannende Abenteuer, als er noch jung gewesen war. Ich weiss bis
heute nicht, ob alle wahr sind, aber eigentlich ist mir das auch egal. Seine
Geschichten waren immer spannend. Sie handelten von grossen Wölfen und Bären,
die er mit blossen Fäusten besiegt hatte. Von bösen Fürsten, die er mit seiner
Mannschaft gestürzt hatte. Und von vielen Nächten, in denen er einsam in der
Wildnis gelebt hatte. Und wenn ich dann bis spät in die Nacht hinein seinen
Erzählungen gelauscht hatte und eingenickt war, trug er mich auf den Dachboden
in mein Bett. Von dort oben hatte man die beste Aussicht auf die steil
abfallenden Felswände und den dichten Nadelwald. Es war wirklich eine schöne
Zeit gewesen. Bis er dann im Alter von 88 Jahren bei einem Spaziergang einfach
verschwand. Seine Leiche wurde trotz gründlicher Suche nie gefunden.

Meine Freundin
weckte mich aus meinen Gedanken, indem sie mir ihre Arme von hinten um den Hals
legte und mir ins Ohr flüsterte: „Schlaf nicht ein, wir haben nachher noch was
vor“. „Ach ja, stimmt ja“ erwiderte ich. Schnell schloss ich auf und schleppte
unsere Koffer in den zweiten Stock, wo sich das Schlafzimmer befand. Ich dachte
an letztes Jahr, als wir hier gewesen waren. Es hatte in Strömen geregnet, so,
dass wir überhaupt nicht dazu kamen, etwas zu unternehmen. Wir hatten damals
das ganze Wochenende über den verstaubten Dachboden durchwühlt und hatten
einige interessante Dinge dabei gefunden. Viele alte Waffen und Trophäen meines
Grossvaters waren dort verstaut. Ausgestopfte Tiere, die er im Laufe der Zeit
erlegt hatte: Rehe, Hirsche, Wölfe, Hermeline und viele andere. Ich bewunderte aber
vor allem eines. Seinen Schäferhund Achilles. Er hatte ihn so genannt, da er
sich als Welpe eine schwere Verletzung an der Ferse zugezogen hatte. Die Präparation
wirkte so lebensecht, als würde sie gleich anfangen zu blinzeln. Achilles war
sein Ein und Alles. 14 Jahre lang hatte er ihn begleitet. Sein Fell war schon
fast komplett grau. Sein Tod hatte meinen Grossvater sehr mitgenommen. Wenn er mich
in die Hütte mitnahm, hörte ich ihn manchmal nachts reden, so, als würde Achilles
immer noch leben und ihm seine Schnauze auf den Schoss legen. Er hatte mir
gesagt, er hätte ihn hinter dem Haus vergraben, doch anscheinend hatte er
gelogen. Ich fragte mich, wo er die ganzen Präparate vorher aufbewahrt hatte.
Ich nahm an, im Keller. Aha ja, der Keller. Er war der einzige Raum, zu dem ich
nie Zutritt hatte. Als er mich das erste Mal mitnahm, zeigte er mir das Haus.
Gegen Ende des Rundganges sagte er mir, dass ich überall spielen durfte, ausser
im Keller. Der Keller wäre gefährlich, weil es dort morsche Treppen gebe.
Neugierig, wie ich war, hatte ich natürlich des Öfteren versucht dort
hineinzugelangen, doch die schwere Kellertür war jedes Mal abgeschlossen
gewesen. Mit der Zeit hatte ich ihn dann auch vergessen.

„Träumst du
schon wieder? Hast wohl zu wenig geschlafen diese Nacht, hm?“ „Das könnte an
dir liegen.“ erwiderte ich. Lachend gab sie mir einen Kuss auf die Wange. „Komm
jetzt endlich! Die Klamotten können warten, ich hab schon alles vorbereitet.“ „Bin
sofort da, gib mir zwei Minuten“. Ich zog mich schnell um und lief die Treppe
hinab. Meine Freundin erwartete mich bereits mit einem strahlenden Lächeln.
„Können wir endlich los?“ „Klar.“ Ich holte die zwei Gewehre aus dem Wagen und
reichte ihr ihres. „Wo wollen wir lang?“ fragte ich. „Wie wäre es mit dem See?“
Ich nickte und wir liefen los. Der „See“ bezeichnete ein Stück Wald, welches an
eine Graslandschaft, die vereinzelt mit Bäumen durchsetzt war und in deren
Mitte ein grosser See lag, angrenzte. Vom erhöhten Waldstück aus hatte man eine
wunderbare Aussicht auf das Grasland. Am See traf sich viel Rotwild, da er die
einzige Wasserquelle im grösseren Umkreis war.

