ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Wir befinden uns in einer Bank. Genauer gesagt ist es die Bank, in der Henry Bemis an einem Schalter seine Arbeit verübt. Ihr fragt euch jetzt sicher, was hat es damit auf sich und warum ist Herr Bemis so interessant? Nun, eigentlich ist er ziemlich uninteressant für seine Mitmenschen, seine ihn dominierende Frau und auch auf der Arbeit ist er einer von
vielen. Alles in allem ist er nichts Besonderes. So wie es aussieht, hat Henry auch nur ein Hobby: Er liest gerne und hat, wenn er Kunden bedient
immer ein Buch auf dem Schoß liegen. Er war auch nicht besonders attraktiv mit seiner riesigen Brille, seiner Halbglatze und seiner
kleinen Statur. Außerdem hatte er noch leichten Überbiss, was nochmal zu seiner Nicht-Attraktivität beitrug.
Die Bank ist gut besucht. Die meisten Menschen nutzen den Geldautomaten, aber auch ein guter Teil der Bankkunden möchte von einem Menschen bedient werden. So auch eine ältere Dame, die gerade von Henry ihr Geld ausgezah
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Jetzt anmelden oder registrierenWir befinden uns in einer Bank. Genauer gesagt ist es die Bank, in der Henry Bemis an einem Schalter seine Arbeit verübt. Ihr fragt euch jetzt sicher, was hat es damit auf sich und warum ist Herr Bemis so interessant? Nun, eigentlich ist er ziemlich uninteressant für seine Mitmenschen, seine ihn dominierende Frau und auch auf der Arbeit ist er einer von
vielen. Alles in allem ist er nichts Besonderes. So wie es aussieht, hat Henry auch nur ein Hobby: Er liest gerne und hat, wenn er Kunden bedient
immer ein Buch auf dem Schoß liegen. Er war auch nicht besonders attraktiv mit seiner riesigen Brille, seiner Halbglatze und seiner
kleinen Statur. Außerdem hatte er noch leichten Überbiss, was nochmal zu seiner Nicht-Attraktivität beitrug.
Die Bank ist gut besucht. Die meisten Menschen nutzen den Geldautomaten, aber auch ein guter Teil der Bankkunden möchte von einem Menschen bedient werden. So auch eine ältere Dame, die gerade von Henry ihr Geld ausgezahlt bekommt.
„18, 19, 20, 21“, Henry hört kurz auf zu zählen, um eine Seite des Buches, welches sich wie immer auf seinem Schoß befindet, umzublättern, „1, 2, 3… Miss Chester, kennen Sie zufällig den Roman David Copperfield?“
Miss Chester sah ihn verdutzt an, während sie das Geld einpackte und selber nochmal nachzählte, „Was sagen Sie?“
„Ah, das ist ein wundervolles Buch“, meint Henry lobend, „Da ist dieser kleine Junge, dessen Vater gestorben ist. Sein Stiefvater wird ein fürchterlicher Typ namens Murdstone. Allein schon der Name Mordstein und dieser Murdstone hat eine Schwester namens Jane…“
Da unterbrach ihn Miss Chester unsanft, „Herr Bemis, ich habe wieder zu wenig rausbekommen. Es fehlt ein Dollar… Schauen Sie, hier sind nur 24, ich erhalte aber 25 Dollar. So langsam denke ich wirklich darüber nach, einen Geldautomaten zu benutzen!“
Henry schaut sich kurz die Scheine an, die auf dem Tisch liegen, und meint dann reumütig, „Oh, das tut mir jetzt leid Miss Murd…
äh… Miss Chester! Ich dachte, es wären fünf, aber jetzt sind es nur
vier. Natürlich erhalten Sie noch einen Dollar! Bitte entschuldigen Sie
meinen Fehler.“ Henry legt den fehlenden Dollar zu dem Geld von Miss Chester und redet weiter von dem Buch.