Nach gut
einer Stunde Fussmarsch erreichten wir die besagte Stelle. Wir luden die Gewehre
und legten uns auf die Lauer. Es dauerte
nicht lange, da erblickte ich durch das Fernglas einen jungen Hirsch. „Der
gehört mir“, flüsterte ich. „Och, menno.“ Ich legte an. Der Hirsch ahnte nichts
von seinem Schicksal. Friedlich stand er am See und trank aus dem
kristallklaren Wasser. Sein noch nicht vollständig ausgewachsenes Geweih
funkelte in der brennenden Mittagssonne. Ich zielte auf seinen Kopf, es sollte
ein schmerzloser Tod werden. Ich hielt den Atem an. Das Kribbeln in meinen
Fingerspitzen war unerträglich. Mein Herz schlug schneller, mein Puls schoss in
die Höhe. Dann betätigte ich den Abzug. Die Zeit stand für einen kurzen
Augenblick still. Ein Ruck zog sich durch das Gewehr und meinen Arm. Die Kugel
flog … und traf perfekt. Mit einem Röhren brach der Hirsch zusammen. „Guter
Schuss.“ Das Echo der Kugel dämpfte ihre Stimme.

Wir warteten
weitere 20 Minuten, bis meine Freundin mich anstupste. „Schau mal da, unter den
Bäumen.“ Sie zeigte auf eine weit entfernte Baumgruppe. Ich schaute durch das
Fernglas. Mir gefror das Blut in den Adern. Halb verdeckt im Schatten der Bäume
stand eine schwarze Gestalt. Es war definitiv kein Mensch. Sein Körper schien
aus einer rauchartigen Substanz zu bestehen. Auf seinem Kopf thronte ein schneeweisser
Zylinder. Er hielt ein altes Gewehr in der wabernden Hand. Seine leuchtend
weissen Augen blickten mich direkt an. Ich blinzelte kurz, um ganz sicher zu
gehen, dass mir die Sonne keinen Streich spielte. Es war verschwunden. „Du hast
dieses Ding auch gesehen, oder?“ fragte ich meine Freundin. Mit einem
ängstlichen Blick nickte sie. „Lass uns von hier verschwinden.“

Es war
bereits später Nachmittag, als wir wieder bei der Hütte ankamen. Ich schleppte
den toten Hirsch hinter das Haus, um ihn auszunehmen. Das Blut, welches im
Laufe der Jahre in den Boden eingesickert war, hatte ihn eine rötliche Färbung
annehmen lassen. Ich war
gerade dabei, die inneren Organe zu entnehmen, da erregte eine Bewegung vor mir
meine Aufmerksamkeit. Im schwindenden Licht der Dämmerung erkannte ich die
schattenhafte Gestalt von heute Mittag. Sie stand gerade einmal zwei Meter von
mir entfernt auf einem Felsen. Unfähig mich zu bewegen, starrte ich sie an. Ihr
rauchartiger Körper wurde von einem zerfetzten, ehemals weissen Mantel umhüllt.
Sein schneeweisser Zylinder ging fliessend in seinen Kopf über, als wäre er ein
Teil von ihm. Seine grell leuchtenden Augen durchbohrten mich. Obwohl es keinen
Mund hatte, erklang eine unnatürlich tiefe Stimme. „Beobachten.“ Immer noch
unfähig mich zu bewegen oder gar zu sprechen, blickte ich es weiter
angsterfüllt an. Es tat weh, in seine Augen zu blicken, doch es war mir unmöglich
wegzuschauen. Das Messer in meiner Hand vibrierte. Es glitt mir aus der Hand,
doch es fiel nicht auf den roten Boden. Es schwebte auf mein Gesicht zu. Ich
hatte es heute Morgen noch geschliffen. Die Spitze berührte meine Wange. Ein
einzelner Blutstropfen glitt auf die bereits rötlich schimmernde Klinge. Ich
schrie. Es brannte, als würde mir jemand ein glühendes Hufeisen auf die linke Seite
meines Gesichts halten. Durch meine Schreie hindurch hörte ich die Stimme.
„Dies ist nur ein Vorgeschmack auf das, was dich erwarten wird, wenn du so
weiter machst.“ Hastige Schritte, vermutlich die meiner Freundin, kamen näher.
„Schatz, was ist passiert?“ fragte sie panisch. Ich wollte sie nicht auch noch
beunruhigen. Also sagte ich: „Nichts, ich hab mich nur geschnitten.“ „Ohh du
Dussel. Ich habe gedacht, du stirbst.“ „Ja, ich auch.“ Mit einem sarkastischen
Unterton sagte sie: „Du würdest wahrscheinlich noch Witze reissen, wenn der Tod
persönlich vor dir stehen würde. Mach bitte schnell, ich hab Hunger.“ Damit
drehte sie sich um und verschwand im Haus. Mittlerweile war es stockfinster
geworden. Während ich hastig den Rest des Hirsches filetierte, dachte ich
darüber nach, was die Kreatur gemeint haben könnte. Mir fiel nur
das Jagen als Grund ein, aber ich war längst nicht der einzige Hobbyjäger. Oder
war es etwa… Nein das kann nicht sein. Warum sollte es ausgerechnet mich treffen? Ich hatte noch nie
an Geister geglaubt, selbst als Kind nicht. Aber dieses Ding wirkte so real,
meine Freundin sah es ja auch. Ich tat wahrscheinlich gut daran, den Worten des
Monsters Glauben zu schenken. Und so beschloss ich, morgen statt zu jagen ein
entspanntes Camping anzutreten.

Das
anschliessende Essen war zwar gut gekocht, aber mir war der Appetit für heute
vergangen. Nachdem wir uns vergnügt hatten, drehte ich mich zu ihr. „Was hältst
du von einem Campingausflug?“ „Nun, warum nicht, aber wir haben kein Zelt.“ Mit
einem fragenden Blick schaute sie mich an. „Auf dem Dachboden müsste noch eines
von meinem Grossvater sein.“

Mit meinem
Grossvater war ich oft zelten. Er sagte dann immer: „So, Bursche, jetzt zeig
ich dir, wie wir früher campen waren.“ Wenn diese Worte beim Frühstück fielen,
brachte ich vor Aufregung keinen Bissen mehr runter. Bei diesen Ausflügen gab
es eine Regel: Ich durfte nur zwei Gegenstände mitnehmen. Diese waren immer dieselben:
mein Taschenmesser und mein Plüschhund. Nach dem Frühstück sagte er dann:
„Setzt dich vors Haus, ich muss noch packen.“ Gehorsam setzte ich mich auf den
Baumstumpf und wartete, während er das Zelt und den Rest in einem grossen
Rucksack verstaute. Die ersten paar Meter trug immer ich den Rucksack, bis er
ihn mir abnahm. Dies war unser Ritual und ich hatte mich nie gefragt, was
passieren würde, sollte ich es nicht einhalten. Wir liefen den gleichen Weg,
den wir heute Morgen gegangen waren, aber noch viel tiefer in den Wald hinein.
Unterwegs erzählte er mir Geschichten von früher. Von fremden Ländern, in denen
er stationiert gewesen war. Und von den Tieren und Dingen, die es dort gab. Von wilden
Schlachten mit dem Feind und wenn sie zum Rückzug gezwungen waren, wie sie sich
im Wald nur von Wurzeln ernährt hatten. Wenn wir nach gut drei Stunden des
Laufens eine wunderschöne Waldlichtung erreichten, half ich ihm das Zelt aufzubauen.
War das erledigt, zeigte er mir, wie man einen richtigen Bogen schnitzt und wie
man die Pfeile formen muss, damit sie möglichst weit fliegen. Er brachte mir
bei, welche Beeren man essen konnte und welche auf keinen Fall. Oder wir
sammelten Pilze, die wir dann abends am Lagerfeuer brieten. Er hatte mich so
vieles gelehrt. Er war der Grossvater,  den sich jedes Kind wünscht.