„Wissen
Sie, er ist auch ein echter Scherzkeks! Er heißt Makaber, Mister
Makaber. Er landet immer mal wieder im Schuldgefängnis…“, während er amüsiert kichert, verzieht Miss Chester keine Miene, sondern gibt nur ein desinteressiertes “Mhm” von sich und verschwindet vom Schalter ohne sich zu verabschieden. Davon kriegt Herr Bemis gar nichts mit und redet einfach weiter.
“Es gibt aber noch eine ganz wundervolle Type mit Namen Peggotty. Das ist Davids…”, erst jetzt sieht er hoch, verstummt, als er bemerkt,
dass er alleine ist und sieht sich verwirrt um. Anschließend seufzt er, flüstert “Niemand” und stellt ein Schild mit der Aufschrift “Nächster Schalter bitte” vor sein Bedienfenster und liest nun ohne Ablenkung in
seinem Buch, welches er nun nicht mehr wirklich versteckte. Währenddessen trat sein Chef unbemerkt an ihn heran und beobachtete ihn mit ernstem Gesicht dabei, wie er über den Inhalt seines Buches lachte und nicht seiner Arbeit nachging. Einige Momente und Lacher später merkte Herr Bemis die Anwesenheit, drehte sich um, während er gleichzeitig aufstand und dabei einen Schritt nach hinten taumelte.
“Ja, Sir?”, er sah lächelnd seinen strengen Chef an, ohne sich auch nur irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Im Gegensatz zu ihm, machte das Äußere seines Chefs einen gepflegten Eindruck. Sein Haar war glatt nach hinten gegelt, während das Haar von Mr. Bemis völlig zerzaust war. Auch sein Anzug sah teurer und edler aus.
“Ich möchte Sie gerne in meinem Büro sprechen, Mr. Bemis!”, seine Stimme klang ruhig, aber fordernd und Bemis, dessen Brille ihn wie einen scheuen Maulwurf aussehen ließ, nickte lächelnd.
“Aber natürlich, Mr. Carsville“, zögerlich holte er sein Buch hervor und zeigte mit dem Finger auf eben dieses, “Sie kennen wohl David Copperfield nicht, Sir. Oder etwa doch?”
Ruhig, aber bereits gereizt antwortet dieser bloß, “Nein, Mr. Bemis, kenne ich nicht! Wenn Sie jetzt so nett sein würden mitzukommen!”
Mr. Henry Bemis, privilegiertes
Mitglied in der Bruderschaft der Träumer. Ein belesener, kleiner
Beamter. Seine Leidenschaft ist bedrucktes Papier. Damit hatte er sich
jedoch verschworen, gegen die Welt, in der er lebte und gegen die
unerbittlichen Zeiger der Uhr. Nur ein Augenblick und er wird sich in einer Welt wiederfinden, in der es weder Bankpräsidenten noch Uhren oder sonst
irgendetwas gibt und diese Welt wird für ihn ganz alleine da sein. Für
niemanden sonst.
“Und damit Mr. Bemis zum springenden Punkt unseres Gesprächs”, Mr. Carsville saß in seinem Sessel, während Mr. Bemis vor ihm stand und trotzdem war Mr. Carsville nur wenig kleiner als er, “Ich komme dahin, indem ich folgende Frage stelle: Was zeichnet den effizienten
Beamten unserer Gesellschaft aus? Er weiß was sein Job erfordert und
führt er auch aus! Er funktioniert als Glied einer Organisation
innerhalb einer Organisation! Sie, Mr. Bemis,
funktionieren nicht innerhalb der Organisation. Sie sind weder ein
effizienter Bankangestellter noch ein tüchtiger Mitarbeiter.”
Gleichzeitig mit seiner Stimme erhob sich Mr. Carsville auch aus seinem Sessel und ließ etwas von seiner Wut raus, “Sie, Mr. Bemis, sind ein Leser.”
“Was? Ein Leser?”, Mr. Bemis sah seinen Chef verwundert an und beugte sich leicht zu ihm vor.
“Ja, ein Leser. Ein Leser von Büchern, Magazinen, Zeitschriften, Online-Blogs und Zeitungen”, nun setzte er sich wieder ruhig in seinen Sessel, “Ich beobachte Sie, wie Sie in der
Mittagspause immer in den Tresorraum gehen.”
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, während der nun eingeschüchterte Mr. Bemis auch Platz nahm und nun noch kleiner wirkte, “Eine letzte Warnung, Mr. Bemis!”
“Ja, Sir”, sagte er leise und stand gleich wieder auf.
“Sie widmen sich ab sofort nur noch Ihrer Arbeit und vergessen das Lesen oder Sie suchen künftig von morgens bis abends auf einer Parkbank in einer Zeitung nach einem neuen Job! Ich habe mich hoffentlich klar und verständlich ausgedrückt!”
“Aber ja, völlig klar, Sir”, stammelte Mr. Bemis und kratzte sich nervös an seiner Wange, “Es ist nur so, Sir, dass…”
Mr. Carsville unterbrach ihn wütend, “Nur so, was? Mr. Bemis, machen Sie rasch und gehen Sie an Ihren Schalter zurück!”
Mr. Bemis setzte sich kurzerhand wiederhin und versuchte seinem Chef die Lage zu erklären, “Es ist nur so, dass mich meine Frau zu Hause nicht lesen lassen will! Wenn ich abends nach Hause komme und versuche mir die Zeitung vorzunehmen, schlägt sie sie mir aus der Hand! Nach dem Abendessen freue ich mich auf ein Magazin, aber das versteckt sie vor mir! Ich war schon so verzweifelt, dass ich die Etiketten auf den Gewürzdöschen lesen wollte, stellen Sie sich das vor! Ja, und jetzt gönnt sie mir nicht mal mehr die Ketchupflasche.”
Mit einem belustigten Grinsen auf den Lippen, zögerte Mr. Carsville nicht lange, beugte sich über seinen Schreibtisch, stützte sich mit
seinen Händen darauf ab und sprach, “Wenn Sie meine Meinung dazu wissen wollen. Ihre Frau ist eine außerordentlich intelligente Frau!” Das anfängliche Lächeln in Mr. Bemis Gesicht verschwand und sein Chef fuhr fort, “Im November verbrachten Sie die überwiegende Zeit des Tages damit, die Wahlplaketten auf den Oberteilen der Kunden zu lesen. Sie erinnern sich vielleicht noch an die junge Lady, die Sie deshalb mit dem Regenschirm verprügeln wollte.”
“Ja, ja, das war dieser Vorfall”, sagte der kleine Angestellte wild umher gestikulierend, “Ich hatte nur leider keine Gelegenheit ihr zu sagen, dass ich nur sehen wollte, wen sie wählen will.”
“Guten Tag, Mr. Bemis”, sagte sein Chef ungläubig und setzte sich kopfschüttelnd und mit unterdrückter Wut wieder hin.
Wieder zu Hause setzte er sich in seinen gemütlichen, aber platt gesessenen Sessel und versuchte sich mit etwas Lesen in der aktuellen Zeitung
zu entspannen, doch es dauerte nicht lange, bis er die laute Stimme
seiner Frau hörte, wie sie von nebenan seinen Namen rief. Er seufzte bloß und ignorierte ihre Rufe einen Moment, bis er ihr zögernd
antwortete, “Ja, Schatz, ich bin im Wohnzimmer!”
So gleich kam sie im schnellen Schritt an und riss ihm die Zeitung aus der Hand, was ihn nicht überraschte. Seine Frau hatte ein sehr strenges und
dominantes Auftreten. Ihre brünetten Haare waren feinsäuberlich zu einem Dutt zusammengesteckt. Außerdem trug sie ein einfaches, zugeknöpftes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln ging.
“Willst du noch Kaffee oder nicht?”, ihre Stimme war rau und für eine Frau recht tief.
Man sah Henry die Enttäuschung an und er brauchte auch einen Moment, um zu antworten, “Nein, danke, Schatz.”