„Träumst du
schon wieder? Sag mal, was ist den eigentlich mit dir los?“ „Ach nichts.“ Aus
einer inneren Eingebung heraus fragte ich sie: „Glaubst du an Geister?“ Mit
zögerlicher Stimme antwortete sie: „Nein, nein eigentlich nicht, aber du hast
dieses Ding heute Mittag ja gesehen. Und seitdem bin ich mir nicht mehr so
sicher.“ „Wahrscheinlich war es nur die Sonne, die uns einen Streich gespielt
hat.“ „Nein, das glaub ich nicht. Ich konnte sie ganz klar erkennen. Dieser
weisse Körper mit seinem schwarzen Umhang. Und in seinen dunklen Augen konnte
ich jeden meiner Fehler sehen.“

Ich schlief
in dieser Nach sehr schlecht. Überall in meinen Träumen erschienen diese
weissen Augen. Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich ging ins Bad, um mir
die Zähne zu putzen. Als ich in den Spiegel schaute, war wider Erwarten nichts
hinter mir. Als ich aber hinunter ging, um Frühstück zu machen, zuckte ich
zusammen. Auf dem Küchentisch lag in einem Aschenbecher eine noch brennende
Zigarette. Dünner, schwarzer Rauch stieg von ihr auf. Ich beruhigte mich damit,
dass alles gut werden würde. Ich musste nur dieses Wochenende überleben. Meiner
Freundin zuliebe. Sie liebte den Wald und die Berge. Die Freiheit,
die sie garantierten. Ihr Job als Krankenschwester war nicht immer einfach. Sie
schob oft Überstunden und war deshalb froh, wenn sie sich mal entspannen
konnte. Über ihre Kindheit wusste ich nicht viel. Sie war immer
sehr verschwiegen, wenn ich dieses Thema ansprach. Ich wusste nur, dass sie es
nicht leicht gehabt hatte und deshalb froh war, mich an ihrer Seite zu haben.
Manchmal sass sie über Stunden einfach nur auf unserer Terrasse und starrte in
den Himmel. Sie war ein sehr mysteriöser Mensch. Wenn ich von meiner Arbeit als
Buchhalter nach Hause kam, hörte ich sie ab und an mit einem gewissen „Charly“
reden. Einmal sprach ich sie darauf an. „Schatz, wer ist Charly?“ Sie wurde
kreidebleich und begann zu zittern. „Es ist nicht das, was du denkst. Ehrlich.“
„Dann sag mir, wer er ist.“ „Ich kann nicht, du würdest mich für verrückt
halten.“ „Schatz, du weisst, dass du mir alles sagen kannst.“ „Du weisst, dass
ich dich niemals betrügen würde.“ Da hatte sie Recht. Sie würde mich niemals
hintergehen. „Es ist besser, wenn du nicht weisst, wer er ist. Bitte glaub mir“
„…okay. Du kannst mit mir über alles reden, egal wie krank es sein mag.“ „Ja,
ich weiss.“ Wie bereits gesagt, sie ist eine sehr mysteriöse Person.

Genauso
seltsam war unsere erste Begegnung. Ich wohnte damals in einem relativ bergigen
Gebiet. Von vielen Wäldern durchzogen, war es ein schöner Ort um aufzuwachsen.
Es war weit nach Mitternacht. Ich kam gerade von der Party eines Kumpels nach Hause.
Leicht angetrunken setzte ich mich hinters Steuer. Es kam, wie es kommen
musste. Auf einem kurzen Pfad durch den Wald verlor ich die Kontrolle und
prallte gegen einen Baum. Ich blieb unverletzt und merkwürdigerweise mein Auto
auch. Ich legte den Rückwärtsgang ein. Der kleine Toyota, welchen meine Eltern
mitfinanziert hatten, kämpfte gegen die Steigung. Er gewann den Kampf. Das Auto
auf der Strasse, betrachtete ich den Schaden. Mein Mechaniker würde ordentlich
mit mir schimpfen, aber wenigstens fuhr er noch. Ich wollte
gerade wieder einsteigen, da hörte ich ein lautes Rascheln zwischen den Bäumen.
Es kam immer näher. Meine Sinne, vom Alkohol gedämpft, waren plötzlich
hellwach. Eine junge Frau, nicht älter als zwanzig, kam aus dem Unterholz
getaumelt und brach vor meinen Füssen zusammen. Sie sah komplett verwahrlost
aus, als hätte sie mehrere Jahre in der Wildnis verbracht. Sie murmelte wirres
Zeug vor sich hin. Ich überlegte. Ich konnte sie schlecht einfach hier liegen
lassen. Ich beschloss, sie mit zu mir nach Hause zu nehmen. Meine Absichten
waren dabei vollkommen ehrenhaft. Eine anständige Mahlzeit und ein langes Bad
würden ihr gut tun. Ich hob sie hoch. Sie wog fast nichts. Sie musste total
abgemagert sein. Das war nicht gut. Ich würde sie morgen sofort in ein
Krankenhaus bringen. In meinem derzeitigen Zustand wäre es mir nicht möglich gewesen,
die 17 Kilometer zum nächsten Ort zu fahren. Und dies in völliger Dunkelheit.
Ausserdem wollte ich wissen, was sie alleine im Wald verloren hatte. Vorsichtig
legte ich sie auf die Rückbank. Ich schnappte mir die Decke aus dem Kofferraum
und deckte sie damit zu.