“Nun, dann sag mir das gefälligst und verkrümel
dich nicht ins Wohnzimmer wie ein Maulwurf unter Zeitungsbergen. Ich
dachte, wir wären das oft genug durchgegangen, Henry! Ich dulde es bei
keinem Mann von mir, dass er die Kunst der Konversation begräbt!”
Als sie das sagte, musste Henry unweigerlich lachen, er konnte einfach nicht anders. Etwas, an dem was sie sagte, war für ihn einfach urkomisch.
“Ach nein”, seine Frau beugte sich etwas zu ihm herab, “Was ist daran lustig?”
“Nichts,
nichts”, meinte Henry noch immer breit grinsend, “Aber Schatz, du hattest gesagt, ´bei keinem Mann´, wie viele Männer hast du denn? Du hast doch nur mich!”
Sie schlug mit der zusammengerollten Zeitung gegen die Sessellehne, “Es wäre nett, wenn du darauf nicht herumreiten würdest!”
Also rutschte Henry im Sessel nach unten, grinste nicht mehr und blieb ruhig.
“Wir spielen heute Abend Karten”, sagte seine Frau in einem Befehlston zu ihm, “Ich wünsche, dass du dein Hemd wechselst. Wir gehen zu Phillipps rüber!”
“Auch das noch”, sagte er seufzend und trete leicht seinen Kopf von ihr weg.
“Ach nein, Henry”, sie kam näher auf ihn zu, “Hast du etwas zu sagen?”
Er schüttelte bloß den Kopf und nahm seine Brille ab, während er sprach, “Nein, Schatz, ich habe gar nichts zu sagen. Und wann sollen wir dort sein?”
“In etwa 15 Minuten”, sie sah ihn mit einem eiskalten Blick an. Kein Lächeln auf den Lippen, keine Freude in den Augen.
“Dann bin ich fertig. Ganz pünktlich”, etwas Angst lag in seiner Stimme, so als würde er mit einer Person reden, die ihn entführt hat.
Mit
den Worten “Nun, das möchte ich aber auch hoffen” verschwand sie aus dem Wohnzimmer und ließ ihren Mann somit allein, was ihn erleichterte, denn nun stand er hastig auf, hob das Sesselpolster an und suchte etwas. Nach ein paar Sekunden zog er ein kleines Taschenbuch hervor, rückte das Polster wieder zurecht, betrachtete kurz das Buch, ging dann
zu einem Stuhl, nahm die Jacke von der Lehne und warf sich die Krawatte um den Hals. Das Buch verstaute er in der Innentasche der Jacke, während er einen verstohlenen Blick zur Tür warf, danach die Jacke anzog und zur Tür ging. Als er diese öffnete, erschrak er, denn dahinter stand seine Frau.
“Henry”
“Ja?”, stammelte er, “Mein Schatz”
“Nun, was hast du eingesteckt, Henry?”, wie konnte sie das wissen, fragte er sich, aber ließ sich äußerlich nichts anmerken und grinste bloß.
“Eingesteckt?”
“Eingesteckt!”
“Gar nichts, mein Schatz”, als er das sagte, hob sie mit einer Hand eine Seite der Jacke etwas an, griff mit der anderen Hand in die Innenseite und zog das Buch hervor.
“Und was ist das?”, sie hielt ihm das Buch hin und wartete, was er zu sagen hatte.
“Oh, das”, er sah auf das Buch und zeigte drauf.
“Ja, genau das!”
“Ja, keine Ahnung”, er wusste nicht, was er sagen sollte, also stellte er sich dumm, “ja, wo kommt denn das nur her?”
“Ich kann es leider nur vermuten”, sie sah auf das Cover und las laut, “Ein Buch mit moderner Poesie… ist das deins, Henry?”
Er nickte nur wortlos und wartete auf ihre Standpauke, die sie ihm jetzt für den Besitz dieses Buchs halten würde. Doch diesmal legte sie ihre Hand auf seine Schulter und ging mit ihm zum Sofa, “Möchtest du mir daraus vorlesen?” Ihre Stimme klang ruhig und freundlich, so wie er sie ewig nicht mehr gehört hatte.