Die
restlichen fünf Minuten zu meiner Wohnung fuhr ich schon fast übervorsichtig. Ich
parkte den Wagen an der Strasse. Zum Glück war es tiefe Nacht. Ich weiss nicht,
was meine Nachbarn gesagt hätten, wenn sie mich betrunken, ein Mädchen in den
Armen haltend die Auffahrt hinauf laufend gesehen hätten. Obwohl, über ihren
Gesichtsausdruck hätte ich gerne gelacht. Ich fingerte nach meinem Schlüssel.
Plötzlich bewegte sie sich leicht. Ihre dunkelgrünen Augen blickten mich an.
„Bist du einer von ihnen?“ fragte sie mich mit zittriger Stimme. „Was soll ich
sein? Was auch immer du meinst, ich bin nur ein Typ, der grad zufällig vorbei
kam.“ Scheinbar war ihre Frage damit beantwortet. Sie verfiel wieder in ihr
Murmeln. Ich zog die Schlafcouch aus und holte einige Ersatzdecken aus meinem
Schlafzimmer. Danach ging ich erstmal ins Bad. Das eiskalte
Wasser ins Gesicht reibend, dachte ich nach. Scheisse. Ich komme betrunken von
einer Party und baue einen Unfall. Dann kommt aus dem Wald ein halbtotes
Mädchen gerannt und fällt mir vor die Füsse. Und ich Idiot nehme sie einfach
mit. Wer weiss, vielleicht ist sie irgendwo ausgebrochen. Aber dann wäre sie
nicht so abgemagert. Ich beschloss, dass es das Beste wäre, sie erst einmal zu
versorgen. Morgen würde ich sie ins Krankenhaus bringen und dann würde ich
weiter sehen. Ich kochte einen grossen Topf Brühe. Sie schlang sie hastig
herunter. Währenddessen fragte ich sie, was sie den im Wald gemacht habe. Sie
blickte mich nur an. Es schien fast, als würde sie jemanden um Erlaubnis
fragen. Nach ungefähr zwei Minuten des Wartens und Anstarrens senkte sie ihren
Blick. Ich hatte Mühe, ihre geflüsterten Worte zu verstehen. „Bitte frag nicht.
Du würdest es nicht verstehen.“ „Ähh, hör Mal, ich hab keine Ahnung, was hier
grad abgeht, aber ich werde jetzt schlafen gehen. Das Klo ist die erste Tür
links. Falls du was brauchst, ruf einfach. Ich hab keinen tiefen Schlaf.“ Sie
nickte. Ich zog mich um und ging ins Bett. Am nächsten Morgen wurde ich vom
Rauschen der Dusche geweckt. Ich legte einige frische Sachen vor die Tür.

Während ich
das wenige, was noch in meinem Kühlschrank war, in etwas Essbares umzuwandeln
versuchte, erschien plötzlich das Mädchen im Türrahmen. Sie sah schrecklich
aus. Komplett abgemagert. Eingefallenes Gesicht. Und ihre Haut war von einem
bleichen Ton. Die zerzausten, nassen Haare hingen ihr über die Schulter. Einzig
ihre Augen leuchteten in einem dunklen Grün. Während des Essens sprach sie
immer noch kein Wort. Ich fragte sie, ob es okay wäre, wenn ich sie in
medizinische Behandlung geben würde. Sie nickte wieder stumm.

Ich
betrachtete die Beule an meinem Wagen. Ich musste ihn so schnell wie möglich
reparieren lassen. Wenn meine
Eltern davon Wind bekommen sollten, würden sie mir den Kopf abreissen. Während
der Fahrt schaute ich immer wieder zu ihr herüber. Sie blickte geistesabwesend
aus dem Fenster. Angekommen parkte ich neben einem dunklen Jeep. An der
Rezeption standen zwei Männer in schwarzen Anzügen. Ich fragte mich, was sie
hier suchten. Ich erklärte der Rezeptionistin die Situation. Sie sagte, ich
solle mir keine Sorgen machen. Sie würden sie einmal komplett durchchecken. Ich
solle gegen den späten Nachmittag wiederkommen. Ich wollte erst protestieren,
doch die Frau hatte schon ihren Arm um sie gelegt und in einen Gang geführt.
Ich blickte ihr hinterher. Warum bedeutete sie mir so viel?

Die
Testergebnisse zeigten nichts Auffälliges. Die Intelligenztests bestand sie
durchschnittlich, ihre Blutwerte waren in Ordnung und auch sonst war sie,
abgesehen von der Unterernährung, vollkommen gesund. Das einzig Seltsame
war, dass keinerlei Daten über sie vorhanden waren. Keine Geburtsurkunde, keine
Krankenakte, kein Familienname, kein Wohnort, nichts. Es war, als hätte sie nie
existiert. Die Ärzte bestimmten ihr Alter auf 21. Demnach war sie so alt wie
ich.

Nach einem
dreiwöchigen Aufenthalt in der Intensivstation beschlossen die Ärzte, sie auf
die angrenzende Rehaklinik zu verlegen. Ich besuchte sie so oft ich konnte.
Während dieser Zeit begann ich sie zu schätzen. Ihre geheimnisvolle Art, ihr
wunderbares Wesen und allem voran, ihr bezaubernder Charakter. Und eines Tages
passierte es dann. Wenige Wochen später wurden wir ein Paar. Bis heute ist
meine Liebe zu ihr ungebrochen. Ich weiss nicht, was ich ohne sie tun sollte.
Sie ist mein Lebensinhalt. Sie ist mein Engel. Ich würde für sie töten, wenn es
sein musste.

Ich hörte die
Treppenstufen knarren. Erschrocken und voller Angst drehte ich mich um … und
atmete auf. Die langen, schwarzen Haare fielen über ihr verschlafenes Gesicht.
Nachdem wir gefrühstückt hatten, lies ich sie packen. Währenddessen suchte ich
mir meinen Krimskrams zusammen. Der kleine Plüschhund, er musste noch irgendwo
hier sein. Ich schaute auf den Dachboden. Nichts. Ich dursuchte alle Zimmer.
Nichts. Als Letztes fiel mir der Keller ein. Nein, da durfte ich nicht rein.
Dies war ein Gesetz, an welches ich mich halten musste. In all den Jahren hatte
ich die Kellertür nicht angerührt. Mein Grossvater hatte schon seine Gründe
gehabt. Mein Taschenmesser von damals wurde mit der Zeit durch eine gezackte
Jagdklinge ersetzt. Ich hatte uns zum siebenjährigen Jubiläum welche gekauft.
Das mag für den Autonormalverbraucher jetzt etwas seltsam klingen, aber unter
Jägern war dies ein willkommenes Geschenk. Schlussendlich packte ich noch den
kleinen Revolver ein, den mir mein Vater zum achtzehnten Geburtstag geschenkt
hatte. Ja, meine Familie hatte eine etwas „verdrehte“ Interpretation von
Geschenken. „Bist du soweit“, rief ich nach oben. „Sofort“. Sie hatte sich eine
dunkelgrüne Jacke übergeworfen. Der grüne Stoff betonte ihre Augen perfekt. Sie
sah unglaublich gut darin aus.