“Dir daraus vorlesen? Dir laut was vorlesen? Aus dem Buch?”, verwundert sah er seine Frau an. Sie hasste es, wenn er las und jetzt sollte er ihr was vorlesen?
“Ja, möchtest du?”, seine Frau lächelte ein bisschen, als sich beide – erst er, dann sie – auf das Sofa setzten und sie ihm dabei das Buch in die Hand drückte.
“Ja, liebend gern würde ich das. Es stehen ein paar ganz reizende Sachen darin!”, er schlug das Buch auf, sah aber nicht hin, sondern sah seine Frau an, die scheinbar wirklich daran interessiert war, während er blind darin herumblätterte, “Zum Beispiel von T. S. Eliot, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Hermann Hesse…”
Als er seinen Blick nun jedoch von Frau zum Buch hinbewegte und auf die geöffnete Doppelseite schaute, verschwand sein erfreutes Lächeln und Überraschung und Entsetzen machte sich in seinem Gesicht breit. Er blätterte schockiert durch das ganze Buch, aber jede Seite war davon betroffen. Man hatte mit einem Bleistift sämtliche Seiten in dem Buch vollgekritzelt, sodass die Texte darin völlig unleserlich waren.
Mit trauriger Miene stand er auf, immer noch mit dem offenen Buch in der Hand, “Helen… wer war das, Helen?”
“Nun, wer glaubst du wohl, Henry”, ihre Stimme war wieder kühl und streng, sowie er es gewohnt war. Sie hatte ihn hinters Licht geführt, ihn ausgetrickst! Sie saß immer noch auf dem Sofa, lehnte sich nun ein Stück nach vorne “Du solltest mir auf Knien danken! Ein erwachsener Mann, der dumme, lächerliche, unsinnige Knittelverse liest!”
Mit leichter Erregung in der Stimme entgegneter er ihr, “Das sind keine Knittelverse! Es waren sehr schöne Gedichte!”
Nun erhob sich seine Frau von dem Sofa und trat bis auf einen Schritt an ihn heran. Sie war etwas größer als er, weshalb ihn das einschüchterte, “Ich sage Knittelverse! Ich sage auch, es ist Zeitverschwendung!”
Nun riss sie ihm das Buch aus der Hand und begann damit einzelne Seiten herauszureißen, bis die ganzen Seiten auf dem Boden lagen. Währenddessen flehte Henry seine Frau an, damit aufzuhören, warf sich auf den Boden, um die Seiten aufzusammeln, wobei ihm seine zu locker sitzende Brille von der Nase auf den Boden fiel. Mit zerknüllten Seiten in beiden Händen stand er auf, nachdem er sich seine Brille wieder aufgesetzt hatte, “Wieso, Helen? Wieso nur? Wieso?”
“Weil ich dich zum Mann habe, einen Verrückten!”, nachdem sie das gesagt hatte, verschwand sie aus dem Wohnzimmer. Henry, der kurz vorm Heulen war, kniete sich wieder hin, sammelte die restlichen Seiten ein und steckte sie ungeordnet in den leeren Einband.
Am nächsten Tag schlug es Punkt 12. Seine Mittagspause begann. Er ignorierte die Mahnung seines Chefs
bezüglich des Aufenthalts im Tresor, denn er wollte unbedingt lesen. Also stellte er das Schild mit der Aufschrift “Nächster Schalter Bitte” erneut in sein Bedienfenster, holte sein Mittagessen, ein Buch und die heutige Zeitung aus seiner Schublade und ging eine Etage nach unten zum Tresorraum, öffnete das große, moderne Tor und ließ nur einen kleinen Spalt offen, als er ihn betrat. Es aß und las für eine ganze Weile, während er auf dem Boden saß und sich an die Schließfächer lehnte. Dann irgendwann klappte er befriedigt das Buch zu, nahm die Zeitung und las die Schlagzeile “Wasserstoffbombe fähig zur totalen Vernichtung”. Desinteressiert sah er zu seinem Buch, welches plötzlich aufschlug, seine alte Taschenuhr herausrutschte und das Glas scheinbar grundlos zersprang. Was folgte war eine lang anhaltende Explosion. Der Tresorraum bebte und Mr. Bemis wurde durchgeschüttelt. Er schaffte es nicht aufzustehen, so sehr er es auch versuchte. Schließlich fiel er auf den Rücken und verlor das Bewusstsein.