Es war wie
damals. Der gleiche Weg. Die gleichen Erinnerungen. Nur die Person, die neben
mir herlief, war eine andere. Wir redeten über alles Mögliche. So unbefangen.
So befreit. Die Lichtung hatte sich kein Stück verändert, was zwar seltsam war,
aber ich nahm es so hin. Was blieb mir sonst auch übrig? Es wurde bereits
dunkel, als wir das Zelt aufbauten, was ebenfalls seltsam war, schliesslich war
es Hochsommer. Da wir beide ziemlich erschöpft vom Fussmarsch waren,
beschlossen wir heute früh schlafen zu gehen. Wir sassen am Feuer, brieten
Würstchen und Marshmallows und quatschten dann doch bis tief in die Nacht hinein.
So schön. So
entspannt. So unendlich glücklich. Ihr Lachen war noch in meinen Träumen zu
hören. Ich überlegte mir, ob ich ihr einen Heiratsantrag machen sollte. Ich
liebte diese Frau über alles.

Sie hatte
ihre Arme fest um meinen Hals geschlungen. Ihre süsse Stupsnase war tief in
meine Schulter vergraben. Ein leises Schluchzen war zu vernehmen. Ich drückte
sie sanft an mich. Ihr zarter Körper bebte leicht und die langen schwarzen
Haare ergossen sich wie ein Wasserfall über ihren Rücken. Alles wirkte so
friedlich, wie wir da so sassen, auf dieser sonnigen Waldlichtung. Die Blätter
der Laubbäume wiegten sich in einer leichten Sommerbrise und das Gezwitscher
der Vögel drang als eine wunderbare Melodie an mein Ohr. Das Einzige, was die
friedvolle Atmosphäre störte, war die gezackte, dreissig Zentimeter lange Klinge
in ihrem Rücken. Ihr heisser Atem drang an meinen Hals. Ihr Schluchzen wurde
intensiver. „Bitte, ich will noch nicht sterben.“ Ich schwieg. Wir wussten
beide, dass es keine Hoffnung mehr gab. Ich blickte ein letztes Mal in ihre
Augen. Diese Augen würde ich nie vergessen. Alles, was sich darin spiegelte.
Alles, was ich liebte. Ein letztes Mal berührte mein Mund den ihrigen. Der
letzte Kuss. Ihre Atemzüge wurden langsamer. Die Augen begannen an Glanz zu
verlieren. Ich spürte ihr Herz. Es schlug immer schwächer. Schliesslich
verebbte ihre Atmung. Ihr Herz blieb stehen. Die Augen, leer und verlassen. Der
mysteriöse Schimmer war für immer verschwunden. Ein allerletztes Mal schaute
ich in ihr Gesicht. Dann liess ich sie vorsichtig zu Boden gleiten. In jenem
Moment, in dem sie starb, war etwas in mir zerbrochen. Es war die Energie, die
mich antrieb. Ich hatte gewusst, dass sie sterben würde. Ich hatte es schon
gewusst, als sie tränenüberströmt aus dem Zelt gestolpert kam und in meine Arme
fiel. Und die schwarze Gestalt, die neben mir stand, liess es von einem bösen
Traum zur Wirklichkeit werden. Ich wusste, dass auch ich sterben würde. Aber vorher
würde ich sie begraben. Am Fusse des Berges. Damit sie für immer von der
Freiheit träumen konnte. Sie hätte es bestimmt so gewollt. Ich hob ihren
leblosen Körper hoch. Alles erinnerte mich an unser erstes Treffen. Nur hatte
der Tod sie diesmal endgültig geholt.

Heisse Tränen
flossen über meine Wange, als ich sie stumm in Richtung Berg trug. Mit blossen
Händen schaufelte ich ein Grab für sie. Meine Arme und Finger waren voller
Blut, als ich sie einige Stunden später wieder hochhob und ins Grab legte. Mit
einer sanften Berührung schloss ich ihre Augen. Auch während ich die Erde über
ihren Körper rieseln lies, stand das Wesen neben mir. Als ich fertig war,
blickte ich es an. Seine weissen Pupillen starrten ohne jegliche Emotion auf
mich herab. Ich fragte nicht, warum. Ich fragte nicht, weshalb sie. Es würde
mir ohnehin nichts nützen. Eine tiefe Stimme erklang. „Beobachten, urteilen,
richten. Du hast es verdient.“ Ich nickte. Wahrscheinlich hatte ich das. Warum
sollte ich sonst so etwas Grausames durchleben? Ich dachte noch darüber nach,
wie ich sterben würde. „Wird es ein schneller Tod?“ fragte ich das Wesen. Es
schüttelte verneinend den Kopf. Ich dachte an den alten Revolver in meinem Hosenbund.
Das Wesen reagierte nicht, als ich ihn zog und mir an Kopf hielt. So sollte es
also enden? Ich drückte ab. Ein Klicken ertönte und signalisierte mir, dass
sich nie eine Patrone in ihm befunden hatte. Obwohl es keinen Mund hatte,
schien es zu grinsen. Es wirkte glücklich. Ich spürte, wie alle Luft aus meinen
Lungen entwich. Ich konnte nicht mehr atmen. Mir wurde bewusst, was es
vorhatte. Langsam, nur sehr langsam erschienen schwarze Flecken vor meinem
Blickfeld. Die Geräusche verstummten allmählich. Ich sank auf die Knie, hielt
mir die Hände an den Hals. Kurz bevor mein Gehirn die Verbindung kappte und ich
zu Boden, neben das Grab meiner Freundin fiel, zuckten einige wenige
Geräuschfetzen durch meine blutenden Ohren. Es schienen Schüsse und laute Stimmen
zu sein. Aber ich konzentrierte mich nicht darauf. Das Letzte, was ich sah, war
der aufgeschüttete Haufen Erde, unter dem sie begraben war.