Das
erste was er tat, als er aufgewacht war und seine Brille wieder zurechtrückte, war das zugefallene Tresortor aufzustemmen. Scheinbar waren durch die Explosion alle Sicherheitsmechanismen ausgefallen, weshalb es nur an seiner Kraft liegen würde, ob er das schwere Tor geöffnet kriegte. Es dauerte zwar eine ganze Weile, aber er schaffte es schließlich und verließ den Tresorraum. Der Flur und das Treppenhaus dahinter waren mit Schutt teilweise blockiert. Geschockt von dem Anblick sah er sich erstmal um, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er erkannte dann relativ zügig, dass die Treppe noch so weit begehbar war, dass er es noch hierhinaus schaffen konnte. Oben angekommen sah es nicht viel besser aus. Überall waren Schutt und Trümmerteile. Er bahnte sich den Weg zum Büro seines Chefs, dessen Tür nicht mehr wirklich in den Angeln hing. Vorsichtig betrat er das Büro und sah sich um. Er versuchte nichts zu berühren, um nicht noch selbst begraben zu werden. Der Schreibtisch lag umgeworfen auf der Rückseite und allgemein war die ganze Einrichtung überall im Raum verteilt.
“Ich möchte Ihnen versichern, dass Pflichterfüllung für uns bedeutet, sich ständig daran zu erinnern, dass eine Bank, wie ein politisches Amt, eine Treuhänderschaft ist. Das ist für uns von ausschlaggebender Bedeutung und bei allem vorrangig. Das rangiert vor allen anderen Erfordernissen. Miss Jackson, das ist meine Rede für das Donnerstagbankett. Ich brauche sie dreimal!” Als Henry das hörte, erschrak er erstmal und zuckte zusammen, doch dann blickte er auf den Boden hinter dem Schreibtisch und sah ein altmodisches Aufnahmegerät in der Hand seines nun toten Chefs, der unter den Trümmerteilen begraben wurde. Ihn überkam eine Übelkeit, er drehte sich rasch weg und taumelte erschrocken aus dem Büro durch die zerstörte Bank in Richtung des Ausgangs. Draußen sah es nicht viel anders aus und der Anblick der Ruinen der ehemals so lebendigen Stadt ließ sein Herz noch schneller schlagen, als es sowieso schon tat, denn er war sich sicher, dass sich die Zerstörung nicht nur auf die Stadt oder Amerika beschränkte.
Sekunden, Minuten, Stunden. Sie krochen auf allen Vieren an Mr. Henry Bemis
vorbei, der in der Asche einer toten Welt nach einem Funken Leben suchte. Eine alte Telefonzelle verbunden mit dem Nichts, der Schuppen eines Nachbarn, ein Fahrzeug, ein Baseballplatz, ein Elektronikladen, der Briefkasten, von dem, was einmal sein Haus war und was jetzt ein Trümmerhaufen ist. Seine Füße tasten nach der ausgetretenen Türschwelle, die so nicht mehr existierte.
“Helen!?”, rief er, als er in den Ruinen seines Hauses mehr oder weniger geschickt herumkletterte, “Helen!? Wo bist du?”
Erschüttert
breitete er seine Arme aus und in seinem Gesicht sah man die Trauer,
als ihn klar wurde, dass er sie nicht mehr wiedersehen würde.
Mr. Henry Bemis auf einer achtstündigen Tour über einen Friedhof.
“Sie sind alle tot”, sagte er leise zu sich selbst, nachdem er sich von
seinem ehemaligen Haus wegbewegt hatte und nun auf einem relativ leeren Platz stand, der von einigen Trümmerteilen und zerstörten Gegenständen übersät war, aber es im Gegensatz zu anderen Gegenden noch einigermaßen ordentlich aussah.
“Es muss so sein… Alle Menschen sind tot. Abgesehen von mir. Ich bin in Ordnung, aber wieso bin ich denn in Ordnung? Ich war doch auch hier inmitten von…”, er hielt inne und ein Gedanke begann sich zu formen und er konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen, “Nein, war ich nicht… Ich war im Tresorraum, ich war nicht hier. Deshalb habe ich überlebt, weil ich da unten war, im…”
Nun wisch sein Grinsen einem nachdenklichen Blick, “Nur die Frage ist, ich bin mir nicht ganz sicher, ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich mir noch wünsche zu leben!”
Einige Zeit später saß Mr. Bemis in den Ruinen eines kleinen Lebensmittelladens vor einem provisorischen Tisch mit einer Kerze, einer Dose und einem Dosenöffner darauf.
“Nun ja, verhungern werde ich nicht. Essen gibt es hier ja genug. So viel, dass es für Jahre reicht! Mehr als genug für Jahre…”, er sah sich um, “und Jahre und Jahre und Jahre.”
Er nahm sich einen Cracker aus einer offenen Packung, die sich in einem
schräg stehenden Regal neben ihm befand, und biss ab, “Alles hier kann ich essen, alles, was hier ist.”
Dann stand er auf, aß den Rest des Crackers, “Das und noch mehr.”
Anschließend nahm er sich eine Zigarette und ging zu einer völlig zerfledderten Couch, wo er den gröbsten Dreck
entfernte, rauchte zu Ende, legte sich hin und deckte sich mit seiner Jacke zu. Seine Brille legte er auf die Lehne des Sofas und blickte in die nun verschwommene Ferne, “Es ist bloß, ich finde, das Schlimme ist, das wirklich Schlimme daran ist, man ist so allein! Ob es immer so sein
wird, dass man rumsitzt… Tag für Tag… Isst, hin und wieder eine Zigarette und immer wieder dieselbe halbe Zeitung lesen. Wieder und wieder und wieder…”
Mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein.
Am nächsten Morgen wachte er auf, tastete halb blind in der Luft umher, bis er schließlich seine Brille fand, sie aufsetzte und sich umsah. Er stand auf, zog sich wieder seine Jacke an, kämmte sich mit den Fingern mehrfach durchs Haar, sah nach links, erblickte ein leicht demoliertes Auto, das er gestern Abend aufgrund der Dunkelheit übersehen hatte und eilte zu eben diesem, riss die Tür auf und setzte sich rein. Er hupte mehrmals und sah, dass der Schlüssel noch steckte, drehte ihn, doch der Wagen sprang nicht an, auch nach mehrfachem Wiederholen nicht. Enttäuscht gab er auf, stieg aus und rief verzweifelt umher, in der Hoffnung, dass es noch weitere Überlebende gab. Er ging durch die Ruinen, rief immer mal wieder, wurde lauter, verzweifelter, trauriger, doch es half nichts. Keiner antwortete ihm.
“Nein, nein, nein, hier ist keiner mehr… Macht nichts, macht gar nichts”, er klang verloren und je mehr er sprach, umso mehr Traurigkeit kam mit durch, “Nein, nein, nichts macht das. Mal ehrlich, es macht nichts. Ist völlig in Ordnung… Nun das ist Einsamkeit, davon hatte ich nie viel. Einsamkeit. Ich hab genug… Zum Ausfüllen der Zeit hab ich genug. Ich kann viel tun. Ich hab eine Menge zu lesen. Ja, ja, hab ich… Ich bin gut dran… Hilfe! Hilfe! Hilfe… Bitte irgendwer.”