Es ist, als
würde ich aus einem langen Schlaf erwachen. Noch fühle ich meine Glieder nicht,
aber mein Herz scheint zu schlagen. Ich atme tief ein. Trockene Luft dringt durch
meine Lungen und versorgt mich mit Sauerstoff. Langsam öffne ich meine Augen.
Grelles Licht blendet mich und reizt meine Netzhaut. Ich versuche meinen Kopf
nach links zu drehen. Es klappt, aber nur unter Schmerzen. Ein Mann in einem
weissen Kittel prüft irgendwelche medizinisch aussehenden Geräte. „Oh, schön,
dass sie endlich wach sind. Wir hatten schon gedacht, wir hätten sie verloren.“
„Wasser.“ Mehr als ein Krächzen bringe ich nicht hervor. Der Mann reicht mir
ein Glas. Ich habe nun wieder die volle Kontrolle über meinen Körper. Ich
greife nach dem Glas. „Wer sind sie? Und vor allem, wer bin ich?“ Ein
enttäuschter Gesichtsausdruck ist für den Bruchteil einer Sekunde zu erkennen,
doch dann lächelt er. „Oh, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Dr. Browinski.
Ich bin einer der leitenden Forscher dieser Einrichtung. Sie befinden sich auf
der Intensivstation der medizinischen Abteilung. Wir haben sie ins künstliche
Koma verlegt, andernfalls wären sie gestorben.“ „Wie lange bin ich schon hier?“
„Fast fünf Monate. Wie gesagt, wir hätten nicht damit gerechnet, dass sie
wieder aufwachen. Wären sie innerhalb diesen Jahres nicht aus ihrem Koma
erwacht, wären sie nach „unten“ verlegt worden.“ Ich wollte fragen, was dieses
„unten“ denn sei, doch der Mann tippt bereits auf einem handyähnlichem Gerät
herum. Leise flüstert er ins Telefon. „Akte 257. Subjekt 2-C scheint keinerlei
Erinnerungen an den Vorfall zu haben. Weiterer Verlauf?“ Eine Weile herrscht
Stille. Dann ein kurzes Räuspern. „Sind sie sicher, dass sie es nicht zu
Klasse-D Personal klassifizieren wollen?“ Dann eine längere Pause. „Ganz wie
sie meinen.“ Er legt auf und betrachtet mich eingehend. „Tut mir Leid.“ „Was tut
ihnen Leid?“ Er geht zu einem der Geräte. Mir wird klar, was er vorhat. „Nein,
bitte nicht!“ Ich kann mich nicht bewegen. Schwarze Flecken erscheinen vor
meinen Augen. Warum muss ich sterben? Ich weiss noch nicht einmal, wer ich bin.

Die
unendliche Schwärze hat mich bereits ergriffen, doch plötzlich erstrahlen meine
Erinnerungen vor mir. Froh sie wiedergefunden zu haben greife ich nach ihnen.
Ein dunkelgrünes Paar Augen blitzt in meinem nicht vorhandenen Verstand auf.
Doch nicht nur sie sind zurückgekehrt. Eine tiefe Stimme erklingt. „Du dachtest
doch nicht, dass es so einfach ist?“

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