Mit den panischen Hilferufen setzte er seinen Weg fort. Bei einem Trümmerhaufen, inmitten von Scherben, Kisten und Geröll fand er dann auch einen Ausweg in Form eines Revolvers. Er nahm diesen, umfasste ihn mit beiden Händen und setzte sich auf den Boden, “Wäre nur nicht die Einsamkeit, wenn doch nur nicht… Wenn ich bloß nicht allein wäre. Gäbs nur irgendwas zu tun! Zu tun!”, weinend sah er nach unten auf die Waffe in seiner Hand, “Ich bin sicher, man wird nur vergeben, sowie die Dinge liegen… Ja, man wird mir vergeben.”
Der kalte Lauf berührte seine Schläfe, doch als er gerade abdrücken wollte, las er die rettenden Worte, die mit Matallbuchstaben auf einem Pfeiler geschrieben standen: Öffentliche Bibliothek.
Er ließ den Revolver fallen, stand wieder auf und bewegte sich auf den Pfeiler zu, der zusammen mit anderen Trümmern und Büchern auf einer großen steinernen Treppe lag, die er augenblicklich hochrannte, bis er bei den ersten Büchern ankam.
“Gesammelte Werke von Dickens, gesammelte Werke von George Bernard Shaw, Kafka, Bert Brecht”, er nahm jedes Buch in die Hand und je mehr Titel er las, umso erfreuter wurde er, “Shelley, Keats, Tolkin, George R. R. Martin, J. K. Rowling … die großen Namen der Welt! Bücher! Bücher! All die Bücher, die ich brauche.”
Er war oben angekommen und betrachtete den Berg an Büchern, der sich vor ihm auftat.
“All die Bücher, all die Bücher, die ich immer wollte!”, er begann damit den Berg aus Büchern hochzusteigen, der sich weiter oben auf der Treppe befand, um in die Bibliothek zu gelangen, “ Shelley, Shakespeare, Shaw, alles da! All die Bücher, die ich will! Alle Bücher, die ich will… Alle Bücher, die ich will.”
Er stapelte die Bücher feinsäuberlich entlang der Treppe, der Straße, bis die
Bibliothek fast leer war. Das dauerte zwar eine Weile, aber so hatte er was zu tun.
“Januar, Februar, März”, bei jedem Monat deutete er auf einen anderen Stapel, denn er hatte sich die Bücher eingeteilt, “April, Mai… Dieses Jahr, das nächste Jahr, dort das übernächste Jahr, da das Jahr danach und da
das Jahr danach…”
Glücklich setzte er sich, mit fünf Büchern im Arm, auf eine der unteren Stufen, welche er neben sich legte, nur um anschließend lächelnd ein kleines, dünnes Buch von einem anderen Stapel zu nehmen, es aufzuschlagen und hineinzusehen, ehe er es an seine Brust drückte und beiseitelegte und vor sich auf die große Uhr der Bibliothek sah, die einst am Gebäude hing, nun aber auf der Treppe lag. Er beugte sich vor und betrachtete sie.
“Und das Beste, ja das Beste von all diesem Guten ist, dass ich Zeit habe! Alle Zeit, die ich brauche. Alle Zeit, die ich haben will. Zeit für mich! Zeit für mich! Zeit für mich! Ah, jetzt hab ich endlich ein Meer von Zeit”
Auf einer Stufe unter ihm, sah er ein weiteres interessantes Buch liegen, er rutschte also auf die Knie, um sich das Buch zu greifen, dabei fiel ihm leider die Brille so unglücklich von der Nase auf die Steintreppe, dass die Gläser zersprangen.
Verschwommen sah er auf die Stufe und erkannte dort gerade so sein Brillengestell, er griff danach, hob es hoch, wobei die restlichen Scherben herausfielen und er nur das leere Brillengestell in den Händen hielt.
“Das ist nicht fair”, die Trauer stieg erneut in ihm hoch und er stand auf, “das ist nicht fair, ehrlich… Ich hab Zeit gehabt, ich hab all die Zeit gehabt, die ich brauche. Das ist nicht fair!”
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